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Anatomie eines Falls

Nachdem vermutlich nächste Woche wieder einmal eine nicht-englischsprachige Schauspielerin für einen Schauspieloscar nominiert werden wird – ich hoffe, ich verschreie es jetzt nicht – möchte ich noch über Anatomie eines Falls berichten, einen Film, den ich schon im November gesehen habe und der mich sehr beeindruckt hat.

Die Schriftstellerin Sandra (Sandra Hüller), ursprünglich aus Deutschland kommend, lebt mit ihrem Mann Samuel und dem stark sehbehinderten Sohn Daniel (sehr beeindruckender Kinderdarsteller, Milo Machado Graner) in einem Chalet bei Grenoble. Der Film beginnt damit, dass Sandra zuhause ein Interview geben möchte, dieses aber abbrechen muss, da Samuel im Obergeschoss die Musik so laut aufgedreht hat, dass eine Unterhaltung unmöglich wird. Gemeinsam mit der Journalistin verlässt auch Daniel das Haus, um eine Runde mit dem Blindenhund zu gehen. Als er zurückkommt, findet er Samuel tot im Schnee liegen. Verzweifelt ruft er nach Sandra, die genauso schockiert ist wie er. Bald stellt sich heraus: Bei diesem Sturz handelt es sich nicht um einen Unfall, es war entweder Suizid oder Mord. Weshalb sich Sandra bald vor Gericht verteidigen muss…

Der Titel ist schon recht zwei- oder sogar mehrdeutig, denn es geht um einen Kriminalfall – große Teile des Filmes spielen sich in einem Gerichtssaal ab -, um einen Sturz aus großer Höhe und um den Niedergang einer Partnerschaft, einer Familie. Samuel und Sandra haben aus verschiedenen Gründen keine glückliche Ehe mehr geführt, in erster Linie weil sich Samuel Sandra allumfassend unterlegen fühlt. Sie ist kreativer und erfolgreicher, sie verdient viel mehr Geld, zudem hat sie Affären mit anderen (auch Frauen). Dazu kommt, dass Samuel sich irrationale Vorwürfe bezüglich Daniels Beinahe-Erblindung macht. Sandras Anwalt Vincent (Swann Arlaud) ist ein enger Vertrauter, wie eng genau, wird nicht ganz klar, der ihr zu verstehen gibt: Es geht nicht darum, ob sie die Tat begangen hat oder nicht, es geht darum, eine gute Geschichte für das Gericht und die Presse zu entwickeln.

Anatomie eines Falls greift ganz verschiedende Themen auf wie eben die Frage, ob es sowas Wahrheit gibt, ob es überhaupt möglich ist, der Wahrheit in einem Gerichtssaal auf die Spur zu kommen bzw. ob das tatsächlich das Anliegen der Justiz ist und ob in weiterer Folge ein Urteil gerecht sein kann. Hier ist besonders interessant, wie ungut und schon fast aggressiv der Staatsanwalt (Antoine Reinartz) dargestellt wird – er sieht mit seinem kahlrasierten Kopf auch ein bisschen aus wie ein Radikaler; was dazu führt, dass man sich als Zuseherin vielleicht etwas mehr an die Seite von Sandra stellt. Doch auch Sandra ist sehr ambivalent gezeichnet, keine besonders einnehmende oder zugängliche Person, die wenig liebeswertes an sich hat und eigentlich alle auf Distanz hält, der man auch als Zuseher nicht wirklich näher kommen kann. Alles an diesem Film ist komplex, widersprüchlich (der fast blinde Sohn als der einzige “Augenzeuge”), verschließt sich einfachen Deutungen und voreiligen Schlüssen, das hält die Spannung bis zur letzten Minute aufrecht. Und Hüller zieht einen in ihren Bann, sie trägt diesen Film, dessen grobkörnige Optik genau die Rauhheit widerspiegelt, die diese Frau ausmacht.

Obwohl an diesem Film wirklich nichts lustig ist, fand ich doch amüsant, dass der Song, der am Anfang des Filmes so penetrant laut und repetitiv gespielt wird, mutmaßlich um Sandra zu ärgern, eine Instrumentalversion von 50 Cents P.I.M.P ist, die einem wirklich schnell schwer auf die Nerven geht. Im Gerichtssaal wird Samuel quasi posthum Misogynie vorgeworfen, weil die Lyrics so problematisch wären. Darauf ein kleinlauter Einwurf: “Aber er hat ja die Instrumentalversion gespielt”.

