almis personal blog

Der Wiener Kreis

Weil ich in der Nähe war, habe ich mir gleich die Ausstellung Orte des Wiener Kreises in der Wienbibliothek im Rathaus angesehen.

Ich dachte, das wird wieder so eine Mini-Ausstellung wie Karl Kraus vor einem Jahr, tatsächlich ist diese aber doch eine Spur umfangreicher und auch ansprechender gestaltet. Es gibt einen eigenen “Ausstellungsgang”, aka Kabinett, den man selbstständig abgehen kann, auch mit audiovisueller Unterstützung. Insofern empfehlenswert, wenn man in der Gegend ist und ein bisschen Zeit mitbringt.

Überraschend war für mich, hier auch die Musikerin Patti Smith zu sehen, die auf der Philosphenstiege der Hauptuni, wo Moritz Schlick, der Gründer des Wiener Kreises, 1936 erschossen wurde, eine Meditation ihm zu Ehren abgehalten. Eine Verbindung der beiden ist irgendwie skurill, die Google KI weiß gar nichts davon harhar, aber Smith hat tatsächlich sogar einen Kurzfilm über diese “Begegnung” mit Schlick gedreht.

Bei der Ausstellung werden, Nomen est Omen, die Orte porträtiert, an denen der Wiener Kreis tätig war. Es gibt in der Ausstellung dementsprechend verschiedene Sektionen wie unter anderem die Universität selbst, die Boltzmanngasse 6, wo das Mathematikinstut beheimatet war, das Kaffeehaus an sich (siehe auch Kaffeehausliteraten), die Privatwohnungen, das Palais Epstein und das Volksheim in Ottakring – alles Orte, an denen sich die Wissenschafter regelmäßig getroffen und ihre Gedanken ausgetauscht haben. Der Wiener Kreis wurde übrigens so genannt, um positive Assoziationen zum Beispiel zum “Wiener Walzer” zu evozieren.

Nebenbei wird auf vielen Schautafeln erklärt, worum es dem Wiener Kreis eigentlich ging, was aber schon eine recht komplexe Materie ist. Grundsätzlich verband die Teilnehmer “(…) der Versuch einer Verwissenschaftlichung der Philosophie mit den Mitteln der modernen Logik und das Bekenntnis zu den Werten der Aufklärung” (siehe wikipedia)

Viele, nicht alle, Protagonisten des Wiener Kreises wollten auch das Wissen quasi demokratisieren und unterstützen das Entstehen von Volksbildungsstätten und die Entwicklung von Volkshochschulen.

Der harte Kern des Wiener Kreises umfasste 19 Personen, interessant dabei war, dass auch Studenten und verhältnismäßige viele Frauen Teilnehmerinnen bei den Treffen waren.

Die Ausstellung wird sehr lebendig durch die Tagebuchaufzeichnungen einiger Teilnehmer wie Rudolf Carnap und Kurt Gödel, die über die Zusammenkünfte berichteten. Carnap notierte zum Beispiel: “Wittgenstein scharf gegen Popularisierung der Wissenschaft. Waismann dafür aufgrund seiner Volksheimerfahrung. Nachher beide gegen Okkultismus, Wittgenstein sehr heftig ” Und Gödel philosophierte: “Je mehr ich über Sprache nachdenke, desto mehr wundert es mich, dass die Menschen sich je verstehen”

Eine gewisse menschliche Note erhält das Ganze auch durch ein Zitat von Karl Popper, der dem Wiener Kreis nicht angehörte, allerdings, wie er sagte, nicht aus Ablehnung, sondern: “Tatsache ist einfach, daß Schlick mich nicht eingeladen hat, an dem Seminar teilzunehmen. Das war nämlich die Form, in der man Mitglied des Wiener Kreises wurde.” Irgendwie interessant, dass es in allen Gesellschaftschichten und quer durch die Bildungsniveaus Ressentiments und auch ein gewisses “Gatekeeping” gibt.

Letztendlich wurde der Wiener Kreis durch das Emporkommen der NSDAP und der Emigration vieler Proponenten langsam ausgehöhlt. Das Ende fand die Gruppe, wie gesagt, in der Ermordung von Moritz Schlick.

