almis personal blog

Natural Born Killers

Das Jahr 1994 war ein herausragendes Filmjahr mit Filmen wie Pulp Fiction, Forrest Gump, Die Verurteilten, Vier Hochzeiten und ein Todesfall etc.

Es war das Jahr, in dem ich 18 Jahre alt geworden bin und ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir im Kino standen und überlegten, uns Natural Born Killers anzusehen, was wir ja mit 18 durften. Der Film kam nämlich ebenfalls damals heraus und war von einer großen Kontroverse bezüglich der Darstellung von Gewalt und der angeblichen Verherrlichung dieser begleitet. Aber irgendwie traute ich mich nicht und wollte diesen Film nicht sehen. Dann vergingen kurz mal 30 Jahre und dann hörte ich eine Folge des FM4 Filmcast zum Thema Filmjahr 1994, in der der Film besprochen wurde. Und die Folge war so interessant, dass ich am Wochenende also erstmals Natural Born Killers gesehen habe. Er war komplett anders als ich ihn mir vorgestellt habe und ich bin irgendwie fasziniert von diesem Film.

Es können Spoiler folgen, weil ich mein, der Film ist 30 Jahre alt. Wer ihn sehen wollte hat ihn vermutlich gesehen. Harhar. Es geht jedenfalls um Mickey (Woody Harrelson) und Mallory (Juliette Lewis) Knox, einem Ehepaar beide aus sehr schlimmen Verhältnissen, mit “terrible childhoods”, die mit Drogen vollgepumpt einen Roadtrip durch die USA machen und nach drei Wochen bereits 50 Menschen getötet haben, begleitet quasi von einer Liveberichterstattung in den Medien, die sie zu zweifelhaften Stars macht. Nach dem einzigen Mord, der ein Unfall war – und dessen Opfer ein Navaro Indianer eigentlich die einzig integere Person in dem ganzen Film ist – und den sie eigentlich bereuen, werden sie festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, wo aus dem Roadmovie quasi ein Gefägnismeutereifilm bzw. eine Mediensatire wird…

So, wo fange ich an. Vielleicht bei den Personen und hier mit Woody Harrelson. Harrelson ist durchaus ein Teil der Hollywood-Industrie, allerdings ist er auch einer ihrer großen Außenseiter. Zwar dreimal Oscar nominiert und auch respektiert, vertritt er wohl eher keine Mainstreammeinung zu egal welchem Thema und ist auch sehr Amerika-kritisch. Bei der Präsentation seines Films Triangle of Sadness in Cannes 2022, in dem er einen zynischen amerikanischen Schiffskapitän mit Hang zum Kommunismus darstellt, hat er gemeint, er findet es miserabel, wenn ein Land ohne provoziert zu werden, mit der ganzen militärischen Macht ein Land attaktiert wie “Irak äh sorry, Afganisthan, äh sorry, Viet- sorry, Korea. Ach so, wir reden ja über die Ukraine.” Mich wundert es, dass Harrelson in den USA noch Rollen bekommt, harhar, aber gewisse Freigeister gibt es ja dann doch. Jedenfalls kann man kaum glauben, dass Harrelson 1993 Ein unmoralisches Angebot gedreht hat, wo er den sanften, etwas unbeholfenden, zutiefst verzweifelten und verletzten Mann von Demi Moore gespielt hat und dann ein Jahr darauf diese Figur des Serienmörders in Natural Born Killers und in beiden Rollen war er extrem glaubwürdig.

Harrelson passt aber sehr gut zu Regisseur Oliver Stone, der ja auch eine gewisse Außenseiter-Position in Hollywood hat, auch immer große amerikanische Geschichten und ihre Brüche genauer unter die Lupe genommen hat (JFK, Platoon, Geboren am 4. Juli, Wall Street, Nixon, Snowden). Im Filmpodcast wurde erzählt, dass Stone zu Natural Born Killers Interviews gegeben hat, in denen er wie ein französischer Intellektueller aufgetreten ist, der nur in Referenzen und Anspielungen spricht. Stone ist ja kein Splatter Regisseur oder jemand, der auf den billiger Schock aus ist, er war damals bereits 47 Jahre alt und wollte vor allem davon erzählen, wie kaputt das System in Amerika ist und vor allem die Medien (es war gerade die Zeit des O.J.Simpsons Falles).

