almis personal blog

ESC – Mein Ranking 24

Nachdem mir Marco Schreuder persönlich gewhatsappt hat, ob ich nicht meine ESC-Wertung für den Merci Cherie Podcast abgeben will, was ich sehr nett fand – hier kann man übrigens mitmachen – habe ich also heute tatsächlich mein diesjähriges ESC-Ranking der besten 10 eingereicht. Dazu noch eine Sprachnachricht, warum ich wem 12 Punkte gegeben habe. Ich schreibe ja lieber, aber naja, zu hören dann in zwei Wochen.

Und weil es sicher alle vor Neugier platzen (harhar), hier meine Wertung im Detail:

12 Punkte – Belgien – Mustii – Before the party is over

10 Punkte – Schweiz – Nemo – The Code

8 Punkte – Ukraine – Alyona Alyona & Jerry Heil – Teresa & Maria

7 Punkte – Litauen – Silvester Belt – Luktelk

6 Punkte – Israel – Eden Golan – Hurricane

5 Punkte – Estland – 5miinust & Puuluup – “(nendest) narkootikumidest ei tea me (küll) …”

4 Punkte – Kroatien – Baby Lasagna – Rim Tim Tagi Dim

3 Punkte – Griechenland – Marina Satti – Zari

2 Punkte – Niederlande – Joost Klein – Europapa

1 Punkt – Italien – Angelina Mango – La Noia

Ich finde meine Wertung eigentlich sehr divers (harhar), Frauen, Männer, nonbinäre Personen, Nord bis Süd, Ost bis West, Landessprachen und Englisch, Balladen, Rap, Elektro, Pop/Rock, lustig, traurig, alles dabei.

Dass die ukrainischen Teilnehmerinnen gerade über Mutter Teresa und Maria singen (und rappen) ist überraschend, ich bin froh, dass dieses Jahr mal wieder über den Song an sich gesprochen wird. Aber bitte kauft keine Waffen mit der etwaigen Siegerprämie. Wie ich schon geschrieben habe, halte ich The Code für den vielleicht innovativsten Song des Bewerbs und er hat die ewige ESC-Botschaft “sei der, der du bist” – auch wenn einiges Zeitgeist-Posing dabei ist, das hat was. Na und Belgien liebe ich einfach, weil so schön und schmerzvoll gleichzeitig, und Mustii gibt einem Philipp Hochmair-Vibes deluxe.

Ripley neu

Vor einigen Tagen hatte eine neue Miniserie auf Netflix Premiere – Ripley, basierend auf dem Patricia Highsmith Roman Der talentierte Mr. Ripley (unbezahlte Werbung)

Sie umfasst acht Teile, jeder Teil dauert etwa eine Stunde (mal etwas kürzer, mal etwas länger), und wenn man bedenkt, dass der Roman jetzt nicht extrem dick ist, ist das ganz schön viel. Nachdem ich sowohl den Roman erst kürzlich gelesen, als auch die Verfilmung von Anthony Minghella aus dem Jahr 1999 gesehen habe, war ich sehr gespannt, was Regisseur und Drehbuchautor Steve Zaillian daraus gemacht hat. Zudem spielt Andrew Scott (der “hot priest” aus Fleabag) die Titelrolle. Ich habe zwei Abende mit Ripley verbracht und einige Zeit in der Sonne, um darüber zu schreiben.

Viel kann ich noch nicht verraten, weil ich alles in meiner Kolumne für Uncut ausführlich besprochen habe, aber gerade die ersten Folgen waren durchaus herausfordernd. Weil die Serie ist langsam, wirklich langsam erzählt. Und das sage ich als jemand, der damit an sich kein Problem hat. Und: Sie ist komplett schwarz/weiß gedreht. Sie ist sehr düster und quasi das komplette Gegenteil zum Minghella-Film, der bunt und voller Lebensfreude war.