Funny Games

Ich habe bisher noch keinen Michael Haneke Film gesehen. Ich weiß, es ist arg, sich als Cineastin zu bezeichnen und Haneke zu boykottieren, weil man auf gewisse Weise Angst vor seinem Werk hat. Gestern habe ich es aber doch, mit viel Unwohlsein, endlich gewagt, weil im Arthouse Kanal gerade Funny Games läuft.

Funny Games erzählt die Geschichte einer gutsituierten österreichischen Familie, bestehend aus Mutter Anna (Susanne Lothar), Vater Georg (Ulrich Mühe) und dem Sohn Georg junior, genannt Schorschi (Stefan Clapczynski). Sie fahren mit dem Hund in ihr Landhaus, um ein paar unbeschwerte Sommertage zu verbringen, Golf zu spielen, und Ausfahrten mit dem Boot auf dem nahegelegenen See zu unternehmen. Die befreundeten Nachbarn, die sie beim Ankommen treffen, haben offensichtlich Besuch von zwei jungen Männern Peter und Paul. Peter (Frank Giering) kommt schon kurze Zeit später bei der Familie vorbei, um sich im Auftrag der Nachbarn Eier zu borgen, doch dabei handelt es sich nur um einen Vorwand, tatsächlich hat er ein ganz anderes Ansinnen…

ACHTUNG MASSIVE SPOILER

Nachdem ich jetzt also endlich diesen Film gesehen habe, habe ich eigentlich nur eine dringende, aber, wie ich finde, sehr sachliche und wohlreflektierte Verständnisfrage: Was soll dieser kranke Scheiß? Harhar.

Gut, der Fairness halber möchte ich sagen, dass man diese Frage auch Clockwork Orange von Stanley Kubrick stellen könnte. Einem Film, den ich extrem schätze (lieben kann man bei dem Thema kaum sagen), und, der meine unmittelbare Assoziation zu Funny Games war, weil es da wie dort um extrem gewalttätige Home-Invasions geht. Aber als ich Clockwork Orange zum ersten Mal gesehen habe, war ich erheblich jünger, habe, glaub ich, noch mehr ausgehalten und war von Beethoven abgelenkt (bei Haneke ist es Händel). Kubrick hat zwar einen ähnlichen Ansatz, macht aber aus der Problematik skrupellose, wahnsinnige, weiß gekleidete (!) junge Männer, die Gewaltorgien veranstalten, dann doch etwas völlig anderes. Clockwork Orange ist artifiziell überhöht und für mich auch irrsinnig ästhetisch. Der Film wirbelt die Frage nach Schuld und Sühne so komplett durcheinander, dass man am Ende erstmal nicht weiß, wo oben und unten ist.

Das ist bei Haneke anders. Funny Games ist sehr naturalistisch, extrem langsam erzählt, und Fragen werden innerhalb dieses Settings im Prinzip nicht gestellt. Die Fragen gehen nach außen. Man kann Funny Games als Versuchsanordnung sehen, im Sinne von: Ist es nicht das, was wir als Zuseher im Kino sehen wollen, ungeschminkte Brutalität und Gewalt? Sollten wir, wären wir bei Verstand nicht aufspringen, unseren Unmut äußern und diesen Film schon im Ansatz boykottieren? Macht es uns nicht zu Komplizen der Täter, wenn wir einfach gar nichts tun, außer weiter zuzusehen? Auf dieser Ebene funktioniert Funny Games tatsächlich zumindest als Experiment ganz gut. Andererseits könnte man aber auch sagen, Haneke spielt sich als moralische Instanz auf, sein Film macht aber dann formal auch nichts anderes als das von ihm kritisierte.

Tatsächlich haben mir bei Funny Games die, eher seltenen, subtilen Elemente am besten gefallen. Gleich ganz zu Beginn etwa, als die Familie in ihrem Domizil ankommt und über den Zaun hinweg mit den Nachbarn redet. Die Nachbarn verhalten sich körpersprachlich und in ihrer Art zu sprechen so eigenartig, dass das auch für den Zuseher ganz merkwürdig erscheint. Anna und Georg artikulieren diese Beobachtung und suchen die Schuld gleich mal bei sich. Sind die Nachbarn sauer, haben sie selbst vielleicht etwas falsch gemacht? Tatsächlich, und das merkt man dann im weiteren Verlauf des Filmes, haben Peter und Paul einfach zu diesem Zeitpunkt die Nachbarn schon in ihrer Gewalt, tun das, was sie bald darauf mit Anna, Georg und Georg Junior machen werden, nämlich kranke “Spiele” spielen. Die Vorstellung finde ich jedenfalls extrem unangenehm, dass niemanden geholfen werden kann, obwohl die anderen ja noch “frei” waren. Und: Während Peter irgendwie ein Komplexler ist, der gefühlsmäßig in diese “Sache” irgendwie hineinstolpert, ist Paul (Arno Frisch) das personifizierte Böse und das macht er sehr gut.

