Schon vor vielen Wochen habe ich über einen Film gelesen, den die Nerds ganz aufgeregt erwarteten. Eine Amazon Prime Produktion, die auch genau dort gestern veröffentlicht wurde, obwohl es eigentlich ein Film für die große Leinwand ist, die Rede ist von Saltburn, von Regisseurin Emerald Fennell, die erst vor drei Jahren mit Promising Young Women (den ich leider noch nicht gesehen habe) ihren Durchbruch gefeiert hat.
Einen so abgefahrenen, merkwürdigen, skurillen und überraschenden, den Sehererwartungen zuwiderlaufenden Film habe ich wirklich schon lange nicht mehr gesehen. Im Mittelpunkt der Handlung steht der unsichere Oliver (Barry Keoghan), der frisch auf die Uni kommt und sofort ein Außenseiter ist. Schnell bekommt Felix Catton (Jacob Elordi) seine ganze Aufmerksamkeit – ein ungeheuer populärer Aristokrat, der aber auch besonders -und das ganz authentisch- warmherzig ist. Oliver tut alles, um sich mit Felix anzufreunden und verbringt schließlich den Sommer auf dem Landsitz der Familie Catton, einem Anwesen namens Saltburn.
Über die Handlung kann man nicht allzuviel erzählen, ohne Wichtiges zu verraten. Aber es ist ungeheuer spannend, sich wie Oliver erstmals auf dem riesigen Anwesen und dem bizarren Schloss der Cattons wiederzufinden. Als Zuseher versucht man zu verstehen, was das “Mindset” der Familie ist. Einerseits sind sie extrem steif, zum Dinner muss täglich Smoking getragen werden, auf Tischmanieren wird großen Wert gelegt, auf der anderen Seiten wirken sie etwas einfältig und scheinen nicht einmal mit der Geografie ihres Landes genauer vertraut zu sein; sie geben feine Partys mit Dresscode (Black Tie), singen aber dann Karaoke zu den Pet Shop Boys.
Und genauso überraschend sind die Dialoge, die manchmal ganz erstaunliche Wendungen nehmen, ein kleines Beispiel (das nicht zur Haupthandlung gehört). Oliver fragt seine Tischdame: “Haben Sie Kinder?”, diese entgegnet “Ja zwei. Ach nein drei. Sie sind auf dem Internat, was günstig ist, weil man sie da selten sehen muss.” Der Film bewegt sich von what-the-fuck Dialog zum nächsten what-the-fuck Dialog und die Szenen entwickeln sich so ganz anders als man das erwarten würde. Aber das ist natürlich auch das reizvolle daran.
Barry Keoghan sehe ich schon das zweite Mal in diesem Jahr. Er spielte in The Banshees of Inisherin einen geistig zurückgebliebenen jungen Mann so überzeugend, dass ich mich gefragt habe, ob er vielleicht selbst auch…sorry! Und hier spielt er zwar eine ganz andere, aber wieder extrem arg-eigenartige Figur, sodass ich mich langsam frage, wie er denn privat so ist. Harhar. Auch die anderen Darsteller sind sehr glaubwürdig in ihren teilweise sehr herausfordernden Rollen, man kann kaum jemand speziell herausheben.
Manche Bilder dieses extrem ästhetischen in Szene gesetzten Filmes werden einem noch länger in Erinnerung bleiben und auch zum Nachdenken bringen. Eines sieht für mich so aus, als handele es sich um ein Porträt von Kaiser Nero, der gerade dabei zusieht, wie Rom verbrennt. Andere Einstellungen sind so Zeitgeist-poppig, dass sie mich an Fotos von Damiano David, dem Sänger von Maneskin erinnern, die er von sich selbst auf Instagram postet. Eine originelle Mischung.
Hier der Trailer, der auch nicht spoilert, aber etwas vom Flair widerspiegelt (ja, es ist auch gruselig, aber es ist kein Genrefilm, keine Angst):