almis personal blog

Kafka – die Serie

Auf ORF hatte jetzt die neue Miniserie Kafka von David Schalko Premiere.

Ich habe davor ein Interview mit Schalko gelesen, in dem er sagte, er wolle mit dieser Arbeit gegen das Klischeebild von Kafka ankämpfen. Meine erste Reaktion darauf war: Na genau! Ich glaubte ihm kein Wort. Warum? Ich war vor Jahren gefühlt die Einzige, die die Serie Braunschlag furchtbar fand, während sonst jeder begeistert war. Und zwar deshalb, weil es für mich in dieser Serie keine Protagonisten, sondern nur Klischeefiguren gab. Und nun sollte derselbe Schalko also eine Kafka-Serie ohne Klischees inszenieren? Ich war sehr skeptisch. Und: Ich habe jetzt alle sechs Folgen gesehen und bin hin und weg von Kafka! Leider verhält es sich damit ein bisschen umgekehrt zu Braunschlag, ich bin naja, nicht die Einzige, aber sehr viel Publikumszuspruch gab es wohl nicht. Deshalb werde ich jetzt hier ausführlicher bloggen, damit David Schalkos nächste Serie nicht wieder sowas wir Braunschlag wird. Harhar.

Also Kafka ist, wie erwähnt, in sechs Folgen aufgeteilt. Die Folgen sind zwar halbwegs chronologisch angeordnet, ab dem 23. Oktober 1902, dem Tag, an dem Kafka Max Brod kennenlernt, sie sind aber auch thematisch gegliedert. Das bedeutet, es gibt eine Folge über seine Freunde, den Prager Kreis um Max Brod, die Max heißt, es gibt eine Folge Familie – die wohl deprimierendste Folge der ganzen Serie mit Nicolas Ofczarek, der den wirklich sehr schrecklichen Vater von Kafka spielt . Es gibt eine Folge Bureau, die sich vor allem Kafkas Tätigkeit in einer Versicherungsanstalt widmet. Und es gibt drei Folgen über Frauen, mit denen Kafka eine Beziehung hatte (man kennt sie wohl aus den Briefen, die Kafka an sie geschrieben hat) Felice, Milena und Dora. Dora ist die letzte Folge, in der Kafka auch stirbt.

Erzählt wird von einer allwissenden Erzählfigur, die sich aber ständig hinterfragt, was sie da eigentlich erzählt – “Nein, man muss anders anfangen”, heißt es in jeder Folge. Und das finde ich genial , denn es weist die Zuseher daraufhin, dass man jede Geschichte auch komplett anders beginnen und erzählen kann; dass man an einem anderen Ausgangspunkt starten, dass man verschiedene Aspekte unterschiedlich gewichten kann, jede Geschichte auch Dinge nicht erzählt (bewusste oder unbewusste Leerstellen) und, dass ein Erzähler, auch wenn er vorgibt alles zu wissen, selbst mit einem Hintergrund ausgestattet ist, mit einer Perspektive und Ansichten.

Die Serie ist auch filmtechnisch extrem reizvoll gemacht. Jede Folge hat einen anderen Charakter: In Bureau spricht Kafka zum Beispiel ganz anders, viel “amtlicher” und “bürokratischer”, die Szenerie ist sachlicher. In Familie experimentiert Schalko, er hüllt die Wohnung der Kafkas in dunkles Blau und lässt das Licht rot strahlen als Kafka mit seinem Vater zusammentrifft; außerdem erscheint Kafka oder ein Kafka Alter Ego auch einmal als das Ungeziefer, wie er es in der Erzählung “Die Verwandlung” beschrieben hat und was dann damit passiert ist ziemlich gruselig. In der Folge Milena sieht man ausschließlich Kafka und eben Milena im Wienerwald spazierengehen und reden, streiten, flirten, so ein richtiges Beziehungsdrama durchleben. In der letzte Folge, Dora, wird das Sanatorium, das Kafka besucht, mit dem Schloss aus der gleichnamigen Erzählung quasi zu einem einzigen Ort – wie in einem mystischen Fiebertraum. Es gibt Zwischentitel mit Zitaten aus Kafkas Werken, die vierte Wand wird ab und zu sehr pointiert durchbrochen, es gibt spannende Kameraperspektiven, der Einsatz der Musik ist fabelhaft…

Also man merkt, ich bin begeistert. Zu den einzelnen Folgen dann bald.