Haneke hat zehn Jahre später eine US Version dieses Filmes gedreht, die offenbar Szene für Szene komplett gleich aufgebaut ist, nur eben mit amerikanischen Schauspielern, warum weiß ich nicht.

Zum Abschluss eine Überlegung, die ein letterboxd User angestellt hat, und sie ist nicht ganz unberechtigt: “Has Michael Haneke ever experienced a positive emotion in his life?” Harhar.

Privileg

Letztens saß ich eine Stunde auf einer Parkbank am Rennweg, weil ich warten musste. Und ich ließ alle Gefühle und Assoziationen zu diesem Ort, vielmehr dieser Gegend geschehen.

Daran musste ich auch denken. Aber es war nicht dunkel. Es war ganz hell.

Frühstück Interspar

Ein weiterer Bericht aus der beliebten Rubrik Frühstücken mit Almi. Diesmal: Beim Interspar mit M. Obwohl wir beide ein gewisses Rewe Naheverhältnis haben harhar. Unbezahlte Werbung.

Der Interspar bietet in manchen seiner Filialen ein Frühstücksbuffet an, in der Regel von 8.00 bis 10.30 Uhr. Man sollte vorher recherchieren, denn wir wollten eigentlich in die Niederhofstraße gehen – wie üblich zieht auf der Fahrt dahin mein Leben an mir vorbei – dort gibt es zwar Frühstück, aber nur ein kleines. Also sind wir nach Alt Erlaa weitergefahren, wo es viel Platz zum Sitzen gibt und wo es gemütlich ist. Auch draußen könnte man Frühstücken, aber es herrschte gerade wieder mal Höllensommer und es war zu kühl dafür.

Das Buffet kostet mit einem Heißgetränk 11,90 Euro, was sehr fair ist, weil die Auswahl ist wirklich ziemlich groß, im Prinzip wie bei einem Hotel. Diverser Schinken, Käse, Tomaten, Gurken, Eier in jeder Form, Speck, mehere Marmeladen, Aufstrich, Butter, Honig, Früchte, Müsli, Säfte, diverses Gebäck. Da wurde ich fast nostalgisch, denn mein letzter Urlaub/Hotelaufenthalt ist schon viele Jahre her und auch wenn mir Reisen nicht abgeht, fand ich beim Frühstücksbuffet zu sitzen und Leute zu beobachten, während ich mir Croissant um Croissant gegönnt habe, schon immer super, harhar.

Die schon etwas reduzierte Auswahl an Obst, Müsli, Fruchtsalat und frischgepresster Orangensaft

Nun bin ich ja eine ziemlich lausige Frühstücksbloggerin, weil ich nämlich zwei Stunden angeregt mit M. plaudere, anstatt zu Dokumentationszwecken irgendwelche Fotos zu machen. Habe ich um 10.25 dann noch schnell nachgeholt.

Wir sind dann noch bis nach 12 Uhr – unter dem Eindruck diverser Essensgerüche – einfach sitzen geblieben, da gehts dann erst richtig los, weil es bei Interspar auch ein Mittagsmenü gibt, das offenbar sehr beliebt ist.

Fein wars!

22 Bahnen

Der Roman 22 Bahnen der deutschen Autorin Caroline Wahl wurde 2023 medial enorm gefeiert, ich habe von einigen Menschen sehr positives darüber gehört und auf Amazon gibt es hunderte begeisterte Leserrezensionen. Ich glaube, da ist es ok, wenn ich sage: Das Buch hat mir jetzt gar nicht einmal so gut gefallen. Aber wie Philipp Tingler bei den TDDL sagte, Literaturkritik muss mehr leisten als die eigene Befindlichkeit über einen Text zum Ausdruck zu bringen und so möchte ich das hier versuchen.

