almis personal blog

In die Sonne schauen

In die Sonne schauen ist die diesjährige deutsche Einreichung für die Oscar-Kategorie “Best international Film.” Es handelt sich um das zweite Werk der Regisseurin Mascha Schilinski und ich habe den Film im immer gemütlichen Cinecenter gesehen.

Der Film umspannt in zweieinhalb Stunden einen Zeitraum von über 100 Jahren, ab 1910 bis in die Gegenwart und erzählt von vier Familien, vor allem vier Mädchen bzw jungen Frauen, die in verschiedenen Jahrzehnten auf demselben Vierkanthof in Norddeutschland aufwachsen und deren Schicksale merkwürdig ineinander verwoben zu sein scheinen…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

So, ich werde jetzt mal bekennen, welche Vorurteile ich hier hatte, harhar. Deutscher Film, trübes Wetter, alles sehr ernst, ein Jahrhundert mit zwei Kriegen umspannend und über zweieinhalb Stunden lang, da habe ich mir sehr viel Elend und Bräsigkeit (um ein typisch bundesdeutsches Wort zu verwenden) erwartet. Ich will jetzt nicht sagen, dass dieser Film das Prädikat “feelgood” verdienen würde, das tut er nicht, er ist schon ziemlich dunkel und die Regisseurin/Drehbuchautorinnen scheinen eine merkwürdige Todessehnsucht zu haben, harhar. Aber- und das sage ich nicht oft: Hier hatte die Regisseurin eine wirkliche künstlerische Vision, die ich zwar nicht zur Gänze verstanden habe, die mich aber tief beeindruckt und fasziniert hat. Vor allem deswegen, weil sie eben nicht das macht, was man sich von dieser Art von Film erwartet, sondern wirklich Kunst – ohne dabei prätentiös zu sein.

Beschreiben kann man das gar nicht so leicht. Der Film zeichnet sich auch weniger durch eine durchgehende Narration aus, sondern ist viel mehr eine Collage, deren zeitliche Ebenen immer wieder wechseln, ein Mosaik aus rätselhaften Stimmungen und an Ungesagtem, mit einem gewissen Ausmaß von generational Trauma und natürlich auch an den gesellschaftlichen Zwängen der jeweiligen Zeit. Gleich am Anfang wohnen wir einem Totengedenken bei (wie könnte es anders sein) und die kleine Alma entdeckt auf einer Totenfotografie (!) ein Mädchen, das gleichalt ist wie sie gerade und auch genauso aussieht. Und wir als Zuschauer fragen uns, befinden wir uns jetzt in einer Phantasie? Oder ist das eine verstorbene Schwester, die nicht thematisiert wurde? Ist Alma quasi ein “Ersatz”? Irgendwie bekommt man dabei Gänsehaut, man ist aber auch gleichzeitig seltsam angezogen. Und dieses Gefühl begleitet einen durch den Film, sehr viele Szenen sind nicht auserzählt, sondern nur geheimnisvoll angedeutet. Findet man einen roten Faden, muss man diesen überhaupt suchen?

Wie schon in Sentimental Value spielt hier das Haus eine große Rolle. Was haben diese Mauern schon “gesehen” und wird etwas davon weitergegeben, ein gewisser Geist auch wenn man 30, 70, 100 Jahre später darin wohnt? Wenig Rolle spielen hingegen Männer, sie werden – einmal umgekehrt – vor allem aus dem Blickwinkel von Mädchen und Frauen gezeigt. Ein Blick, der sehr oft durch Schlüssellöcher und Fenster fällt, der da ist, wo er nicht sein sollte. Wenig Rolle spielen auch die Nationalsozialisten eine besonders interessante Entscheidung, eine fast revolutionäre Idee, das hier wegzulassen, obwohl der 1. Weltkrieg und die DDR Zeit sehr wohl einbezogen wird. Neben der suggestiven Bildsprache werden viele Sätze gesprochen, die lange nachhallen wie (eigentlich über eine Amputation) “Schon komisch, dass einem etwas wehtun kann, was gar nicht mehr da ist.” Wer fühlt das nicht, Dinge, die wehtun, obwohl sie nicht mehr da sind.

Ich sage es, wie es für mich ist: das ist ein wirklich großartiger Film.