Chucks

Das Kind muss einige Bücher im Deutschunterricht lesen und ich bin neugierig und lese quasi mit. Das erste Buch ist Chucks von Cornelia Travnicek.

Was soll ich sagen? Dieses Buch ist das literarische Pendant zum Doomscrolling. Oder old school ausgedrückt: die junge Protagonistin Mae ist so etwas wie ein Hiob der Gegenwart. Was ihr alles widerfährt (Achtung Spoiler): Krebserkrankung des Bruders, Scheidung der Eltern, Entfremdung von der Mutter, Drogensucht, Vorstrafe wegen Körperverletzung, der Lebenspartner ist an Aids erkrankt.

Eine praktische Frage, ich bin mir nicht ganz sicher, wann der Roman zeitlich genau angesiedelt ist, sicher aber nach dem Jahr 2003 (da gibt es einen Hinweis im Buch). Ich bin keine Medizinerin, aber der Krankheitsverlauf einer HIV-Infektion, den Travnicek in ihrem Roman schildert, erscheint mir eher in die 1980er Jahre zu passen, wo es noch kaum Therapiemöglichkeiten gab und eine HIV-Infektion quasi ein Todesurteil war. Ich mag mich irren, aber ich glaube (und hoffe), dass das in den 2000er Jahren so nicht mehr der Fall war bzw. ist, auch die Homepage der Aids Hilfe Wien bestärkt diesen Eindruck.

Ich denke etwas wehmütig an die 1980er Jahren zurück, in denen ich literarisch sozialisiert wurde und an Christine Nöstlinger. Auch bei ihr war nicht alles in Ordnung, auch bei ihr gab es Beziehungskrisen und Krankheiten und Mobbing und Depressionen, aber wenn ich von Christine Nöstlinger (und meinem Opa) eines gelernt habe, dann, dass das Leben leichter wird, wenn man es mit Humor nimmt, so gut wie möglich. Nöstlingers Bücher waren immer auch sehr lebensbejahend und ich finde es wichtig, das Jugendlichen mitzugeben.

Bei Cornelia Travnicek lerne ich nur, dass eigentlich alles Orsch ist. Mich hätte das mit 16 Jahren nicht angesprochen, aber ich bin zugegebenerweise auch nicht die Zielgruppe.

American Fiction/Erasure

Dieses Jahr wurden zehn Filme in der Oscar-Kategorie “Bester Film” nominiert. Ich habe fast alle davon gesehen. Einer davon, American Fiction, hat mich thematisch sehr interessiert, es war aber kein Starttermin in Österreich in Sicht. Also habe ich mir gedacht, ich zäume das Pferd von hinten auf und lese zuerst das Buch. Nachdem es die deutsche Version schwer verfügbar war, habe ich mir das Original bestellt.

Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich es nicht auf Deutsch gelesen habe, weil die Sprache in diesem Buch eine sehr wichtige Rolle spielt. Diese Woche wurde der Film still und heimlich auf Amazon Prime veröffentlicht und jetzt kann ich also ein paar Dinge dazu schreiben, nämlich auch zur Beziehung zwischen Buch und Film. Erasure ist im Gegensatz zu Die geheime Geschichte, von der ich kürzlich schrieb, überhaupt kein Buch, das dazu einlädt, es zu verfilmen. Es ist eher eine Collage, bestehend aus Zitaten, Gesprächsfetzen, einem Roman im Roman etc. Deshalb Hut ab für Cord Jefferson, der das Drehbuch schrieb und auch Regie führte.

Die Hauptfigur in American Fiction ist Literaturprofessor und Schriftsteller Thelonius Ellison (Jeffrey Wright), genannt “Monk”; ein Mann in den besten Jahren quasi und er ist schwarz. Er lebt alleine an der Westküste, muss aber nach Boston, um nach seiner Mutter zu sehen, die an Alzheimer erkrankt ist. Monk hat einen eben erst als homosexuell geouteten Bruder, Cliff (schrill: Sterling K. Brown) und die Schwester Lisa, beide Ärzte. Monk schreibt sehr intellektuelle Bücher – etwa jüngst über Aischylos – die niemand lesen will. Auf einer Buchmesse in Boston kommt ihm das Buch We’s Lives In Da Ghetto (sic!) unter, das Buch einer schwarzen Autorin, das große Erfolge feiert. Sie wird als “neue schwarze Stimme Amerikas” bejubelt. Monk ist von diesem Buch angewidert, da es nur schwarze Stereotypen reproduziert, das Leben der Romanfiguren besteht ausschließlich aus Drogen, Gefängnis, unerwünschten Schwangerschaften, Armut und Gewalt. Außerdem strotzt es vor bewussten Rechtsschreibfehlern, um es “authentischer” zu machen. Monk setzt sich hin und schreibt aus Jux einen Roman in einem ähnlichen Duktus, dass er My pafology nennt (ursprünglich “My pathology”, aber er schreibt es absichtlich falsch). Sein Literaturagent lacht ihn aus, bis ihnen ein Verlag 750.000 Dollar für das Manuskript bietet…