Einer der besten Freunde von Dickie Greenleaf (im Film Jude Law), jener Dickie, den Tom Ripley (Matt Damon) in Italien aufspüren und nach Hause bringen soll, ist Frederick Miles (Philipp Seymour Hoffmann). Miles ist ein richtig oberflächliches amerikanisches Arschloch, das sich einbildet, der bessere Italiener und überhaupt ein Geschenk Gottes an die Welt zu zu sein, komplett von sich eingenommen und total neben der Spur. Und so großartig gespielt! Auf Twitter wurde das gerade gewürdigt:

Solche Szenen sieht man in Ripley nicht. Freddie Miles wird in der neuen Version von einer nonbinären Person (Eliot Sumner, das Kind von Sting) gespielt, der/die zwar eindrucksvoll ziemlich abseitig agiert, aber quasi das komplette Gegenteil des flamboyanten Schwerenöters der Vorlage (und des Filmes) ist.

Ein User schreibt in der Internet Movie Database über Ripley: “I’m 5 episodes in and I want to jump off a tall building.” Harhar. So schlimm fand ich es jetzt nicht, aber ich habe doch einige Fragen. Bald in meiner Kolumne zu lesen, die ich hier, wie man merkt, anteasere.

ESC 24, Schweiz

Die Auftritte der heurigen ESC Künstler bei den Prepartys am vergangenen Wochenende haben einen Wechsel an der Spitze der Wettquoten gebracht.

Bisher war Baby Lasagna (sic!) mit Rim Tim Taga Tim der uneingeschränkte Favorit gewesen. Rim Tim Taga Tim, was man durchaus als Onomatopoesie bezeichnen könnte (harhar, das Kind muss gerade literarische Figuren lernen) war ja quasi die legitime Antwort auf Cha Cha Cha vom letzten Jahr. Die ESC Nerds wollen ihren Banger haben, allerdings gibt es für mich auch so etwas wie eine zu eingängige Melodie. Cha Cha Cha war da durchaus elaborierter. Wie dem auch sei, nun ist die Schweiz auf Platz 1 und zwar Nemo mit The Code.

Im Merci Cherie Podcast Interview hat Nemo erzählt, dass sein Name kein Künstlername wäre, sondern er tatsächlich so heiße und zwar deswegen, weil seine Eltern ihn “Niemand” nennen wollten, damit er “alles” werden konnte. Das ist so wie wenn Eltern ihr Kind ohne Religion aufziehen und meinen, das Kind kann sich ja seine Religion dann mit 18 aussuchen. Nemo hat sich seine Religion auch ausgesucht, er ist nämlich non-binär (ein Scherz, bitte kein Shitstorm). The Code ist jetzt nicht mein Lieblingssong, aber doch der vielleicht originellste Beitrag des heurigen Bewerbs.

Denn Nemo, der diese kleinen Björk-1990er Jahre-Plastiktränchen unter den Augen hat, erzählt genau diese, seine Geschichte in The Code. Er hat nämlich den Code zwischen 0 und 1 gebrochen (nonbinär) und es war ein Struggle und er hat gelitten und es war die Hölle und jetzt ist er aber zufrieden und tut was er will und fühlt sich im Einklang mit sich selbst und das ist ja durchaus ein erstrebenswerter Zustand. Musikalisch ist der Song sehr unkonventionell aufgebaut, opernhafte Passagen wechseln mit Rap, kleiner Popmelodie und eventuell sogar Drum and Bass?! (bin keine Musikerin).

Im Video fährt Nemo klimafreundlich mit der Bahn von Zürich nach Malmö – ein weiteres gut gemachtes Zug-Video nach Trenujetul von Zdob si Zdub aus 2022. Dieser Song hat tatsächlich Siegchancen und wird m.E. auf alle Fälle in die Top 3 kommen.

Kafka – die Frauen, Dora

Im letzten Jahr seines Lebens lernt Kafka Dora Diamant an der Ostsee kennen. Sie betreut dort Flüchtlingskinder. Es wird schnell deutlich, dass sie eine Helferin ist, ein Mensch, der sich um andere kümmert. Und Kafka ist jemand geworden, der jemand anderen braucht, der sich um ihn kümmert. Er ist totkrank. Kafka lässt sich in der Arbeit beurlauben, nimmt Abschied von seiner Familie – entzieht sich damit auch endlich dem Einfluss seines Vaters – und zieht mit Dora nach Berlin.