Empfehlenswert ist, sich Anatomie eines Falls in OmU anzusehen, weil die Vermischung zwischen Französisch und Englisch ein integraler Bestandteil der Handlung ist. Sandra fühlt sich nicht fähig, sich auf Französisch adäquat auszudrucken (und damit zu verteidigen), aber auch Englisch ist nicht ihre Muttersprache. Tatsächlich hören wir Sandra niemals in ihrer eigenen Sprache sprechen, diese Problematik schwebt als ein weiteres Thema in der Luft, gerade auch, weil ihr als Schriftstellerin Sprache so wichtig ist.

Hier der Trailer:

Priscilla, Elvis und Co., zwei

Ok, also Baz Luhrmann. Seinen Film Moulin Rouge habe ich fast auswendig mitsprechen gekonnt, in einer Phase meines Lebens hat er mir sehr viel bedeutet. Entgegen meiner Erwartungen fand ich es ganz wunderbar, wie Nicole Kidmann und Ewan Mc Gregor in Paris der Jahrhundertwende miteinander singen. Ja, Moulin Rouge ist so überladen und voller Pathos und man kann das auch cheesy finden, gleichzeitig ist es aber auch herrlich selbstironisch und ich war wirklich hin und weg, ich habe ja so einen kleinen soft spot für gegen-den-Strich gebürstete Filmmusicals, mit Menschen, die nicht eigentlich keine Sänger und Tänzer sind (siehe La La Land). Denn eines hat Luhrmann mit Sofia Coppola gemeinsam, er setzt auch gerne moderne Musik in ganz andere Zusammenhänge – in Moulin Rouge mischt er Whitney Houston, Elton John, Sting, Beatles, David Bowie und noch einige andere zusammen und macht dann doch etwas ganz anderes daraus.

Jetzt füllt sein Elvis genau die Leerstellen, die bei Priscilla entstanden sind. Während Priscilla eigentlich fast ausschließlich die schwierige Beziehung zwischen eben Priscilla und Elvis zeigt und sonst wenig aus Elvis’ Leben, beleuchtet das Baz Luhrman Werk die toxische Verbindung von Elvis und seinem Manager Colonel Tom Parker – Tom Hanks angelegt am Rande einer Karikatur. Dieser Colonel kommt bei Coppola nur am Telefon vor, nie im Bild, während er in Elvis quasi der Erzähler ist, der sich unschuldig am Tod von Elvis wähnt, definitiv aber eine ziemlich zwielichtige Rolle in seinem Leben gespielt hat und ganz sicher nicht alle Entscheidungen zu dessen bestem getroffen hat.

Und auch wenn mich Elvis als Person wie gesagt eher weniger interessiert und ich ihm auch in diesem Werk kaum näherkomme, mag ich diesen unverkennbaren Luhrman Stil immer noch, dieses over-the-top, die Kamera, die das Bild einmal im Kreis dreht, seine vielen kleine originellen Ideen – über Gebäuden steht zum Beispiel in riesigen stylischen Lettern, wo wir uns befinden, und auch das Klotzen statt Kleckern, was sonst nicht unbedingt so meines ist. Der Film ist so modern und jetzig, während Priscilla komplett im Stil der späten 60ziger und frühen 70-er verhaftet bleibt. Wie erwartet haben die beiden Filme praktisch gar nichts miteinander zu tun. Aber man bekommt ein umfassenderes Bild, weil der Zugang so unterschiedlich ist.

Viel mehr Parallelen finden sich erstaunlicherweise von Priscilla zu Maestro, von und mit Bradley Cooper. Maestro erzählt ja kaum etwas vom Musiker und Dirigenten Leonard Bernstein – wenn einen die musikalische Komponente ins Kino lockt, ist man bei TAR viel besser aufgehoben – sondern es geht hauptsächlich um die Beziehung zwischen Bernstein und seiner Frau Felicia. Wie wir jetzt alle wissen, war Bernstein bisexuell und hatte nebenbei Beziehungen zu Männern und das ist das Hauptthema des Films. Und eigentlich ist es , wie bei Prisicilla, oft auch ein Film über die Frau an der Seite von einem sehr berühmten Mann, wobei die Problemlage der beiden Ehen natürlich unterschiedlich gelagert ist. Und obwohl der Film Maestro heißt, gilt der erste Monolog in diesem Film Felicia, ebenso das letzte Bild, mit dem man dann das Kino verlässt.