Wenn es um den Literaturbetrieb geht, ist das Buch und auch der Film sehr witzig. Monk versteht die Welt nicht mehr, dass er mit seinem satirischen Text nicht nur für voll genommen wird, sondern ein unglaubliches Honorar geboten bekommt. Er ist nun in der Zwickmühle. Kein Autor wird Autor, weil er reich werden möchte – da gibt es erfolgversprechendere Wege – sondern weil er sich mitteilen will, wie er sich nur schreibend mitteilen kann. Weil er das, was in seinem Kopf ist, irgendwie zu Papier bringen muss, vielleicht auch, weil er verstanden und erkannt werden möchte, weil er damit sein eigenes Leben aufarbeitet. Er möchte dabei sein bestes geben. Andererseits braucht Monk das Geld dringend, weil er seine Mutter in einem Pflegeheim unterbringen muss. Also legt er sich für diesen Roman ein Pseudonym zu. Die Szenen, in denen er mit weißen Autoren diskutiert, die My pafology lieben, während er es in der Luft zerreißt sind sehr amüsant. Ebenso eine Szene mit seinem Agenten, in der dieser ihm drei verschiedenen Sorten einer Whiskeymarke präsentiert und Monk fragt: “Verstehst du die Metapher?” Monk: “Nein.” Harhar. Es geht grob gesagt darum, dass auch billiger Alkohol betrunken macht.

Die privaten Momente von Monk sind melancholisch. Im Alltagsleben kann er sich nicht so gut mitteilen. Er tut sich schwer, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten. Auf seiner Familie lastet quasi “generational trauma” und ein schlecht gehütetes Geheimnis. Dass die Familie schwarz ist, spielt dabei eine gewisse, aber eher untergeordnete Rolle. Muss es eine Rolle spielen? Will Monk die tatsächliche Geschichte seiner Familie erzählen? Könnte er das, eine wirklich schwarze Stimme sein? Will er das überhaupt? Ist seine Perspektive “schwarz”? Diese und ähnliche komplexe Themen deuten sich an. Der Film geht über das Buchende hinaus, in dem er es quasi persifliert. Das ist genial gemacht.

Ich kann Buch und Film nur empfehlen, wenn man beides vergleichen möchte, dann sollte man hier unbedingt das Buch zuerst lesen.

Disclaimer: Ich weiß nicht, ob “schwarz” und “weiß” politisch korrekt ist, ich habe diese Formulierungen aber aufgrund der einfacheren Lesbarkeit gewählt.

Roald Dahl

Vor kurzem habe ich Roald Dahl wiederentdeckt.

Ich kenne Dahl von früher, als Kind hatte ich das Buch Charlie und die Schokoladenfabrik – Dahl hat ja auch viele Kinderbücher verfasst. Ich habe das Buch jetzt wieder gesucht, aber (noch?) nicht gefunden. Ich kann mich erinnern, dass es voller Schokoladeflecken war, weil ich immer so eine Appetit auf Süßes bekommen habe, beim Lesen. Im Gymnasium hat sich unser Professor im Englischunterricht mitten in die Klasse gesetzt und uns die Geschichte Lammkeule vorgelesen, eine der, so denke ich, berühmtesten Dahl Geschichten. Wie fast immer bei Dahl ist sie detailreich und anfangs auch sehr lieblich erzählt, heimelig, eigentlich zuerst eine ganz normale Szenerie und dann kippt es in etwas ganz anderes, oft unfassbares. Gut, bei Lammkeule ist ziemlich klar, was vorfällt ist, am besten selbst lesen, es ist irrsinnig makaber, aber auch erstaunlich witzig.

