So, endlich ist er da, der Film für den ich (vergeblich) Daumen drücken kann, in der Oscarnacht – Tár von Todd Field, seiner ersten Regiearbeit seit mehr als 15 Jahren.
Cate Blanchett spielt die (fiktive) Dirigentin Lydia Tár, die erste Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters in Berlin. Sie ist mit Sharon (Nina Hoss) verheiratet, welche Geigerin in diesem Orchester ist, die beiden haben die achtjährige Adoptivtochter Petra. Tár befindet sich am Höhepunkt ihrer Karriere, sie gehört zu den wenigen EGOTS – Personen die sowohl Emmy, Grammy, Oscar und Tony Award gewonnen haben – wird in Kürze Mahlers fünfte Sinfonie einspielen, hat gerade ihre Autobiografie veröffentlicht und wird aufgrund ihrer Eloquenz gern geladen, um vor großem Publikum ihre Ansichten zu vertreten. Tár kämpft aber, trotz ihres großen Erfolgs, auch mit enormen Selbstzweifeln und ist privat diversen Versuchungen in Form beispielsweise der neuen Cellistin Olga (Sophie Kauer) ausgesetzt….
Tár ist vor allem eines: Ein hervorragendes, detailverliebtes Psychogramm einer Frau, das sich jeglicher allgemeingültigen Deutung entzieht und das bewusst. Lydia Tár ist ganz klar keine Sympathieträgerin, sondern eine recht selbstzentrierte Persönlichkeit. Sie ist kühl, selbst den Menschen gegenüber, die ihr sehr nahe stehen. Manchmal wirkt Tár sogar richtig abstoßend, etwa in einer Schlüsselszene, die gar nichts mit ihrer musikalischen Identität zu tun hat. Als ihre kleine Tochter in der Schule von einer Schulkollegin drangsaliert wird, verhält sie sich so, wie man sich in dieser Situation m.E auf keinen Fall verhalten sollte: Sie schüchtert das betreffende Kind massiv ein, was auch seine Wirkung zeigt. Es lässt Petra fortan in Ruhe. Sie gibt Petra aber gleichzeitig überhaupt kein Handwerkszeug für das “Leben draußen” mit. Sie überlegt nicht mit ihr gemeinsam, wie man Konflikte mit Mitmenschen löst, wie man überhaupt mit anderen Kindern umgeht, sie löst das Problem mit Demonstration ihrer eigenen Machtposition – und tut dabei niemandem etwas Gutes.
Dennoch ist Lydia Tár auch faszinierend anzusehen, weil sie klug und differenziert ist – sie sieht die Welt nicht schwarz/weiß, sie sagt eine Menge sehr bemerkens- und nachdenkenswerter Dinge, regt ihre Studenten dazu an, sich nicht nach der gesellschaftlichen Mainstream oder Social Media Trends zu richten, sondern selbst zu denken und eigene Schlüsse zu ziehen. Társ Leidenschaft für Musik ist ansteckend, sie vermag es, das beste aus den ihr anvertrauten Musikern herauszuholen, sie ist eine engagierte Förderin, wenn sie das sein will, und sie ist stellenweise auch enorm selbstkritisch; ihre Versuche als Komponistin etwa beurteilt sie als weitgehend gescheitert, was ihr ziemlich zu schaffen macht. Die Leidenschaft für andere Frauen gefährdet ihre Position nicht nur in der Musikwelt, sondern auch in ihrem Privatleben. Kurzum: Sie ist ein Mensch und verhält sich auch so.
Der Film beschäftigt sich mit einer Vielzahlt von Themen wie Political Correctness und das Durchsetzen als Frau in einer männerdominierten Branche ebenso wie “Me Too” und Missbrauch von Machtpositionen – eröffnet aber auch eine Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, der Bedeutung und Schönheit von Musik, sowie dem tieferen Sinn des eigenen Lebens, des Strebens und Scheiterns. Teilweise wird das alles durchaus langsam erzählt, was mich nicht stört, im Gegenteil, mich fesselt es trotzdem oder sogar deswegen. Dass Cate Blanchett eine herausragende Schauspielerin ist, ist desweiteren kein großes Geheimnis, ich habe sie aber noch nie so überzeugend gesehen wie in dieser Rolle. Flankiert von einem großartigen Emsemble angefangen von ihrer devot-instabilen Assistentin Francesa (Noémie Merlant), über den aalglatten Financier Eliot Kaplan (Mark Strong), der auf Társ Erfolg neidisch ist, bis zu der kleinen Petra (Mila Bogojevic), als Kinderdarstellerin keine Verlegenheitslösung.
Anzumerken ist noch, dass die Österreicherin Monika Willi für den Oscar in der Kategorie Schnitt nominiert ist – neben den Nominierungen für Film, Hauptdarstellerin, Regie, Drehbuch und Kamera – und, dass der Trailer des Filmes relativ misslungen ist; er fängt den Geist des Filmes meiner Meinung nach gar nicht ein, sondern geht eher in die Mistery-Richtung. Also davon nicht irritieren lassen.