Priscilla, Elvis und Co., eins

Ich muss ehrlich sagen, ich kann mit Elvis Presley nichts anfangen. Meine Großeltern, bei denen ich aufgewachsen bin, mochten ihn nicht. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass er bei meinem Musik-affinen Vater irgendwo zwischen Bob Marley, Jazz und Wagner-Opern mal aufgetaucht wäre. Und ich persönlich konnte ebenfalls gar nicht andocken, weder musikalisch noch am Phänomen Elvis.

Insofern war ich nicht allzu gespannt auf Priscilla, den neuen Film von Sofia Coppola. Denn auch wenn es in diesem Film nicht direkt um Elvis geht, sondern eben um seine Frau, dachte ich mir, wenn ich den (ziemlich faden) Trailer sehe, kenne ich die gesamte Problematik. Nämlich: Die beiden heiraten sehr jung – Priscilla war 14 als sie sich kennenlernten – und dann verräumt Elvis sie auf Graceland, während er selbst um die Welt reist und Karriere macht. Auch wenn Coppola irgendwie auf die “Sad girls” abonniert ist und die mitunter auch hervorragend porträtiert – Lost in Translation ist nach wie vor einer meiner Lieblingsfilme und da passiert jetzt plottechnisch auch wenig – war ich skeptisch, ob Coppola da wirklich viel mehr herausholen kann. Aber dennoch war ich natürlich auch neugierig, weil ich unter anderem eine tolle Besprechung im FM4 Filmpodcast gehört habe (den ich diese Woche entdeckt habe, und der ganz super ist).

Nachdem ich den Film jetzt gestern gesehen habe, muss ich leider sagen, dass er mich tatsächlich nicht überzeugen konnte. Ich habe lange gegrübelt, woran das liegt und ich glaube, dass mir das gefehlt hat, was die frühe Sofia Coppola sehr ausgezeichnet hat: Stimmungen zu transportieren, ungeheuer starke Bilder zu erzeugen und musikalisch zu untermalen. Natürlich schafft Coppola es zu vermitteln, was zwischen Priscilla und Elvis schief läuft und darzustellen, dass Graceland im Prinzip ein goldenes Gefängnis für Priscilla war. Sie zeigt einen dominanten Elvis (Jacob Elordi), der kritisiert, wenn Pricilla (Cailee Spaeny) große Blumenmuster trägt, weil sie dafür zu klein wäre und, der möchte, dass sie dauernd daheim hockt und sich von ihr wünscht “keep the home fires burning”, also sehr Steinzeit-lastig. Darüberhinaus ist Pricilla, so skurill es auch klingt, ein bisschen ein Mutterersatz für ihn, eine Vertrauensperson, auf die er sich verlassen will. Diese Vertrautheit steht hier meilenweit über der wenig relevanten sexuellen Beziehung der beiden. Das alles ist handwerklich schon tadellos erzählt und auch sehr gut gespielt, aber es geht für mich nicht darüber hinaus. Mir fehlt ein Spin, der mir irgendwas zeigt, was ich nicht erwarte, in dieser Konstellation.

Sofia Coppola hat die Rechte an den Elvis Songs nicht bekommen – im Gegensatz zu Baz Luhrmann, der ja erst im vorigen Jahr seinen Elvis Film herausgebracht hat. Was natürlich daran lag, dass sie ja die “gegnerische” Seite beleuchtet hat. Das ist aber kein allzu großes Malheur, denn Coppola ist ja dafür bekannt, dass sie Musik sehr anachronistisch einsetzt, man denke an Marie Antoinette, wo das Leben der französischen Königin durchgehend mit Indiepop untermalt wird und das einfach toll ist, weil es genau diese Brechung ist, die ein relativ bekannter biografischer Stoff braucht, um irgendwie frisch zu wirken und man das Ganze aus einer anderen Perspektive sieht. Bei Priscilla ist mir die Musik dann eigentlich zu unauffällig und zu wenig kontrastierend.

Und weil mich der Film irgendwie so leer zurückgelassen hat, habe ich mir gedacht, ich muss im Anschluss gleich den Baz Luhrmann Elvis anschauen (auf Amazon Prime zu sehen, unbezahlte Werbung), um einen direkten Vergleich zu ziehen.

To be continued…

Poor Things

Ich weiß, wir konnten überall lesen, dass Greta Gerwigs Film Barbie das feministische Manifest des Filmjahres 2023 war. Und auch wenn ich Gerwig sehr schätze, ich “fürchte”, den tatsächlich feministischen Film des letzten Jahres hat Giorgos Lanthimos gedreht. Und er heißt Poor Things.

