almis personal blog

AIR

Gestern habe ich Air gesehen, den neuen Film von Ben Affleck. Ben Affleck als Schauspieler ist ja ein bisschen “umstritten”, aber als Regisseur hat er wirklich schon sehr gelungene Filme verantwortet wie etwa Argo und The Town oder Gone Baby Gone. Und er hat, nicht zu vergessen, einen Drehbuchoscar gemeinsam mit seinem Freund Matt Damon für Good Will Hunting erhalten; Damon spielt auch immer wieder in Affleck Filmen mit und in Air hat er die Hauptrolle.

Matt Damon verkörpert Sonny Vaccaro, den Brandmanager von Nike im Jahr 1984. Nike liegt als Unternehmen weit hinter Adidas und Converse zurück und vor allem im Basketball-Bereich sind sie nicht konkurrenzfähig. Nike CEO Phil Knight (Affleck selbst) und alle anderen Verantwortlichen wollen mehrere aussichtsreiche Spieler als Werbeträger verpflichten – Vaccaro ist dagegen. Er möchte das gesamte Budget für einen einzigen verwenden: Michael Jordan, den er als mit Abstand größtes Talent sieht. Man darf nicht vergessen: Der Name Michael Jordan bedeutet 1984 nicht das was er 2023 bedeutet. Jordan war damals nicht mehr als ein Hoffnungsträger. Er hätte sich im nächsten Spiel verletzen und seine Laufbahn beenden können; oder einfach ein ewiges Talent bleiben. Niemand wusste damals, dass er zum besten Basketballspieler aller Zeiten werden würde. Air zeichnet also den Weg bis zum Vertragsabschluss nach – denn wir wissen ja alle, wie es ausgegangen ist, der Überraschungsfaktor hält sich also in Grenzen.

Aber: Affleck hat mit Air einen wirklich unterhaltsamen Crowdpleaser geschaffenen, der auch für Cineasten sehenswert ist. Und das ist bei weitem nicht so einfach wie es klingt. Denn man muss es erstmal schaffen, Spannung in einem Plot zu erzeugen, wenn ohnehin schon jeder Zuseher weiß, wie die Sache ausgeht. Das gelingt Affleck vor allem damit, Vaccaro die Macht zu geben, das ganze Unternehmen Nike, und damit vor allem Vaccaros gute (nicht nur Geschäfts)Freunde, direkt mit in den Abgrund zu reißen, wenn er sich irrt. Denn alle wissen, wenn sie Vaccaro vertrauen und es geht schief, ist jeder seinen Job los. Eine Menge Verantwortung, eine Menge Nervenkitzel.

Man muss es auch erstmal schaffen, wirklich amüsante Dialoge zu schreiben – bereits in den ersten Minuten haben die Leute in meiner Vorstellung mehrmals gelacht, auch ich – und gleichzeitig dabei niemals auf billiges Amüsement zu setzen, sondern auf kluge und sehr schnelle Wortwechsel, die den Zuseher fordern, auch wirklich zuzuhören. Und man muss es außerdem schaffen, praktisch jede Rolle so zu besetzen, dass man sich keine andere Person in eben dieser Rolle vorstellen könnte. Schön, speziell Jason Bateman und Chris Messina (der einen wirklich interessanten Typen in Six Feet Under gespielt hat) wiederzusehen.

Dazu kommt, dass Affleck alle Menschen mit einem 80ziger-Faible erfreut (mich!), weil er den Film mit Money for Nothing von den Dire Straits eröffnet, und es ihm dabei gelingt, sich noch während der Opening Credits, quasi im Vorbeigehen, an allen 80ziger Jahre Klischees abzuarbeiten – Rubik’s Cube, Knightrider, Aerobic, Dauerwelle, Slinkys, Ronald Reagen, Trivial Pursuit et al – sodass man beim Beginn der ersten Szene wirklich das Gefühl hat, man befindet sich direkt im Jahr 1984.

Air ist kein Sportfilm, auch kein Film über Michael Jordan, der übrigens nie direkt gezeigt wird und kein Wort spricht, es reden immer nur seine Eltern (die Mutter: Viola Davis), ja es ist nicht einmal ein Film über Sneakers. Am ehesten ist es ein Workplace-Movie, der Menschen porträtiert, die an eine Sache glauben und dafür Risken eingehen. Aber dabei – und das gefält mir am besten an Air – sich selbst niemals tierisch ernst nimmt. Die großen Inspirationsreden werden zwar gehalten, aber auch ironisch kommentiert, was ihren Wert nicht schmälert, dabei aber das Pathos beseitelässt, das allzu oft amerikanische Filme vergiftet.

