Als wir letztens im Garten begonnen haben, unseren Pool wieder sommertauglich zu machen, hat das Kind direkt daneben einen Frosch entdeckt. Das war jetzt nicht so überraschend, da diverse Nachbarn heuer anscheinend alle schon sehr viele Frösche bei sich im Garten gefunden haben, und das ist auch nicht unbedingt unüberhörbar.
Wohin also mit dem Kerlchen, eine Co-Existenz in unserem Pool war nicht die allererste Wahl, aber irgendwo Wasser-nahe sollte es schon sein. Aja genau, wir wohnen ja an der alten Donau.
Also den leicht paralysierten Frosch in eine Transportbox gepackt…
…ins Auto gesetzt…von Liesing nach Floridsdorf gefahren…
…und in die Freiheit entlassen…
Er war sehr glücklich, zumindest sah es so aus, als er sofort weggeschwommen ist. Und das Kind war dann auch glücklich.
Auf Empfehlung habe ich letzte Woche das Buch Stillleben von Antonia Baum gelesen. Als ich es in der Buchhandlung gesucht habe, war es unter der Rubrik “Geschichte” eingeordnet. Und das verdeutlich schon ein bisschen das Problem von Stillleben, wenn man mich fragt.
Worum geht es? Um Dinge, in die es in der letzten Zeit recht oft geht, zumindest in einem eher urbanen, eher akademischen Milieu, moderne Mutterschaft und ihre Probleme. Baum arbeitet sich an den üblichen Dingen ab: Entscheidung für ein Kind ja oder nein (sie lässt es “passieren”), die Vereinbarkeitsfrage, Beziehungsprobleme, Stillen oder nicht, Krabbelgruppen-Hass und so weiter. Baum schreibt sehr wahrhaftig und in vielen ihrer oft poetischen Sätze finde ich mich wieder, beispielsweise:
Nach der Geburt war mein Körper wund. Alles wund und offen und heiß. Die Wunde zwischen meinen Beinen, die Brüste. Die Gefühle in meiner Brust, die Nerven, die Hirnhaut, die Gedanken hinter meiner Stirn, die Augen, alles war wund und offen und heiß. Ab sofort war die Möglichkeit, etwas zu wollen und es dann zu tun, vollkommen ausgeschlossen. Alleinsein ausgeschlossen, aufstehen und gehen vollkommen ausgeschlossen.
Aber was geht darüberhinaus? Was ist der Erkenntnisgewinn? Antonia Baums Text ist ein Hybrid, dessen verschiedene Einzelteile nicht so ganz zueinanderfinden wollen. Sie schreibt über die sogenannte “Migrationsproblematik” und ausländerfeindliche Nachbarn, generell ihre Wohngegend, die ihr schwer zu schaffen macht, seit sie mehr Zeit zuhause verbringt, sie schreibt über Putzfrauen und deren Lebensumstände und baut auch andere gesellschaftspolitische Schlenker ein und man fragt sich, was das alles konkret mit Mutterschaft zu tun hat. Lieber würde man tiefergehende Gedanken dazu lesen.
Dass sie keine Lösungen für das große Thema Frau mit Kind hat, überrascht nicht, das muss auch nicht sein, aber mir geht ein bisschen der Mehrwert im Text ab, der sich zuoft in Nebenschauplätzen verliert. Vielleicht geht mir auch der Humor ab, den man in Werken mit ähnlicher Thematik bei Rike Drust (Muttergefühle, Gesamtausgabe) oder Doris Knecht (ich hab mal drüber geschrieben: Wie man fidel verspießert) findet. Dort werden ganz ähnliche Baustellen begangen, aber der Benefit ist, dass sie mit einer gehörigen Portion Humor und auch Selbstironie beschritten werden. Ich möchte Frau Baum nicht aufzwingen, ein unterhaltsames Buch zu schreiben, wenn ihr nicht danach ist, aber mir fällt es leichter, auch schwierige Dinge mit Humor zu betrachten. Und die Botschaft kommt, m.E., trotzdem rüber.