Robert Downey Junior spielt einen komplett durchgeknallten TV-Journalisten, der Mickey und Mallory im Gefägnis interviewt und seine Bewunderung für die beiden kaum verhehlen kann. Tom Sizemoore einen charakterlich komplett verdorbenen Polizeibeamten und Tommy Lee Jones den Gefängnisdirektor, den er – nach eigener Aussage – nach einer Figur Molieres, in der Tradition der französischen Komödie angelegt hat, auch alles andere als mit leisen Tönen.

Wenn man das jetzt alles im Hinterkopf behält, in seiner ganzen Skurillität, und sich dazu noch vorstellt, dass praktisch das gesamte Team phasenweise auf Drogen war, dann kann man sich vielleicht vorstellen, was für ein wahnsinniger Film dabei herauskommt, und wie sehr dieser permanent auf Anschlag ist- mehr dazu dann morgen.

Bezirksmuseum Leopoldstadt

Vorigen Sonntag habe ich beim Frühstücken gelesen, dass Tag der offenen Tür in den Wiener Bezirksmuseen ist. Das war zwar super, allerdings wäre ich froh gewesen, wenn man das schon einen Tag früher publik gemacht hätte. Nachdem das Kind aber auswärts essen gegangen ist, habe ich mir schnell einen Überblick verschafft, was wo zu sehen ist und wo ich nicht ewig hin brauche, und habe mich so für das Bezirksmuseum Leopoldstadt entschieden.

Das Thema war dort “Als homosexuell verfolgt. Leopoldstädter Schicksale während der NS-Zeit“, und obwohl diese aktuelle Ausstellung alleine schon sehr interessant gewesen wäre (es wird über verschiedene Schicksale berichtet, was ziemlich erschütternd zum Nachlesen ist), ist das ganze Museum noch so viel mehr, nämlich total vielfältig an Exponaten und randvoll mit Informationen.

Man hat irgendwie das Gefühl, in Wien hat sich früher alles im 2. Bezirk abgespielt. Einerseits gibt es natürlich den Prater (mit Riesenrad) und auch den Augarten als große Grüngebiete, den Donaukanal als Flanierort, aber auch bekannte Kaffeehäuser, Bäder, Märkte und Theater. Die Straussdynastie hat im 2. Bezirk gewirkt, die Sängerknaben und auch sehr viele Literaten wie Arthur Schnitzler, Felix Salten, Joseph Roth, Peter Altenberg, Elias Canetti, sowie dessen Frau Veza Canetti, die Juden waren.

Von “Die gelbe Straße” gibt es einen Textausschnitt, der mich so neugierig gemacht hat, dass ich das Buch lesen werde

Der zweite Schwerpunkt des Museums liegt dann natürlich auch auf dem jüdischen Charakter der Leopoldstadt, die auch “Mazzesinsel” genannt wird. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung lebt(e) in diesem Bezirk, weshalb sich das Museum besonders den jüdischem Glauben, den Gebräuchen und Symbolen, aber natürlich auch der tragischen Geschichte während der NS-Zeit widmet. Damals wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung vertrieben, was einen großen Bevölkerungsverlust in diesem Bezirk zur Folge hatte. Nach dem Krieg kamen allerdings viele emigrierte Juden wieder zurück in die Josefstadt, sodass der zweite Bezirk seinen früheren Flair zurückerhielt, wenn auch in geringerem Ausmaß als früher.

Ausstellungsraum Bezirksmuseum Leopoldstadt

Insgesamt ist das Museum also so voller sehr vielfältiger Informationen, dass eine Stunde nicht wirklich reicht, um es zu “bewältigen”; allerdings ist man da schon relativ erschlagen von den vielen Texten und Ausstellungsstücken und nicht mehr so aufnahmefähig.

Ich werde also sicher nochmal wiederkommen und mir vielleicht auch noch andere Bezirksmuseen anschauen, ich kenne noch sehr wenige.