OV (aber sicher anstrengend ob der vielen Informationen) und OmU ist empfehlenswert:

P.S Danke an Benjamin für den Hinweis, dass Affleck NICHT bei Gone Girl Regie geführt hat, wie hier zuerst angegeben – das war nämlich David Fincher. Mea culpa!

Oscars 23

Wenn man den Namen (des österreichisch-amerikanischen Komponisten) Erich Wolfgang Korngold hört, dann spricht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Filmkenner Alexander Horwath. Ich weiß nicht wie er das macht, aber er lässt diesen Namen gekonnt in jeden seiner Auftritte einfließen.

Also wie man merkt: Ich habe mir die diesjährigen Oscars zum Teil angesehen. Ich habe mir gedacht, wenn ich in der Nacht aufwache und munter bin, dann schau ich ein bisschen, sonst nicht. Habe dann im Endeffekt von drei bis ca. halb fünf die Verleihung verfolgt. Warum ich diesmal nicht so besonders gehypt war, lag daran, dass ich eben mit Everything Everywhere All At Once nicht viel anfangen konnte und mir klar war, dass der Film viel gewinnen wird. Dass er aber gleich alle Königsdisziplinen (Film, Regie, Hauptdarstellerin, beide Nebendarsteller, Drehbuch) gewinnt, das war schon sehr erstaunlich. Und wie gesagt mir persönlich nicht verständlich, wenn im Gegenzug TAR und The Banshees of Inisherin ganz leer ausgehen.

Ok, die zwei Daniels – die Regisseure des Films Daniel Scheinert und Daniel Kwan – sind eh recht lustig und hipsterig, es war sehr witzig, als Kwan gesagt hat: “My imposter syndrome is at an all time hight” – sie dürften auch ein super Arbeitsklima bei dem Film gehabt haben, als Team, eh schön für sie, harhar. Aber… ich fühl es halt nicht, wie mein Kind sagen würde.

Skandal gab es diesmal keinen, es war alles eher brav, weshalb Host Jimmy Kimmel nach zwei Stunden feststellte: “At this point in the show, it kind of makes you miss the slapping a little bit, right?”

The Fabelmans

Gestern habe ich den sechsten der zehn oscarnominierten Filme in der Kategorie “Best Film” gesehen. Dabei handelt es sich um The Fabelmans von Steven Spielberg, das semi-autobiografische Porträt seiner eigenen Familie.

Wir begleiten Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle) von seinem ungefähr achten Lebensjahr bis zum Beginn seines Studiums. Zuerst zieht die Familie von New Jersey nach Phoenix, später nach Kalifornien. Wir besuchen mit Sammy seinen ersten Kinofilm, erleben die ersten Versuche mit der Kamera und sehen sehr viel Familienleben mit seinen drei Schwestern und den Eltern Mitzi (Michelle Williams) und Burt (Paul Dano). Von Film fasziniert, hat Sammy die Unterstützung seiner hochmusikalischen Mutter, während der Vater eher der Typ “Lern was Gescheites” ist. Und da wäre noch der Freund des Vaters Bennie (Seth Rogan) und seine Rolle im Familiengefüge.

Schon wieder unpopular opinion, aber ich habe zwei große Probleme mit diesem Film. Erstens: Der Plot. Harhar. Was genau will uns Mr. Spielberg mit dieser Nabelschau sagen? Wenn man die Kindheit und Jugend eines der profiliertesten Regisseure der Gegenwart geschildert bekommt – wenn auch fiktionalisiert – dann erwartet man sich doch eine Art “Erweckungserlebnis”; man erwartet sich große Begeisterung für den Film, Weisheiten zum Thema Filmschaffen, Hoppalas und Meilensteine, aber irgendwie hält Sammy die meiste Zeit zwar eine Kamera, aber alles bleibt doch sehr an der Oberfläche, seine Intentionen werden nicht wirklich herausgearbeitet, es ist keine Seele, keine Entwicklung spürbar. Die einzige wirklich interessante Aussage zum Filmemachen erleben wir erst in der allerletzten Szene.

