almis personal blog

labyrinth der leidenschaften

ok, jetzt gehts los mit den almodovar filmen. wir beginnen natürlich chronologisch. der allererste – labyrinth der leidenschaften – lässt erahnen, dass man nicht soviel geduld mitbringen wird müssen, wie bei dem einen oder anderen sehr frühen und sehr dialog- und plotlosen jarmusch werk.

labyrinth der leidenschaften ist im grunde wie eine deutsche sechzigerjahre-liebesschnulze. nur in zotig und derb. und damit natürlich extrem persiflierend. alleine der name der promiskuitiven protagonistin sexilia (spitzname: sexi) deutet darauf hin. dann gibt es da deren vater – einen sexuell desinteressierten reproduktionsmediziner -, eine überdrehte psychotherapeutin, einen schwulen kaisersohn, ein paar dilletantische terroristen, ein unglückliches junges mädchen vor einer schönheitsoperation und viele andere figuren, die man oft auf den ersten blick nicht als mann oder frau identifizieren kann und die sich des öfteren nicht ganz koscherer sexueller begegnungen erfreuen. bizarre frisuren und kleidung inklusive. ihre schicksale sind miteinander verbunden, das alles spielt sich in madrid ab und ist auf strange art und weise witzig.

almodovar nimmt seine figuren ernst, sonst aber rein gar nichts. er als bekennender homosexueller macht sich über die gerne diskutierte theorie lustig, dass homosexuelle nicht mit ihrer neigung geboren werden, sondern sie durch ein bestimmtes (in dem fall traumatisches) erlebnis "erworben" haben. und natürlich lässt sich ein homosexueller dann auch umpolen, wenn die richtige frau vorbeikommt. in anderen zusammenhängen höchst problematisch, hier klarerweise offensichtlich überzeichnet. ebenso wie die die schlußfolgerungen der psychotherapeutin, von der man den eindruck hat, dass sie ihr wissen aus der beratungsecke einer frauenillustrierten erworben hat. 

das alles ist filmtechnisch natürlich keine offenbarung, teilweise relativ geschmacklos, aber wie gesagt bizarr-witzig und durchaus mitreißend. almodovar selbst erzählt in filmen am rande des nervenzusammenbruchs, dass er den film als screwball comedy sieht, der das madrider lebensgefühl vermitteln soll. in madrid, so möchte er zeigen, kann jederzeit alles passieren. und das tut es auch. 

labyrinth der leidenschaften lief viele jahre lang mitternächtlich in einem madrider programmkino.

nach der bescherung

weihnachten zweitausendacht war etwas ganz besonderes. 

es ist schön, sein kind zu erleben, wenn es hochinteressiert dem familären gesang lauscht und die kerzen bestaunt. es ist schön, das kind davon abzuhalten zu müssen, den christbaum umzuwerfen, weil es schön ist, dass das kind es schon aus eigener kraft kann. es ist überhaupt schön, erstmals seinen eigenen baum zu haben. und zu beginnen, seine eigene weihnachtstradition zu begründen.

ich habe mich sehr über einen digitalen bilderrahmen gefreut und über einen tag in der therme (plus organisiertem großeltern-babysittingteam für die zeit). ich habe ihm – völlig uneigennützig natürlich (harhar) – die pedro almodovar filmcollection geschenkt (logischer nachfolger von kubrik, jarmusch und best of süddeutsche-collection in den letzten jahren). ich hatte ja den eindruck, schon sehr viel von almodovar gesehen zu haben, aber letztendlich war das bisher doch nur live flesh (sehr erotisch) und volver (tolle penelope cruz). ich habe aber filmen am rande des nervenzusammenbruchs gelesen und bin so schon tiefer in die gedankenwelt des spanischen regisseurs eingetaucht.

am 24. nachts einen teil (den finnischen) von night on earth im tv erwischt, eine doku über ein zirkusfestival gesehen (und wiederum gemerkt, mit zirkus nichts anfangen zu können). dazu tee getrunken. 