Am Ende von Baums Buch ist man als Leserin dann ganz ratlos, wenn sie eigentlich keine Lösungen hat, aber ihr Buch mit einer Art Glückseligkeits-Schwamm-drüber Message abschließt. Why, oh why? Dennoch hat mir Still leben einige interessante Stunden beschert, wenn das Gesamtbild für mich – wie gesagt – dann nicht ganz gestimmt hat.
Gestern hab ich mir – auf Empfehlung – I Tonya angesehen. Nominiert für einige Golden Globes und Oscars ist er, abgesehen vom Oscar für Nebendarstellerin Allison Janney, etwas untergegangen. Zu Unrecht!
I, Tonya beleuchtet die, den meisten von uns zumindest am Rande bekannte Geschichte der US-amerikanischen Eiskunstläuferin Tonya Harding (dargestellt von Margot Robbie). Harding war die erste US-Amerikanerin und die zweite Frau überhaupt, die es schaffte, einen dreifachen Axel zu stehen. Sie war technisch extrem gut, eckte allerdings aufgrund ihres familären Backgrounds und ihres – sagen wir – unkonventionellen Auftretens immer wieder bei den Juroren an. Da Eiskunstlauf ein Sport ist, der die Athleten nicht nur noch objektiven Kriterien beurteilt, sondern quasi ein Gesamtpaket, hatte sie dadurch einen enormen Wettbewerbsnachteil. Ihr Ehemann wollte die “Bedingungen ausgleichen” und verstrickte sich in dabei in ein Attentat auf ihre damals größte Rivalin und “Sauberfrau” Nancy Kerrigan…
Dieser Film ist kein Bio-Pic im herkömmlichen Sinne. Gleich am Anfang wird klargestellt, das ganze basiert auf “ironiefreien, hochgradig widersprüchlichen und absolut wahren Interviews.” Und es sind auch interviews mit den handelnden Personen, die dem Film den Charakter einer Mockumentary geben. Es wird ziemlich schnell klargestellt: DIE Wahrheit gibt es nicht und daher wird man sie in diesem Film auch nicht finden. Sehr schön illustiert, als man Tonya sieht, wie sie mit einer Pump-Gun auf ihren Mann schießt und danach sagt: “Das habe ich nie getan.” Es gelingt dem Film auch sehr gut, offenzulassen, wieviel Tonya Harding tatsächlich von den Plänen zum Attentat gewusst hat.
Was der Film hingegen vermittelt: eine Art Verständnis für seine Hauptdarstellerin. Alles, was Tonya Harding in ihrem Leben hatte, war der Eiskunstlauf. Sie kam aus sehr armen Verhältnissen. Ihre Mutter war gefühlskalt und grob, ihr Vater hat die Familie verlassen, ihr erster Freund und späterer Ehemann Jeff hatte quasi zwei Gesichter und eines davon war alles andere als schön. Auch er schlug Tonya regelmäßig. Tonya selbst war nicht sonderlich gebildet, derb in ihrer Wortwahl und eigenwillig auf dem Eis. Sie wollte keine Eisprinzessin sein, sondern performte ihren Kür zu Songs von ZZ Top und anderer eher harter Kost. Ihre Kostüme schneidert sie selbst. Tonya war und ist aber auch eine Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lässt und immer wieder aufsteht und alles gibt, um sich ihren Traum von einer olympischen Medaille zu erfüllen.
I, Tonya ist ein extrem interessant gemachter Film mit vielen originellen Einfällen; wenn etwa Tonya ihren Ehemann erstmals verlässt, dann tut sie das zu den ganz typischen Klängen eines achtziger Jahre Hits, Supertramps Goodbye Stranger. Und wenn sie in ihrer Garderobe sitzt und schminkt, psychisch komplett fertiggemacht durch den Medienrummel um ihre Person und durch die Befragungen durchs FBI, wirkt sie fast wie Batmans Joker, mit diesem künstlichen, hilflosen Grinsen, mit dem sie sich Mut machen will. I, Tonya vermittelt auch die Macht der Medien, für die diese Geschichte ein gefundenes Fressen war, und die gehörig dabei mithelfen, zu stigmatisieren und die Stimmung aufzuheizen. Nancy Kerrigan bleibt allerdings diesem Film seltsam fern, als wolle man sagen, sie hat damit nur ganz am Rande zu tun, um sie geht es nicht; Harding sagt nur einmal über sie: “Sie hat die Silbermedaille geholt und sieht aus als wäre sie in Hundescheiße getreten.” Kerrigan darf in diesem Film kein Wort sagen.
