Nachdem ich jetzt wiederholt Berichte über die Autorin Pamela Druckerman und ihr Buch Warum französische Kinder keine Nervensägen sind gelesen habe – wohlgemerkt nur Berichte dazu, nicht das Buch selbst (alleine der Titel führt bei mir zu einem kleinen Magengeschwür), fühl ich mich aufgefordert, zumindest zu ihren Thesen in den Interviews meinen Senf dazu zu geben.
Druckerman nimmt die angeblich prototypisch guten Erzieher, die FranzösInnen, zum Vorbild, die ihre Kinder offenbar ideal erziehen. So müssen französische Babys von Anfang an lernen, in die Familie, in die sie hineingeboren werden, zu funktionieren. Wenn sie weinen, dann sollen sie sich nach Möglichkeit selbst beruhigen, ohne ihre Eltern dafür zu brauchen. Offenbar glaubt Frau Druckerman, dass Babys weinen, um ihre Eltern zu ärgern und zu knechten. Tja Gegenfrage, was bleibt Babys anderes übrig, als sich so zu artikulieren? Sie können ja keine SMS schreiben oder ihren Status auf Facebook aktualisieren, damit die Eltern Bescheid wissen. Man kann die Artikulation ignorieren und damit langfristig abstellen, doch was macht das mit dem Kind?
Druckerman nennt ihre eigene Tochter ein Monster, wegen ihrer Trotzanfälle mit zwei Jahren. Nun werden sich die meisten Menschen darin einig sein, dass trotzende Kinder, vor allem in der Öffentlichkeit, eine Herausforderung sind. Aber auch Trotz ist nichts, was die Kinder irgendjemandem zu Fleiß machen, sondern ein wichtiger Entwicklungsschritt, die Entdeckung des eigenen Willens. Und wie jede Phase, etwas, was auch wieder vorbeigeht. Will man alles im Ansatz beschneiden? Ist es nicht besser, altersgerechte Vorgaben zu machen, die ein Kind auch erfüllen kann? Regeln, die ein Kind noch nicht geistig erfassen kann, an die es sich aber zu halten hat, erinnern eher an Dressur.
Druckerman ist natürlich auch für Krippe bald nach der Geburt. Dazu fällt mir dann immer ein, was die Literaturexpertin Iris Radisch einmal in einem Interview über ihre drei Mädchen erzählt hat, die alle sehr früh in die Krippe gekommen sind, nämlich, dass es einem Mädchen gar nicht geschadet hat, einem ein bisschen und einem sehr. Und so ist es auch: jedes Kind ist anders, jede Familie ist anders und wenn jemand glaubt, dass es ein universales Patentrezept gibt, unabhängig von Charakter und Lebensumständen, wie Druckerman, dann macht man es sich meiner Ansicht nach sehr einfach. Wir Erwachsenen leben immer individuller, nach unseren eigenen Maßstäben, aber Kinder sollen alle über einen Kamm geschoren werden?
Und ganz ehrlich gesagt: wenn die Franzosen etwas wollen (zumindest wie Druckerman es darstellt, ich weiß nicht, ob dem wirklich so ist), das sich harmonisch in ihr ruhiges und entspanntes Leben einfügt, dann sollten sie sich lieber eine Stehlampe kaufen. Denn Kinder haben das Privileg, das Leben ihrer Eltern durcheinander zu bringen, sie haben ein Recht auf Aufmerksamkeit und Zuwendung. Zum einen, weil Kinder zu haben heute in der Regel eine freiwillige und bewusste Entscheidung ist, zum anderen, weil es für Erwachsene bereichend ist, sich auf das Kind und dessen Perspektiven auch einzulassen.
Damit das nicht missverstanden wird, ich halte nichts von antiautoritärer Erziehung und ich finde auch, dass Kinder Grenzen und Regeln sehr wohl brauchen, aber immer den Alter und Entwicklungsstand angemessen; außerdem brauchen Kinder auch Freiraum und die Möglichkeit, Kind zu sein, kein kleiner Erwachsenen, der nur zu funktionieren hat, damit er möglichst wenig Umstände macht. Auch wenn das für uns Erwachsene manchmal anstrengend und herausfordernd ist.