almis personal blog

Charlie Kirk

Ich habe heute viele Think Pieces und Tweets zu Charlie Kirk (den ich bisher nur flüchtig kannte) gelesen. Ich möchte zwei hervorheben, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Der erste von Faika El-Nagashi, einer ehemaligen Wiener Grün-Politikerin, die erst vor wenigen Monaten ihre Partei verlassen hat, weil sie von den eigenen Kollegen für ihre “abweichende Ansichten” angegriffen wurde.

Der zweite kommt von Geoff Norcott, einem englischen Comedian und es ist kaum zu glauben, aber wirklich wahr.

Ich könnte da jetzt einen ordentlich Rant anhängen, aber es ist mir heute zu unerträglich, mich näher damit zu beschäftigen.

Was besser ist, an Voltaire erinnern. Zeitlos gültig.

Die Dauer der Liebe

Ich habe das Feedback bekommen, dass meine Buchbetrachtungen recht beliebt sind. Danke. Ich muss aber zugeben, ich tue mir viel leichter damit, über Filme zu schreiben als über Bücher. Ich bin noch dabei zu ergründen, warum das so ist. Weil nach fünf Jahren Basisstudium “Deutsche Phliologie” und einem f**cking Jahrzehnt anschließendem Doktorratsstudium, sollte ich es ja doch (besser) können.

Jedenfalls mache ich es transparent und sage gleich, ich tue mir schwer, etwas über Sabine Grubers Roman Die Dauer der Liebe zu schreiben, aber etwas daran hat mich trotzdem enorm inspiriert. Es geht darum, dass Bruno der Lebenspartner der Protagonistin Renata, einer Südtirolerin, die in Wien lebt, überraschend stirbt und sie nun damit und mit anderen Dingen, wie etwa die Brutalität von Brunos (Nordtiroler) Familie fertig werden muss. Es geht um Geldgier, Respektlosigkeit, ja Hartherzigkeit. Ich finde den Roman formal um einiges überzeugender als inhaltlich. Es war mir über weite Strecken zu schwer und erdrückend, aber gleichzeitig auch zu distanziert, was irgendwie ein Widerspruch zu sein scheint, für mich in diesem Fall aber nicht ist.

Es bedarf einer übermenschlichen Anstrengung, nicht dauernd zu denken: Die (Nord)Tiroler sind ein eigener Menschenschlag (harhar) und die Südtiroler aber eh auch, es wird wirklich so eine Art Binarität hergestellt. Ich kenne Nordtirol kaum, fast nur vom Durchfahren, ich kenne Südtirol ziemlich gut und ich finde, Gruber trifft den Vibe schon ziemlich, den Vibe, dem ich irgendwie immer noch unschlüssig gegenüberstehe. Vielleicht ist auch einiges einfach “lost in translation” – und damit meine ich nicht Italienisch.

Letztendlich habe ich mich in der Art, wie Renata trauert, einfach nicht ganz wiedergefunden. Es war mir etwas zu wenig “Aufarbeitung” und Weiterentwicklung. Ich habe das Gefühl, wenn ich einen so tiefen, existentiellen Schicksalschlag erfahre, noch dazu völlig überraschend, dann werde ich auch ein bisschen ein anderer Mensch, und dafür brauche ich Zeit. Renatas Umgebung meint, das ginge alles viel zu langsam bei ihr, dabei sind erst ein paar Monate vergangen. Wieso hat sie nicht schon wieder eine neue Beziehung, fragen sie. Ich habe vor einiger Zeit mit einer Freundin gesprochen, die fragte mich etwas und ich sagte darauf “Drei Jahre” und sie, das ist ja nichts. Und ja. Insofern sind ein paar Monate wirklich gar nichts. Und schon ist Renata (wenn auch halbherzig) wieder auf Tinder. Mir gibt der Roman aber gleichzeitig auch ein bisschen das Gefühl, dass mich das überhaupt nichts angeht, harhar.

Was mich inspiriert hat, ist tatsächlich das Ende, der Verweis auf den Roman Der Horizont von Patrick Modiano, weil der hat über “Jahreszeiten in den Jahreszeiten” geschrieben. Solche Beobachtungen interessieren mich immer sehr. Es heißt: “Die Romanfigur liebe den Frühling im Winter. (…) den Nachsommer im Herbst (….)” Ok, auch irgendwie komisch, dass das beste jetzt der Verweis auf ein anderes Buch ist. Aber es ist auch nicht nichts. Harhar.