Poor Things wird erst im Laufe des Jänners in den österreichischen Kinos anlaufen, es gab aber vor Silvester einige Vorpremieren in Wien. Ich habe die – sehr gut besuchte – im Votiv Kino miterlebt.

Ganz ehrlich war ich skeptisch, was Poor Things betrifft. Ich hab von Lanthimos vorher nur The Lobster gekannt, aber der Film hat mich nicht wirklich abgeholt. Die Prämisse fand ich zwar super, aber mit Fortschreiten der Handlung entwickelte sich The Lobster für mich in eine sehr abgedrehte naturalistisch-triste Richtung. Und bei Poor Things fand ich schon die Prämisse eher heikel: Eine junge Frau Frau namens Bella Baxter (Emma Stone) aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkindes, lebt bei einem Anatomieprofessor names Godwin (Wiliam Dafoe), den sie “God” nennt und wird von diesem als “Experiment” betrachtet und in ihrem Alltag und ihrer Entwicklung beforscht. Aufgrund ihrer Fortschritte gelangt sie an den Punkt, an dem sie die Welt entdecken will, an ihrer Seite der windige Anwalt Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo)…

Bella Baxter ist wahrscheinlich schon jetzt zu den ikonischsten Protagonistinnen der Filmwelt zu zählen. Und in ihrer Darstellung kann man so viel falsch machen und es könnte so peinlich und unangenehm sein, ihr zuzusehen. Denn Bella ist am Anfang von Poor Things wie gesagt geistig kaum entwickelt. Weil sie aber eine junge und attraktive Frau ist, begegnet ihr ihre Umwelt natürlich nicht wie sie einem kleinen Kind begegnen würde; speziell Männer (wir befinden uns vermutlich so irgendwo Ende des 19. Jahrhunderts) nähern sich ihr oft recht übergriffig und sie reagiert dann auf eine unschuldig-naive, oft auch das Gegenüber entlarvende Weise. Man merkt ihr trotz ihrer generellen Unerfahrenheit in der Welt ihren Freiheitsdrang und auch den Wissensdurst an. Und so nimmt ihre Entwicklung ihren Lauf und diese Entwicklung ist eben die einer selbstbestimmten Frau, die weiß, was sie will. Und zwar als Frau – oder auch einfach Mensch – die sich nicht von irgendwas abgrenzt oder gegen irgendetwas arbeitet, sondern die für Dinge einsteht und brennt.

Im Votivkino herrschte bald eine recht ausgelassende Stimmung, weil der Film ist enorm witzig und strange und bizarr, aber auch total lebensbejahend und positiv. Ort der Handlung ist eine surreale Welt, die zwar London oder Paris heißt, aber eigentlich der Fantasie von Lanthimos entsprungen ist und es ist toll, was er sich alles hat einfallen lassen. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Kleidungsstücke, die Bella trägt. Irgendwie von ihrer Zeit inspiriert, aber mit einem originellen Twist. Und Emma Stone ist so glaubwürdig und liebenswert als Bella, obwohl das wirklich eine Rolle ist, für die es keinerlei Vorbilder gibt und die soviele Fallstricke beinhaltet (sehr viel sexuelles, sehr viel “allzumenschliches”).

Absolut sehenswert, wenn man unkonventionelles mag.

Der Trailer:

Das Filmjahr 23

Wir bei Uncut haben unsere Lieblingsfilme 2023 zusammengestellt.

Obwohl ich Oppenheimer ja schon im Sommer besprochen habe, noch ein paar Worte zu meiner Nummer 1 aus diesem Jahr. Christopher Nolan ist es hoch anzurechnen, dass er einen drei Stunden Film mit unentwegten Zeitsprüngen und teilweise in schwarz/weiß gedreht, mit schnellen und anspruchsvollen Dialogen, dessen Hauptfigur ein Quantenphysiker ist, tatsächlich als Popcornkino verkaufen konnte. Ja, Oppenheimer hat natürlich die oppulenten Bilder und Explosionen, aber es ist alles andere als ein Film zum Berieseln lassen. Und Cilian Murphy hat die m.E. relativ schwierige Aufgabe, Robert Oppenheimer überzeugend darzustellen, ist dieser doch in gewisser Weise ein Mann ohne Eigenschaften. Er ist weder heroisch, noch duckmäuserisch, nicht außergewöhnlich charismatisch, aber auch nicht uninteressant, er reflektiert seine Erfindung intensiv, kommt aber im Prinzip zu keinem wirklichen Ergebnis. Er schwankt zwischen Stolz und Zweifel. Er ist immer irgendwo dazwischen und dieses “dazwischen” zu porträtieren, ist, glaube ich, schon eine ziemliche Kunst.