22 Bahnen handelt von der jungen Frau Tilda, einer Mathematikstudentin und ihrer zehnjährigen Schwester Ida. Tilda ist die Ersatzmutter von Ida, da die wirkliche Mutter schwer alkohlkrank ist und sich nicht nur nicht um ihr Kind kümmert, sie gefährdet ihre kleinere Tochter auch mit ihrem mitunter aggressivem Verhalten und ist, qua Sucht, generell ziemlich verantwortungslos: Stichwort Topf auf dem eingeschalteten Herd vergessen. Tilda, die nebenbei an der Supermarktkassa arbeitet und zum Frustabbau Schwimmen geht (22 Bahnen!) sorgt dafür, dass Ida überlebt. Nebenbei gibt es noch den Russen Viktor, der Tilda interessiert und seine eigene tragische Lebensgeschichte im Gepäck hat…

Also erstmal: Das ist mir einfach too much. One tragic event at a time! Harhar. Ich finde, es wird auch zu beliebig, wenn man parallel mit mehreren Personen mitfühlen soll. Zumal das Zentrum der Tragödie, die suchtkranke Mutter, für sich schon nicht besonders gut ausgearbeitet ist. Es werden eine Menge an Alkohliker-Klischees abgearbeitet, die auch Menschen geläufig sind, die mit Alkoholismus noch wenig in Berührung gekommen sind, und das macht mich misstrauisch, weil die Autorin, die sich eines solch großes Themas annimmt, mehr darüber wissen sollte als ich. Es fehlt außerdem die ganze Hintergrundgeschichte. Wieso hat sich das alles so entwickelt? Was für ein Mensch ist diese Mutter? Warum hat sie diese Wahl getroffen? Ich verstehe zwar, dass Tilda sie auf gewisse Weise hasst, aber auch das ist mir zu eindimensional. Es ist für mich immer wesentlich interessanter, wenn Texte die Ambivalenz einer Situation wiedergeben und nicht nur auf die offensichtlichen Reflexe rekurrieren.

Die Beziehung der beiden Schwestern zueinander ist für mich das Kernelement des Romans und der Teil, der noch am besten funktioniert. Allerdings gibt es auch da die typischen Coming of Age Roman Tropen: Das kleine, künstlerisch-begabte, altkluge Mädchen hier, die wilde, emotional beschädigte, aber kämpferische, junge Frau dort. Und dann schauen sie sich auch noch gemeinsam Die Tribute von Panem an, was – minus der Abstraktionsebene – ein direktes Vorbild für 22 Bahnen zu sein scheint. Viktor wiederum ist (natürlich, Russe, er hat die ganze Dostojewski Schwere im Rücken!) emotional unzugänglich, wenn es darauf ankommt aber dann doch auch warmherzig und pragmatisch-anteilnehmend, und das ist mir einfach auch zu sehr Retter-in-der-Not und Märchenprinz. Das würde ich zumindest ein bisschen ironisieren, wäre ich die Autorin.

Auch auf sprachlicher Ebene konnte ich persönlich nicht anknüpfen, es ist halt recht flapsig-rotzig geschrieben und dafür bin ich zu alt. Ziemlich gut hat mir aber ein erzählerischer Kniff gefallen, bei dem immer aufgezählt wird, was vor Tilda so am Supermarktkassenband liegt und wie Tilda die Produkte analysiert und auf die Person rückschließt, die diese Sachen eben gerade gekauft hat. Das hatte für mich mehr Tiefgang als praktisch alles andere in diesem Roman. Schließlich kam mir der Gedanke, dass 22 Bahnen im Grunde ein okayes Jugendbuch wäre oder ist, das einfach über Gebühr zur Offenbarung der neuen deutschen Literaturszene hochgejazzt wurde und dem dieser Ballast, meiner Meinung nach, nicht guttut.

Und ja, that’s it. Bin jetzt auf den Film gespannt.

Teamchefs

Stell dir vor, du bist 20 Jahre Red Bull Team Teamchef, hast sechs Konstrukteurs- und acht Fahrertitel gewonnen, dein Team hat 124 Rennsiege zu Buche stehen, du warst der Boss von Sebastian Vettel und Max Verstappen, die mit deinem Team mehrfach Weltmeister wurden etcetera und der Hollywood Reporter macht nach deiner doch ziemlich überraschenden Kündigung das daraus:

Also 1) Ehemann, 2) Star einer Dokuserie, 3) Beiläufige Erwährung deines eigentlichen Jobs. Ich frage mich, ist das ironisch gemeint, so auf die Art, deine Frau ist trotzdem der Weltstar oder ist das die Aufzählung in absteigender Form, nach den Komponenten, für die Horner eben bei einem US-amerikanischen Publikum bekannt ist?

