almis personal blog

Von damals

Im Eingangsbereich von Bauernhöfen hab ich öfters Fotos von diesen Bäuernhöfen aus früherer Zeit gesehen. Sowas hab ich jetzt im Garten auch aufgestellt, ein altes Foto vom Garten, harhar.

Mit meinem gelieben Dreirad auf der Wiese, die da noch wie eine Gstätt’n ausgesehen hat

Auf dem Foto bin ich vielleicht so vier Jahre alt. Kurz davor hatten meine Eltern den Garten gekauft.

Es war eine komplizierte Geschichte. Der Garten hatte meinem Großvater (mütterlicherseits) gehört, der lange vor meiner Geburt gestorben war. Er hat den Garten seinen drei Kinder vererbt, die ihn wiederum ihrer Mutter, meiner Großmutter, überlassen haben. Und die Großmutter hat ihn dann sofort einem Bruder (aka das Lieblingskind) meiner Mutter geschenkt. Als dieser dann sehr früh gestorben ist, haben meine Eltern ihm dessen Witwe, die ihn nicht wollte, teuer abgekauft und alles neu gestaltet. Das war vor ungefähr 45 Jahren.

Jetzt gehört der Garten mir. Früher konnte ich wenig damit anfangen, jetzt bin ich sehr froh, dass ich ihn habe.

Sterben, zwei

KLEINE SPOILER ZUM FILM MÖGLICH

Während Tom sich also in die Kunst flieht, zieht seine Schwester Ellen, die den doch sehr seriösen Beruf der Zahnarzthelferin hat, den Alkohol vor, um die Realität auszublenden. Sie schafft es nicht, eine Beziehung nüchtern zu führen, obwohl der aktuelle Mann in ihrem Leben genau das vorschlägt. Sie meint sogar, sie wäre ohne Alkohol gar nicht sie selbst. Die Szenen, in denen sie singt (unter anderem Songs, die Regisseur Glasner selbst geschrieben hat) sind zwar stimmungsvoll, generell fand ich diesen Handlungsstrang aber zu “over the top” und auch nicht so gelungen, weil man der Figur nicht näherkommt. Mir ist schon klar, dass Glasner quasi eine andere Bewältigungsstragie zeigen wollte, nämlich die in den Rausch und da gibt es halt oft nicht viel Reflexion, deshalb betrinkt man sich ja, aber das hat mich nicht so richtig erreicht.

Ich hätte lieber noch mehr über Tom erfahren, auch weil Lars Eidinger, den ich bisher peinlicherweise gar nicht so richtig kannte, wirklich irrsinnig gut spielt. Ich verstehe jetzt den Hype um ihn. Tom hat ja tatsächlich enorm viele Themen. Neben dem eigenen Elternthema noch die Beziehung zu seiner Ex-Freundin, die gerade ein Kind von jemanden anderem bekommen hat, aber weil dieser Vater eher abwesend ist, übernimmt Tom sehr viel Vaterrolle für sein, wie er sagt, “Achtelkind”. Außerdem gibt es Toms Arbeit im Orchester – das ist jetzt der dritte Film in 15 Monaten, in dem ein Dirigent/Dirigentin die Hauptrolle spielt, nach TAR und Maestro – er probt gerade das Stück mit dem Titel: Sterben. (sic!) Regisseur Matthias Glasner sagt dazu in seinem sehr aufschlussreichen Interview in der ZEIT: “Ich glaube, dass die meisten Künstler groß geworden sind mit dem Gefühl, ungeliebt, unrichtig, falsch zu sein. Und dass sie beweisen wollen, dass sie etwas wert sind.” Etwas, das ich mir auch sehr gut vorstellen kann.

Bevor ich noch zu einem größeren Spoiler komme, möchte ich den Film, trotz der Themenlage und der drei Stunden Laufzeit (die man wirklich nicht merkt) ausdrücklich empfehlen. Er ist nämlich tatsächlich auch durchgehend grotesk-komisch, deshalb ist er für mich nie erdrückend; weil Humor eben auch ein Mittel ist, um mit dem Leben und Herausforderungen fertig zu werden. Und wenn Tom zum Begräbnis seines Vaters zu spät kommt, weil der Akku des E-Autos leer ist, weil das halt etwas ist, was im Jahr 2020 plus passieren kann, ist das schon sehr skurill. Zum nächsten Begräbnis fährt er dann doch wieder mit dem Benziner.

ACHTUNG MASSIVER SPOILER ZUM SCHLUSS

Am Weihnachtsabend, wo wir Zuseher eh schon gebeutelt worden sind, durch Geburt, Tod, Zahnarztepisoden usw. bittet jemand Tom, zu ihm zu kommen. Es stellt sich heraus, dass jemand seinen Suizid plant, und will, dass Tom quasi draußen wartet und am Ende alles mit der Polizei regelt.

Und das ist schon sehr außergewöhnlich finde ich, dass uns der Film am Ende noch eine so große Frage stellt, die man sich wahrscheinlich noch nie gestellt hat, zumindest hab ich darüber noch nie nachgedacht: Was tut man, wenn ein enger Freund will, dass man quasi seinen Suizid “überwacht”? Versucht man, diesen Freund zu retten, zu überreden, es doch nicht zu tun, heimlich die Rettung zu rufen, weil man sich denkt, morgen überlegt er es sich vielleicht doch anders? Oder respektiert man diesen Wunsch als den freien Willen und ist es ein Zeichen des größten Respekts, dass man diesem Wunsch dann nachkommt? Denn jemand sagt, er war noch nie glücklich, er habe sich das gut überlegt, er will einfach nicht mehr?