Mein Platz 2 ist Passages. Ein Indie-Beziehungsfilm, der natürlich im Gegensatz zu Oppenheimer sehr “low key” ist, mich aber fasziniert hat und bei dem ich immer noch erstaunt bin, was für ein Arschloch Franz Rogowski doch darstellt. Platz 3 belegt Anatomie eines Falles, über den habe ich noch gar nicht erzählt. Sandra Hüller ist großartig als Romanautorin, die verdächtig wird, ihren Mann umgebracht zu haben. Bei diesem Film wiederum bin ich immer noch erstaunt, dass der französische Staatsanwalt im Prozess wie ein Rechtsradikaler aussieht. Mein Platz 4 ist Air. Ein intelligenter und humorvoller Crowdpleaser mit Niveau – wovon es deutlich mehr geben sollte. Platz 5 schließlich The Holdovers. Einfach ein wunderbarer kleiner Wohlfühlfilm, obwohl er menschliche Probleme nicht ausspart, ganz im Gegenteil.

Aus dem Streaming/Festivalbereich habe ich noch Saltburn empfohlen, das Review hab ich eben erst gepostet. Bin immer noch geplättet von der surealen Ästhetik dieses Films. Dazu noch Theater Camp, der hoffentlich nächstes Jahr in unsere Kinos kommen wird, voller doppelbödiger Witze und Slow, ein schöner, ganz unspektakulärer Liebesfilm, der (wieder mal) von einem Paar erzählt, das zusammensein will, aber eigentlich nicht zusammensein kann.

Für mich war das ein hervorragendes Filmjahr, ich fand auch Maestro, Past Lives, Fallen Leaves, May December, TAR, Banshees of the Inisherin und Asteroid City sehenswert, auch wenn sie nicht die Topplätze belegt haben, bei unserer Uncut-Wertung, aber ich muss ja eine Auswahl treffen. Und gerade komme ich aus dem Preview von Poor Things – in ein paar Tagen mehr.

Manche für mich noch interessante Filme für dieses Filmjahr laufen erst an, wie zum Beispiel All of us Strangers (mit dem Hot Priest aus Fleabag und Paul Mescal aus Aftersun und Normal People), American Fiction oder The Zone of Interest (nochmal Sandra Hüller). Die deutsche Schauspielerin hat somit gute Chance in zwei Oscar-Kategorien nominiert zu werden (beste Haupt- bzw. Nebendarstellerin).

Saltburn

Schon vor vielen Wochen habe ich über einen Film gelesen, den die Nerds ganz aufgeregt erwarteten. Eine Amazon Prime Produktion, die auch genau dort gestern veröffentlicht wurde, obwohl es eigentlich ein Film für die große Leinwand ist, die Rede ist von Saltburn, von Regisseurin Emerald Fennell, die erst vor drei Jahren mit Promising Young Women (den ich leider noch nicht gesehen habe) ihren Durchbruch gefeiert hat.

Einen so abgefahrenen, merkwürdigen, skurillen und überraschenden, den Sehererwartungen zuwiderlaufenden Film habe ich wirklich schon lange nicht mehr gesehen. Im Mittelpunkt der Handlung steht der unsichere Oliver (Barry Keoghan), der frisch auf die Uni kommt und sofort ein Außenseiter ist. Schnell bekommt Felix Catton (Jacob Elordi) seine ganze Aufmerksamkeit – ein ungeheuer populärer Aristokrat, der aber auch besonders -und das ganz authentisch- warmherzig ist. Oliver tut alles, um sich mit Felix anzufreunden und verbringt schließlich den Sommer auf dem Landsitz der Familie Catton, einem Anwesen namens Saltburn.

Über die Handlung kann man nicht allzuviel erzählen, ohne Wichtiges zu verraten. Aber es ist ungeheuer spannend, sich wie Oliver erstmals auf dem riesigen Anwesen und dem bizarren Schloss der Cattons wiederzufinden. Als Zuseher versucht man zu verstehen, was das “Mindset” der Familie ist. Einerseits sind sie extrem steif, zum Dinner muss täglich Smoking getragen werden, auf Tischmanieren wird großen Wert gelegt, auf der anderen Seiten wirken sie etwas einfältig und scheinen nicht einmal mit der Geografie ihres Landes genauer vertraut zu sein; sie geben feine Partys mit Dresscode (Black Tie), singen aber dann Karaoke zu den Pet Shop Boys.