Die Entscheidung, Kafka in Dora quasi nur noch als Sterbenden zu zeigen, bewirkt, dass diese Folge teilweise sehr schwer anzusehen ist. Kafka und Dora werden praktisch nur im Kontext des drohenden Todes miteinander gezeigt. Ich weiß nicht, ob das in den Tatsachen begründet liegt – im Juni wird ein Film namens Die Herrlichkeit des Lebens in die Kinos kommen, der sich ausschließlich dieser Beziehung widmet, wo die beiden noch mehr miteinander erleben – oder ob Schalko das Gewicht auf die Symbolik legen wollte, was Dora für Kafka ist. Sie ersetzt auch ein bisschen Max Brod als denjenigen, der sich vollumfänglich um Kafka sorgt.

Wie es der blinde Oskar Baum bei einem Treffen der Verbliebenen des Prager Kreises sagt, die Krankheit habe Kafka das gebracht, was er immer wollte: “Eine Frau, die ganz für ihn da ist und voller Liebe und doch nichts von ihm verlangt, was er nicht geben möchte.” Darauf Felix Welten: “Willst du damit sagen, die Krankheit hat Vorteile?” Baum: “Sie hätte Vorteile. Krank sein hat immer Vorteile, wenn man nur nicht krank wäre.” Baum betont, dass es ihm mit seiner Blindheit auch so ginge- Blindsein wäre großartig, könnte man dabei sehen.

Dora und Kafka ziehen dann nach Kierling um, wo Kafka in ein Sanatorium verlegt wird. Milena kommt ihn noch einmal besuchen; ihr schenkt Kafka seine Tagebücher und sagt ihr, sie kann damit machen was sie will. Die Tagebücher werden später veröffentlicht. Dora wiederum übergibt Kafka seine letzten Notizen und Texte, mit der Bitte sie zu verbrennen, was Dora allerdings nicht macht. Diese werden ihr von der Gestapo – Dora heiratete später einen Kommunisten – abgenommen und liegen bis heute unter Verschluss im Bundesarchiv in Berlin.

Am Ende stirbt Kafka und unser Erzähler sagt uns, mit Anspielung darauf, dass er nie wusste, wie er zu erzählen beginnen soll: “Egal wie man anfängt, so hört es auf.” Eine wirklich fabelhafte Serie! Bitte mehr davon Herr Schalko und Herr Kehlmann. Schnitzler würde ich zum Beispiel auch gerne sehen – dieser kommt in Kafka nur in einer ganz kurzen Szene vor.

Kafka – die Frauen, Milena

Die Folge Milena ist die poetische und romantische Folge der Serie. Es ist quasi eine Folge in Echtzeit, wir sehen einen Spaziergang von Kafka und Milena im Wienerwald, es kommen in der ganzen Folge praktisch nur diese beiden Figuren vor, und ihre Gespräche, Zärtlichkeiten, aber auch tiefgehende Konflikte.

Milena nennt Kafka “Frank” und erzählt von sich, dass sie schon mal etwas stiehlt, wenn es sich ergibt, dass es ihre Lebensaufgabe wäre, ihren Vater zu enttäuschen, dass sie auch schon einmal versucht habe, sich zu töten. Als Kafka darauf entsetzt reagiert, entgegnet sie, dass das doch jeder einmal wolle. Milena sagt, man könne nur produktiv sein, so lange man jung ist.

Milena: “Sobald einem der Schmerz nicht mehr endlos vorkommt, bleibt man stehen und lebt vom Ersparten.”

Kafka: “So schlimm war Ihre Jugend?”

Milena: “So schön war sie!”

Kafka – Folge Milena

Sie essen im einem Gasthaus, wo es die beste Leberknödelsuppe überhaupt gibt und dann liegen sie in der Wiese, wo sie sich gegenseitig vorlesen. Danach geht es darum, wann Kafka zu Milena nach Wien kommt, um sie quasi abzuholen. Sie möchte sich von ihrem untreuen Mann trennen und mit ihm zusammen zu sein. Bei der Planung dieser Aktion verliert sich Kafka in Ausflüchte, an dem einen Tag kann er nicht kommen, da hat er eine Dienstreise und an dem anderen Tag muss er auch arbeiten, und am Wochenende gehen die Züge zu ungünstigen Zeiten; umständlich erklärt er Milena dabei den Zugfahrplan.