Am Ende empfindet sicher jeder anders über das, was er gerade gesehen hatte, was sicher auch im Sinne der Macher. Für mich ist I, Tonya ein schräger, aber auch ein tragischer Film, und wenn man liest, was aus Harding geworden ist, nämlich unter anderem eine Mutter, die der Welt mitgeben will, dass sie “eine gute Mutter ist”, dann kann man fast nicht anders, als darüber berührt zu sein.
Das Flip Lab ist eine Trampolinhalle in Schwechat – die voriges Jahr eröffnet wurde und dementsprechend modern und gut gepflegt ist – die wir gestern besucht haben.
…ins Fenster gesprungen… und stolz….
Man kann sie auch direkt mit der Schnellbahn erreichen, die Station ist quasi gleich neben der Halle. Das Flip Lab ist ein Paradies für Menschen, die gerne springen wie zum Beispiel mein Kind. Es gibt eine große Auswahl an Sprung- und Klettergelegenheiten und da nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern pro Stunde zugelassen wird, ist es auch in den Ferien nicht überfüllt gewesen.
Man kann online schon vorher reservieren, das ist dann günstiger und außerdem hat man dadurch einen Fixplatz. Auch wenns es preislich nicht gerade ein Schnäppchen ist (12 Euro für eine halbe Stunde, 19 Euro für eine Stunde) ist es sein Geld doch wert, wenn man das Angebot intensiv nutzt. Inkludiert sind dadurch auch eine Einschulung und ein gemeinsames Aufwärmen. Die obligatorischen Sprungsocken können dort auch erworben werden. Außerdem muss man eine Haftungserklärung unterschreiben, damit das Kind an allen Geräten trainieren kann.
Als Eltern bzw Zuschauer kann man sich auf einer Aussichtsterasse mit Blick auf die ganze Halle aufhalten, oder man nimmt sich quasi eine Foto-Akkreditierung (gegen Abgabe eines Ausweises), da bekommt man ein blaues Trikot und darf in der Halle herumgeistern und Fotos machen.
Es war jedenfalls ein sehr netter Ausflug mit einem Kindergartenfreund.
Am Wochenende hab ich mir also Call me by your name angesehen. Vorige Woche ausgezeichnet mit dem Drehbuch-Oscar für James Ivory, weitere Nominierungen für bester Film, Hauptdarsteller und bester Song.
Die Auslangslage: eine jüdisch-amerkanische Familie verbringt, wie jedes Jahr, den Sommer auf ihrem Anwesen in Norditalien. Zur Familie gehören der Vater, ein Professor für Archäologie (so genial Michael Stuhlbarg), die Mutter, sehr literaturaffin und der 17-jährige Sohn Elio (Timothee Chalamet), ein passionierter Musiker. Die drei haben ein sehr inniges Verhältnis zueinander. Der Status der Familie wird durch eine Haushälterin und einen eigenen Gärtner unterstrichen.
Jedes Jahr engagiert der Professor einen Studenten, der ihm bei seinen Forschungen assistiert. Diesmal ist es der 24-jährige Oliver (Armie Hammer), auch Jude, über den Elios Freundin Marzia sagt: “Sicuramente e meglio di quello dell’ anno scorso, aaa?”¹ Ungefähr: “Der ist aber viel besser als der letzte Jahr nicht wahr?” Damit meint sie, dass Oliver ein einnehmender Typ ist, sehr offen, locker, auch sehr gutaussehend. Elio runzelt die Stirn. Er findet Oliver eigentlich arrogant, und beklagt sich bei seinen Eltern, dass er sich immer mit einem dahingesagten “Later!” (bis später) aus dem Staub macht, wenn er genug von Gesellschaft hat.