Nun bin ich wieder auf Dahl aufmerksam geworden, vorrangig weil Wes Anderson vier Kurzfilme über Dahl Geschichten gedreht hat, die dann im FM4 Podcast vorgestellt wurden. Wer sich fragt, wieso ich dauernd diesen Podcast höre: seit meinem Bandscheibenvorfall versuche ich, jeden Tag ca. eineinhalb bis zwei Stunden spazieren zu gehen und dabei höre ich ihn mit Vorliebe, sonst wäre das Spazierengehen sicher langweiliger. Jedenfalls hat Pia Reiser von dem Buch Küsschen Küsschen geschwärmt – Forsetzung: Noch ein Küsschen. Warum die Bücher so heißen weiß ich nicht, es ist passend und unpassend zugleich, jedenfalls habe ich mittlerweile beide gelesen.

Praktisch alle Geschichten von Dahl enthalten Twists, entwickeln sich anders als man denkt. Manchmal versteht man die Wendung gleich, manchmal muss man einige Stellen des Textes schon mehrfach nachlesen, um zu begreifen, was eigentlich passiert ist, weil Dahl es uns nicht auf dem Silbertablett präsentiert. Oft, wenn man sich als Leser denkt, man hat Dahl durchschaut und man ahnt, worauf er hinauswill, macht er dann doch wieder etwas ganz anderes. Und das ist auch sein Geheimnis. Es gibt keine “Moral von der Geschichte”. Manchmal werden Grausamkeiten mit Grausamkeiten beantwortet, manchmal siegt der Humanismus oder auch die Frechheit, manchmal klingen Geschichten einfach aus und lassen einen grübelnd zurück, ab und zu gibt es fantastische Elemente, die aber nicht in eine fantastische Welt eingebunden sind. Es gibt Erstaunliches, Unglaubliches, Erschreckendes.

Und: Dahl hat die KI vorhergesagt. In seiner Geschichte Der große automatische Grammatisator erfindet der Portagonist eine Maschine, die – gefüttert mit Worten und Sätzen – selbstständig anfängt Geschichten zu schreiben. Der Erfinder der Maschine zahlt dann den tatsächlichen Schriftsteller in seinem Umfeld eine gewisse Abfindung aus, wenn sie versprechen, nie wieder etwas zu schreiben bzw zu publizieren, er möchte das Monopol besitzen. Fortan schreibt die Geschichten nur noch der “Grammatisator”; eine dystopische Horrorvision für die Nutzung künstlerischer Intelligenz eigentlich.

Autogramme

Am Donnerstag war ich bei der Dirk Stermann Lesung von Mir gehts gut, wenn nicht heute, dann morgen in der Buchhandlung Seeseiten in der Seestadt – die übrigens so heißt, weil sie direkt am See dort ist. Dankt mir später, dann braucht ihr sie nicht suchen so wie ich, die ich trotz Google Maps mit der Orientierung regelmäßig überfordert bin.

Ich habe A. dort getroffen und ich habe ihr erzählt, dass ich mir nachher ein Autogramm holen möchte, in der Hoffnung, dass mich das etwas unter Druck setzt, es wirklich zu machen, weil normalerweise trau ich mich das eh nicht. Und sie meinte: “Das schaffst du”. Nachdem nach der Lesung die meisten Leute das Buch erst kaufen mussten, bevor sie es unterschreiben lassen können und ich meines ja schon hatte (plus ein dutzend Lesezeichen drinnen) war ich ganz vorne in der Schlange. Und voila:

Mein Buch (siehe die Lesezeichen auf der Seite)

Danach sind A. und ich noch durch die Seestadt gebummelt, ich weiß irgendwie nie, ob es mir dort gefällt oder nicht, es hat ein ganz eigenes Flair und es ist sehr dunkel am Abend, also ziemlich wenig beleuchtet. Wir waren dann in der sehr netten Pizzeria Portobello (die mich für diese Erwähnung nicht bezahlt) und haben fancy Getränke getrunken – Grapfruit Basilkum Limo bzw. Honey Ginger Brew – und geplaudert. Am Heimweg ist mir dann eingefallen, dass das doch nicht mein erstes Autogramm war; zwar war es das erste, dass ich mir selber geholt habe, aber ich habe schon ein Buch mit einem Autogramm für mich und zwar dieses:

Als Kind/Jugendliche war ich ein irrsinniger Fan von Hugo Wiener, hatte alle seine Bücher, mochte seinen sanften satirischen Ton sehr gerne und finde sie heute noch so witzig und liebenswert und ja. Wir kannten irgendwen, der wen kannte, der Hugo Wiener kannte (oder so ähnlich) und so wurde mir irgendwann das Buch mit dieser Widmung gebracht. Bis heute sehr wichtig für mich.