Milena wird wütend und schreit Kafka an, dass er sich ständig als Opfer stilisiert, dass er sich klein und schwach und unbedeutend gibt und alle, sein Freunde, seine Schwestern, seine Frauen fragen sich ständig, wie man dem armen Franz helfen kann. Sogar in einen Käfer verwandle er sich, sagt Milena, damit man ihn in Ruhe lässt und zu nichts zwingt. Sie wirft ihm absolute Kompromisslosigkeit vor, er schreibe ja nicht einmal seine Texte fertig – Kompromisse seien für andere, nicht für den großen Franz Kafka. Nur eine Macht gäbe es, der sich Kafka beugt, sagt Milena: “Dem beschissenen Zugfahrplan!”

Kafka muss grinsen, aber es wird klar, dass es auch mit Milena keine Zukunft geben kann, Kafka ist nicht bereit dafür. Die Bontempi-Orgel setzt ein, die diese ganze Folge untermalt, sie soll die naive Vorstellung eines unbeschwerten Nachmittags voller Glück und Sorglosigkeit vermitteln, aber irgendwann wird es kühler und die Sonne verschwindet und der Nachmittag ist zuende und damit in gewisser Weise auch alles was war, und eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Die Musik der Bontempi-Orgel wirkt nun wie ein parodistischer Nachhall – die große Liebe gibt es für Kafka nur für kurze Momente.

Kafka – Max

Die erste Folge von Kafka, die den Titel Max trägt, ist die heiterste. Es ist die Folge, in der Kafka (Joel Basman) tatsächlich noch recht viel lacht.

Es geht in dieser Folge vor allem um Kafkas Freundschaft zu Max Brod und dem Prager Kreis, noch zwei weiteren Schriftstellern, Felix Weltsch und Oskar Baum, der blind ist. Alle sind Juden. Max Brod wird Kafkas engster Freund und sowas wie sein Literaturagent. Heute würde man es Manager nennen. Immer wenn Brod (gespielt von David Kross) die Szenerie betrifft, freue ich mich, er wird schnell meine Lieblingsfigur; er hat viel Charisma und ist mir einfach total sympathisch – auch wenn er genau genommen ein Strizzi ist. Brod nimmt das Leben leicht, er ist ein Boheme, hat zahlreiche Freundinnen (“Ich bin eben in jede verliebt”), trinkt und isst mit Begeisterung, er schreibt gern und viel, er veröffentlicht auch das meiste davon. Während Kafka nach dem Motto arbeitet, dass nichts gut genug ist, sagt Brod, seine eigenen Werke sind eben “gut genug”. Das mag auch ein Grund für diese Freundschaft sein, Brod ist quasi alles, was der schwermütige Kafka nicht ist, er vermittelt ihm immer auch etwas von seiner Lebenslust und reißt ihn mit.

Es gibt so viele tolle Szenen in dieser Folge. Der Prager Kreis trifft sich zum Beispiel in einem Lokal und sie lesen sich gegenseitig ihre Texte vor. Kafka liest: “Wir kamen mit guter Schnelligkeit immer weiter in das Innere einer großen, aber noch unfertigen Gegend, in der es Abend war.” Felix Weltsch fragt daraufhin: “Unfertige Gegend? Bist du dir sicher? Oskar Baum sagt: “Ich verstehe es nicht, aber es ist gut. Was sagst du Max?” Und Brod: “Ich glaube ich habe noch nie was besseres gehört.” Alle lachen. Aber Brod meint es ernst. Er ist komplett überzeugt vom Talent Kafkas. Ein anderes Mal trifft sich Brod mit Verlagsmenschen von Rowohlt und schwärmt von Kafka, er sei “der größte Schriftsteller der Welt”. Der eine Verlagsmensch fragt ihn darauf nach Werken von Kafka, worauf Brod zugeben muss, dass Kafka noch nichts veröffentlicht hat.

Eine Szene spielt quasi in der Zukunft und der schon ältere Max Brod wird von einem Interviewer bezüglich Kafkas Nachlass, den Brod verwaltet und herausgegeben hat, gefragt, warum er, Brod, manche Passagen gestrichen hat. Danach sehen wir eine Szene, in der Brod und Kafka das Prager Original Toni Pachinger (Robert Palfrader) besuchen, der von seinen Eroberungen schwärmt, Nacktbilder herumreicht und generell geht es relativ derb zu. Palfrader in einer typischen Rampensau-Rolle. Danach beugt sich Brod zur Kamera, bricht die vierte Wand und sagt den Zusehern: “Das muss ich doch streichen, das versteht sich doch von selbst, dass von so einem Abend niemand erfahren darf”. Was ja doppelt lustig ist, weil wir die Szene ja eben trotzdem gesehen haben und wissen, was gestrichen worden ist.

