Gestern habe ich Passages gesehen.
In dem Film von Ira Sachs geht es um den deutschen Regisseur Tomas (Franz Rogowski), der mit seinem britischen Ehemann Martin (Ben Whishaw) in Paris lebt. Auf einer Party lernt Tomas Agathe (Adèle Exarchopoulos) kennen und nach einem Streit mit Martin landet er mit ihr im Bett. Die Folge: Eine Menge Chaos und das Ringen um Entscheidungen.
Wenn man den Plot so liest, fragt man sich, was wird das sein? Eine Herz/Schmerz Geschichte mit einem (bisexuellen) Twist? Eine pseudo-künstlerische Fleischbeschau? Ein woke Betrachtung von Partnerschaften mit LGBTQI-Schlagseite? Nach der Sichtung muss ich sagen: Nein, das ist es alles nicht, es ist einfach das Porträt eines Arschlochs. Harhar.
Ich hoffe, dass Franz Rogowski ein sehr guter Schauspieler ist, der den Tomas so überzeugend abgrundtief unsympathisch darstellt und nicht selbst so ein egozentrisches Ungustl ist. Als Zuseher versteht man weder Martin noch Agathe. Martin ist lieb, einfühlsam, zuvorkommend, nett zu seinen Angestellten, bedachtsam, ein richtig angenehmer Mensch. Agathe ist erstaunlich bodenständig, etwas verloren in der Welt, aber aufrichtig, auf der Suche nach einer Familie, liebenswert, fürsorglich. Was die beiden jeweils an Tomas finden, der zu allen ruppig ist, seine Mitarbeiter ebenso wie seine Freunde permant anschnauzt, unangenehm-übergriffige Fragen stellt, lügt, manipuliert und niemanden auf der Welt so toll findet wie sich selbst, ich habe keine Ahnung. Aber erstaunlicherweise reißen sich beide um ihn.
Das ist ein Film, der sehr genau hinschaut, die Finger dorthin legt, wo es wehtut. Wenn man selbst schon mal in irgendeiner Art von Beziehung war, wird einen das möglicherweise auf die eine oder andere Art triggern. Die Charakterzeichung und Betrachtung ist schonungslos ehrlich, aber auch verständnisvoll für den Menschen und seine Schwächen an sich. Die Dialoge sitzen. Die Atmosphäre wird perfekt eingefangen. Ich habe mir ehrlich gesagt nicht erwartet, dass Passages für mich so wahrhaftig sein wird und so gut funktioniert, doch das tut er.
Einziges Manko: Es spielt eigentlich gar keine Rolle, dass Tomas homosexuell ist und plötzlich etwas mit einer Frau anfängt, er ist nämlich bis zu diesem Zeitpunkt nicht bisexuell gewesen. Ich dachte, man wird über die Beweggründe dafür mehr erfahren und wie er sich damit nun fühlt. Aber vielleicht ist das auch gar kein Manko. Vielleicht geht es einfach universell um Beziehungen, ohne “Mascherl”. Dass das nicht zerredet ist, kann auch ein Pluspunkt sein.