25. und 26. weiter gefeiert, gegessen, etwas an der luft gewesen, und – was adrian betrifft – die geschenke (besonders kleines auto, xylophon, und nachziehbare katze) bespielt.

am 27. dann morgens schon nach linsberg in die relativ neue asiatherme bei wien gestartet. wo eher wenig los war, wahrscheinlich wegen urlaubszeit bzw. exzessivem geschenkeumtausch. bei leichtem schneefall im außenbecken relaxt. im haar des anderen erstmals die winzigen schneekristalle bewusst wahrgenommen, die einige minuten aushalten, bevor sie schmelzen. gut gegessen, gelesen, geschlafen, geredet, kaffee getrunken. nochmal ins wasser. das war toll und sehr entspannend.

heute: schönbrunn, schloßpark. kalt, aber sehr sonnig.

ich könnte eigentlich schon wieder. aber jetzt kommt mal silvester.

the drugs do not work – epilog

zur zeit in wien gibts wenig zu sagen. in den nächsten sieben oder acht wochen waren wir in zwei verschiedenen krankenhäusern, zuerst auf einer intensivstation, dann in einem kinderspital.


zurück nach wien, brennerautobahn, dezember 2007

ich hatte einen harmlosen postpartalen eingriff unter vollnarkose, er hatte influenza mit über 40 fieber. wir sassen in einer halbausräumten wohnung, hatten noch keine babysachen und irgendwie ging das alles langsam an die substanz. die weihnachtszeit war nicht schön und schon gar nicht neujahr. ich fühlte mich psychisch manchmal richtig schlecht, obwohl adrian keine nennenswerten probleme mehr hatte. ich fühlte mich fremd.

auch nach adrians entlassung ende jänner hatte ich sehr oft angst, alpträume, beklemmungen. ich habe quasi blut geschwitzt, als ich das erste mal mit ihm alleine war, er beim schlafen angeschlossen an den überwachungsmonitor, daneben der notfallsauerstoff. wir haben ihn nie gebraucht. nach und nach wurde diese zustände seltener. manchmal kann ich mir wieder fotos von mir mit dickem bauch anschauen, ohne gleich einen mittleren panikanfall zu bekommen. oder im kalender von damals lesen. mittlerweile habe ich (so denke ich) die geschehnisse akzeptiert, viel davon in epischer breite niedergeschrieben. auch wenn man sich sicher nicht an alles erinnert. aber während dieser zeit war ich unfähig, irgendwas zu papier zu bringen. 

ich bin dankbar für die vielen lieben menschen, die wir im zuge dieser frühgeburt kennengelernt haben und die "guardian angels" für uns waren. an der spitze natürlich das team in bozen, das ohne übertreibung mit ihrem wissen und ihrer erfahrung unserem sohn das leben gerettet haben. die jedes frühchen individuell und nicht nach schema xy behandeln. was auch in wien anerkannt wurde. die täglich mit uns gesprochen, sich immer zeit genommen haben. die uns eltern ein bisschen zu experten auf dem gebiet gemacht haben, auch um eine gewisse sicherheit zu vermitteln.

ich bin auch dankbar dafür, was ich aus der situation mitnehmen konnte. wie ich mich weiterentwickelt habe. mittlerweile sehne ich mich nicht mehr nach den fehlenden 14 wochen meiner schwangerschaft, nach dem "das baby auf den bauch gelegt bekommen" und nach dem besucherandrang im krankenhaus, um das baby zu begrüßen. das war eben nicht unsere geschichte. die frage nach der schuld ist ebenfalls unbedeutender geworden, zumal nie ein wirklicher grund für die frühgeburt gefunden werden konnte.

dankbar bin ich auch für alle menschen, die für uns da waren und sind, die an uns gedacht und anteil genommen haben. die uns zugehört haben. mit denen man sich austauschen konnte. auch über die grenze österreichs hinaus, jemanden zu haben, mit dem ich alles be-chatten kann, immer. das mit diesem alten platten spruch, der besagt, dass man in schlechten zeiten erfährt wer seine wirklichen freunde sind…tja, dieser spruch ist korrekt. 