Aber auch das Familienthema – die Konflikte zwischen den Eltern – geht nicht in die Tiefe und es gibt auch kein besonders traumatisches Erlebnis, kein Familiendrama, das interessant wäre. Wir sehen kitschige Familienszenen, abgewechselt von Momenten der Trauer und der Exaltierheit der Mutter, aber auch hier steht alles irgendwie nebeneinander, ohne ein größeres Ganzes zu ergeben.

Was zu Problem Nummer 2 dieses Filmes führt – und dieses Problem ist noch weitaus größer als das erste: Die Schauspieler bzw. die Art Darstellung. Wie lauteten hier bitte die Regieanweisungen? Das alles ist so over the top und outriert, als würde an einer Volksbühne gespielt werden, was dazu führt, dass man sich mit wirklich absolut niemanden identifizieren kann, und nicht in die Handlung hineingezogen wird, sondern sich permanent so fühlt, also würde man einen Film sehen, der die 50-ziger und 60-ziger Jahre persifliert.

Michelle Williams, die ich schon in einigen Rollen wirklich sehr überzeugend erlebt habe – beispielsweise in Blue Valentine und Manchester by the Sea (auch wenn ich von diesem Film an sich nur dringend abraten kann, aber sie war gut) wirkt hier absolut künstlich, aufgedreht, übertrieben – und ich weiß, sie kann es bedeutend besser, darf aber möglicherweise nicht? Ich weiß nicht genau, was Spielberg sich von dieser Schauspielerführung erhofft hat, aber für mich funktioniert das überhaupt nicht.

Einzig Judd Hirsch bringt einen etwas anderen Geist herein, leider nur in zwei, drei Szenen zu sehen; obwohl er der verrückte Onkel ist, bei dem es wirklich in Ordung wäre, wenn er ein bisschen etwas karikaturistisches an sich hätte, wirkt er viel authentischer und lebensechter als alle anderen. Hirsch hat es geschafft, dafür für den Nebenrollen-Oscar nominiert zu werden, gefühlt (und wahrscheinlich auch tatsächlich in nicht viel mehr als) in fünf Minuten Screentime. Aber er hebt sich hier wirklich deutlich ab. War er schon zu alt, um noch Regieansweisungen von Spielberg anzunehmen? Williams ist übrigens als Hauptdarstellerin ebenfalls nominiert und ich weiß nicht warum.

Fazit: So wie schon Everything Everywhere All At Once lief auch The Fabelmans komplett an mir vorbei ohne mich irgendwie zu berühren. Es tut mir eh leid, aber ich kanns nicht ändern.

Everything Everywhere All At Once

Gestern habe ich mir Everything Everywhere All At Once angesehen. Ehrlich gesagt, hätt ich mir den Film normalerweise nicht ausgesucht, aber nachdem er für unglaubliche elf Oscars nominiert ist und einige davon wahrscheinlich auch bekommen wird – eventuell sogar “Best Film”, wollte ich mir darüber selbst ein Bild machen.

Im Mittelpunkt steht Evelyn Wang (Michelle Yeoh), die gemeinsam mit ihrem Mann Waymond (Ke Huy Quan) einen Waschsalon in den USA führt. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der Steuer werden sie bei der Finanzbehörde zu einer Beamtin namens Deirde (Jamie Lee Curtis) vorgeladen, und das gerade als Evelyns Vater aus China zu Besuch ist und sich Evelyns Konflikt mit ihrer Tochter Joy (Stephanie Hsu) zuspitzt, die dem Großvater ihre Lebenspartnerin vorstellen möchte. Beim Betreten der Behörde wird Evelyn von einer Entität, die von ihrem Mann Besitz ergreift, darüber informiert, dass es diverse Universen neben dem tatsächlichen gibt und sie dort andere Leben führen kann – sie soll dort gegen eine gewisse Jobu Tupaki kämpfen, die das Multiversum bedroht…

Unpopular opinion: Ich konnte mit dem Film absolut gar nichts anfangen. Die Grundidee, dass es verschiedene andere Welten gibt, in denen man leben kann, wenn man an gewissen Weggabelungen des Lebens anders abgebogen wäre, ist ja ausgesprochen interessant. Nur wird diese absolut nicht auserzählt. Einerseits gibt es (viel zu) viele Erklärungen zum “Multiversum” – Waymonds Entität erzählt recht umständlich, was man in einem Film immer zeigen sollte – andererseits ergeben seine Erläuterungen nicht wirklich Sinn und der Zuseher (oder zumindest ich) hat keine Ahnung, worauf das alles hinauslaufen soll.