Diese Szene fand ich so erschütternd, weil es irgendwie kein richtig und falsch zu geben scheint. Ich werde nicht verraten, was Tom tut, ich weiß nicht, ob ich genauso gehandelt hätte. Aber so wie Tom damit umgeht, scheint alles Sinn zu ergeben.

Sterben, eins

Gestern hab ich mir den Film Sterben angeschaut.

Das hatte ich eigentlich nicht vor, aber er wurde im fm4 Filmpodcast so gut besprochen und klang enorm interessant, dass ich mich doch dazu entschlossen habe. Der Regisseur Matthias Glasner hat in einem Interview gesagt, dass er nicht gedacht hätte, dass er diesen Film – der sehr autobiografisch ist – würde finanzieren können und er dachte, er muss ihm mit dem Handy drehen; und diese Ahnung war ja auch nicht unberechtigt, denn leicht kann es dieser Film beim Publikum nicht haben, denn: 1.) es ist ein deutscher Film, 2.) er ist drei (!) Stunden lang, 3.) er heißt Sterben.

Einen Film so benennen, schwierig. Da geht man an die Kinokasse und sagt: “Einmal Sterben bitte”. Oder man erzählt jemanden, dass man ins Kino geht und der fragt, was man sich anschaut, “Sterben”. Ziemlich irritierend. Ich habe mir gedacht, ich werde mir den Film anschauen und dann einen besseren Titel finden, aber tatsächlich ist es nicht so. Der Film hat so viele Protagonisten, Handlungsstränge und riesige Themen, es gibt da kaum eine passende Überschrift. Außerdem werde ich wohl mehrere Blogeinträge brauchen, weil es so viel zu sagen gibt.

Worum geht es erstmal (grob)? Es geht um die Familie Lunis, eine deutsche “Mittelklassefamilie” Der Vater ist dement, die Mutter Lizzy (Corinna Harfouch) unheilbar krank, der Sohn Tom (Lars Eidinger) ist erfolgreicher Dirigent, privat geht es bei ihm allerdings drunter und drüber und die Tochter Ellen (Lilith Stangenberg) ist Zahnarztassistentin und im Dauer-Rausch. In fünf verschiedenen Kapiteln erzählt Sterben aus dem Leben dieser Familie (und noch etlicher Nebenfiguren). Es passiert sehr viel, das erste Kernthema ist sicherlich das der Familie. Beziehungsweise die dysfunktionale Familie. Und bevor jetzt die schwierigen Themen kommen möchte ich sagen, dieser Film ist trotzdem nicht verzweifelt und deprimierend, sondern erstaunlich humorvoll.

SPOILER MÖGLICH

Die Familie Lunis ist, oberflächlich betrachtet, eine “normale”, durchschnittliche Familie (gewesen), denn langsam löst sie sich durch den nahenden Tod der Eltern als diese Kernfamilie auf. Es gibt keine gröberen (Geld) Sorgen, keine großen Streitereien oder gar Gewalt, alle gehen “normal”, wenn auch distanziert miteinander um. Erst durch den körperlichen Verfall des Vaters kommen die Themen zum Vorschein, die über Jahrzehnte unterdrückt und klein gehalten wurden. Am deutlichsten werden diese zwischen der Mutter Lizzy und Tom, die einmal in der Küche sitzen und einen so verheerenden Dialog wie nebenbei führen, dass einem ganz anders wird.

Zuerst finden die beiden kaum ein Gesprächsthema, doch dann erwähnt die Mutter, die dauernd sagt, wie froh sie wäre, dass der Sohn gekommen ist, dass sie eigentlich nie Mutter sein wollte und ihren Sohn gar nicht mag. Und sie sagt das nicht irgendwie im Subtext, sondern genau mit diesen Worten. Wie die beiden diesen Dialog spielen und wie speziell Lars Eidinger quasi verfällt und ihm klar wird, wie sehr sein ganzes Leben bisher davon bestimmt war, dass es so ist wie es ist, das ist so arg und doch komplett unsentimental gespielt.

Tom sagt über sich selbst, er sei ein kalter Mensch wie sie, seine Mutter, doch wir sehen, dass er das nicht ist, dass er das nur sein möchte oder denkt, er müsse es. Er hängt mit großer Zärtlichkeit an seinem Vater, seiner Ex-Freundin, seinem Künstlerfreund, er ist so sensibel allen gegenüber, die quasi-Distanz, die er ausstrahlen will, ist nur ein Mechanismus, den er sich zugelegt hat, um irgendwie durchs Leben zu kommen und nicht wieder und weiter verletzt zu werden. Seine Kunst, die Musik, ist sein Ventil, um mit dieser Leere, die eine gescheiterte Mutter/Kind Beziehung hinterlässt, fertig zu werden. Die Liebe ist für ihn schwierig, auch wenn er sich sehr stark danach sehnt. Jeder, der selbst ein eigenes Elternthema hat, wird das gut nachvollziehen können.