danke für das interesse vieler meiner leser an unserer geschichte und die ermutigung, darüber mehr zu erzählen. das hat mir sehr gut getan und ich denke, ich werde das thema auch in zukunft immer wieder mal aufgreifen und von den fortschritten erzählen.

adventrituale

ich habe in diesem advent noch keine einkaufsstraße und keinen punschstand gesehen. dafür: 

…kekse und belegte brote essen, tee trinken in der gemütlichen küche einer freundin 

…täglicher spaziergang in der 16-uhr dämmerung mit dem kinderwagen

…zwei oder drei how i met your mother-folgen abends schauen

…online bestellte geschenke bequem an der haustür vom postler in empfang nehmen

…mich wie jedes jahr auf das falter-abschlußheft (best of gut und böse usw.) freuen

the drugs do not work, zehn

dann geht es eigentlich schlag auf schlag. 

adrian kann stundenweise weg vom cpap und bekommt mit sauerstoff angereicherte luft über den brutkasten. ich stehe davor und mir fällt auf, das irgendwas anders ist. dann erst bemerke ich: ich sehe erstmals seine nase ohne schläuche und kabel drumherum. es ist ein sonniger tag mitte november, die psychologin ist bei mir und dann kommt unser neonatologe vorbei. er berührt leicht meinen arm als wollte er mir sagen: "das ist ein großer moment".


in der hängematte, november 2007

zwei tage später können wir känguruhen. davon habe ich hier berichtet. es ist unfassbar, adrian endlich zu halten und berühren zu können. erstaunlicherweise muss ich nicht weinen. ich bin zu überwältigt von der situation. aber ich freue mich die ganze zeit über darauf, ihn nachher in wien anzurufen und ihm davon zu erzählen. die woche darauf hat er urlaub genommen. perfektes timing. so kann er auch känguruhen. einmal fahren wir mit dem auto den jaufenpass ab. es hat kurz zuvor viel geschneit und es ist bitterkalt. aber auch befreiend, für ein paar stunden alles hinter sich zu lassen.

inzwischen wieder telefonate mit mailand. adrian braucht ein passfoto für seinen notpass. dieses foto wird mit hilfe einer schwester im brutkasten gemacht. adrian hat noch eine magensonde gelegt, sichtbar neben seinem mund befestigt. aber das spielt keine rolle. in diesem fall sind die richtlinien für ein eu-konformes passfoto nicht ganz so streng. alles ziemlich bizarr. ein paar tage darauf kann ich den pass in bozen abholen. es ist wieder mild und sonnig und ich sitze am walterplatz und bin zufrieden, ausgeglichen. auch diese momente gibt es.

dann findet das entscheidende gespräch mit unserem neonatologen statt. er gibt sein ok für den transfer nach wien. wir müssen ein spital organisieren. man könnte meinen, dass das eine freudige nachricht ist. aber ich habe richtig schlimme gemischte gefühle. ich will nicht weg aus bozen, auch wenn es natürlich vieles einfacher macht. ich habe angst, zurückzukehren. angst, wieder von vorne beginnen zu müssen. in wien kennt uns niemand, kennt niemand unsere geschichte. niemand wird "schotzl" zu adrian sagen oder "piccolino". ich habe zweifel, dass er dorthin gehört. ich habe angst, um die geborgenheit und den rückhalt, den wir auf der terapia intensiva neonatale in bozen erfahren haben. ich mache mir nichts vor, die umstellung wird hart werden. 

adrian trinkt seine ersten schlucke per flasche. er wird vom hochintensiv-zimmer ins subintensivzimmer verlegt. am ersten sonntag anfang dezember ist es soweit. ein rettungswagen aus österreich kommt uns holen. adrian liegt im transportbrutkasten. er trägt einen weißen pulli mit der aufschrift a.s.bolzano (für azienda sanitaria = sanitätsbetrieb). unser neonatologe ruft über den gang der station alle zusammen: "der adrian fährt heim". ich bin gerührt, aufgeregt, es ist ein schwieriger abschied. der neonatologe sagt, dass alle adrian vermissen werden. er war mittlerweile zum längsten anwesenden patienten der station geworden. und adrians geschichte wird in eine studie über extremfrühchen mit geburtsgewicht unter 1 kilogramm aufgenommen. sein fall ist eine erfolgsgeschichte.