Stattdessen folgen minutenlange Martial Arts Kampfszenen, schnelle Schnitte zwischen den verschiedenen Universen, eine Parade von unzähligen Kostümen und Schauplätzen (die Kostümdesign-Oscarnominierung ist wirklich gerechtfertigt), dazwischen ein paar dünne Dialoge und humoristische Versuche mit mehr oder weniger Erfolg, dann aber auch wieder eher unbeholfene Animationen, wie aus einem B-Movie (wobei: vielleicht beabsichtigt) und dabei bewegt sich die Handlung keinen Zentimeter vorwärts. Ehrlich gesagt sehe ich auch die schauspielerische Brillianz nicht – es wurden immerhin alle vier oben genannten Darsteller für den Oscar nominiert; aber viel mehr als dass sie über weite Strecken recht begabt wie überzeichnete Comicfiguren agieren erschließt sich da für mich nicht.

Ich finde normalerweise Filme, die “out of the box” denken, und etwas neues versuchen, dass man noch nicht gesehen hat gut und spannend. Ich mag auch Filme, die verwirrend sind, etwas schräg, deren Handlung man vielleicht nicht sofort oder auch gar nicht durchblickt. Ich brauche auch nicht unbedingt viel an Handlung an sich, wenn der Film in der Lage ist, sehr gut Stimmungen zu transportieren. Aber hier hab ich leider gar nichts gefunden, was mich irgenwie gefesselt, inspiriert oder auch nur kurzweilig unterhalten hätte.

Auf Rediff.com hab ich folgende Einschätzung gelesen, der ich mich vollinhaltlich anschließen kann: “The lack of anything substantial, whether it is characterisation or plot, makes EEAAO crumble under its lofty ambitions. And so, instead of saying a lot with very little, this film says very little with a lot.” Aber das ist eines der wenigen Reviews, die sich kritisch äußern, die meisten sind überschwänglich positiv. In meiner Vorstellung waren ein paar 10, 11 jährige, die sich fabelhaft unterhalten haben. Also am besten – wie immer – selbst eine Meinung bilden.

Women Talking

Ich habe vorgestern Women Talking gesehen und bin ehrlich gesagt recht froh, dass ich kein offizielles Review zu diesem Film schreiben muss. Denn er hat sich als genauso sperrig und verkopft, ja fast akademisch präsentiert, wie ich ihn erwartet habe. Ich möchte fast sagen, ich habe schon Uni-Seminare mit einer solchen Art von Diskussion erlebt, nur mit dem Unterschied, dass die Uni der passende Ort dafür ist.

Der Plot: Eine Runde von Frauen einer mennonitischen Gemeinde trifft sich in einem Stadel, um über die sexuelle Übergriffe zu sprechen, denen sie durch die Gemeindemänner ausgesetzt sind. Alle wurden betäubt und sexuell missbraucht, Ona (Rooney Mara) ist gerade durch einen solchen Übergriff schwanger, andere wie Mariche (Jessie Buckley) und Salome (Claire Foy) haben bereits Kinder, für die sie eine andere Zukunft wollen. So sprechen sie darüber, welche Möglichkeiten sie haben – nichts tun, bleiben und kämpfen oder gehen – und lassen alles vom quasi einzigem “guten” Mann – dem Lehrer August (Ben Whisaw) protokollieren, da sie weder lesen noch schreiben können.

Und da fangen die Probleme dann schon an. Diese Frauen sprechen so artifziell und über-reflektiert, als würden sie vorgefertige Texte rezitieren, nicht als würde sie sich einfach nur unterhalten, wie das der Titel und das Setting suggeriert. Schon Menschen mit herkömmlicher Schullaufbahn traut man diese Wortgewandtheit kaum zu, aber Frauen, die niemals irgendeine Art von Bildung erfahren haben, weil das in der Gemeinde den Buben bzw. jungen Männer vorbehalten bleibt, wirken insgesamt doch sehr unglaubwürdig und wie ausgewiesene Kunstfiguren.