Drei Werke

Nachdem ich so begeistert von dem Film Saltburn war und im fm4 Prodcast gehört habe, dass die Drehbuchautorin (und Regisseurin) Emerald Fernell die zwei Romane Die geheime Geschichte von Donna Tartt und Der talentierte Mr. Ripley von Patricia Highsmith quasi als Inspiration für ihren Film herangezogen hat, habe ich mir beide Bücher bei medimops (unbezahlte Werbung) gebraucht bestellt und mittlerweile gelesen.

Der talentierte Mr. Ripley hab ich damals in Kino gesehen, konnte mich aber ehrlich gesagt kaum daran erinnern, die Filmversion ist auch etwas anders, verändert ein paar Handlungsstränge. Beide Werke (und Saltburn) verbindet tatsächlich einiges, zum Beispiel das Personal, das bedeutet, die Protagonisten sind alle aus gehobenem Haus, ziemlich “wealthy”, studieren und/oder betätigen sich künstlerisch, es sind alles Intellektulle, die das das Leben genießen und es damit übertreiben. Es gibt in allen Werken aber auch einen jungen Mann, der nicht dazu passt, der aus der eher unteren Mittelschicht kommt, aber immer die Sehnsucht verspürt, “dazuzugehören”. Das bedeutet zwangsläufig, es muss immer Lügen geben, Lügen nicht nur aus einer Not heraus, um sich aus einer prekären Lage zu befreien, aus einer gefährlichen Situation, sondern Lügen, die nur dazu da sind, etwas darzustellen, was man nicht ist.

Es werden viele Drogen genommen, in diesen Büchern. Bei Donna Tartt vor allem Alkohol, die Menschen sind fast dauer-betrunken, aber sonst auch Tabletten oder Koks oder was halt sonst verfügbar ist. Wenn gegessen wird, dann erstaunlich oft Lammkotellets und “süße Brötchen” (was soll das sein, sowas wie eine Topfengolatsche? Harhar. Oder ein Striezel?). Europa ist ziemlich präsent, also ja Ripley spielt eh zum Großteil in Italien, obwohl die Protagonisten Amerikaner sind, Saltburn in Großbritannien, aber auch die Donna Tartt-Menschen leben an der Ostküste, in Neuengland quasi schon einen ziemlich europäischen Lifestyle, wo zum Beispiel Los Angeles als Ort quasi so wie “bei den Wilden” verstanden wird. Außerdem werden Reisen nach Europa unternommen. Die Charaktere verbindet außerdem der Hang zu obsessiven Beziehungen, viele sind homosexuell/queer bzw. man weiß nicht so genau, wer mit wem (selbst Inzest steht im Raum). Und natürlich passieren echt arge und illegale Dinge, mehr will ich nicht sagen, wegen Spoiler.

Ich habe gelesen, dass Die geheime Geschichte schon zweimal verfilmt hätte werden sollen, aber das nicht geklappt hat, was mich sehr überrascht. Oft liest man ja einen guten Roman und weiß sofort, der wäre aber kaum verfilmbar. Bei Die geheime Geschichte ist das gar nicht so, das Buch wäre m.E. sogar absolut ideal zu verfilmen und hätte mit Neuengland im Herbst/Winter auch ein tolles Setting, also wäre ich Drehbuchautorin, ich würde das sofort adaptieren, ich stell mir das echt pittoresk vor und die meisten Szenen könnte man in einem Film super verwenden, ich hab da Bilder im Kopf… Naja, vielleicht macht das irgendwann doch noch jemand. Ansonsten muss man derweil Saltburn schauen, was auch keine schlechte Idee ist.

Maksym

Ich habe aber nicht nur WWM geschaut, sondern auch gelesen, zum Beispiel Maksym von Dirk Stermann, ein Buch, das ich von meiner Freundin M. zu Weihnachten geschenkt bekommen habe.