Das Riesenradmodell im Bezirksmuseum Leopoldsstadt

Oscars, das wars

Es gibt eine Neuerung bei den Oscars: Es fängt in MEZ jetzt schon gegen 23 Uhr mit dem Red Carpet an und ab Mitternacht ist dann die Verleihung; so konnte ich leider nicht anders als aufzubleiben, so bis 3.30 Uhr, und somit hab ich das erste mal in meinem Leben die gesamte Oscar-Show gesehen.

Die Show war recht unterhaltsam und auch kurzweilig, ich bin zwar nicht der größe Fan von Jimmy Kimmel, aber schön fand ich seine Aussage, dass man quasi durch den Writers Strike den Einsatz von KI im Film zumindest vorerst mal zurückgedrängt hat: “Thanks to this historic agreement, actors are now able to go back to worry about being replaced by younger, more attractive people and I think that is great.” Great war auch die I am just Ken Performance von Ryan Gosling. Ich weiß, er hat in Barbie auch schon gesungen und auch in La La Land, aber in einem Film zu singen, ist halt doch noch mal was anderes als live vor Publikum. Am Ende kam noch Slash aus den 1990-er Jahren und spielte ein Gitarrensolo, warum weiß man nicht, aber lustig wars doch, sogar Martin Scorsese, sonst bei solchen Award-Shows meist im Halbschlaf, sah richtig glücklich aus.

Dann gabs das alljährliche “In Memoriam”-Segment, wo gefühlt eh immer Time to say goodbye zu hören ist, diesmal aber auch tatsächlich, performt von Andrea Bocelli samt Sohn. In dem Segment hofft man dann, dass die Academy eh keinen vergessen hat, der einem selbst wichtig ist, Matthew Perry war gottseidank dabei. Jonathan Glazer, selbst Jude, der mit The Zone of Interest den Preis für “Best International Feature” gewonnen hat, hat wiederum an die Opfer des 7. Oktober und aber auch die im Gazastreifen erinnert, und mehr hat er nicht gebraucht, das ist heutzutage in sozialen Medien fast so kontroversiell wie ein Papst, der für Frieden eintritt.

Die größe Knalleffekt bei den Preisen war vielleicht Emma Stone als beste Hauptdarstellerin- in den letzten Wochen war Lily Gladstone favorisiert worden, da sie die erste indigene Darstellerin gewesen wäre, die einen Oscar erhalten hätte und solche Narrative lieben die Oscars ja oft und Stone hat eh schon einen Oscar etcetera. Stone hatte mit ihrer Auszeichung sichtlich selbst nicht gerechnet, außerdem war ihr Kleid hinten aufgeplatzt, während des Ken-Auftritts, wie sie selbst sagte, bei dem sie mit ihrem Ex La La Land-Partner Gosling auch kurz gesungen hatte. Sie war jedenfalls spektakulär gut in Poor Things.

Oppenheimer Nebendarsteller Robert Downey jr. sagte in seiner Dankesrede: “Thanks to my terrible childhood” Downey juniors Auszeichnung hatte diesen “Phoenix aus der Asche” Moment; in den 1990er Jahren war er schwer drogenabhängig – vermutlich auch wegen dieser Kindheit – und auch im Gefängnis, wurde aus allen Produktionen rausgekickt, sein Leben war fast zu Ende, seine Karriere war es definitiv. Dann wurde in den 2010er mit Iron-Man zu einem Star des Mainstreamkinos und jetzt als Oppenheimer-Antagonist Lewis Strauss hat er auch im “Charakterfach” reüssiert. Auch das ist ein schöner Oscar-Narrativ, vor allem aber eine Erinnerung daran, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte.

Oscar Wette

Almi, wie überraschend waren für dich die diesjährigen Oscar-Ergebnisse?

Almi aka Heidi@Home:

20 von 23 richtig beim Uncut-Tippspiel:

Falsch hatte ich: Best Visual Effects, Best Makeup & Hairstyling und Best Animated Short.

Bei Best Animated Short hatte ich echt keine Ahnung und habe mich für Letter to a Pig entschieden. Nur deshalb, weil das Kind Schweine liebt. Man sollte sich nie von Gefühlen leiten lassen, harhar.