Die drei Tage des Condor

Aus der Rubrik: Filme, die meine Mama liebt. Etwas mit Agenten, wo aber nur ein bisschen geschossen, sondern eher “psychologisiert” wird. In diesem Fall: Die drei Tage des Condor, zu sehen auf Prime, auf dem Arthouse Kanal, den ich abonniert habe und liebe (unbezahlte Werbung)

Joseph Turner (Robert Redford), Codename Condor, ist Mitarbeiter in der Literaturabteilung (!) des CIA, die sich damit befasst, internationale Romane, Erzählungen, Artikel nach bestimmten Gesichtspunkten auszuwerten, nämlich danach, ob sie Strategien enthalten, die für den Geheimdienst von Nutzen sein können. Eines Tages geht Turner das Mittagessen für alle holen und als er an seinen Arbeitsplatz zurückkommt, macht er eine schreckliche Entdeckung…

ACHTUNG WIE IMMER EINIGE SPOILER

…seine Arbeitskollegen wurden in seiner Abwesenheit allesamt erschossen. Ich schwöre, das ist die beste Agentenfilm Prämisse, die man sich vorstellen kann. Weil als Zuschauer kriegt man sofort extreme Paranoia, die einen auch bis zum Ende nicht mehr verlässt. Denn eines ist klar, “sie” – wer auch immer “sie” sind – wollen natürlich auch Turner töten.

Und weil das ein Film von Sydney Pollak ist, ein Film des “New Hollywood”, einer filmischen Schaffensperiode, die gesellschaftskritisch ist und die bisherigen Genres modernisiert oder dekonsturiert, die ambivalente “Helden” ins Zentrum stellt, geht es hier nicht darum, dass Gut gegen Böse kämpft; sondern (vermeintlich) Gut gegen (vermeintlich) Gut, sofern man einen Geheimdienst als gut sehen möchte und da beginnen schon die Probleme. Nach ein paar Szenen und flotten Wendungen ist Turner klar; das war ein Inside Job. Weil genau er etwas aufgedeckt hat, was er nicht aufdecken sollte. Und das macht den Film natürlich auch enorm hoffnunglos, denn wohin soll sich Turner nun wenden? Von wem kann er sich Hilfe erwarten? Ist sein Überleben überhaupt noch eine Option?

Was mir bei diesem Film sofort aufgefallen ist, ist das handwerkliche Geschick von Regisseur Pollak. Denn wie er es schafft, in den wenigen Anfangszenen im Büro zu erreichen, dass man eine Verbindung zu den Angestellten dort aufbaut, die ja bald danach erschossen werden, was uns Zuschauern ja möglichst nicht wurscht sein soll, das ist schon erstklassig. Abgesehen davon wird auch Turner sofort und ganz nebenbei charakterisiert. Er kommt zu spät, “schon wieder”, trotzdem mögen ihn alle, sie lächeln nachsichtig über ihn, er ist beliebt. Turner sieht alles ein bisschen lockerer, er verlässt das Gebäude regelmäßig durch den Hintereingang, was streng verboten ist. Botschaft: Er hat ein entspanntes Verhältnis zu (für ihn sinnlosen) Regeln. In einem beiläufigen Dialog erfahren wir auch sofort, dass er Schwierigkeiten damit hat, niemand erzählen zu dürfen, was seine tatsächliche Tätigkeit ist. Das alles passiert in den ersten vielleicht zehn Minuten und zwar ohne, dass uns ein Voice Over Erzähler oder irgendwelche patscherten Monologe das vermitteln müssen. So wie es im Film auch sein sollte: Show, don’t tell.

Ich mochte auch sehr die Besetzung, ich mein Redford eh klar, aber auch Faye Dunaway, die er zu einer Komplizin wider Willen macht und Max von Sydow als Auftragsmörder mit Prinzipien. Eine Figur, die fast gar nicht fassbar ist und der man sich trotzdem (oder deswegen) kaum entziehen kann. Und: Bitte wie cool ist die Arbeit in dieser Literaturabteilung? Also abgesehen von dem extrem hohen Berufsrisiko, das damit verbunden ist. Aber den Job an sich stelle ich mir super vor, harhar.

Und weil wir hier einen New Hollywood Film sehen, bleibt das Ende vage.

Erste Woche

Die erste Schulwoche ist geschafft. The hard part is truly over, harhar.

Ich so, in den Ferien: Ich schlafe ur gut!

Ich so, sobald die Schule wieder begonnen hat:

Das hellblaue ist “leichter Schlaf” ähm. Das pink sind Traumphasen. Und der Höchswert wäre 100.