Tatsächlich aber muss Elio eingestehen, dass er Gefühle für Oliver entwickelt. Gleichzeitig intensiviert sich seine Beziehung zu Marzia, was aber mehr als Flucht vor seinen homoerotischen Emotionen zu verstehen ist, so als wolle er sich selbst dazu zwingen, einen konventionellen Weg zu gehen. Doch letztendlich ist Elio – vermutlich auch durch die liebevolle Bindung zu seinen Eltern, die ihn sehr offen erzogen haben – mutig genug, sich seinen Gefühlen zu stellen, was bei Oliver allerdings zunächst auf Ablehnung stößt…
Regisseur Luca Guadagnino gelingt es perfekt, die Stimmung dieser endlos-trägen italienischen Sommer einzufangen, die einen energielos herumschleichen, und einen erst abends – nach Sonnenuntergang – munter werden lassen. Immer gibt es Pasta und Wein und Pfirsche, jede Menge Tagszeitungen und Bücher, es wird über Heidegger und dessen Rezeption diskutiert (“Does that make any sense to you?” fragt Oliver Elio einmal, nachdem er eine sehr wissenschaftliche Abhandlung über den Philosphen zitiert), und Elio antwortet auf die Frage, was man im Sommer hier macht, ungefähr, darauf warten, dass er endet. Das hat mich an Torbergs Tante Jolesch erinnert. Die Gesellschaft, die Guadagnino porträtiert, ist intellektuell-burgeois, aber nicht seelenlos, ganz im Gegenteil.
Was Elio und Oliver erleben, erzählt von der Liebe, nicht der homosexuellen oder der heterosexuellen, sondern von der Liebe an sich, da gibt es keine Unterschiede. Es geht um das Erschrecken vor tiefen Gefühle, der Unfassbarkeit, diese erwidert zu sehen, und dabei immer Zweifel zu haben; die anhaltende Angst vor Zurückweisung, die Ambivalenz, sich komplett im anderen verlieren zu wollen und gleichzeitig davor zurückzuschrecken, was das mit einem machen kann – ist die größte Liebe die, die letztendlich unerfüllt bleibt, weil sie keinen Alltag zu fürchten hat?
Was Elios Vater zum Umgang mit Gefühlen zu sagen hat, ist ebenso wahr wie schmerzlich, jedenfalls zutiefst menschlich. Und man mag lange, wie Elio, neben ihm am Sofa sitzen und ihm zuhören. Nicht, weil er sagt, dass alles gut wird, sondern weil er sagt, es muss gar nicht alles gut werden, es ist in Ordnung verwirrt und hilflos zu sein, das alles lässt uns lebendig fühlen, lebendiger als dass wir uns komplett vor allem abgrenzen und uns scheinbar unverwundbar machen, “Nature has cunning ways of finding our weakest spot.”
Ein sehr, sehr schöner, trauriger, aber auch lebensbejahender Film.
¹ Italiener verwenden gerne dieses charakteristische “aaa”, am Ende von Fragesätzen, um ihre Verblüffung auszudrücken. Harhar.
Ein ungarischer Minister war in Wien und hat sich über die dreckige Stadt, die hohe Kriminalität und die niedrige Lebensqualität durch die hohe Zuwanderung ausgelassen. Und das auf der Favoritenstraße, quasi dem Fanal dieser Phänomene.
Also Moment. Ich habe 37 Jahre in Favoriten gelebt, das fordert mich natürlich heraus, dazu etwas zu sagen. Ja, ich hab zu Favoriten nicht gerade eine leidenschaftliche Liebesbeziehung gepflegt. Ich bin im Urlaub nicht wach gelegen und habe es schmerzlich vermisst. Und ich hab mich irgendwann von Favoriten ohne die Spur des Anfluges von Sentimentalität getrennt, weil ich das Gefühl hatte, ich brauche jetzt etwas anderes in meinem Leben. Das heißt aber nicht, dass Favoriten nicht seine Qualitäten hat.
An Favoriten mochte ich zum Beispiel, dass man sein konnte wie man wollte. In Favoriten ist es jedem wurscht, was du machst und wie du ausschaust. Auf der Favoritenstraße prominierst du nicht, um gesehen zu werden, es würde auch keinen interessieren. Um in der Straßenbahnlinie 6 aufzufallen, musst du schon sehr skurill sein und selbst dann -… kurzum: Favoriten ist nicht elitär und will es nicht sein, Favoriten ist ziemlich rauh und direkt, eine ganz gute Lebensschule, und wenn du Streit anfangen willst, gelingt das wahrscheinlich besser als anderswo. Es kann sein, dass du mit deinem Kind auf dem Spielplatz bist und plötzlich beginnen sich zwei, drei, vier Väter zu prügeln und bald darauf kommt die Polizei, dafür brauchst du kein Hermestuch und Stöckelschuhe anziehen, wie das auf Spielplätzen in anderen Bezirken der Fall ist.