Oscar Countdown

Ja, es ist vollbracht, vor der heutigen Oscar-Verleihung habe ich jetzt alle zehn in der Kategorie “Best Film” nominierten Filme gesehen. Das habe ich bisher noch nie geschafft, weil auch nicht immer alle Filme vor der Verleihung bei uns zu verfügbar waren.

Der letzte war zugegebenermaßen ein bisschen eine Überwindung, weil ich mit Martin Scorsese leider wenig anfangen kann und meistens schon nach 25, 30 Minuten total aus dem jeweiligen Film kippe; und Killers of the Flower Moon dauert dreieinhalb Stunden. Das Thema – die mörderische Ausbeutung der Osage-Indigenen – ist ein wichtiges und auch erschütterndes, aber ich kann so schwer mit der Art von Scorsese Geschichten zu erzählen connecten. Das ist leider auch bei diesem Film nicht anders, wobei er mich wahrscheinlich mehr erreicht hätte, wenn er circa eine Stunde kürzer wäre. Oder eineinhalb.

Noch ein paar Dinge, die mir bei den Filmen so durch den Kopf gehen. Es gibt heuer drei Filme, die teilweise in schwarz/weiß gedreht wurden. Poor Things und Maestro haben einen Vorher-Teil, der schwarz/weiß ist und ab einem gewissen erzählerischen Moment kommt die Farbe hinzu (natürlich auch metaphorisch gesehen). Das macht Oppenheimer anders, dort gibt es Farbe, wenn aus der Sicht Oppenheimers erzählt wird, wenn die Perspektive auf eine “objektive” Sichtweise wechselt, sind die Szenen schwarz/weiß, was auch sehr reizvoll ist. Es überwiegen aber die Szenen in Farbe.

Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller spielt in gleich zwei der nominierten Filmen mit. Für Anatomie eines Falls wurde sie als beste Hauptdarstellerin auch nominiert; in The Zone of Interest spielt sie eine wichtige Nebenrolle. In Anatomie eines Falls spricht sie französisch und englisch, in The Zone of Interest ausschließlich deutsch. Interessant ist auch, dass Anatomie eines Falles der französischen Regisseurin Justine Triet zwar die goldene Palme in Cannes erhielt und für fünf Oscars (darunter bester Film und beste Regie) nominiert ist, Frankreich sich aber entschieden hat, einen anderen Film – nämlich Geliebte Köchin – als “Best International Feature Film” einzureichen. Es wird gemutmaßt, dass das deshalb passiert ist, weil befürchtet wurde, dass in Anatomie eines Falls zuviel englisch gesprochen wird und es darf nur einen gewissen Englisch-Anteil geben. Tatsächlich zählt Gebliebte Köchin aber nun nicht zu den nominierten Filmen in der Kategorie “Best International Feature Film”

Oppenheimer-Regisseur Christopher Nolan wiederum verdanken wir es, dass es seit 2010 möglich ist, dass fünf bis zehn Filme in der Kategorie “Best Film” nominiert werden können; davor waren es immer nur fünf. Das liegt daran, dass Nolans The Dark Knight als Comicverfilmung die große Leerstelle bei den Oscars 2009 war. Zwar neunmal insgesamt nominiert, aber aufgrund seiner (eher formalen) Genre-Zugehörigkeit eben nicht tauglich für die Königskategorie. Mittlerweile dürfen also bis zu zehn Filme nominiert werden, sofern sie mindestens fünf Prozent der Stimme bei einer Vorauswahl erreicht haben.

Nolan – bisher achtmal nominiert – wird heuer seine ersten Oscars (vermutlich Plural) erhalten, während Bradley Cooper mittlerweile 12 mal nominiert wurde (als Schauspieler, Produzent, Regiesseur und Drehbuchautor), aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder leer ausgehen wird.

Ich könnte noch viel erzählen, aber ich denke, es reicht fürs erste. Harhar.

Eine schöne Woche

Das war eine schöne Woche.