Ich habe von Stermann schon Sechs Österreicher unter den ersten fünf gelesen, aber das war mir irgendwie zuviel Salon Helga auf einen Roman aufgeblasen. Außerdem waren einige Österreich-bezogene Fehler enthalten, die dem bundesdeutschen (?) Lektorat anscheinend nicht aufgefallen sind. Der Anfang des Romans ist ja in den 1980er Jahren angesiedelt und da hieß das Museumsquartier noch nicht so und eine Sackerl-Gackerl Kampagne gab es auch erst in den 2000er Jahren. Solche Raum/Zeit Kontinuum Ungenauigkeiten gibt es in Maksym nicht mehr.

Generell ist Maksym viel mehr ein Roman als es frühere Werke von Dirk Stermann waren, allerdings sollte man sich nicht daran stören, dass der Protagonist, der diesen Namen trägt, erst auf Seite 134 erstmals auftaucht (vorher wird nur über ihn gesprochen) und auch danach keine übertrieben große Rolle spielt, es ist eher das, wofür Maksym steht ein Thema. Stermann erzählt immer noch (ein bisschen zu) viele kleine Geschichten abseits der Haupthandlung, aber er ist immerhin nicht Javier Marias, dessen Morgen in der Schlacht denk an mich ich buchstäblich irgendwann in eine Ecke geworfen habe, weil er einfach nicht zum Punkt gekommen ist und dafür hab ich keinen Nerv. Stermanns kleine Geschichten nebenbei sind wenigstens ausgesprochen pointiert.

Aber auch wenn der Roman noch etwas konzentrierter hätte sein können, der Haupterzählstrang ist schon relativ klar herausgearbeitet, es geht um die Liebe zu Wien und die Selbstfindung einer fiktionalisierten Version von Dirk Stermann (die auch diesen Namen trägt). Es geht um dessen kleinen Sohn Hermann (der in Wirklichkeit anders heißt). Es geht um seine erwachsene Tochter Kina (die in Wirklichkeit auch anders heißt) und einige Frauen, die alle aus der Stermann-Tasse getrunken haben. Und natürlich auch um Maksym.

Oft gelingen Stermann sehr schöne, manchmal auch poetische Formulierungen, etwa wenn er über junge Frauen in Duisburg schreibt, die “ihre beste Zeit weder vor noch nach sich haben.” Wenn er über die an sich unnötige Handlung eines Suizid schreibt, nach dem Motto, warum sollte man sich umbringen, man stirbt sowieso irgendwann. Das sei “(…) wie putzen, bevor die Putzfrau kommt.” Einmal wundert sich Dirk, wieso sein Sohn am Handy scrollen könnte. “Ich dachte, wir würden unser Kind analog aufziehen”. Er erzählt über das Waldviertel, das “Schottland Österreichs”, wo sich Wiener baufällige Bauernhäuser kaufen, weil “(…) die Wiener, anders als die Waldviertler glücklich sind, wenn es romantisch durchs Gebälk zieht.”

Eine schöne Beschreibung ist mir besonders aufgefallen, weil ein sehr lieber Mensch das früher schon einmal so ähnlich beobachtet hat, der meinte fürs Kaffeetrinken bräuchte man Zeit und man dürfte das Wort Kaffee daher nicht so abgehackt aussprechen. Stermann sieht das genauso:

Er fiel in das Wort hinein, anstatt es elegant hinten offen zu lassen. Betonte nicht das e am Ende, in dem das ganze Aroma des Getränks lag, sondern knallte in das Wort, als krachte ein Boot an eine Hafenmauer, an der die abfedernden Reifen abgefallen waren.

Maksym – Seite 114.

Bachmann – Reise in die Wüste

Anlässlich des 50. Todestages von Ingeborg Bachmann, gab es ganz viel Bachmann-Content in TV, Radio und Film. Vieles davon war sehr interessant und inspirierend, anderes leider weniger. Und mit “anderes” ist vor allem der Film von Margarethe von Trotta gemeint.

Ich meine, das Problem beginnt damit, wenn man als Regisseurin die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch porträtiert und als der Film dann fertig ist, erscheint der Briefwechsel zwischen den beiden. Eigentlich kann man das eigene Werk dann nur noch einstampfen, vor allem dann, wenn man doch relativ tendenziös in der filmischen Aufarbeitung vorgegangen ist und sich vieles davon nicht halten lässt, sobald der Briefwechsel der beiden öffentlich zugänglich ist.