Eine Freundin schrieb mir dann: “Ich mochte den eh nie. Und du?” Es kommt selten vor, aber ich hab da echt keine Meinung. Harhar.

Ich mag als Teamchef Toto Wolff gern, der jedesmal zwei Stunden extrem stoisch das jeweilige Rennen verfolgt, egal was passiert. Manchmal zuckt er aber auch aus und schmeißt sein Headset auf den Boden, vor Wut. Und ich mag sein Englisch mit diesem echt breiten Wienerisch drinnen. Hab mal zum Kind gesagt, dass Wolff genauso Englisch spricht wie ich, also vom Akzent her, und das Kind darauf: “Der spricht schlechter als du!”, harhar na dann.

Regenshopping

Dieses:

und das:

ergaben dieses:

Oder anders gesagt: Ich hatte spontan Zeit und das Wetter war mies. Also war ich shoppen.

@Sprechende Fassaden: Das hatte ich, wie gesagt, eh auf meiner Buch-Wunschliste.

@Zeruya Shalev: Ich habe alle Romane von ihr, außer diesem, Nicht ich– ihr Debüt, das jetzt erst auf Deutsch übersetzt wurde, bin sehr gespannt. Wird es, wie ihre anderen Bücher, ein sehr gut geschriebener, aber auch ein umbarmherzig-ehrlicher Befund des Lebens und menschlicher Liebesbeziehungen sein?

@Cosmopolition: Zum Spaß, und außerdem wegen der Kolumne von Mirna Funk, der einzigen Person, von der ich ein Instagram Abo habe, das einerseits eine Art Sextagebuch ist (ja wirklich harhar), andererseits die Perspektive einer Jüdin mit kleiner Tochter, jetzt gerade aus Tel Aviv widerspiegelt. Sie gibt übrigens auch Writing a Book Seminare, und da spiele ich immer wieder mit dem Gedanken, eines zu besuchen. Unbezahlte Werbung, harhar.

Der Sommer meiner Mutter

Liebe A! Der Sommer meiner Mutter hat mir wirklich gut gefallen.

Es ist immer interessant, wenn das Ende der Geschichte schon in der ersten Zeile verraten wird, nämlich hier, so: “Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben.” Würde der Ich-Erzähler diese Tatsache nicht sofort verraten, sondern erst dann, wenn es passiert, es wäre ein ganz anderes Buch. Indem Autor Ulrich Wölk aber auf den massiven Jumpscare-Moment, der das zweifellos sein könnte, verzichtet, legt er die Aufmerksamkeit des Lesern sofort auf etwas anderes, nämlich darauf, zwischen den Zeilen zu lesen und auf die Fehlentwicklung zu achten, die in diesen fünf Monaten passiert – oder, die schon sehr lange geschieht, sich nun aber manifestiert.

Zuerst scheint nämlich alles doch ganz ok zu sein. Tobias Ahrens, der Sohn der besagten Mutter, ist ein elfjähriger Junge, dessen Eltern es im Jahr 1969 zu bescheidendem Wohlstand, inklusive Häuschen mit Garten, gebracht haben. Der Vater ist Ingenieur, was einen Rattenschwanz an Assoziationen hinter sich herzieht, die hier auch durchaus zutreffend sind. Es geht ziemlich sachlich, geordnet, beschaulich-betulich zu, im Haus Ahrens. Der Vater ist zwar Tobias zugewandt, seine Welt ist dennoch eng. Vielleicht ist die Mondlandung deshalb so faszinierend für Vater wie für Sohn, als eine Utopie des Ausbruchs.

Ausbruch ist auch für die Mutter ein Thema, die Hausfrau ist, noch nicht einmal 40, ihr Kind braucht sie immer weniger und langsam kommt sie drauf, dass es noch mehr geben muss, in ihrem Leben, als das, was bereits da ist, das Verwalten des Immergleichen. Sie spielt damit, sich eine Jeans zu kaufen, als quasi in ihrer Welt schon revolutionärer Akt, aber sie traut sich nicht. Da ziehen neue Nachbarn ins Nebenhaus, die Leinhards, deren Tochter Rosa ein Jahr älter als Tobias ist und die als Familie quasi genau das Gegenteil repräsentieren, oder, wie Rosa sagt: “Wir sind Kommunisten”.