Ich hatte ziemlich viel zu arbeiten, ein paar relativ heikle Deadlines, war aber dann doch früher fertig als erhofft, worauf mir mein langjähriger Auftraggeber schrieb: “Das war ja wirklich im Eiltempo. Shampoo wie Marko Arnautovic sagen würde.” Harhar

Dann gabs einmal Kebap zu Mittagessen mit dem Kind, selbst gekauft von mir, da keine Zeit zu kochen (siehe oben). Danach hat er mich ein paar Sachen für sein Biologiereferat zum Thema Frühgeburt gefragt – ich mein, wer sollte so ein Referat halten, wenn nicht er. Am Ende meinte er, er könnte jetzt bei der Quellenangabe “Mama” dazuschreiben. Ja, das ist tatsächlich das einzige naturwissenschaftliche Thema, bei dem ich mich wirklich auskenne.

Außerdem hab ich mir zwei Bücher des Drehbuchautors William Goldman bestellt, in denen er über seine Arbeitsweise erzählt, und lese natürlich gerade zahllose Artikel zum Thema: The Oscar – Who will win/Who should win. Das war echt ein herausragendes Filmjahr. Hier eine sehr liebevoll gemachte Montage, die nochmal alle Nominierten in der Kategorie “Best Film” vorstellt, es wird gelacht, es wird geweint, es wird geträumt und philosophiert, es gibt große Gefühle, wie im richtigen Leben:

Und last but not least habe ich diese Woche sehr liebe und aufmerksame Nachrichten von jemanden bekomme, an den ich viel denke und das macht mich so froh, ich kanns gar nicht sagen.

Fleabag revisited

Am Wochenende habe ich mir nochmal die Serie Fleabag – von und mit Phoebe Waller-Bridge- angeschaut. Das schafft man gut, weil es nur 12 Folgen sind. Ich finde es interessant, eine Serie nach einer gewissen Zeit nochmal zu sehen. Interessant war besonders, dass mir beim ersten Mal Sehen die erste Staffel besser gefallen hat, diesmal allerdings eindeutig die zweite.

SPOILER möglich.

Mein Fleabag Poster im Haus

In Staffel 1 hat Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) viele kurzlebige und bedeutungslose Affären. Schon in der allerersten Szene schafft Waller-Bridge es, ihre Hauptfigur ungemein vielschichtig zu zeigen, sodass der Zuseher keine Sekunde lang glaubt, dass es sich hier um eine Frau handelt, die völlig skrupel- und emotionslos ist, obwohl ihre scheinbar oberflächliche Lebensweise das vielleicht vermuten lassen würde. Später erfahren wir, dass sie sich schwere Vorwürfe wegen eines Fehlverhaltens ihrerseits macht, das schlimme Folgen hatte. Fleabag wartet also hier auf einen Mann, der sie mitten in der Nacht angerufen hat, ob er vorbeikommen kann und erklärt dem Publikum – eines der Markenzeichen der Serie ist, dass Fleabag mit dem Publikum interagiert – dass sie nun extra geduscht und sich die Beine rasiert hätte, Wein getrunken und jetzt gleich so tun wird, als hätte sie vergessen, dass er vorbeikommt. Sie tut auf supercool, ist aber nervös und gibt das vor dem Publikum auch zu. Das ist total sympathisch. Am Ende der Staffel kann sie endlich mit jemandem reden, der ihr sagt: “Menschen machen Fehler”, was irgendwie eine Selbstverständlichkeit ist, aber manchmal muss man das von jemand anderem hören, um es auch glauben zu können.