Eine Sache ist es, Woman Talking als quasi semi-dokumentarischen Film über ein tatsächliches Ereignis, das so in Bolivien stattgefunden hat, zu sehen. Ich finde es aber eher bedenklich, den Film in einen größeren #metoo Kontext zu stellen. Denn die Geschichte dieser abgeschlossenen Gemeinde mit ihren rigiden Strukuren und den starren, schon per se misogynen Regeln ist nichts, was sich besonders gut auf die wesetliche Gesellschaft umlegen lässt – anders als das etwa bei der Problematik um Harvey Weinstein im Film She said der Fall war. Dass diese Männer grausame Verbrecher sind, ist unbestritten und sie müssten für ihre Taten verurteilt werden, aber auf diesen Konsens kommt man ja im Nu. Ich sehe aber nicht, was Regisseurin Sarah Polley uns da quasi als “Think Piece” mitgeben möchte, was nicht eh klar und deutlich auf der Hand läge. Dass alle Männer im Grunde so sind, wie diese in der mennonitischen Gemeinde – mit einigen, wenigen Ausnahmen? Das hoffe ich wohl doch nicht.

Der Film ist ästhetisch, wenn die Bilder auch blutleer sind und die schauspielerischen Leistungen sind gut bis sehr gut, speziell von Rooney Mara, die die warmherzige, sehr differenziert denkende Ona spielt. Trotzdem funktioniert der Film gesamt für mich kaum, man müsste ihn schon bis auf eine sehr artifizielle Ebene abstrahieren, quasi als ein Theaterstück im Film (a la Dogville), aber selbst dann — sorry, es hat mich nicht wirklich erreicht.

Gedanken zu metoo

Nachdem der Fall Teichtmeister vor einigen Wochen extrem medial hochgekocht ist, herrscht nun seit einiger Zeit wieder ziemliche Stille. Zum Fall an sich möchte ich nichts sagen, aber zum (möglichen) Umgang damit, was seine Kollegen und Vorgesetzten betrifft.

Ich habe Corsage gesehen und fand den Film künstlerisch herausragend. Mir hat die Regisseurin Marie Kreutzer leidgetan und auch alle anderen Menschen, die an diesem Film in welcher Form auch immer beteiligt waren. Dann war Kreutzer in einer ORF 3 Diskussion zu Gast, wo sie gefragt wurde, ob sie etwas anders gemacht hätte, mit dem Wissen von heute. Denn Corsage wurde abgedreht, bevor besagte Hausdurchsuchung bei Teichtmeister stattgefunden hat. Aber es gab auch einen weiteren Darsteller, der bereits vor dem ersten Drehtag zu ihr gekommen wäre, und gesagt hatte, dass es gegen ihn Anschuldigen gibt (nicht in Richtung Kindesmissbrauch, sondern eine allgemeine metoo-Thematik). Kreutzer hätte das quasi auf sich beruhen lassen.

Sie rechtfertigt sich in dieser Diskussion damit, dass die Filmproduktion diverse – auch internationale – Partner hat, dass es Verträge gibt, dass sie nicht einfach einen Tag vor Drehbeginn einen Darsteller austauschen könne, aufgrund von Gerüchten, die er selbst bestreite, sie könne nicht jeden am Film beteiligten Menschen unter vorab-Verdacht stellen usw. Soweit, so für jeden auch nachvollziehbar. Aber jemand, der sich stark macht, für die Metoo-Bewegung, müsste nun reflektieren, was eine solche Aussage eigentlich bedeutet.

Denn: Wenn ich für mich all diese Dinge in Anspruch nehme (ich kann nicht jeden überwachen, ich kann nicht Urteil sprechen, wenn das kein Gericht gemacht hat etc.), dann muss ich das im Grunde auch allen anderen Produktionen zugestehen. Denn auch andere Produktionen haben diese äußerlichen Verpflichtungen, die Verantwortung für ein Ensemble, finanzielle Abhängigkeiten usw. Und im Grunde genommen kann ich dort auch nicht hineinschauen, wieviel oder wenig die Verantwortlichen anderer Produktionen gewusst haben, welche Zwänge dort bestanden haben etc, die ich dann aber von außen verurteile.

Insofern ist es etwas schwierig, anderswo: “Metoo!” zu schreien, aber vor der eigenen Türe halt dann im Zweifel nicht zu kehren. Ich habe keine Lösung dafür, es ist und bleibt schwierig und das ist eben auch eine Erkenntnis. Ich tue mir aber ein bisschen schwer mit “anderswo”-Moralisten.