Was dann passiert, ist irgendwie vorhersehbar und doch wieder nicht. Die Paare freunden sich an, ein bisschen wird geflirtet und Mutter Leinhard demonstriert Mutter Ahrens was das Leben noch alles so bieten könnte, zum Beispiel eine Tätigkeit als Übersetzerin aufzunehmen, die Spaß macht und herausfordert und zugleich eigenes Geld einbringt. Es besteht auch darin, wild gemusterte Blusen zu tragen, schon am Vormittag Sekt zu trinken und manchmal ein bisschen “unvernünftig” zu sein. Dasselbe versucht Rosa auf ihre Art auch Tobias beizubringen.

Dennoch entwickelt sich die Geschichte dann anders als man vermuten könnte und mir persönlich erzählt sie davon, dass es, um es salopp zu sagen, Quatsch ist, dogmatisch an irgendwelchen Idealen festzuhalten, seien es nun traditionelle oder (vermeintlich!) liberale. Ja, auch die “frei” denkende Familie Leinhard lebt im Grunde nicht ihr eigenes Leben, sondern das, was ihnen von ihrer “Denkschule” vorgegeben wird und befindet sich, so gesehen, lediglich in einem anderen, etwas bunterem Gefängnis. Die Zwänge mögen unterschiedlich sein, sie behindern aber da wie dort, eine tatsächlich selbstbestimmte Entwicklung und das eigenständige Denken. Für das “Problem”, vor dem am Ende alle stehen, findet deshalb auch niemand eine Lösung.

Ein gut geschriebener, leicht lesbarer, durchaus auch ernüchtender Blick auf das Familienleben und seine (selbstgesteckten) Grenzen.

Sommerpläne 3

Obwohl das Wetter ja derzeit nicht so extrem sommerlich ist, habe ich natürlich noch weitere Pläne. Ich möchte mir eine oder zwei O-Töne Lesungen im Museumsquartier anhören, ich möchte nochmal ins Literaturmuseum und mir diesmal den “Rest” anschauen und ich möchte die (wahrscheinlich wieder eher kleine) Ausstellung über den Wiener Kreis im Rathaus besuchen.

Außerdem will ich hin und wieder mit dem Kind essen gehen, auch vor oder nach seiner Fahrschule, im Moment steht das total im Mittelpunkt. Heute hatte er übrigens die erste Fahrt und er ist (es ist nicht wirklich überraschend) begeistert. Allen Frauen, die derzeit mit ihren Kleinkindern kämpfen und verzweifeln, sei gesagt: Es wird richtig cool, wenn man irgendwann gemeinsam mit dem fast erwachsenen Nachwuchs in die Pizzeria geht und über Welt, Politik, Menschen und Formel 1 (Nico Hülkenberg nach 239 Rennen erstmals am Podium, das sagt uns wiedermal: niemals aufgeben!) reden kann. Das war ja immer so meine Traumvorstellung, wenn ich vollkommen mit meiner Kleinkind-Mutterschaft überfordert war und das war ich oft, harhar. Einfach mal ruhig sitzen und miteinander reden. Natürlich wird es auch sonst einige Frühstücks- und Essenstreffen mit Freundinnen geben.

Bald wird das Kind auf Urlaub sein und das wird meine Roman-Überarbeitungszeit werden, und ein paar Ecken von Wien aka “Schauplätze” muss ich auch noch recherchieren, wie es dort riecht und wie die Sonne steht und was ich fühle, wenn ich da bin. Das habe ich ja gerne, so Rechercheausflüge, ein paar Fotos machen und ein paar Sätze in mein Notizbuch kritzeln; schwieriger wird es, sich vor 280 Seiten zu setzen und sie auf Stringenz zu überprüfen, festzustellen, wo noch Informationen fehlen und wo etwas zu viel oder sogar doppelt ist usw.

Das Schreiben ist mein Urlaub, meine Therapie, mein Glück und meine Möglichkeit, jemandem immer wieder nahe sein zu können. Und darauf freue ich mich besonders.