Nicht alles ist super in Favoriten. Es ist sicher kein Bezirk, den man auf den ersten Blick als extrem einnehmend bezeichnen würde. Aber Favoriten wandelt sich und muss sich verändern, es tut es auch, mein Favoriten von damals ist nicht mehr das von heute. Favoriten ist groß und vielfältig und ambivalent. Jede Ecke ist anders und es gibt auch pittoreske Flecken (ja wirklich). Favoriten braucht einiges, Zuwendung und Aufmerksamkeit wahrscheinlich, aber sicher kein unqualifiziertes Bashing und keine mitleidigen Blicke. Obwohl das eh an ihm abprallt. In seiner Sperrigkeit kann es nämlich sehr selbstbewusst sein.
Und wie ich mal gelesen habe: Du kriegst vielleicht dich aus Favoriten aber Favoriten nie aus dir raus. Und das ist irgendwie auch schön.
2010 war wieder ein Jahr für play it safe. The Kings Speech über den stotternden König Georg gewann damals, und ganz ehrlich, der gesamte Plot des Filmes verbirgt sich im Titel. Der wesentlich interessantere Colin Firth Film war im Jahr davor A Single Man, in dem Firth den Tod seines Lebenspartners nicht verkraftet. 2010 hatte mit Inception oder The Social Network zwei Filme am Puls der Zeit in der Nominierungsliste. Auch wenn der Falter zurecht schrieb, dass sich The Social Network “etwas über Gebühr als Königsdrama aufbläht” – es hatte wesentlich mehr, wie sagt man so schön, contemporary relevance
Im Jahr 2011 gewann ein Stummfilm die Auszeichnung bester Film und obwohl ich zuerst sehr skeptisch war, schafft The Artist tatsächlich über 100 Minuten fast ohne Worte zu fesseln, obwohl der Plot nicht extrem aufregend ist. Und wie gesagt, ich mag Filme, die andere Wege gehen und etwas neues versuchen, auch wenn es vielleicht nicht die Art von Film ist, die ich normalerweise bevorzugen
2012 wurde Ben Affleck – obwohl siegreich bei den Globes, Baftas, et al – nicht für den Regieoscar nicht nominiert, sein Film Argo allerdings schon. Sowas schätzen Oscarnerds nicht so sehr, vielleicht mit ein Grund, dass die gleichermaßen spannende wie unterhaltsame Geschichte (trotz des nicht witzigen Themas) später mit dem Preis in der Königsklasse ausgezeichnet wurde. 2013 wars weniger locker: der streckenweise sehr hart anzusehende Film 12 years a Slave über einen freien Schwarzen, der versklavt wird, wurde ausgezeichnet. Ich habe damals bei Die Academy drüber geschrieben.
Und nun zu meinem bisherigen Lieblingsgewinner der Nullerjahre: Birdman (or the unexpected virtue of ignorance) Alleine schon der Untertitel, brilliant. Viele fanden es ja schade, dass nicht Boyhood gewonnen hat, zugegebenermaßen ein sehr interessantes Konzept, einen Film über das Großwerden eines Jungens tatsächlich über 12 Jahre zu drehen. Nur hätte sich das ganze ein etwas komplexeres Drehbuch verdient gehabt. Birdman ist dagegen echt außergewöhnlich in seiner Machart, quasi ungeschnitten, zumindest hat man die Schnitte gut verborgen, mit einer sich ständig bewegenden Kamera, einem Schlagzeug, das die Schauspieler vor sich hertreibt, sehr amüsanten, spleenigen Dialogen, und Edward Norton ist dafür auch wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Ich mag Filme, die so speziell sind, dass sie sich kaum mit anderen vergleichen lassen.