Denn von Trotta sieht Max Frisch als den “Schuldigen” in dieser Geschichte und stellt ihn gleichermaßen eindimensional wie unsensibel dar. Ich finde es ja prinzipiell lächerlich, dass sich diverse Literaturwissenschafter nicht entblöden, im Jahr 2023 darüber zu streiten, wer jetzt mehr Verantwortung am Scheitern einer Beziehung hat. Wenn man den Briefwechsel gelesen hat (was ich getan habe), dann findet man den Satz (der auch Titel des Briefwechsels ist), mit dem Frisch die vier Jahre mit Bachmann beschreibt, relativ zutreffend: “Wir haben es nicht gut gemacht” Ich sehe da keine Schuldigen und Unschuldigen, beide haben vermutlich ihr Bestes versucht, aber es hat nicht funktioniert, wie ganz viele menschliche Beziehungen aus ganz vielen Gründen nicht funktionieren. Irgendwelche Rollen zu verteilen in Gut und Böse, bringt nicht wirklich einen Erkenntnisgewinn, im Gegenteil: damit wird etwas sehr komplexes komplett banalisiert, was gerade zwei Schriftsteller wie Bachmann und Frisch, die so differenziert in ihren Suche nach zutreffenden Beschreibungen waren, nicht gerecht wird.

Jedenfalls hat von Trotta Max Frisch sehr plump geschildert und Bachmann kommt im Grunde auch nicht viel besser weg, halt als Opfer, dass sie so (hoffentlich) auch nicht war. Die ganze Geschichte wirkt sehr wenig authentisch, lediglich wenn Passagen aus Bachmanns Eurve zitiert werden, wird der Film interessant – aber da ist man mit einer Lesung besser bedient. Alles in allem wie ein platter deutscher Fernsehfilm und daher ziemlich enttäuschend, daran kann nicht mal Vicky Krieps etwas ändern.

Und: Wenn man schon eine oarge Sexszene einbauen möchte, dann bitte soll sie nicht nur für 85-jährige Döblinger Hofratswitwen oarg sein, sondern für praktisch jeden, der diesen Film sieht. Sonst lieber weglassen, danke.

Wald

Voriges Wochenende habe ich Wald gesehen – den österreichischen Film von Elisabeth Scharang, nach einem Roman von Doris Knecht. Ich hab ziemlich viel von Knecht gelesen, dieses Buch aber (noch) nicht, weil mich der Stoff nicht so angesprochen hat und mit dem Film gings mir irgendwie ähnlich (harhar), dennoch hat dann die Neugier gesiegt.

In Wald geht es um Marian (Brigitte Hobmeier), eine Frau so Mitte 40, die nach einem traumatischen Erlebnis in das Dorf ihrer Kindheit und Jugend zurückkehrt, das sich im Waldviertel befindet. In dem baufälligen Haus ohne Strom will sie die nächsten Monate verbringen – auch ohne ihren Lebensgefährten. Im Dorf löst ihr Erscheinen alle möglichen (relativ negativen) Emotionen aus und sie trifft ihre frühere beste Freundin Gerti (Gerti Drassl) ebenso wie Franz (Johannes Krisch), der damals nach Südamerika auswandern wollte…

Am Anfang fand ich Wald ganz furchtbar, ich bin ehrlich. Die Handlung kommt irgendwie nicht in die Gänge, es passiert praktisch nichts – was ich sehr oft im Kino durchaus reizvoll finde, ich sag nur, ich habe das Jim Jarmusch Gesamtwerk gesehen – aber hier funktioniert das für mich gar nicht. Marian und das beschwerliche Beziehen eines verlassenen Hauses ist irgendwie extrem tröge (und ich verwende dieses Wort normalerweise nicht), dazu stellen sich mir – die ich wirklich keine große Praktikerin des Alltäglichen bin – einige logische Fragen wie: Es regnet und das Dach ist so undicht, dass es auf die schlafende Marian tropft. Müsste das Haus nicht in einem viel schlimmeren Zustand sein, wenn es hier offenbar schon seit geraumer Zeit hereinregnet und müsste das Bett/die Matraze nicht schon völlig verschimmelt sein?

Dazu kommt der Topos der vertrottelten Dorfgemeinschaft, den ich in der österreichischen Literatur und im Film wirklich hasse, weil er so abgegriffen und auch stereotyp (falsch) ist. Die Männer, die da ins örtliche Gasthaus kommen, sind eine Persiflage ihrer selbst, sie können natürlich nur laut und ordinär und ungehobelt und ungebildet sein, ich mein, was wäre das sonst für ein österreichischer Film? Ich mag das nicht. Gleichzeitig ist es schwierig, Theaterschauspielern wie den Hauptakteuren abzukaufen, dass sie urtümliche Niederösterreicher sind, die niemals aus dem Kaff herausgekommen sind.

