Letztens habe ich im Kino The Seed of the Sacred Fig gesehen, ein sperriger Titel, auch im Deutschen nicht weniger – “Die Saat des heiligen Feigenbaums”. Dieser Film ist etwas außerhalb meiner Kino Komfortzone gelegen, weil ich sehe lieber fiktionales und brauche auch oft einen gewissen Ausbruch aus dem Alltag. Und das ist der Film eindeutig nicht, ganz im Gegenteil: Das ist ein sehr arger, schwerer Film, weil man eben auch weiß, dass die Geschichte zwar erfunden, die Verhältnisse, die er er beschreibt, aber tatsächlich Realität sind. Und man merkt es auch daran, dass Regisseur Mohammad Rasoulof den Film nicht nur geheim drehen musste, er musste danach sogar aus seinem Land, dem Iran, fliehen.
Es geht in diesem Film um die Familie eines iranischen Juristen, der eben zum Ermittlungsrichter befördert wurde und das gerade in einer Zeit der landesweiten Proteste im Jahr 2022 gegen das autoritäre Regime, was seine Familie auch einer nicht unbeträchlichen Gefahr aussetzt – sie müssen umziehen und sich an recht strenge Verhaltensregeln halten. Seine zwei (fast) erwachsenen Töchter verfolgen die Geschehnisse auf Social Media – im Film sind immer wieder echte Videos aus dieser Zeit zu sehen – und beginnen gegen das System und damit auch gegen ihren Vater zu rebellieren, als im eigenen Haushalt plötzlich die Dienstwaffe des Vaters verschwindet…
MILDE SPOILER MÖGLICH
Was ich sehr gut an diesem Film finde, ist die wirklich differenzierte Gestaltung seiner Protagonisten. Weil es wäre sehr leicht gewesen, Vater Imam als unsympathischen Despoten zu schildern und die Mutter Najmeh als passive “Erfüllungsgehilfin.” Tatsächlich ist Imam sehr gläubig und hat einen strikten Ehrenkodex, er ist aber auch ein liebevoller Vater, der anfangs auffallend defensiv und komplett aggressionslos gezeichnet wird und mit den Frauen auf Augenhöhe kommuniziert, auch Verständnis für andere Meinungen zeigt. Und Najmeh ist natürlich eine konservative Ehefrau, die gelernt hat, dass der Mann in der Familie die uneingeschränkte Autorität hat, aber sie versteht, auch wenn sie sich dagegen zu wehren scheint, dass ihre Töchter in einer anderen Zeit aufwachsen und sich viele Dinge nicht mehr gefallen lassen wollen.
Im Prinzip ist die Familie ja nicht per se “rückschrittlich”. Die Töchter besuchen höhere Schulen bzw. studieren, sie sind am Handy und gehen shoppen und leben in gewisser Weise so wie auch anderswo junge Frauen leben. Dennoch ist ihnen nur ein bestimmtes Leben zu leben erlaubt. Streng verboten ist es natürlich, ihr Haar in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dass in diesem Film iranische Frauen ohne Schleier gefilmt werden (nämlich im Privathaushalt) bedeutet im “wirklichen Leben” große Schwierigkeiten für die Schauspielerinnen. Und hier verschwimmt dann die Fiktion endgültig mit der Realität. Dass ein Film, der über die Grenzen der Freiheit, vor allem für Frauen erzählt und gleichzeitig wegen Überschreitung von Grenzen quasi auf den Index gestellt wird, das ist schon sehr schmerzende Ironie.
Mir persönlich ist vor allem die Szene in Erinnerung geblieben, als die ältere Tochter, Rezvan, sich die Fingernägel lackieren will und die Mutter es ihr verbietet, mit dem Hinweis, sie könne später einmal, wenn sie verheiratet sei, ihren Mann um Erlaubnis dazu bitten. Und Rezvan antwortet sinngemäß, das wäre also ihr Schicksal, zuerst sagt ihr die Mutter, was sie zu tun hat und später ihr Mann. Wann werde sie das tun können was sie selbst möchte? Das ist schon arg, so etwas im Jahr 2025 zu hören.
The Seed of the Sacred Fig fängt dort an, wo Mond der österreichischen Regisseurin Kurtwin Ayub aufhört. Ihre Themen sind ähnlich, bleiben aber künstlerisch-schemenhaft, während bei Rasoulof wirklich alles auserzählt wird, was noch kein Qualitätskritierum an sich ist. Der Film erschüttert in seiner Unbarmherzigkeit allerdings auf jedenfall sehr. Übrigens ist The Seed of the Sacred Fig der deutsche (sic!) Beitrag zum sogenannten Auslandsoscar.