Als ich das erste mal von dem Film May December gehört habe, musste ich an die Gilmore Girls denken. Mai/Dezember ist ja ein Synonym für Menschen in Beziehungen mit einem großen Altersunterschied. In GG hat Rorys Freundin Paris den wesentlich älteren Uniprofessor Fleming gedatet, was Rory verständnislos zur Kenntnis nahm. Worauf Paris entgegnete, das sei halt eine May/December Liebe und Rory daraufhin: “This is not May-December, this is May-Ming Dynasty”. Ich finde das noch immer sehr lustig.
Damit hat er Film von Todd Haynes aber gar nichts zu tun. Es geht um die Beziehung Gracies (Julianne Moore in einer der typischen Juliane Moore Rolle) mit ihrem Mann Joe (Charles Melton). Gracie war 36 und verheiratet sowie bereits Mutter, als sie mit dem damals 13 (sic!) jährigen Joe eine Affäre begann und dafür ins Gefängnis ging. Dort bekam sie ihr ersten Kind, danach noch Zwillinge. Mittlerweile ist Joe 36 und die Kinder bereiten sich auf ihre Graduation vor. Genau zu diesem Zeitpunkt erscheint Elizabeth (Natalie Portman) auf der Bildfläche – eine Schauspielerin, die in der Verfilmung dieser Skandal-Geschichte Gracie spielen soll und nun quasi auf Recherche die Familie eine zeitlang begleiten wird.
Todd Haynes ist der Meister der unspektakulären Alltagstragödie, wenn man so will. Von der ersten Szene an kreiert er eine unbequeme, latent bedrohliche Atmosphäre. Wenn Gracie am Anfang sekundenlang regungslos in ihren Kühlschrank blickt, vermutet man schon einen Menschenschädel oder ähnliches drinnen, bis sie schlussendlich sagt: “Ich glaube, wir haben zu wenig Hot Dogs.” Das Gefühl, dass jeden Moment etwas Schlimmes passiert, verlässt einen dennoch nie wirklich. Ich habe hier und da gelesen, May December wäre eine Komödie, aber wie voriges Jahr bei The Banshees of Inisherin habe ich das Gefühl, dass man schon sehr kaputt sein muss, um an diesem Film etwas wirklich lustig zu finden.
Gracie ist ein Kontrollfreak und behandelt Joe wie eines ihrer Kinder, dem sie nichts zutraut. Sie gibt ihm laufend Anweisungen und überwacht ihn. Auch ihren eigenen Kindern gibt sie keine Luft zum Atmen, und garniert das Ganze noch mit einer Menge subtilem Shaming. Etwa, als ihre Tochter Mary ein ärmelloses Kleid für die Graduation aussucht und Gracie so etwas sagt wie, toll, dass man heutzutage zu seinen körperlichen Schwächen steht und nichts darauf gibt, was die Umwelt dazu sagt, wie man denn in so einem Aufzug aussieht. Ich mein, wie toxisch kann man sein? Natürlich nimmt Mary dieses Kleid dann nicht. Wenn Elizabeth Gracie imitiert und zu ihrem Leben befragt, dreht sich manchmal die Situation und plötzlich wird Elizabeth zu derjenigen, die interviewt wird und natürlich hat auch sie ihre Leichen im Keller. Mehr kann ich an dieser Stelle aber nicht sagen.
May December ist jedenfalls sehenswert, wenn auch (ganz bewusst) ziemlich unterkühlt. Derzeit aber nur auf Netflix zu sehen.