Lazzaro Felice (Glücklich wie Lazzaro) ist, wie gesagt, der zweite Teil von Alice Rohrwachers Landleben Trilogie.
Es geht um ein Arbeiterkollektiv in einer italienischen Provinz, der genaue Ort und die Zeit wird nicht ganz klar, das für die unerbittliche Marchese de Luna (Nicolette Braschi, btw. die Ehefrau von Roberto Benigni) die Tabakernte erledigt und auch sonst das Land bewirtschaftet. Sie werden für ihre Dienste nicht bezahlt, nachdem dieser Teil durch eine lange zurückliegende Flut vom Rest des Landes getrennt wurde, weiß niemand, dass die Leibeigenschaft längst verboten worden ist. Lazzaro (Adriano Tardiolo) ist einer von ihnen, der so gutmütig, dumm, naiv oder einfach menschlich ist, dass er von denen, die versklavt sind, wiederum “versklavt” und herumgestoßen wird. Doch eines Tages freundet er sich mit dem Sohn der Marchesa, Tancredi, an und sein Leben nimmt eine Wendung…
ACHTUNG HIER FOLGEN WIRKLICH MASSIVE SPOILER, WEIL MAN SONST ÜBER DEN FILM NICHTS SCHREIBEN KANN. ICH HABE EUCH GEWARNT!
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, es gibt so viel zu diesem wunder-wunderschönen Film zu sagen. Zunächst Lazzaro. Er ist eine Figur irgendwo zwischen Forrest Gump und Till Eulenspiegel. Er versteht keine Zweideutigkeiten und keinen Zynismus, er nimmt alles, was ihm gesagt wird, wortwörtlich. Und das würde ihn in laufend ins Unglück stürzen, wenn er nicht so ein grundehrlicher, aufrechter Mensch wäre, der sich einfach an allem erfreuen kann. Auch daran, von den anderen permanent gebraucht zu werden, er sieht es nicht als Ausnützen an. Nur die junge Antonia scheint sich ehrlich für ihn zu interessieren. Manchmal steht er einfach so eine halbe Stunde im Regen und schaut in die Welt. Er ist innerhalb von sonderbaren Menschen ein “Sonderling”.
Lazzaro weiß nicht, wer seine Eltern sind, es spielt in dieser Gemeinschaft auch keine Rolle. Der, sagen wir mal, limitierte Genpool könnte eine Erklärung für Lazzaros Verhalten sein, aber das greift viel zu kurz. Mit Tancredi verbindet ihn (von seiner Seite aus) eine tiefe Freundschaft. Für uns Zuseher wirkt es natürlich so, als würde auch Tancredi ihn nur als Mittel zum Zweck sehen. Und das ist einer der Zauber dieses Filmes, dass unser Wahrnehmung, unsere Haltung “Jetzt wehr dich doch endlich! Jetzt lass doch nicht alles mit dir machen!” durch die Gleichmut von Lazzaro herausgefordert wird. Wieso ist dieser Mensch nur immer so glücklich?
Irgendwann wird die Dorfgemeinschaft durch die Polizei befreit und in eine nahe Stadt umgesiedelt. Lazzaro stürzt genau zu diesem Zeitpunkt in eine Schlucht. Ist er tot? Ab diesem Moment wird der Film zu einem Märchen, denn Lazzaro (siehe sein heiliger Namensvetter) steht nach langer Zeit wieder auf, gelangt auf Umwegen in die Stadt (hier muss man ein bisschen an The Village denken) und trifft sein “Rudel”, Antonia (Alba Rohrbacher, die ihren Augen nicht traut und Lazzaro voll Freude umarmt, so wie auch Trancredi wieder. Alle anderen sind, im Gegensatz zu Lazzaro, gealtert, aber auch unterschiedlich schnell. Die Reichen sind arm geworden, die Armen sind arm geblieben. Alle betteln, stehlen und betrügen für den Lebensunterhalt. Die “Befreiung” hat nichts verbessert. Eine beißende Kritik an der Gesellschaft. Und im Übrigen auch an der Kirche, denn dort werden arme Menschen, die ihrem harten Alltag kurz entfliehen und der Orgelmusik lauschen wollen, sofort als “nicht zugehörig” aus dem Gotteshaus verwiesen.
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man nun meinen, der Film erzählt darüber, wie schlecht die Welt und ihre Bewohner sind und, dass man als guter Mensch hier einfach nur verlieren, ausgebeutet und wahnsinnig verletzt werden kann. Tatsächlich merkt man aber, wenn man genau hinsieht, dass alle durch die Umstände geprägt sind, dass niemand per se ein “schlechter” Mensch ist. Dass alle Figuren auch ihre guten, warmherzigen Seiten haben, die aber durch gewisse Umstände verschüttet wurden, dennoch immer wieder einmal sichtbar werden. Rohrwacher hat ganz viel Empathie für ihre Figuren und sie schafft es, dass alles romantisch verklärt wirkt, auch das Leben neben dreckigen Bahngleisen.
Das Ende werde ich nicht spoilern, es ist noch rätselhafter und traurig-schöner als der Rest des Filmes. Ich musste nachher noch sehr lange mit den Tränen kämpfen.