2016 hat Spotlight gewonnen, ein solider gemachter, sehr spannender und wichtiger Film über Investigativjournalismus mit tollen Schauspielern. Und 2017 schließlich Moonlight, den ich leider noch immer nicht gesehen hab, weil ich ein bisschen traurig war, dass es nicht La La Land war, aber das ist ok.
Im Jahr 2004 wurde Million Dollar Baby von Clint Eastwood mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet und ich habe meine Probleme damit. Der erste Teil des Films ist in Ordung, wenn er mich auch nicht unbedingt zu Begeistertungsstürmen hinreißt, den zweiten Teil würde ich aber getrost als Pain-Porn bezeichnen. Ich möchte nicht zu sehr spoilern, falls ihn jemand nicht kennt, aber die halbdokumentarische Aufarbeitung einer Pathogenese ist nicht gerade das, was ich mir im fiktionalen Kino erwarte.
Einen wirklichen Skandal unter Filmnerds hat die Verleihung 2005 ausgelöst. Man erinnert sich, damals war Brokeback Mountain in aller Munde, die Liebesgeschichte zweier Cowboys von Ang Lee. Hochfavorisiert, sehr viel gewonnen bis zur Oscarnacht, gelobt für den mutigen Umgang mit dem Thema, noch dazu als Neo-Western, einem traditionell heteronormativ-virilen Genre and so on. Jedenfalls war dann nicht nur Jack Nicholson überrascht, als er das Kuvert öffnete und den Gewinner bekannt gab, der Crash hieß – ein Episodendrama, angesiedelt im Los Angeles der Gegenwart, das Rassismus und Vorurteile anhand von einigen miteinander verwobenen Geschichten beleuchtet. Hätte es damals schon Social Media im heutigen Ausmaß gegeben, dieser Gewinn hätte den Mega-Shitstrom ausgelöst. Ich muss ehrlich sagen, ich bin da echt zwiegespalten. Ich schätze die Message von Brokeback Mountain, ich finde das Thema wichtig und ich mag es, wenn Tabus gebrochen werden, aber ich fand den Film an sich, sorry, extrem öde. Jedenfalls wohl eine der Entscheidungen der Academy, die am kontroversiellsten diskutiert wurden, bis heute.
2006 hat Martin Scorsese dann endlich seinen ersten Oscar gewonnen, für einen Film, der eigentlich ein Remake war, The Departed. Für eingefleischte Scorsese-Fans wahrscheinlich der falsche Film, ich bin kein eingefleischter Fan und ich fand den Film gut, auch wenn er wohl nicht sein relevantester ist; die Konkurrenz war in diesem Jahr mit der sperrigen Eastwood Produktion Letters form Iwo Jima, der Feelgood Indie-Komödie Little Miss Sunshine, sowie der Innaritu Parabel Babel zwar interessant, aber da lag kein anderer Gewinner auf der Hand.
No Country for Old Man von den Coen-Brüdern gewann 2007 den Oscar und das geht für mich voll in Ordnung. Obwohl (oder weil?) er kein typisches Coen-Werk ist, der schräge Humor fehlt dieser Produktion großteils, es ist ein rauher, nüchterner Film, der von Gewalt erzählt, ohne dabei irgendeine Art von Karthasis im Blick zu haben. Und, was ich an diesem Film am erstaunlichsten finde: sein Höhepunkt findet ohne die Zuschauer statt. Das bedeutet, die Szene, die für den Film eigentlich die wichtigste ist, passiert quasi offline. Das ist sehr skurill, so als würde man im Finalspiel der Fußball-WM das entscheidende Tor verpassen, weil man sich gerade ein Bier holt. Das muss man sich als Regisseur erstmal trauen, seinen Zusehern zuzumuten, weil es komplett den Sehererwartungen zuwiderläuft. Und sowas mag ich ja sehr.
2008 war dann wieder ernüchternd für mich. Die Danny Boyle Produktion Slumdog Millionaire dominierte die Verleihung und ich weiß bis heute nicht wieso. Ich kann aber mit Danny Boyles Regiearbeiten grundsätzlich wenig anfangen. 2009 war mit The Hurt Locker dann wieder interessanter. Kathryn Bigelow war die erste Frau, die mit einem Regie-Oscar ausgezeichnet wurde, was ihr Ex-Mann James Cameron noch huldvoll beklatschte; als sie seiner Produktion Avatar dann allerdings noch den Preis wegschnappte, war er nicht mehr so begeistert.
