almis personal blog

San Remo

Die San Remo Woche ist zuende.

Auf Facebook schrieb jemand: “Hey, da werden heute 30 Songs präsentiert, ich schaue seit 25 Minuten zu und es lief erst ein Song.” Ja, harhar, so ging es mir beim ersten Mal zuschauen auch, das ist ganz normal. Denn San Remo ist weniger ein Musikwettbewerb als ein Volksfest und Stress hat da kein Mensch, es dauert jeden Abend so bis zwei oder drei Uhr früh. Es treten ja nicht nur die Teilnehmenden selbst auf, sondern auch Haudegen aus der Vorzeit, die dann mit den aktuellen KandidatInnen Duette singen (zum Beispiel Giannia Nannini, Umberto Tozzi etc), wie auch eine Menge anderer Promis quer durch den Gemüsegarten – heuer zum Beispiel John Travolta oder Russell Crowe. Es gibt den gespielten Witz, es wird gelabert und politisiert, fast alles nur auf Italienisch, obwohl auch viel internationales Publikum zusieht.

Jemand anderer schrieb: “Oh il Volo haben jetzt einen Stylisten!” Und das heißt meiner Meinung nach soviel wie: Sie tragen Kleidungsstücke, die sie sich selbst nie ausgesucht hätten. Mahmood trägt Sachen, die er sich ganz sicher selbst ausgesucht hat und hat mit Tuta gold schon wieder einen potentiellen Siegertitel, ein wirklich toller Song, andere Länder nähmen ihn mit Handkuss, aber Italien denkt sich wurscht, haben wir nicht notwendig; Mahmood verfehlt das Finale der Top 5 knapp. Auch Diodato – der in der Pause draußen vor der Halle einfach mal Singing in the rain vorträgt – hat einen schönen Song, Ti muovi. Auch wenn er sowas von gar kein Wettbewerbssong ist. Diodato kommt raus, fängt an zu singen und setzt sich erstmal auf die Stiege. Einen Song mit einer derartigen Energie kann man kaum zum ESC schicken, weil ESC-Songs eine gewisse Urgenz haben müssen, um irgendwie zwischen den vielen Konkurrenten zu bestehen, aber schön ist er. Disclaimer: Ich weiß natürlich, dass San Remo in erster Linie San Remo ist und kein Auswahlverfahren für den Songcontest.

Ein gewisser Geolier singt I p’me, tu p’te. Ich verstehe weder den Titel noch viel vom Text und mache mir um meine Italienischkenntnisse Sorgen, komme aber dann dahinter, dass er im sizilianischen Dialekt singt. Sowas hat Italien schon mal gebracht, als sie 1991 vermeiden wollten, den ESC zwei Jahre in Folge zu gewinnnen und extra etwas mega Sperriges auf die Bühne gestellt haben (Peppino di Capri, Comme è ddoce ‘o mare) . Und selbst mit so etwas wurden sie dann Siebenter. Der Song von Geolier wirkt extrem frisch und modern. Annalisa wiederum trägt sehr schöne Strapse (oder wie man das nennen soll) und wird mit dem ziemlich eingängigen Sinceramente als Favoritin gehandelt. Es herrscht nämlich eine gewisse Erwartungshaltung, dass eine Frau diesmal San Remo gewinnt, weil das seit 2014 nicht mehr der Fall war.

Jemand schreibt: “San Remo sending a woman, also sending a fruit”. Denn ja, gewonnen hat dann eine andere Frau, nämlich Angelina Mango mit dem mutigen Titel La noia, zu deutsch: Die Langeweile, was ja zu Kalauern geradezu einlädt. So richtig warm bin ich mit dem Song bisher allerdings noch nicht geworden, was nicht jetzt nix heißen muss, ich mochte Maneskin am Anfang auch gar nicht und die haben dann immerhin 2021 gesiegt. Mal sehen.