Am Ende der Folge fragt der Interviewer Brod, was ihm – dem eher mittelmäßigen Schriftsteller ohne jede literaturwissenschaftliche Ausbildung – das Recht gäbe, der Herausgeber von Kafkas Gesamtwerk zu sein. Da sagt Brod: “Er war mein bester Freund.” Und das zeigt die Serie auch. So leichtlebig Brod sein kann, so sehr ist er bis zum Schluss an Kafkas Seite und nimmt auf der Flucht einen extra Koffer mit, nur um Kafkas Nachlass transportieren zu können. Ohne ihn hätten wir viele von Kafkas Texten nie kennengelernt.

Oscars, das wars

Es gibt eine Neuerung bei den Oscars: Es fängt in MEZ jetzt schon gegen 23 Uhr mit dem Red Carpet an und ab Mitternacht ist dann die Verleihung; so konnte ich leider nicht anders als aufzubleiben, so bis 3.30 Uhr, und somit hab ich das erste mal in meinem Leben die gesamte Oscar-Show gesehen.

Die Show war recht unterhaltsam und auch kurzweilig, ich bin zwar nicht der größe Fan von Jimmy Kimmel, aber schön fand ich seine Aussage, dass man quasi durch den Writers Strike den Einsatz von KI im Film zumindest vorerst mal zurückgedrängt hat: “Thanks to this historic agreement, actors are now able to go back to worry about being replaced by younger, more attractive people and I think that is great.” Great war auch die I am just Ken Performance von Ryan Gosling. Ich weiß, er hat in Barbie auch schon gesungen und auch in La La Land, aber in einem Film zu singen, ist halt doch noch mal was anderes als live vor Publikum. Am Ende kam noch Slash aus den 1990-er Jahren und spielte ein Gitarrensolo, warum weiß man nicht, aber lustig wars doch, sogar Martin Scorsese, sonst bei solchen Award-Shows meist im Halbschlaf, sah richtig glücklich aus.

Dann gabs das alljährliche “In Memoriam”-Segment, wo gefühlt eh immer Time to say goodbye zu hören ist, diesmal aber auch tatsächlich, performt von Andrea Bocelli samt Sohn. In dem Segment hofft man dann, dass die Academy eh keinen vergessen hat, der einem selbst wichtig ist, Matthew Perry war gottseidank dabei. Jonathan Glazer, selbst Jude, der mit The Zone of Interest den Preis für “Best International Feature” gewonnen hat, hat wiederum an die Opfer des 7. Oktober und aber auch die im Gazastreifen erinnert, und mehr hat er nicht gebraucht, das ist heutzutage in sozialen Medien fast so kontroversiell wie ein Papst, der für Frieden eintritt.

Die größe Knalleffekt bei den Preisen war vielleicht Emma Stone als beste Hauptdarstellerin- in den letzten Wochen war Lily Gladstone favorisiert worden, da sie die erste indigene Darstellerin gewesen wäre, die einen Oscar erhalten hätte und solche Narrative lieben die Oscars ja oft und Stone hat eh schon einen Oscar etcetera. Stone hatte mit ihrer Auszeichung sichtlich selbst nicht gerechnet, außerdem war ihr Kleid hinten aufgeplatzt, während des Ken-Auftritts, wie sie selbst sagte, bei dem sie mit ihrem Ex La La Land-Partner Gosling auch kurz gesungen hatte. Sie war jedenfalls spektakulär gut in Poor Things.

Oppenheimer Nebendarsteller Robert Downey jr. sagte in seiner Dankesrede: “Thanks to my terrible childhood” Downey juniors Auszeichnung hatte diesen “Phoenix aus der Asche” Moment; in den 1990er Jahren war er schwer drogenabhängig – vermutlich auch wegen dieser Kindheit – und auch im Gefängnis, wurde aus allen Produktionen rausgekickt, sein Leben war fast zu Ende, seine Karriere war es definitiv. Dann wurde in den 2010er mit Iron-Man zu einem Star des Mainstreamkinos und jetzt als Oppenheimer-Antagonist Lewis Strauss hat er auch im “Charakterfach” reüssiert. Auch das ist ein schöner Oscar-Narrativ, vor allem aber eine Erinnerung daran, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte.