Und genauso überraschend sind die Dialoge, die manchmal ganz erstaunliche Wendungen nehmen, ein kleines Beispiel (das nicht zur Haupthandlung gehört). Oliver fragt seine Tischdame: “Haben Sie Kinder?”, diese entgegnet “Ja zwei. Ach nein drei. Sie sind auf dem Internat, was günstig ist, weil man sie da selten sehen muss.” Der Film bewegt sich von what-the-fuck Dialog zum nächsten what-the-fuck Dialog und die Szenen entwickeln sich so ganz anders als man das erwarten würde. Aber das ist natürlich auch das reizvolle daran.

Barry Keoghan sehe ich schon das zweite Mal in diesem Jahr. Er spielte in The Banshees of Inisherin einen geistig zurückgebliebenen jungen Mann so überzeugend, dass ich mich gefragt habe, ob er vielleicht selbst auch…sorry! Und hier spielt er zwar eine ganz andere, aber wieder extrem arg-eigenartige Figur, sodass ich mich langsam frage, wie er denn privat so ist. Harhar. Auch die anderen Darsteller sind sehr glaubwürdig in ihren teilweise sehr herausfordernden Rollen, man kann kaum jemand speziell herausheben.

Manche Bilder dieses extrem ästhetischen in Szene gesetzten Filmes werden einem noch länger in Erinnerung bleiben und auch zum Nachdenken bringen. Eines sieht für mich so aus, als handele es sich um ein Porträt von Kaiser Nero, der gerade dabei zusieht, wie Rom verbrennt. Andere Einstellungen sind so Zeitgeist-poppig, dass sie mich an Fotos von Damiano David, dem Sänger von Maneskin erinnern, die er von sich selbst auf Instagram postet. Eine originelle Mischung.

Hier der Trailer, der auch nicht spoilert, aber etwas vom Flair widerspiegelt (ja, es ist auch gruselig, aber es ist kein Genrefilm, keine Angst):

The Holdovers

Gestern war ich in einer Vorpremiere von The Holdovers, dem neuen Film von Alexander Payne.

Um Payne ist es in den letzten Jahren ein bisschen still geworden, nachdem er uns Indie Schmankerln wie Sideways, The Descendants oder Nebraska serviert hat. Paynes Regiearbeiten haben mit dem hier kürzlich besprochenen Todd Haynes gemeinsam, das sie ein bisschen Alltagsdrama sind, nur wo es bei Haynes creepy ist, ist es bei Alexander Payner skurill. Seine Antihelden stecken in ihren kleinen “potscherten” Leben fest, oft nach nicht ganz einfachen Startbedingungen, mit ihren durchaus großen Sorgen und Nöten, doch das Schöne ist: Es gibt immer Lichtblicke, es gibt immer Hoffnung. Aber es gibt nicht den großen Knall, wo plötzlich alle Probleme gelöst sind und alles toll ist – was natürlich auch komplett unrealistisch wäre, denn Menschen ändern sich nicht über Nacht. Genau das mag ich daran.

The Holdovers spielt in einem Internat in Neuengland der 1970-er Jahre. Holdovers (“Überbleibsel”) werden diejenigen genannt, die über Weihnachten nicht nach Hause können und in der Institution bleiben müssen. Der unbeliebte Professor Hunham (Paul Giamatti) ist diesmal dazu verdonnert worden, die Burschen zu beaufsichtigen. Auch die Küchenchefin Mary (Da’Vine Joy Randolph) verlässt das Internat nicht- ihr Sohn wurde gerade in Vietnam getötet und sie möchte keine “klassischen” Weihnachten feiern. Nachdem dann doch die meisten Schüler noch abgeholt werden, bleibt zu aller Leidweisen nur noch Angus (Dominic Sessa) zurück. Doch was als mühsame Zwangsgemeinschaft beginnt, entwickelt sich dann doch etwas anders als gedacht…

Es gibt Filme, die gut sind, deren Dialoge zünden, aber man denkt sich, ein oder mehrere Schauspieler “passen” nicht, es wäre besser, würde statt Schauspieler X Schauspieler Y spielen etc. In The Holdovers ist es umgekehrt: Man kann sich nicht vorstellen, dass irgendjemand anders diese Rollen spielen könnte, so ideal scheinen sie besetzt. Giamatti ist sowieso bewundernswert, sich so extrem unvorteilhaft zeigen zu lassen, mit einem Augenproblem (das er sonst nicht hat, wie macht man das eigentlich?) und den komisch gebürsteten Haaren, er muss sich kratzen und furzen und auch sonst relativ unattraktiv sein. Aber auch sonst entspricht niemand irgendeinem “Schönheitsideal”.