All of Us Strangers

Auf den Film All of Us Strangers freue ich mich schon seit Monaten. Zwar ist die Prämisse etwas eigen, ein Mann in seinen 40-er trifft seine toten Eltern, aber der Hauptdarsteller ist Andrew Scott, bekannt als Priester aus der zweiten Staffel von Fleabag und ihm zur Seite steht Paul Mescal, der in der Serie Normal People (nach dem Buch von Sally Rooney) spielte und voriges Jahr für Aftersun (wunderbarster Film 2022) für den Oscar nominiert wurde. Dazu laufend 1980er Jahre Musik – das Hauptthema ist The Power of Love von Frankie goes to Hollywood – ich meine, was soll da noch schiefgehen? Und wie sich rausstellt: So gut wie nichts.

Der Drehbuchautor Adam (Scott) lebt in einem seelenlosen, praktisch leerstehenden Hochhaus in London, das ehrlich gesagt ein bisschen so aussieht wie der zu trauriger Berühmtheit gelangte Grenfell Tower. Das Haus bewohnt anscheinend niemand außer ihm und ein gewisser Harry (Mescal). Eines Abends, als Adam gerade The Power of love hört, klopft Harry aus fadenscheinigen Gründen bei ihm an und möchte sich selbst einladen, mit dem scherzhaft dahingesagten, es wären “vampires at my door”, eine Anspielung an den FGTH-Song. Schon alleine diese Szene ist perfekt. An diesem Abend passiert aber nichts weiter. Am nächsten Tag fährt Adam zum Haus seiner Kindheit in einem Vorort und trifft dort ziemlich unvermittelt seine Eltern wieder, die bei einem Autounfall gestorben sind, als er 12 Jahre alt war. Bald darauf lädt er Harry zu sich ein….

Dieser Film ist ein emotionales und geheimnisvolles Kunstwerk. Warum Adams Eltern plötzlich wieder da sind – sie sind in dem Alter geblieben, in dem sie verstorben sind, also mittlerweile jünger als Adam – wird nicht thematisiert, als er mit ihnen seine Kindheit aufarbeitet. Das alles ist sehr berührend und ehrlich und mehrdimensional, denn das Verhältnis von Adam zu ihnen war nicht friktionsfrei. Noch stärker fand ich persönlich allerdings die Szenen mit Adam und Harry, die beiden sind “queer” wie es der um einiges jüngere Harry ausdrückt, während Adam es “gay” nennt und sie führen in dem Film keinen einzigen überflüssigen Dialog. Die beiden sprechen nur über die wichtigsten Dinge im Leben und das auf eine so aufmerksame und sensible Art und Weise, dass man eigentlich als Zuseher selbst am liebsten in ihrer Nähe sein würde. Harry wirkt dabei wie der humorvolle Fels in der Brandung, während Adam oft komplett von seinen Gefühlen überwältigt wird.

Viel mehr kann man von diesem Film nicht verraten. Die Dialoge sind teilweise sehr witzig, teilweise gehen sie einem durch und durch. Im Kinosaal wird viel geschluchzt. Alle vier Protagonisten spielen stark und glaubwürdig. Ja, vielleicht kann man sagen, dass manche Dinge nicht ausreichend erklärt werden, manches wenig plausibel ist – aber wie plausibel kann schon erklärt werden, dass jemand plötzlich seine toten Eltern wiedertrifft? Ich würde den Film trotzdem auf keinen Fall als Fantasy bezeichnen, auch wenn er diese “übersinnliche” Komponente hat (wobei ich das hier auch nicht so nennen würde). Vieles funktioniert auch über spezielle Bilder und Kameraperspektiven. Wenn man im Kino nach Filmen sucht, die keine Fragen offen lassen und am Ende alles abgeschlossen ist, dann ist man hier komplett falsch. Dieser Film wirkt so sehr nach, eigentlich fängt er nochmals an, als er zuende ist, weil man über so vieles nachdenken muss, das rätselhaft geblieben ist. Vielleicht auch über sein eigenes Leben.

Das ist außerdem der zweite Film in zwei Monaten (nach Saltburn) in denen die Protagonisten einen Pet Shop Boys Song singen.