Kurze Oscar Durchsage

Vor lauter Sundance komm ich fast gar nicht dazu – for a change – etwas zu den Oscars zu schreiben.

Bitte wieso schau ich mir seit Wochen potentielle Kandidaten an, wenn dann Avatar: The Way of Water und Top Gun Maverick nominiert wird? Harhar. Nein, Steven Spielberg hat das schon richtig erläutert, dass eben 2009 The Dark Knight nicht nominiert wurde, weil es eben nur fünf Plätze für “Best Film” gibt und das hatte viel Aufregung zur Folge. Deshalb wurde das 2010 auf (maximal) zehn erweitert, was ich gut finde, weil es die Diversität fördert. Ich habe nun aber tatsächlich nur The Banshees of Inisherin und Triangle of Sadness gesehen. Der derzeitige Favorit Everywhere everything all at once läuft ja schon seit längerem nicht mehr, wird aber vermutlich bald wieder irgendwo zu sehen sein. All Quiet on the Western Front ist jetzt nicht so wirklich mein Genre und Elvis hat mich auch nicht gereizt. TAR, Woman Talking und The Fabelmans werde ich mir aber auf alle Fälle noch anschauen, wenn sie dann anlaufen.

Mein (bisher) liebster Film des letzten Kinojahres – Aftersun – wurde in dieser Kategorie leider nicht nominiert, dafür gab es eine ziemlich überraschende Nominierung für Paul Mescal. Paul Mescal hat bisher noch nicht allzuviele Filme gedreht, aber er gilt irgendwie schon als Indie-Ikone, zumindest für mich, denn er hat in der Serie Normal People gespielt, die auf dem Buch von Sarah Rooney basiert, das ich liebe. Und in Lost Daughter, dem Film von Maggie Gyllenhaal, dessen Buch (von Elena Ferrante) ich auch gelesen habe. Und er hat ein Musikvideo unter der Regie von Phoebe Waller-Bridge (Fleabag) gedreht, noch cooler wirds nicht mehr. Und er war wirklich ganz großartig in seiner Verletzlichkeit in Aftersun.

Bei den Damen gabs auch eine Überraschung, auf die man in den sozialen Netzwerken schon “gewartet” hatte, denn es gab eine Kampagne für die Schauspieler Andrea Risebourough, deren kleiner To Leslie einfach gar kein Marketing hatte und nirgendswo aufgeschienen ist. Aber vor einigen Wochen haben Stars wie Kate Winslet, Jane Fonda, Gwneyth Paltrow und andere dieser Preisklasse getwittert, wie super Risebourough in der Rolle nicht sei. Daraus wurde dann ein Meme, wo u.a. Papst Franziskus sie ebenfalls lobt und zum Schluss: “God has called Andrea Riseborough’s performance in To Leslie ‘the greatest display of acting of all time’ ”. Das war schon sehr lustig. Ob sie wirklich aufgrund dieser Mobilmachung gewählt wurde, kann man natürlich nicht sagen, ich musste spontan an die Nominierung (und letztendlich Gewinn) von Hilary Swank für Boys don’t cry (mit seiner Transgender-Thematik seiner Zeit um Jahre voraus), denken, der war auch sehr klein und ein Underdog, hatte aber doch schon ein paar Nominierungen mehr im Vorfeld gehabt. Geschadet hat diese Kampagne in keinem Fall.

Alle Nominierungen sind hier.

Sundance Festival – gesamt

Ach schön ist es um diese Jahreszeit in Utah…

An der oberen alten Donau, 22.1.2023

Also ich bin natürlich nicht live vor Ort bei Sundance, sondern online und jetzt kommen praktisch täglich neue Berichte vom Festival und Reviews; einen guten Überblick darüber gibt es auf folgender Uncut-Seite. Weil ich die einzige Akkreditierung habe, schaue ich viele Filme derzeit und es ist toll.

Ach ja und in Wien hat es am Wochenende tatsächlich viel geschneit, war so gar nicht zu erwarten.

The Banshees of Inisherin

Es ist schon eine Weile her, dass ich die Übersetzung eines Filmtitels nachgeschlagen habe, weil ich ihn nicht verstanden habe, aber nun war es mal wieder soweit. Nun “Banshee” ist eine Todesfee und Inisherin ist eine fiktive kleine Irland vorgelagerte Insel.