love is danger, love is pleasure

schon interessant, dass einer der neuzeitlichen xmas-song klassiker mit den worten "i’ll protect you from the hooded claw, keep the vampires from your door" beginnt.

ja genau, und von einer band stammt, die mit relax einen na ja, sagen wir kontroversiell diskutierten hit hatten. aber kontroversiell diskutierte songs sind ja oft spannend und in dem fall auch richtig gut.

im video zu the power of love werden unter dem motto "make love…your goal" die geschehnisse in bethlehem im jahr null nacherzählt. 

the drugs do not work, neun

so, im alten jahr möchte ich in den endspurt gehen…

an einem sonnigen sonntag ende oktober kommen wir auf die station und eine schwester begrüßt uns mit den worten: "heute ist ein schöner tag!". wir können es kaum erwarten, adrian zu sehen. er ist extubiert! unser neonatologe hat ihm zugetraut, dass er es schafft. und er schafft es.

endlich. nun wird er mittels CPAP beim atmen unterstützt, was zwar furchterregend ausschaut – im vergleich zum schlauch in der nase vorher ist das eine art sauerstoffmaske ("come un astronauta" – wie ein astronaut) – aber wesentlich harmloser ist. natürlich schwankt sein zustand noch, die schwestern und pfleger müssen anfangs alle paar minuten die beatmungsintensität anpassen, aber wie eine ärztin sagte: "besser instabil mit cpap als stabil mit intubation". ist es schon zeit durchzuatmen und zu denken, dass das schlimmste vorbei ist? ich traue mich nicht.

in ein paar tagen kann man auf der intensivstation von absoluter euphorie (wenn man sich die erlaubt) in tiefste verzweiflung fallen. an einem freitagnachmittag anfang november empfiehlt uns unser neonatologe nachhause zu fahren. das hat nichts mit adrian zu tun, aber die ereignisse in seinem zimmer sind zu schlimm, zu schwer zu verkraften, wir sollten das nicht mitansehen. das medizinische personal ist natürlich daran gewöhnt, aber wir nicht. es ist einfach nur schrecklich, was an diesem tag passiert. 

am nächsten tag hat auch adrian einen rückfall. eine infektion. er ist neuerlich intubiert, weil das atmen wieder zu anstrengend war und bekommt antibiotika. freunde von uns sind gerade zu besuch und unterstützen uns sehr. lenken uns auch ab. wieder einmal brauchen wir eine strategie, um mit den jüngsten ereignissen umgehen zu können. eine schwierigkeit der gesamten zeit liegt darin, sich schnell auf veränderte bedingungen einzustellen. eigentlich bräuchte man viel mehr zeit, das alles zu verstehen und zu verarbeiten. man möchte sich einmal in ruhe hinsetzen und das alles "fassen". aber die zeit hat man nicht, es geht eben schlag auf schlag.

nach einem neuerlichen schlimmen sonntag komme ich montag ins krankenhaus. jedesmal sehe ich auf die uhr, wenn ich die eingangshalle betrete, als könnte die mir schon irgendwas über adrians zustand verraten. ich weiß, ich werde es sofort wissen, wenn ich unseren neonatologen sehe. der war am wochenende nicht im dienst. mein herz klopft ganz schnell und ich bin völlig aus der puste, als ich die station betrete. unser neonatologe schiebt gerade ein ultraschallgerät über den gang. er lacht. uff. adrian habe "ein bisschen geschichten" gemacht. alles schon wieder unter kontrolle. 


endlich selbst trinken, bozen november 2007

der neonatologe war immer ehrlich zu uns. vom ersten tag an. langsam habe ich bei ihm das gefühl, dass er sich keine großen sorgen mehr um adrian macht. wir brauchen "nur geduld" sagt er. die zu haben, haben wir gelernt.