Der Trailer:

Nochmal Milch

Apropos umstrittene Kuhmilch: Dagegen hatte ja Joaquin Phoenix eine Rede gehalten, als er seinen Oscar für The Joker erhalten hat. The Joker habe ich vor kurzem nach 20 Minuten abgebrochen, weil wenn ich ihn weiter angeschaut hätte, hätte ich vermutlich meinen Lebenswillen verloren. Na ja, jedenfalls hat Phoenix damals im Zuge einer eher schwer nachvollziehbaren Assoziationskette moniert, dass wir Menschen den Kälbern die Milch wegtrinken. Das fanden damals viele ganz toll. Mich hat es eher ratlos zurückgelassen.

Es gab da ja diesen Eröffnungsmonolog von Ricky Gervais bei den Golden Globes, in dem der sehr freche Gervais – nachdem er alle die Anwesenden quasi auf ihre Freundschaft mit Jeffrey Epstein angesprochen hatte, was nur wenige lustig fanden – die nun folgenden Preisträger ersuchte: “Do not use this as a platform to make a political speech. You know nothing about the real word”. Denn: “Most of you did spent less time in school than Greta Thunberg and are in no position to lecture the public about anything.” Zusammenfassend: “So if you win, come up, accept your little award, thank your agent and your god and f*** off. Okay?” Das fand ich herrlich.

Sonntags im Kino

Als ich am Sonntag im Gartenbau Kino war, sind zwei Dinge passiert.

Vor einigen Tagen hab ich auf Facebook einen Post gelesen, in dem es darum ging, wieso man nicht “normale” Milch und Hafermilch sagen soll, weil Kuhmilch mittlerweile auch verpönt ist und man soll sie nicht zum Maß aller Dinge machen. Während ich das Posting las, tauchte quasi oberhalb von mir so eine Comic-Denkblase auf, in der in großen Buchstaben “What the fuck” geschrieben stand. Tut mir leid, aber die Diskurse derzeit pack ich teilweise echt nicht mehr. Na jedenfalls habe ich an der Bar des Kinos gehört, wie der alternativ aussehende Hipster Barista seinen Kunden fragte: “Wollen Sie Hafermilch oder normale?” Und das fand ich wunderschön. Harhar.

An der Kinokasse hat die Dame vor mir gefragt, ob es noch Maestro spielt und wann wieder und die Kassiererin konnte ihr keine zufriedenstellende Auskunft geben und war jetzt auch nicht unbedingt motiviert, über Vorstellungen in anderen Kinos nachzudenken. Da ich aber quasi täglich das Programm des Votivkinos scanne – es ist wirklich zu meinem Lieblingskino geworden, weil es sich aus verschiedenen Gründen geborgen für mich anfühlt – weiß ich, dass der Film dort noch auf dem Programm steht. Ich wundere mich also einerseits ein bisschen, dass es Menschen gibt, die weder mit der Kulturtechnik der Internetsuche, noch mit der oldschool Zeitungsrecherche vertraut sind, checke aber trotzdem schnell mein Handy und gebe der Dame die Information weiter, wann der Film dort auf dem Programm steht. Sie ist dankbar und fragt mich, ob ich den Film empfehlen kann. Die Verantwortung überfordert mich etwas, aber ich versichere ihr zumindest, dass er mir gefallen hat.

Ach ja, ich habe im Gartenbau Groundhog Day (nochmal nach 30 Jahren) gesehen und hatte die extrem amüsante Szene vergessen, in der Phil (Bill Murray) Rita (Andie Mac Dowell) fragt, was sie studiert hat und diese mit “19th Century French Poetry” antwortet und er prustend: “What a waste of time”. Aber nachdem wir wissen, dass der Film eine Karthasis mittels einer Zeitschleife ist, wissen wir, dass Phil dann perfekt französisch lernt und irgendwann Jaques Brel im Original zitiert. Habe gestern übrigens nachgelesen, dass Phil schätzungsweise mindestens 30 Jahre, eher länger, in dieser Schleife feststeckt. Uahh, das war mir nie so bewusst.

Blick in den Stadtpark, 4. Februar 2024

Zum Zeugnis

Am Freitag gab es ja wieder mal ein Zeugnis und das Kind hat erstmals einen Einser in Mathe. Er war in dem Fach ja immer schon ziemlich gut, aber der Zeugnis-Einser ist neu, im Gymnasium.

Er so: Davon hast du immer geträumt, gell?