Leicht hätte es allerdings einem anderen Regisseur passieren können, dass die zentralen Protagonisten Karikaturen ihrer selbst werden – der komisch-ungute Professor, die trauernde, unterpriveligierte Mutter, der aufmüpfige Schüler. Und, dass es nur um den billigen Lacher geht. In The Holdovers geht es aber vielmehr darum, das Innere nach außen zu kehren, zu zeigen, was hinter den Rollenbildern steckt, wenn gleich die Ecken und Kanten immer erhalten bleiben. Ja, da ist ein bisschen Dead Poets Society Vibe dahinter und natürlich Coming of Age-Nerdiness, selbstverständlich auch viel Payne-eskes. Vor allem ist es aber ein feiner, menschlicher Film, bei dem man auch ein bisschen weinen kann, wenn es einem gerade nicht so gut geht, und es sind erleichternde Tränen.

Hier noch der Trailer:

Paparazzi

Im Westlicht läuft gerade eine Ausstellung, die sich mit dem Phänomen Paparazzi beschäftigt (wie immer unbezahlte Werbung)

Die Ausstellung erklärt den Begriff, aber wenn man La Dolce Vita von Fellini gesehen hat, weiß man das eh schon. In diesem Film hieß nämlich der Fotograf, der die Promis ablichtete, Paparazzo und damit etablierte sich dieser Name als Überbegriff für jeglichen Promifotograf. Die Ausstellung widmen sich den Anfängen des Paparazzi-Tums, und den besonders gefragten “Opfern”.

Das teuerste Paparazzi Foto aller Zeiten – Britney Spears, als sie sich wegen eines Drogentests die Haare abrasieren musste.
Das letzte Foto von Diana im Auto & die nie veröffentliche Hello Titelseite von einem Diana Foto ihres letzten Urlaubs

Es beleuchtet aber auch die Zusammenarbeit von Prominenten mit Fotografen zu Werbezwecken, quasi gestellte Paparazzi-Aufnahmen in Absprache, und zeigt schließlich auch Fotos von unter anderem Anton Corbijn, der Schauspieler so in Szene gesetzt hat, als wären es Paparazzi Fotos, tatsächlich waren sie aber nur als solche inszeniert, kann man noch folgen? Zum Beispiel Kylie Minogue:

Insgesamt eine tolle Ausstellung, wenn auch zu klein (gut, die Galerie ist halt nicht größer). Man könnte noch sehr viel mehr zum Thema sagen. Etwa über das Spiel von Prominenten mit ihrem tradierten Öffentlichkeitsbild. Ich denke da an Jennifer Lopez, die gemeinsam mit ihrem damaligen Freund (jetzt Mann) Ben Affleck alle Fotos, die von ihnen heimlich geschossen wurden in dem Video Jenny from the block nachstellen. Dabei haben sie quasi die Macht über ihre Bilder wieder zurückbekommen, gleichzeitig war das doch etwas zuviel Omnipräsenz, das Paar trennte sich dann (und kam erst 20 Jahre später wieder zusammen). Man könnte noch mehr über die Gegenwehr von Prominenten berichten – in der Ausstellung wird Marlon Brando und ein Fotograf gezeigt, der sich ihm nur mit Helm nähert, weil Brando ihm ein paar Zähne ausgeschlagen hatte. Aber man könnte auch die rechtliche Seite beleuchten (wieviel Öffentlichkeit müssen sich Prominente privat gefallen lassen) Mir fehlt auch zum Beispiel eine Referenz auf den Lady Gaga Song/Video Paparazzi. Aber ja, der Platz ist begrenzt.

Aber ja, als (erste) Annährung an das Thema gut.

Bachmann – Reise in die Wüste

Anlässlich des 50. Todestages von Ingeborg Bachmann, gab es ganz viel Bachmann-Content in TV, Radio und Film. Vieles davon war sehr interessant und inspirierend, anderes leider weniger. Und mit “anderes” ist vor allem der Film von Margarethe von Trotta gemeint.

Ich meine, das Problem beginnt damit, wenn man als Regisseurin die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch porträtiert und als der Film dann fertig ist, erscheint der Briefwechsel zwischen den beiden. Eigentlich kann man das eigene Werk dann nur noch einstampfen, vor allem dann, wenn man doch relativ tendenziös in der filmischen Aufarbeitung vorgegangen ist und sich vieles davon nicht halten lässt, sobald der Briefwechsel der beiden öffentlich zugänglich ist.