War wohl irgendwie zuviel los mit Blick auf den Start der Maturaklasse und ganz viele semi-wehleidigen, Gefühle. Aber der Elternabend war sehr erfreulich. Bevor er begonnen hat, meinte der Klassenvorstand so, er müsse noch was zur Klassenreise im letzten Semester sagen und alle Eltern so: Gulp. Was kommt jetzt? Und er dann: Es war fantastisch. Alle waren ganz interessiert und pünktlich und verlässlich, wirklich toll. Die Eltern so: Ach sprechen Sie doch weiter! Harhar.

Am Wochenende dann etwas chillen im Garten.

Erwartung des Gegrilltem, Notizbuch immer griffbereit (links), Herbstlicht

Nach dem Essen und dem Eis haben wir Formel 1 geschaut. Das heißt, ich habe den spannenden Start angesehen und dann auf der Liege ein Nickerchen gemacht (Defizit aufholen), bis die anderen so laut wurden, dass ich wusste, es wird wieder interessant.

Das Kind war dann den Blutmond anschauen, auf einem kleinen Berg. Und ich habe noch viel geschrieben, an diesem Abend, und bei Julia Schicht gelesen: “Wir wissen nicht, was wir für jemand anderen in einem bestimmten Moment seines Lebens sind.” So ist es wohl.

Wieder besser geschlafen.

Jim

Aus ganz aktuellem Anlass, meine Jim Jarmusch Collection.

Da war er noch jung. Und ich auch harhar.

Ich habe wirklich viele, viele Stunden mit den dialog- und handlungsarmen Filmen von Jim Jarmusch zugebracht, ich kenne fast alles. In einer Rezension zu seinem Film Paterson habe ich mal gelesen, es passiere “peinigend wenig” in diesem (harhar) und das charakterisiert in weiten Teilen sein Gesamtwerk.

Am meisten los war vielleicht in der Italien-Sektion von Night on Earth, das ist wahrscheinlich auch sein bekanntester Film, in dem Jarmusch nächtliche Taxifahrten in fünf verschiedenen Städten schildert, Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki. Und in Rom ist halt der Taxifahrer Roberto Benigni und wer 1999 seine Oscarrede gesehen hat, kann sich den Hyperaktivitätslevel vielleicht vorstellen.

Mit Benigni drehte Jarmusch öfter, so wie auch mit Bill Murray, Tom Waits oder in letzter Zeit Adam Driver. Jarmusch ist ein richtiger Independent Regisseur, er behält die Gesamtkontrolle an seinem Werk, jeder Film ist quasi ein Director’s Cut. Und ich mag an ihm das Sperrige, sein Interesse für Gegenkultur, dass er mal Lyriker war (bzw ist) und dass ich immer das Gefühl habe, er macht die Filme, die er will, relativ egal, wie viele Leute das sehen wollen. Das finde ich sehr sympathisch und auch ok, wenn ich selbst manchmal weniger damit anfangen kann.

Jetzt habe ich schon ziemlich lange nichts mehr von ihm gesehen, weil es auch nur alle vier, fünf Jahre einen neuen Film gibt. Ich weiß nicht, ob ich ihn noch so rezipiere wie das mit 25 oder 30 Jahren der Fall war, also bin ich umso gespannter auf Father Mother Sister Brother, den Film, mit dem er heute Abend den goldenen Löwen in Venedig gewonnen hat.

Frühstück Florianihof

Leider aber auch endlich sind die Ferien vorbei, weil L. und ich haben uns wieder getroffen. Und zwar diesmal im (schon wieder) neueröffneten Florianihof.

Vor zwei Jahren bin ich die Florianigasse hinabgeschlichen, zu einem Orthopäden, der nach einer Fehldiagnose bei einem anderen Arzt meinen Bandscheibenvorfall heilen sollte – und das erfreulicherweise auch tat, ich bin ihm immer noch dankbar. Der Orthopäde ist ein paar Schritte weiter als der Florianihof und ich brauchte damals fast 40 Minuten von der U6 Station Josefstädterstraße dorthin, heute vielleicht sieben. Ähm.

Jedenfalls war das Cafe damals gerade neu übernommen worden und ist mir aufgefallen. Aber bereits jetzt hat es wieder den Besitzer gewechselt und hat eine echt ausgezeichnete Frühstückskarte und ein richtig nettes Ambiente (unbezahlte Werbung)

Die extra großen (ich brauchte keine Lesebrille!) Speisenkarten verheißen gutes. Lachs, Trüffel, Stracciatella, Pancakes, Porridge Egg Benedict und Royal, alles da und noch mehr.