Aber nun Plottwist: Ab der Mitte hat mir der Film dann zunehmend gefallen, ich weiß auch nicht genau wieso. Das Verhältnis von Marian, Gerti und Franz wird besser herausgearbeitet, es gibt interessante Dialoge, plötzlich auch sowas wie eine Handlung und irgendwie konnte ich mich dann auch zunehmend, zumindest partiell, mit den ProtagonistInnen identifizieren. Weil ich bei der Filmapp Letterboxd immer eine Sternewertung eintrage, sagen wir mal, es ist von einem Stern dann doch auf solide drei Sterne hinaufgegangen. Besonders die Musik hat mir gefallen, die die karge Landschaft, die sperrigen Charaktere, die oft Aussichtslosigkeit der Lage perfekt untermalt hat.

Und das Ende war…spannend!

Am Heldenplatz

Auf ORF 3 sieht man in letzter Zeit ganz gute Dokumentationen (unbezahlte Werbung).

Voriges Woche hab ich zu Romy Schneiders Geburtstag von 20 Uhr bis Mitternacht einige sehr gut gemachte Reportagen über sie gesehen, aber über Romy Schneider könnte man vermutlich eine Woche lang Dokumentationen sehen, und trotzdem wäre da noch ganz viel, was rätselhaft bleibt. Sie war eine wirklich sehr interessante und vielschichtige Persönlichkeit, mit einem herausfordernden Lebensweg.

Gestern sah ich Schicksalstage Österreichs – Der Heldenplatz Skandal. Darüber weiß ich zugegebenermaßen schon viel, das ist im Germanistikstudium natürlich auch immer wieder Thema gewesen. Trotzdem ist es alleine schon sehenswert, wenn man nochmal von Claus Peyman hört, wie er den 4. November 1988 erlebt hat, als Heldenplatz am Burgtheater seine Premiere hatte. Ein Stück, das Bernhard quasi im Auftrag von Franz Vranitzky für das Gedenkjahr geschrieben hat und in dem die Sozialisten, so wie eigentlich alle Österreicher, nicht gut wegkommen. Vor allem die Aussage im Stück, dass Österreich aus 6,5 Millionen Debilen bestehe, hat einen wütenden Mob erzeugt, der lautstark vor dem Theater demonstrierte.

Ich finde es ja immer interessant, wie solche Skandale gänzlich ohne Kenntnis des Stoffes – das Stück wurde erst direkt mit der Premiere öffentlich, davor waren nur einzelne Textpassagen bekannt – funktionieren und an irgendwelchen aus dem Zusammenhang gerissenen Zeilen aufgezogen werden. Das Wort “Rollenprosa” hat anscheinend auch wenig Eindruck bei den Demonstranten hinterlassen, denn natürlich sind die beanstandenden Sätze zunächst mal Sätze einer Kunstfigur, nicht des Autors und als solches muss man sich bewusst sein, dass man gegen fiktionale Aussagen von fiktionalen Charakteren demonstriert.

Wenn man die Doku so anschaut, kommt man aber zu dem Schluss, dass es Claus Peymann eine diebische Freude bereitet hat, dass Wien so über Heldenplatz gewütet hat. Lachend erzählt er, wie ihn auf dem Weg zum Theater eine Frau mit ihrem Regenschirm verprügelt habe. H.C. Strache war damals auch im Theater, und hat von einer Loge aus versucht, Stimmung gegen das Stück zu machen, was Peymann so kommentierte: “Er war der Oberradaubruder – ist ja nichts dagegen zu sagen.” Was wiederum Erwin Steinhauer in der Doku zu folgendem Kommentar inspirierte: “Mit nur Jubel wär er gar nicht glücklich gewesen. Ich glaube, (…) ihm hat das Störorchester, die Pfiffe (…) das hat ihm viel mehr getaugt als jede Zustimmung.” Ein sicher zutreffender Befund.

Heldenplatz war dann mit 120 Aufführungen eines der erfolgreichsten Stücke in der gesamten Geschichte das Burgtheaters. Bernhard starb nur drei Monate nach der Premiere.