The Banshees of Inisherin ist – ja was eigentlich? Es läuft unter Komödie, wurde auch bei den diesjährigen Golden Globes in der Sparte “Best Comedy” nominiert, aber ganz ehrlich: Um diesen Film als Komödie zu bezeichnen, da muss man selbst schon ziemlich kaputt sein harhar. Nein. Es gibt eine Lesart, in der das alles witzig ist, was passiert, aber ich hatte diese Brille nicht auf. Für mich war der Film bestenfalls eine Tragikkomödie, aber eigentlich fand ich ihn ziemlich hart und auch traurig.

Pádraic Súilleabháin (Colin Ferell) und Colm Doherty (Brendon Gleeson) sind schon ein Leben lang miteinander befreundet, als Colm Pádraic eines Tages mitteilt, dass er ihn nicht mehr sehen will. Er möchte an einer Musik arbeiten und sich durch Kompositionen unsterblich machen. Er fühlt das Alter und hat keine Zeit mehr für belanglose Gespräche. Pádraic glaubt zunächst an einen Aprilscherz und versucht sich immer wieder, sich Colm anzunähern. Bis Colm voller Zorn ankündigt: Sollte Pádraic ihn nur einmal auch nur ansprechen, würde er sich einen Finger abschneiden. Wäre das jetzt ein amerikanischer Film würde man grinsen, und zur Tagesordnung übergehen, nun aber das ist ein irischer Film und diese funktionieren anders.

Was folgt, ist eine Eskalation, die gar nicht einmal so überraschend kommt, auf dieser gottverlassenen Insel. Inisherin ist wunderschön und rauh, und so sind es die Menschen auch. Menschen, die nicht viel zu tun haben, außer Vieh hüten, in die Kirche und ins Pub zu gehen und darauf zu warten, dass sich endlich einmal irgendetwas aufregendes tut, damit sie neue Gesprächsthemen haben. Die Sätze wiederholen sich, werden immer wieder auf die gleiche Art und Weise gesagt, stellenweise hat mich das sogar ein bisschen an Thomas Bernhard Prosa erinnert. Jeder hat seine zugeteilte Rolle, hier der “Dorftrottel”, dessen Vater ein gewaltbereiter Polizist ist; da eine neugierige Besitzerin des Gemischtwarenhandels, dort eine alte “Seherin”, die Tode vorhersagt. Pádraic selbst ist ein herzensgüter Mensch, dem dieses kleine Leben genügt. Er ist zufrieden, wenn er Colm trifft, mit seiner Schwester Siobhán die Mahlzeiten einnimmt, und sich um seinen kleinen Esel Jenny kümmert. Aber so leicht nimmt Colm das Leben nunmal nicht.

Die schauspielerischen Leistungen sind meisterlich, in diesem Film. Ich war sehr beeindruckt von Colin Farell, der ja irgendwie die undankbarste Rolle hat, mit dem “lieben Typen von nebenan”, der aber so eindrucksvoll zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankt und im Laufe der Zeit eine enorme Entwicklung durchlebt, ohne dabei seinen Charakter zu ändern. Sehr berührend ist, als seine Schwester Siobhán (Kerry Cordon) ihn zum wiederholten Mal zurechtweist, den Esel nicht immer ins Haus zu lassen, sagt Pádraic: “Ich lasse meinen Esel nicht draußen, wenn mir das Herz schwer ist.” Auch Barry Keoghan als Dominic – ein offensichtlich zurückgebliebener junger Mann – spielt so überzeugend, dass ich mich, politisch unkorrekt auf diversen Ebenen, gefragt habe, ob er tatsächlich, nun ja, ein gewisses intellektuelles Handicap hat. Ja, ich schäme mich eh dafür. Und Brendan Gleeson ist mir im Grunde genommen völlig unsympathisch und er möchte auch ganz offensichtlich völlig unsympathisch sein.

Hier noch der sehr locker-flockige Trailer, nicht davon in die Irre führen lassen, der Film hat dann doch (noch) eine andere Tonalität:

Im Original ist der Film sicher noch beeindruckender und authentischer, aber ich glaube auch ziemlich unverständlich. OmU hat mir diesmal zeitlich/örtlich nicht gepasst, wäre aber sicher am sinnvollsten.