Wir haben uns für die Avocado Bruschetta mit porchiertem Ei und hausgebeiztem Lachs entschieden und haben danach noch ein Beeren Porridge geteilt und es sah nicht nur toll aus, es war auch wirklich sehr gut.

Man beachte die tollen getrockneten Blumen in der Vase. Und daneben auch viele noch lebende Blumen.

So hübsch!

Wir haben uns wieder auf den aktuellen Stand der Entwicklungen in unserem Leben gebracht und sind dann die Florianigasse hinuntergebummelt, die ja vor Lokalen nur so wimmelt, zuerst der Tunnel, wo ich als Studentin sehr gerne Thunfischpasta gegessen habe und dann das Cafe Merkur, wo ich viele lustige und geborgene (späte) Sonntagsfrühstücke eingenommen habe. Hach.

Lange Leitung

Bisher lag meine längste Leitung bei irgendwas fünfeinhalb Monate, da ging es um Bruce Willis und seine Tochter Mabel.

Bruce Willis hatte nämlich 1997 einen Gastaufritt als er selbst in der Serie Mad about you. Er ist im Krankenhaus auf der Flucht vor Paparazzi. Am WC trifft er Paul, die männliche Hauptfigur aus Mad about you, der gerade auf die Geburt seines Kindes wartet und noch keinen Namen für das Mädchen hat. Er fragt Bruce Willis aus Inspirationsgründen wie denn seine Töchter heißen und Willis antwortet: “Rumer, Scout und Tallulah-Belle”. Und daraufhin Paul: “Ok, es wird uns schon noch etwas einfallen.” Harhar. Schlussendlich nannten sie das Mädchen dann Mabel. Im Jahr 2012 wurde Bruce Willis “in echt” noch einmal Vater einer Tochter und nannte diese, richtig: Mabel. Auf diesen Zusammenhang bin ich aber eben erst fünfeinhalb Monate später gekommen und zwar out of the blue, als ich gerade kochte oder so.

Nun habe ich eine neue längste Leitung, circa von irgendwann in den 1980er jahren bis heute. Harhar.

Heute lese ich nämlich so über den neuen Film von der superen Emmerald Fennell, der Wuthering Heights heißt und eine Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Emily Brontë ist. Er heißt auf deutsch Sturmhöhe, ich kenne den Roman aber nur vom Titel her. Jedenfalls lese ich dann so über den männlichen Protagonisten im Roman und Film namens Heathcliff, der von Jacob Elordi dargestellt wird.

Und dann überlege ich so und denke mir, hm, Heathcliff ist ja nicht so ein bekannter Name, zumindest nicht für uns deutschsprachige Menschen, den kenne ich doch aus einem Song. Ach ja, aus dem einem Song von Kate Bush, wie heißt der Song schnell nochmal….

….ja richtig, er heißt Wuthering Heights.

Also seit heute ist mir klar, dass Kate Bush’ Song Wuthering Heights tatsächlich von dem Roman handelt. Wer hätte das gedacht?? Nun vermutlich eh jeder außer mir, harhar, Gratulation.

Ein wenig Leben – Epilog

Noch etwas, was ein bisschen mit Ein wenig Leben zu tun hat, aber nur im Ansatz.

Das Titelbild des Romans zeigt das Foto “Orgasmic Man” von Peter Hujar. Ich finde ja eher, dass es nach Schmerz aussieht, aber Schmerz und Lust liegt ja manchmal auch nahe beieinander. Jedenfalls lese ich so den Namen Peter Hujar und plötzlich hatte ich so ein Aha-Erlebnis.

Denn: Der Regisseur Ira Sachs bringt heuer noch einen Film names Peter Hujar’s Day heraus. Sein Film Passages hat mich vor zwei Jahren so begeistert, dass ich ihn bei unserer Uncut Filmwertung auf Platz 2 des Jahres 2023 gesetzt habe (nach Oppenheimer und im kompletten Kontrast zu diesem). Ich mag Sachs’ Themen, den Look seiner Filme und ich mag seine Art, Charaktere zu porträtieren (auch den Orsch Peter Rogowski in Passages, boah ich hab ihn so gehasst harhar) Und der Trailer von Peter Hujar’s Day hat mir ur gut gefallen. Nur dachte ich bisher, das wäre eine fiktive Person, was doch eher peinlich ist und eine Bildungslücke ausweist. Aber naja.