Meine allerliebste Folge ist Folge 1 von Staffel zwei, als sich Fleabags Familie zum Abendessen trifft, praktisch die ganze Folge spielt in dem Restaurant. Ihr Vater, dessen Lebensgefährtin, ihre Schwester Claire mit Mann und der Priester, der Fleabags Vater und seine Freundin bald trauen wird. Die toxische Dynamik innerhalb der Familie wird sehr notdürftig durch das gediegene Ambiente unterdrückt bzw neutralisiert. Dazu kommt eine “needy waitdress”, die viel zu viel präsent ist und dauernd helfen will, dabei aber nur zusätzlich Unruhe in die Runde bringt. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie Menschen miteinander reden und dabei ausschließlich Banalitäten austauschen, die aber quasi seitenlange Fußnoten als Subtext haben. Fleabags zukünftige narzisstische Stiefmutter ist over the top freundlich, aber nur um ihren fast schon pathologischen Widerwillen gegen ihre Stieftöchter in spe zu verschleiern; der Vater ist liebenswert-hilflos der Situation ausgeliefert, er bemüht sich zwar, aber er steht zwischen seiner neuen Frau und den Töchtern, mit Tendenz zur neuen Frau. Fleabags Schwester ist ein lieber Mensch, aber in ihrem Perfektionismus gefangen, außerdem will sie es immer allen recht machen; ihr Schwager ist rüpelhaft und laut und der Priester, den Fleabag an diesem Abend kennenlernt, ist so entwaffend menschlich und liebenswert, dass sich Fleabag natürlich in ihn verliebt. Am Ende lösen sich die aufgestauten Emotionen in einer Schlägerei, an der Fleabag natürlich ursächlich beteiligt ist, weil sie es ablehnt, die Fassade weiterhin aufrecht zu erhalten. Als sie mit ihrer Schwester in einem typischen Londoner Cab ins Krankenhaus fährt, sagt die Schwester: “The priest is quite hot” und Fleabag: “So hot!”

Waller-Bridge schreibt so gute Szenen und Dialoge, sowas bewundere ich wirklich sehr, sie schafft auch so interessante (Frauen)figuren. Ja und der “hot priest” wurde dann ein Meme, weil sich herausstellte, dass ihn alle lieben und außerdem ist Andrew Scott noch in anderen Rollen großartig, derzeit in All of us Strangers und bald als Ripley in einer neuen Serie.

ESC: Songchecks ade

Ich hab einen Grant.

Heute wurde bekanntgegeben, dass es heuer keine NDR Songchecks geben wird. Das waren die Sendungen, die vornehmlich im Internet präsentiert wurden, in denen in den letzten Jahren die ESC-Songs im Detail, Song für Song besprochen wurden, mit vielen Menschen, die sich eingehend mit dem Songcontest beschäftigen und den Bewerb lieben. Es war immer sehr witzig und inspirierend, aber auch ungeheuer warmherzig und natürlich war es auch nerdig bis zum Abwinken und was für Freaks, aber die ESC-Bubble hat es geliebt und ich sage es ehrlich, ich hab mich auf die Songcheck-Woche mindestens ebenso gefreut wie auf die tatsächliche ESC-Woche. Es gab sogar Zeiten, da waren mir die Songchecks ein großer Trost. Wir brauchen nicht darüber reden ob das weird ist, ich geniere mich jedenfalls nicht dafür.

Und jetzt verzichtet der WDR einfach darauf und obwohl ich nichts zum deutschen ESC-Vorentscheid schreiben wollte, weil wenn man nichts positives zu sagen hat, kann man auch einfach mal nichts sagen, aber ganz ehrlich: Dafür war Geld da??? Und damit meine ich nicht die Künstler, sondern die Sendung an sich. Für eine absolut lieblose Show, bei der die Moderatorin Barbara Schöneberger sich einmal mehr als komplett desinteressiert am Songcontest geoutet hat, und nicht mal die Basics des Bewerbs verstanden und ihr ESC-Mindset aus den Nullerjahren sowieso nie hinterfragt hat. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Deutschland fast jedes Jahr so schlecht abschneidet, weil dem NDR, der dafür verantwortlich ist, offenbar so wenig an dem Bewerb an sich liegt, aber wenn man es nicht mit Herzblut macht, dann kann man es auch gleich lassen. Oder um Marco Schreuder zu zitieren: “Es war ganz grauenhaft, ganz schrecklich.”

Ja, Dinge ändern sich und man sollte sich im Leben eh an nichts zu sehr gewöhnen, aber trotzdem ist es enttäuschend und fies und auch traurig. Aber die Bubble wird um die Rückkehr der Songchecks kämpfen, lieber NDR, da bin ich ganz sicher, in den social medias rumpelt es schon gewaltig. Diabolisch-lächelnd gesendet.