Oscar Countdown

Ja, es ist vollbracht, vor der heutigen Oscar-Verleihung habe ich jetzt alle zehn in der Kategorie “Best Film” nominierten Filme gesehen. Das habe ich bisher noch nie geschafft, weil auch nicht immer alle Filme vor der Verleihung bei uns zu verfügbar waren.

Der letzte war zugegebenermaßen ein bisschen eine Überwindung, weil ich mit Martin Scorsese leider wenig anfangen kann und meistens schon nach 25, 30 Minuten total aus dem jeweiligen Film kippe; und Killers of the Flower Moon dauert dreieinhalb Stunden. Das Thema – die mörderische Ausbeutung der Osage-Indigenen – ist ein wichtiges und auch erschütterndes, aber ich kann so schwer mit der Art von Scorsese Geschichten zu erzählen connecten. Das ist leider auch bei diesem Film nicht anders, wobei er mich wahrscheinlich mehr erreicht hätte, wenn er circa eine Stunde kürzer wäre. Oder eineinhalb.

Noch ein paar Dinge, die mir bei den Filmen so durch den Kopf gehen. Es gibt heuer drei Filme, die teilweise in schwarz/weiß gedreht wurden. Poor Things und Maestro haben einen Vorher-Teil, der schwarz/weiß ist und ab einem gewissen erzählerischen Moment kommt die Farbe hinzu (natürlich auch metaphorisch gesehen). Das macht Oppenheimer anders, dort gibt es Farbe, wenn aus der Sicht Oppenheimers erzählt wird, wenn die Perspektive auf eine “objektive” Sichtweise wechselt, sind die Szenen schwarz/weiß, was auch sehr reizvoll ist. Es überwiegen aber die Szenen in Farbe.

Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller spielt in gleich zwei der nominierten Filmen mit. Für Anatomie eines Falls wurde sie als beste Hauptdarstellerin auch nominiert; in The Zone of Interest spielt sie eine wichtige Nebenrolle. In Anatomie eines Falls spricht sie französisch und englisch, in The Zone of Interest ausschließlich deutsch. Interessant ist auch, dass Anatomie eines Falles der französischen Regisseurin Justine Triet zwar die goldene Palme in Cannes erhielt und für fünf Oscars (darunter bester Film und beste Regie) nominiert ist, Frankreich sich aber entschieden hat, einen anderen Film – nämlich Geliebte Köchin – als “Best International Feature Film” einzureichen. Es wird gemutmaßt, dass das deshalb passiert ist, weil befürchtet wurde, dass in Anatomie eines Falls zuviel englisch gesprochen wird und es darf nur einen gewissen Englisch-Anteil geben. Tatsächlich zählt Gebliebte Köchin aber nun nicht zu den nominierten Filmen in der Kategorie “Best International Feature Film”

Oppenheimer-Regisseur Christopher Nolan wiederum verdanken wir es, dass es seit 2010 möglich ist, dass fünf bis zehn Filme in der Kategorie “Best Film” nominiert werden können; davor waren es immer nur fünf. Das liegt daran, dass Nolans The Dark Knight als Comicverfilmung die große Leerstelle bei den Oscars 2009 war. Zwar neunmal insgesamt nominiert, aber aufgrund seiner (eher formalen) Genre-Zugehörigkeit eben nicht tauglich für die Königskategorie. Mittlerweile dürfen also bis zu zehn Filme nominiert werden, sofern sie mindestens fünf Prozent der Stimme bei einer Vorauswahl erreicht haben.

Nolan – bisher achtmal nominiert – wird heuer seine ersten Oscars (vermutlich Plural) erhalten, während Bradley Cooper mittlerweile 12 mal nominiert wurde (als Schauspieler, Produzent, Regiesseur und Drehbuchautor), aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder leer ausgehen wird.

Ich könnte noch viel erzählen, aber ich denke, es reicht fürs erste. Harhar.