Eigentlich sollte Peter Hujar’s Day beim Queerfestival im Votivkino laufen, aber anscheinend hat man sich das anders überlegt. Ich hoffe sehr, dass er einen normalen Kinostart bekommt, weil er beleuchtet, Nomen est Omen, einen Tag im Leben von Hujar (dargestellt von Ben Whishaw, der auch in Passages dabei war, aber als Sympathieträger) – Peter Hujar trifft die Autorin Linda Rosenkrantz in ihrem Apartment und wird von ihr gebeten, minutiös alles zu protokollieren, was er am 18. Dezember 1974 gemacht hat.

Im Trailer sagt Whishaw als Hujar: “I often have a feeling that in my day nothing much happens and I wasted it”. Und Rosenkrantz antwortet: “That’s why I’m doing this actually, to find out how people fill up their day.”

Ich finde das so interessant, ich muss diesen Film unbedingt sehen.

Ein wenig Leben – Gedanken 2

Zurück zum Roman Ein wenig Leben.

ACHTUNG WIEDER SPOILER MÖGLICH

Also bezüglich Trauma-Porn. Es geht in Ein wenig Leben vor allem um das Schicksal von Jude St. Francis und dieses Schicksal ist wirklich hart. Sein Leben als ausgesetzter Säugling ist bis zum Jugendalter gekennzeichnet durch schweren, wiederholten sexuellen und emotionalen Missbrauch, sowie durch erhebliche Körperverletzung, die aus ihm einen Versehrten machen. Diese Erfahrungen zerstören ihn so sehr, dass er sich als Erwachsener im Grunde selbst hasst und immer wieder, naja ritzt ist ein zu schwaches Wort, ich würde eher von Selbstverstümmelung sprechen, und das wird auch sehr ausführlich und detailliert geschildert.

Und hier liegt sowohl der extreme Erfolg, wie auch die große Kontroverse um diesen Roman begründet. Die einen finden das alles so tragisch, dass sie quasi mit dauerlaufendem Tränenfluss dieses Buch lesen, und teilweise auch irgendwie geläutert werden. Die anderen sehen sich manipuliert und meinen hier werde maßlos übertrieben. In der Sendung Das lesenswerte Quartett spricht Germanistin Insa Wilke von einem “populären Realismus”, in dem das außerordentliche gefeiert wird, um die formale Normalität zu überdecken. Also quasi, das Buch durch seine Übertreibung größer zu machen als es im Grunde wäre. Mir ist es, ganz ehrlich, auch zu viel gewesen und vor allem fand ich es enorm unglaubwürdig, dass Jude immer und immer wieder weiter missbraucht wird, durch jede neue Person, die in sein Leben tritt, jede Institution, auch solche, die ihn schützen sollten. Ich finde, Yanagihara hätte das gar nicht notwendig gehabt, weil ich die Art, wie sie erzählt, schon sehr gerne mag und ich denke, es hätte auch mit weniger drastischen Mitteln funktioniert.

Das Thema, bei dem ich persönlich länger hängengeblieben bin – und das auch kontrovers diskutiert wird – ist die Rolle der Freunde in diesem Roman. Die einen meinen, das ist so eine tolle Freundschaft, weil alle Jude unterstützen und für ihn da sind, also auch, wenn er sie mitten in der Nacht anruft und so weiter. Die anderen wiederum sind der Ansicht, dass es weniger Freundschaft als Co-Abhängigkeit wäre und irgendjemand Jude, der sich strikt gegen Psychotherapie wehrt, einmal hätte zwangseinweisen sollen, zu seiner Rettung. Stattdessen unterstützen sie ihn quasi eher in der Destruktivität. Das finde ich ein ganz schwieriges Thema – und wurde auch im Film Sterben voriges Jahr verhandelt. Weil was zählt mehr? Die Selbstbestimmung eines Freundes, auch – wenn man so will bis zu seinem sicheren Tod – oder die Einmischung in dessen Leben, zu seinem (scheinbaren) Wohle, was aber einer Entmündigung gleichkommt. Aber vielleicht ginge es ihm dann besser und er wäre mir dankbar dafür?

Die Autorin selbst “glaubt” offensichtlich nicht an Psychotherapie, bzw. will mit diesem Roman das Exempel statuieren, dass es Schicksale und Traumatisierungen gibt, die eben nicht therapiert werden können. Fair enough, aber die Alternative ist dann halt ziemlich dunkel, pessimistisch und im Grunde auch zerstörerisch. Oder ist es einfach realistisch? Ich bin da sehr nachdenklich geworden. Und insofern stimmt es schon, dass dieser Roman die Diskussion über sehr große Themen recht gekonnt anstößt.