Wie schon erwähnt, ist Amarcord eine fiktionalisierte Version von Federico Fellins Kindheitserinnerungen in Rimini.
Ich dachte ja zuerst, der Titel hat was mit “amare” (lieben) zu tun, allerdings belehrt mich das Internet darüber, dass es von “ricordare” (erinnern) kommt. Im Dialekt heißt „a m’arcord” nämlich “ich erinnere mich” – im “herkömmlichen” Italienisch würde es “mi ricordo” heißen. Ich frag mich ja, wieso ich Italienisch gelernt habe, wenn überall dauernd irgendwelche unverständlichen Dialekte gesprochen werden harhar. Das gilt auch für den Film selbst, die Untertitel werden dringend gebraucht, wenn man nur leidlich Italienisch kann.
Amarcord beginnt am 19. März, sehr sympathisch, nämlich dem Festtag von San Giuseppe, dem heiligen Josef, an diesem Tag verabschiedet man im Ort den Winter. Und dieser Auftakt vermittelt auch die generelle Erzählperspektive, denn Amarcord beleuchtet nur recht lose das Leben einer Familie im Rimini der 1930er Jahre. Vielmehr ist es Stimmungsbild der ganzen Stadt und seiner Bewohner im Wechsel der Jahreszeiten, eine Beobachtung des Lebens an sich. Es passiert was halt so geschieht in einem Jahr, es gibt Hochzeiten und Begräbnisse, man besucht als Zuseher die örtliche Schule und den Frisiersalon ebenso wie eine bizarre Parade zu Ehren Mussolinis, sieht die Autos während Mile Miglia durch die Stadt rasen, ein Kreuzfahrschiff die Küste passieren und ist dabei, wenn der erste (seltene) Schnee fällt. Alles betrachtet durch den verträumt-surrealen Blick des Regisseurs.
Im Fellini Bullshit Bingo (aka die Markenzeichen des Regisseurs), kann man einiges ankreuzen. Es gibt die Dorfprostituierte am Strand, den blinden Musiker, den zahnlosen Aufschneider, die dralle Schönheit, das sagenumwobene Grand Hotel und diverse Zirkusversatzstücke (angemalte Gesichter, jemand jongliert). Die Musik kommt wie gewohnt von Nino Rota (der auch Der Pate vertont hat). Der Nebel, der an einem Herbsttag herrscht, wo man nicht einmal die Hand vor den Augen sieht, wirkt einerseits wunderbar mystisch und rätselhaft, andererseits kann es auch als Metapher gesehen werden, dass im Dorf manchmal niemand so ganz genau hinsehen will was eigentlich rundherum passiert. Die Welt spielt sich eigentlich nur an diesem einen Ort ab.
Besonders fasziniert hat mich die Episode, in der die zentrale Familie den behinderten Onkel, der in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht ist, zu einem Ausflug “aufs Land” abholt. Ich habe mir gedacht, hm, so eine Klinik in den 1930er Jahren, aufkeimende faschistische Tendenzen, das kann übel sein, voller Unverständnis und möglicherweise Gewalt; tatsächlich wirkt der Onkel allerdings ganz zufrieden und guter Dinge. Die Familie picknickt und will dann einen Spaziergang machen; der Großvater wird damit beauftragt, auf den Onkel aufzupassen, trinkt aber mit einem Einheimischen das eine oder andere Gläschen und übersieht so, dass der Onkel auf einen hohen Baum klettert und sich weigert, wieder herunterzukommen. Alle Rettungsversuche werden mit dem Schleudern von Steinen beantwortet. Als schließlich ein paar Verantwortliche aus der Psychiatrie kommen, um den Onkel erfolgreich “einzufangen”, zieht der Arzt das Fazit: “Manchmal ist er normal, manchmal nicht – wie wir alle, nicht wahr?”
Genau diese zutiefst menschliche, humanistische Note bestimmt den ganzen Film. Es ist zwar oft laut, es wird geschimpft und geschrien, jedes Familienessen ist im Grunde eine sich aufschaukelnde Eskalation, aber gleichzeitig darf jeder so sein wie er will und wenn es darauf ankommt, dann hält man zusammen, dann hat man Verständnis. Das Ende ist melancholisch, der Jahreskreis beginnt von neuem, auch wenn sich einiges geändert hat, in diesem Jahr; das Leben in Rimini geht weiter, auch die Hoffnung auf alles, was die Menschen sich wünschen, darf weiterbestehen.