Die Oscars stehen vor der Tür, daher eine kleine Rückschau auf die besten Filme der letzten zwanzig Jahre, in denen ich die Oscars intensiv verfolgt habe, um ein bisschen in Stimmung zu kommen.
1998 war ich ein großer Fan von Roberto Benigini und seinem Film Das Leben ist schön. Mit Shakespeare in Love, der dann zum besten Film des Jahres ausgezeichnet wurde, konnte ich weniger anfangen. Wenn man bedenkt wie selten es vorkommt, dass Komödien/Musicals dem Dramafach bevorzugt werden, fragt man sich schon, was diese harmlose und etwas orientierungslos erscheinende Liebeskomödie an sich hatte, um zu diesem Kreis der auserwählten aufgenommen zu werden. Mr Weinstein erhielt übrigens damals als Produzent den Oscar und dominierte von da an als Marketingmann die Academy Awards für nun ja, ziemlich lange Zeit bis #metoo.
1999 und schon wieder #metoo. Damals gewann American Beauty und wenn wir mal außer acht lassen, was Kevin Spacey heute vorgeworfen wird, muss ich ehrlich sagen, dass ich dieser Film bei meinem 23-jährigen Ich total den Nerv getroffen hat. Weil er eigentlich ein so untypischer Gewinnerfilm ist, eher eine Indie-Produktion, sehr Amerika/konsum/gesellschaftskritisch, wie er hinter die Fassaden von angepassten Familien blickt und Tabuthemen quasi im Vorbeigehen aufgreift und abarbeitet, ohne dabei irgeneinen moralischen Zeigefinger zu heben. Dazu ist dieser Film sehr ästhetisch in Bild und Musik, man glaubt kaum, wieviel Poesie ein herumflatterndes Einkaufssackerl haben kann, wenn man es richtig in Szene setzt.
2000 hat Gladiator gewonnen und sorry, der Film ist mir einfach zu langsam und zu lang und das Thema ist auch nicht wirklich meines. Das absolute Kontrastprogramm zum vorigen Jahr, eine monumentale Ridley Scott Produktion, die vor Pathos nur so trieft, aber wenn man auf römische Feldherren steht, die sinnierend durch ein Weizenfeld gehen, ist man hier richtig. Im Jahr darauf war übrigens schon wieder Russel Crowe, der an sich ja schon recht cool ist, in einem Gewinner-Film zu sehen, nämlich A Beautiful Mind. Crowe spielt darin das schizophrene Mathematik-Genie John Nash (den es tatsächlich gab) und man warf dieser Ron Horward Produktion vor, aus Kalkül die tatsächliche Persönlichkeit des John Nash von möglicherweise allzu problematischen Wesenszügen befreit zu haben. Der Film ist aber an sich nicht uninteressant, auch wenn ich 2001 total verknallt in Moulin Rouge war.
2002 hat dann tatsächlich ein Musicalfilm gewonnen, aus meiner Sicht aber der falsche. Chicago ist eine sehr angepasste Musical-Verfilmung, die mit Catherine Zeta-Jones eine tolle Nebendarstellerin hat, aber gegen die Baz Luhrmann’sche Innovationskraft sehr brav und bieder wirkt. Ich halte diesem Film nur zu gute, dass er Gangs of New York verhindert hat, den ich wirklich leidenschaftlich hasse. Harhar. Ja, ich weiß, das ist ein Sakrileg, weil von Martin Scorsese, aber ich kanns nicht ändern.
2003 gewann Lord of the Rings alle verfügbaren Oscars außerhalb der Schauspielerkategorien, in denen er nicht nominiert war – ein sogenannter Clean Sweep. Was irgendwie ein bisschen schade ist, weil sowohl Lost in Translation als auch Master and Commander (schon wieder Russel) und auch Mystic River die für mich die wesentlich spannenderen Filme waren, aber Hype ist Hype. Ich bin aber auch kein Fantasy-Fan.