Fleabag revisited

Am Wochenende habe ich mir nochmal die Serie Fleabag – von und mit Phoebe Waller-Bridge- angeschaut. Das schafft man gut, weil es nur 12 Folgen sind. Ich finde es interessant, eine Serie nach einer gewissen Zeit nochmal zu sehen. Interessant war besonders, dass mir beim ersten Mal Sehen die erste Staffel besser gefallen hat, diesmal allerdings eindeutig die zweite.

SPOILER möglich.

Mein Fleabag Poster im Haus

In Staffel 1 hat Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) viele kurzlebige und bedeutungslose Affären. Schon in der allerersten Szene schafft Waller-Bridge es, ihre Hauptfigur ungemein vielschichtig zu zeigen, sodass der Zuseher keine Sekunde lang glaubt, dass es sich hier um eine Frau handelt, die völlig skrupel- und emotionslos ist, obwohl ihre scheinbar oberflächliche Lebensweise das vielleicht vermuten lassen würde. Später erfahren wir, dass sie sich schwere Vorwürfe wegen eines Fehlverhaltens ihrerseits macht, das schlimme Folgen hatte. Fleabag wartet also hier auf einen Mann, der sie mitten in der Nacht angerufen hat, ob er vorbeikommen kann und erklärt dem Publikum – eines der Markenzeichen der Serie ist, dass Fleabag mit dem Publikum interagiert – dass sie nun extra geduscht und sich die Beine rasiert hätte, Wein getrunken und jetzt gleich so tun wird, als hätte sie vergessen, dass er vorbeikommt. Sie tut auf supercool, ist aber nervös und gibt das vor dem Publikum auch zu. Das ist total sympathisch. Am Ende der Staffel kann sie endlich mit jemandem reden, der ihr sagt: “Menschen machen Fehler”, was irgendwie eine Selbstverständlichkeit ist, aber manchmal muss man das von jemand anderem hören, um es auch glauben zu können.

Meine allerliebste Folge ist Folge 1 von Staffel zwei, als sich Fleabags Familie zum Abendessen trifft, praktisch die ganze Folge spielt in dem Restaurant. Ihr Vater, dessen Lebensgefährtin, ihre Schwester Claire mit Mann und der Priester, der Fleabags Vater und seine Freundin bald trauen wird. Die toxische Dynamik innerhalb der Familie wird sehr notdürftig durch das gediegene Ambiente unterdrückt bzw neutralisiert. Dazu kommt eine “needy waitdress”, die viel zu viel präsent ist und dauernd helfen will, dabei aber nur zusätzlich Unruhe in die Runde bringt. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie Menschen miteinander reden und dabei ausschließlich Banalitäten austauschen, die aber quasi seitenlange Fußnoten als Subtext haben. Fleabags zukünftige narzisstische Stiefmutter ist over the top freundlich, aber nur um ihren fast schon pathologischen Widerwillen gegen ihre Stieftöchter in spe zu verschleiern; der Vater ist liebenswert-hilflos der Situation ausgeliefert, er bemüht sich zwar, aber er steht zwischen seiner neuen Frau und den Töchtern, mit Tendenz zur neuen Frau. Fleabags Schwester ist ein lieber Mensch, aber in ihrem Perfektionismus gefangen, außerdem will sie es immer allen recht machen; ihr Schwager ist rüpelhaft und laut und der Priester, den Fleabag an diesem Abend kennenlernt, ist so entwaffend menschlich und liebenswert, dass sich Fleabag natürlich in ihn verliebt. Am Ende lösen sich die aufgestauten Emotionen in einer Schlägerei, an der Fleabag natürlich ursächlich beteiligt ist, weil sie es ablehnt, die Fassade weiterhin aufrecht zu erhalten. Als sie mit ihrer Schwester in einem typischen Londoner Cab ins Krankenhaus fährt, sagt die Schwester: “The priest is quite hot” und Fleabag: “So hot!”

Waller-Bridge schreibt so gute Szenen und Dialoge, sowas bewundere ich wirklich sehr, sie schafft auch so interessante (Frauen)figuren. Ja und der “hot priest” wurde dann ein Meme, weil sich herausstellte, dass ihn alle lieben und außerdem ist Andrew Scott noch in anderen Rollen großartig, derzeit in All of us Strangers und bald als Ripley in einer neuen Serie.