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Der schmale Grat

Gestern in der Früh hab ich ein Interview mit Reinhold Messner gelesen, in dem er unter anderem erzählt hat, dass sein Bruder Hubert wegen Corona aus der Pension zurückgekehrt sei, um wieder im Krankenhaus zu arbeiten. Das hat mich deshalb interessiert, weil Hubert Messner der Arzt des Kindes war, der ihn auf seiner Station nach der Frühgeburt behandelt hat. Und ihm das Leben gerettet hat.

Als ich daraufhin dann gegoogelt habe, hab ich erfahren, dass Hubert Messner gemeinsam mit einem Journalisten seine Autobiografie geschrieben hat Der schmale Grat. Als Arzt und Abenteurer zwischen Leben und Tod. Die ist Anfang März erschienen, aber nachdem zu diesem Zeitpunkt Corona voll Fahrt aufgenommen hat, ist das alles in den Hintergrund getreten. Sonst hätte man vielleicht darüber mehr erfahren.

Jedenfalls hab ich mir noch am gleichen Tag das Buch gekauft und ausgelesen. Messner beschreibt nicht nur sein Leben als Arzt, sondern auch als Abenteurer – er hat mit Reinhold mehrere Expeditionen unternommen – mal erfolgreich, mal nicht erfolgreich, immer lebensgefährlich. Das ist sehr spannend zu lesen. Noch spannender ist für mich natürlich der Teil in dem es um seinen Beruf als Neonatologe geht.

Ich werde von dem Buch noch mehr erzählen, aber eines ist mir beim Lesen besonders in Erinnerung geblieben: es ist ein großer Unterschied bei den Eltern ob ein Baby zu früh geboren wird oder ob es während der Geburt in eine lebensbedrohliche Situation kommt und dann Patient der Neonatolgie wird. Im ersten Fall erscheint das Krankenhaus und die Ärzte als Retter, als Anker, als positive Kraft; im zweiten Fall empfinden die Eltern das Krankenhaus manchmal als Verursacher des Leides, das sie ertragen müssen, auch wenn kein medizinischer Fehler passiert ist. Im zweiten Fall wird die Schuld wesentlich öfter beim medizinischen Personal gesucht und dieses auch verklagt. Im zweiten Fall fällt es den Eltern schwerer ihr Schicksal zu akzeptiren

Messer schreibt dazu:

Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sich gerade Eltern, bei denen es während einer Termingeburt zu Komplikationen kommt, oft gegen das Kind entscheiden. Bei Frühgeburten entscheiden sich Eltern meistens dafür, auch ein Kind mit Hirnschäden ins Leben begleiten zu wollen.

(Messner Hubert: Der Schmale Grat, S. 188)

Ich habe darüber gestern lange nachgedacht. Ich glaube, es liegt darin begründet, dass Frühgeburten doch oft eine gewisse Vorlaufzeit haben. Auch bei mir, wo es doch relativ überraschend war, weil die Schwangerschaft bis dahin problemlos verlaufen war, verging noch fast eine Woche bis zur Geburt. In dieser Zeit hadert man auch sehr mit seinem Schicksal. Man will es nicht wahrhaben. Man “versteht” nicht, was passiert. Letztendlich hat man aber doch Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen und zumindest ich habe mich aufs Kämpfen eingestellt. Ich denke, es ist wesentlich schwieriger “unvorbereitet” ins Krankenhaus zu gehen, eine unkomplizierte Geburt zu erwarten und dann komplett ins kalte Wasser gestoßen zu werden. Es fehlt einem dann die Zeit, sich auf die neue Situation vorzubereiten.

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