Punch-Drunk Love

Vor einigen Tagen habe Punch-Drunk Love von Regiesseur Paul Thomas Anderson angesehen, den ich zufällig auf Netflix entdeckt habe. Weil mich dieser Film an wunderbare Gespräche mit diesem einen Menschen erinnert und er den Film mochte. Ich habe viele Filme von Anderson gesehen, den aber bisher nicht.

In Punch-Drunk Love geht es um Barry (Adam Sandler), einen Jungunternehmer mit sieben Schwestern, und einer nicht näher definierten oder gar diagnostizierten psychischen Beeinträchtung, die sich unter anderem in einem Wechsel an betont höflichen Umgangsformen und unkontrollieren Wutausbrüchen äußern. Eines Tages lernt er Lena (Emiliy Watson) kennen, eine Arbeitskollegin einer seiner Schwestern und er verliebt sich in sie…

SPOILER, ABER DER FILM IST SCHON ETWAS ÄLTER

Wer glaubt, dass es sich hierbei um eine herkömmliche romantische Komödie handelt oder, dass PTA eine solche überhaupt drehen würde, der irrt natürlich ganz massiv. Punch-Drunk Love ist von der ersten bis zur letzten Szene extrem seltsam, wie es sich für eine PTA Film gehört und zeigt uns, was man sonst halt eher nicht sieht, in Liebesfilmen. Vor allem das, was quasi zwischen den Treffen von Barry und Lena passiert, in Barrys Leben. Und da passieren eine Menge Dinge, die im Grunde gar nichts miteinander zu tun haben.

Wir beobachten Barry vor seinem funktional-hässlichen Firmengebäude im San Fernando Valley, wo die Sonne so hell scheint, wie sie das nur ganz früh am Morgen tut, und plötzlich steht ein Harmonium vor ihm, das er ohne weitere Erklärung mit sich nimmt. Wir nehmen verblüfft zur Kenntnis, dass Barry alle paar Minuten von einer Schwester angerufen wird, eine Mischung aus Fürsorge und Kontrolle. Wir sehen Barry, wie er widerwillig eine Familienfeier besucht und als er die Tür öffnet und hört, was gesprochen wird, die Tür gleich wieder (von außen) zumacht.Wer kann es ihm verdenken? Er geht aber dann doch hinein und vertraut sich einem seiner Schwager, einem Arzt, an, er sagt: “I don’t like myself sometimes. Can you help me?” Und der Schwager: “Barry, I am a dentist.” Wie sehen Barry im Supermarkt, wo er dutzendweise billigen Pudding kauft, mit dem er Vielfliegermeilen sammeln will. Mit diesen Vielfliegermeilen beschäftigt er sich ausführlicher als mit seinen Gefühlen zu Lena.

Interessant ist, dass Barry die ganze Zeit einen auffälligen, blitzblauen Anzug trägt, jeden Tag, den er aber davor, so sagen seine Schwestern, noch nie getragen hat. Das finde ich insofern bemerkenswert, als dass wir als Zuschauer Barry somit visuell ganz anders erleben, als ihn die Menschen in seinem Leben bisher wahrgenommen haben. Lena sieht etwas in ihm, das sie fasziniert und bezaubert, auch wenn er mit blutenden Händen, weil er gerade das Gäste WC eines Restaurants kurz und klein geschlagen hat, an den Tisch zurückkommt. Und wir als Zuseher bemühen uns, genau das auch zu sehen, was sie sieht. Mit ihren Augen. Oder fragen wir uns vielleicht auch manchmal ein bisschen, was ist eigentlich mit ihr los, dass sie sich von ihm angezogen fühlt?

Um es kurz zu machen: So richtige Antworten bekommt man nicht. Man kann sich nur mitreißen lassen, entführen in die durch und durch merkwürdige PTA Welt, und kann genießen, dass Adam Sandler, den man nicht unbedingt aus den alleranspruchsvollsten Filmen kennt, hier wirklich gut, nuanciert und höchst glaubwürdig einen (nennen wir es mal) Soziophobiker spielt. Der Kritiker Roger Ebert hat sich damals, vor über 20 Jahren, einen neuen Karriereweg für Sandler gewünscht, so ein bisschen Bill Murray mäßig, wenn man so will. Ganz ist das nicht aufgegangen. Aber so alle zehn Jahre, heißt es, macht Sandler einen wirklich guten Film harhar. Mit Uncut Gems war er vor fünf Jahren sogar in der Nähe einer Oscar-Nominierung. Die kommt auch noch. So in fünf Jahren.