Ich: Geh bitte, davon hab ich niemals in meinem Leben geträumt. Ich hab von Vierern geträumt, ich hab davon geträumt, keine Nachprüfung machen zu müssen. Nicht sitzenzubleiben, davon habe ich geträumt. Aber von einem Einser echt nie.

Klingt wieder wie Koketterie, ist es leider aber auch diesmal nicht. Harhar.

Lanthimos/Payne

Weil im letzten Monat neue Filme von Yorgos Lanthimos (Poor Things) und Alexander Payne (The Holdovers) herausgekommen sind, habe ich – wie bei Sofia Coppola – zwei ältere Filme von beiden angesehen, quasi zum Vergleichen.

The Favorite, der vorletzte Film von Lanthimos, läuft gerade auf Netflix und für Lanthimos-Verhältnisse ist er schon recht mainstreamig. Aber nur für dessen Verhältnisse. Nach normalen Maßstäben gemessen, ist der Film extrem desolat, abseitig und sperrig. Natürlich ist er (wieder verhältnismäßig) lustig, aber mir ist es bisher bei jedem seiner Filme außer Poor Things so gegangen, dass sie mich wahnsinnig hinuntergezogen und deprimiert haben. The Favorite ist sehr künstlerisch und hat mit Emma Stone, Olivia Colman und Rachel Weisz beeindruckende Schauspielerinnen, die alle für den Oscar nominiert waren (Stone, Weisz) bzw. ihn auch gewonnen haben (Colman). Und wie Pia Reiser im FM4 Filmpodcast gesagt hat, “erstaunlich, dass das jemand finanziert hat, drei Lesben und keine Männer” harhar. Er hat tolle Bilder und Stimmungen – und doch muss ich den Film echt nicht nochmal sehen, er ist in keiner Weise “uplifting” und ich hab es ja schon sehr gerne, wenn ein Film mir auch irgendwie etwas Positives mitgibt, auch wenn es nur ein Hauch der Hoffnung ist. Da hat sich Lanthimos bei Poor Things sehr verändert, den ich wirklich auch als sehr untypisch lebensbejahend und selbstermächtigend empfunden habe.

Von Alexander Payne hab ich mir Sideways im Votivkino angesehen, da gab es ein kleines Payne-Special. Es hat geschüttet und ich war waschelnass, als ich ins Kino gekommen bin, habe mich dann an der Kinoheizung gewärmt und als ich heimgefahren bin, hat es wieder geschüttet und ich war noch nasser, aber der Film hat trotzdem so ein schönes wohliges Gefühl bei mir hinterlassen. Ich habe Sideways 2004 im Kino schon mal gesehen, konnte mich aber an wenig erinnern, außer daran, dass es um eine Fahrt von zwei Freunden durch die kalifornischen Weinberge geht, dabei lernen sie zwei Frauen kennen und es ist alles recht weird. Aber nicht in der Lanthimos-Schrägheit, sondern mehr so schrullig und sehr menschlich. Miles, der von Paul Giamatti in Sideways gespielt wird, ist ein netter Mensch mit Abgründen. Er schreibt seit Jahren an einem 700 Seiten Roman, trinkt zu viel, er liest fragwürdige Magazine, er kommt über seine Scheidung nicht hinweg. Er kämpft mit dem Leben. Paul, den Giamatti in The Holdovers spielt, ist im ersten Moment ein Unsympathler, bis man draufkommt, dass er eben genauso mit dem Leben kämpft, auch trinkt, auch traurig ist, er zeigt es nur anders als Miles. Aber weil es Payne ist, gibt es immer dieser Silberstreif am Horizont, der uns sagt, es wird vielleicht nicht alles super werden, aber besser, besser wird es werden. Ich mag das.

Glücklich machen

Ich diskutiere mit dem Kind über eine Sache.

Irgendwann sage ich zu ihm: Ok, dann mach es so, aber da wird xy nicht glücklich darüber sein.

Er: Man kann im Leben nicht alle glücklich machen.

Toll, er hat diese Erkenntnis mit 16 Jahren, ich habe dafür 50 Jahre gebraucht. Hoffe ich zumindest, ich habe ja noch zwei Jahre bis dahin. Harhar.