So, nun zum neuen Roman von Doris Knecht. Doris Knecht hat sich bereits in ihrem letzten Buch Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe ein bisschen in Richtung Autofiction a la Annie Ernaux entwickelt. In diesem Buch hat sie vom Auszug ihrer Töchter und dem Empty Nest erzählt, in ihrem neuen Roman Ja, Nein, Vielleicht geht es quasi weiter.
Die Protagonistin lebt nun ihr Leben zwischen Wien und dem Haus im Waldviertel und ist sehr zufrieden. Die erwachsenen Kinder haben alles im Griff, sie schreibt, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, trifft sich mit Freunden, genießt das Landleben, die Gartenarbeit und ihren Hund. Sie hat auch einen “Johnny”, der so etwas wie ein Friend with benefits ist, glaub ich zumindest, es bleibt etwas nebulös. Da trifft sie zufällig Friedrich wieder, einen Mann, mit dem sie 25 Jahre zuvor auch eine gewisse “Geschichte” hatte, aber zusammen waren die beiden nie. Und nun stellt sich für die Protagonistin die Frage: Was möchte sie? Will sie sich nochmal auf eine “richtige” Beziehung einlassen? Und zu welchen Bedingungen?

Dieser Roman ist in erster Linie eine Reflexion über die romantische Liebe an sich, also die Liebe abseits von gewissermaßen Notwendigkeiten. Die Protagonistin stellt sich die Frage, wozu sie als Frau mit Mitte 50 jetzt überhaupt noch eine Beziehung “braucht” – das Thema Kinder und Familie ist für sie ja bereits lange abgeschlossen. Sie hat, was sie möchte, sie ist finanziell unabhängig, sie verfügt über genügend soziale Kontakte und, nicht zu vergessen, da ist wieder die Freiheit, das Leben so zu gestalten wie sie das will. Sie muss nach 20 Jahren Kinderbetreuung – einen nicht unbeträchtlichen Teil davon alleinerziehend – keine Kompromisse mehr eingehen und sich nach niemandem richten.
Sie denkt über eine Freundin nach, die sich gerade verlobt hat, “Ich weiß, was nach diesen Liebeshighs kommt. Das ist kurz fantastisch, das hält nicht an (…) Dahinter wartet Enttäuschung, Gewöhnung und eine gute oder schlechte Komplizenschaft. Im besten Fall eine ruhige verlässliche Liebe, im schlechteren Langeweile, im schlimmsten Zurückweisung, Gleichgültigkeit, Hass.” (S. 55)
Einmal fragt sie diese Freundin, wenn jetzt wieder bei ihr, der Protagonistin, ein Mann im Haus wäre, wo würde der sitzen, was würde er tun? Und die Freundin antwortet so auf die Art, nun ja, er könnte uns Drinks mixen harhar. Tatsächlich erinnert sich natürlich auch die Protagonistin daran, was gut war, an der Liebe, an einer Partnerschaft, das Gefühl, geborgen zu sein, diese Nähe und Intimitität zu verspüren, wie es damals temporär mit diesem Friedrich war: “(…) wir wollten nur miteinander ins Bett und dann nackt nebeneinanderliegen und uns Sachen aus unseren Leben erzählen. (…) Dabei vielleicht was trinken, viele Zigaretten rauchen und dann vielleicht nochmal miteinander schlafen”
Aber auch das Gefühl, dass zu wenig zurückkommt, dass sie nicht so geliebt wurde, wie sie es gebraucht hätte, das ist ganz schnell wieder da. Kurz nach dem ersten Wiedersehen schickt sie Friedrich abends eine Nachricht und dreht dann das Handy ab:
Am nächsten Morgen wache ich auf und finde mich plötzlich wieder an diesem inneren Ort, an dem ich nie wieder hinwollte: an einem Ort, wo ich die Nachricht eines Mannes erhoffe. Ich kenne diesen Ort gut. Es ist ein Ort, dessen Landschaft sich von heute auf morgen von einem blühenden Hügel mit idyllischem Ausblick in ein kaltes, schlammiges Tal verwandeln kann (…) dort verknüpfen sich mein Wohlbefinden (…) mein Selbstwert untrennbar mit dem Blick eines Menschens auf mich, der nicht ich bin (….) Ich war dort schon zu oft, ich weiß nicht, ob ich da nochmal hinwill.
Ja, Nein, Vielleicht Seite 46.
Ja, nein, Vielleicht ist ein leicht lesbarer, streckenweise ziemlich amüsanter Roman über eine selbstbestimmte, auch sehr reflektierte Frau. Er enthält erstaunlich viele sehr poetische Betrachtungen, die einfach für mich wunderschön beschreiben, wie man sich so mitunter fühlt, in diesem Alter, nach dem vielen Leben, das man schon hinter sich hat, den Erfahrungen, die man gemacht hat, auch den Tränen und dem Schmerz und dem Bewusstsein, dass das alles gar nicht so einfach ist, wie man sich das gedacht hat, als man sich das allererste Mal verliebt hat.
Eine universelle Antwort gibt Knecht nicht, aber sie findet die Anwort für sich. Diesen Bewusstseinsbildungs-Prozess mitzuerleben, das ist höchst spannend.