Denn von Trotta sieht Max Frisch als den “Schuldigen” in dieser Geschichte und stellt ihn gleichermaßen eindimensional wie unsensibel dar. Ich finde es ja prinzipiell lächerlich, dass sich diverse Literaturwissenschafter nicht entblöden, im Jahr 2023 darüber zu streiten, wer jetzt mehr Verantwortung am Scheitern einer Beziehung hat. Wenn man den Briefwechsel gelesen hat (was ich getan habe), dann findet man den Satz (der auch Titel des Briefwechsels ist), mit dem Frisch die vier Jahre mit Bachmann beschreibt, relativ zutreffend: “Wir haben es nicht gut gemacht” Ich sehe da keine Schuldigen und Unschuldigen, beide haben vermutlich ihr Bestes versucht, aber es hat nicht funktioniert, wie ganz viele menschliche Beziehungen aus ganz vielen Gründen nicht funktionieren. Irgendwelche Rollen zu verteilen in Gut und Böse, bringt nicht wirklich einen Erkenntnisgewinn, im Gegenteil: damit wird etwas sehr komplexes komplett banalisiert, was gerade zwei Schriftsteller wie Bachmann und Frisch, die so differenziert in ihren Suche nach zutreffenden Beschreibungen waren, nicht gerecht wird.

Jedenfalls hat von Trotta Max Frisch sehr plump geschildert und Bachmann kommt im Grunde auch nicht viel besser weg, halt als Opfer, dass sie so (hoffentlich) auch nicht war. Die ganze Geschichte wirkt sehr wenig authentisch, lediglich wenn Passagen aus Bachmanns Eurve zitiert werden, wird der Film interessant – aber da ist man mit einer Lesung besser bedient. Alles in allem wie ein platter deutscher Fernsehfilm und daher ziemlich enttäuschend, daran kann nicht mal Vicky Krieps etwas ändern.

Und: Wenn man schon eine oarge Sexszene einbauen möchte, dann bitte soll sie nicht nur für 85-jährige Döblinger Hofratswitwen oarg sein, sondern für praktisch jeden, der diesen Film sieht. Sonst lieber weglassen, danke.

Nyad – naja.

Nachdem man Nyad auf Netflix gesehen hat, hat man das dringende Bedürfnis, ins eigene Badezimmer zu gehen und sich mal ordentlich abzutrocknen. Denn bei Nyad handelt sich um die (wahre) Geschichte der Langstreckenschwimmerin Diane Nyad, die es im Alter von 64 Jahren als erster Mensch überhaupt geschafft hat, von Kuba nach Florida zu schwimmen.

Vorneweg: Das ist ganz toll, eine unglaubliche Leistung, echt beeindruckend und inspirierend, und das in “diesem Alter”, einfach nur Respekt. Ist das aber auch ein Stoff, der sich für einen (Spiel)film eignet? Meiner Ansicht nach: nicht so sehr.

Man sieht Diane Nyad (dargestellt von Annette Benning) ins Wasser gehen und schwimmen, dann wieder raus, ins Boot, wieder rein ins Wasser, raus, rein, usw. Dazwischen ein paar mehr doer weniger tiefsinnige Gespräche, vor allem mit ihrer besten Freundin und Coach Bonnie (Jodie Foster), Quallenbisse, Halluzinationen, allergische Reaktionen, jede Menge nasse Schwimmkleidung, Selbstquälerei, unvorteilhafte Perspektiven naja. Wenn man jetzt keine expliziten Wasser-Fetisch hat, ist es nicht unbedingt das, was man zwei Stunden verfolgen will.

Und ja, Benning und vor allem Foster sind echt gut, dazu der seit Notting Hill zerraufte Rhys Ifans als Navigator – sie holen aus den Rollen raus, was rauszuholen war, aber das ändert halt trotzdem an dem Story Arc nix, das gab es schon x-mal (nicht mit Schwimmern, aber mit anderen heroischen Leistungen) und der Film fügt diesem Genre nichts hinzu, was man nicht eh schon kennen würde.

Diesen Stoff möchte ich persönlich lieber in einer Doku aufgearbeitet sehen. Zumal man im Abspann Benning und Foster mit ihren realen Vorbildern zusammen posieren sieht und dadurch sofort weiß: Wenn der Stoff so derart “abgesegnet” wurde, dann ist womöglich alles an Ecken und Kanten und Kontroverse, dass es gegeben haben mag und das etwas interessanter gewesen wäre abgeschliffen worden, zu einem Starportrait.