almis personal blog

Fünfter September

Heute hat die ZIB 2 Journalistin Lou Lorenz-Dittlbacher zum Tod einer BBC Journalistin, Rachael Bland, getwittert, die mit 40 an Brustkrebs verstorben ist – sie hatte einen kleinen Sohn und  hatte via Socia Media ihre Follower über den Verlauf ihrer Krankheit und ihren Umgang damit auf dem laufenden gehalten.

Das hat mich betroffen gemacht, und da ist mir eingefallen, dass ich heute vor fünf Jahre eine der schlimmsten SMSen meines Lebens erhalten habe. Die Vorschichte dazu: Meine Freundin H. war 2010 an Brustkrebs erkrankt, der durch Therapien vorläufig geheilt wurde. Im Sommer 2013 hatte sie sich sehr krank gefühlt, aber recht undefinierbar, und Anfang September hatte sie mir geschrieben, sie sei jetzt im Krankenhaus. Auf meine Nachfragen kam zunächst nichts zurück, bis ich an besagtem 5.9. auf einer Parkbank vorm Q19 in Döbling saß, bei ähnlichem schönem sonnigen Wetter wie heute, und auf das Kind wartete, das bei einem Kindergeburtstag war. Obwohl ich quasi “frei” hatte und die Sonne genießen hätte konnten, war ich sehr unruhig, weil ich die Antwort von H. erwartete und ein ganz schlechtes Gefühl hatte. Und dann kam die SMS, mit der Nachricht von Metastasen in Leber, Lunge, Haut, Gehirn.

Ich weiß noch, wie ich einfach nur da saß und nicht wusste, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, was ich ihr zurückschreiben sollte, ich wusste nicht, wie ich gleich das Kind abholen gehen sollte, ich wusste nicht mit wem ich darüber reden sollte. Ich las die SMS wieder und wieder, weil es so unfassbar war.

Mit H. hatte ich die Jahre davor viel Zeit verbracht. Ich kannte sie eigentlich über ihre Schwester, die meine Arbeitskollegin war und 2005 an Krebs gestorben war. H. hatte mich nach dem Begräbnis gefragt, ob wir uns weiter treffen könnten. Sie hatte sich mit mir gefreut, als ich schwanger war und mit mir gezittert, als das Kind im Krankenhaus lag. Sie hätte sich auch ein Kind gewünscht, hatte mir aber einmal gesagt, vielleicht sei es besser, sie würde keines bekommen, denn “wer weiß wieviel Zeit ich habe.” Und dennoch war sie kein bitterer Mensch, ganz im Gegenteil.

Nach diesem 5. September war ich sie im Krankenhaus besuchen und durch diverse Therapien konnten wir dann noch einige Wochen miteinander Zeit verbringen. Wir gingen frühstücken und essen und spazieren, wie wir das früher auch gemacht haben und es ging ihr recht gut. Sie sagte, eine Ärztin hätte gemeint, die Schlacht ist verloren, aber der Krieg noch nicht. Und wir wollten daran glauben, dass dieser Krieg noch lange dauern würde.

Anfang Dezember schrieb sie mir, sie hätte eine Lungenentzündung und wäre im Spital und dann kam keinen Antworten mehr auf meine SMS. Ihre Mutter rief mich an und sagte, sie wäre zu schwach, mir zu antworten. Am nächsten Tag fuhr ich ins Krankenhaus, weil ich wusste, ich muss das tun. Ich saß eine halbe Stunde am Gang und traute mich nicht in ihr Zimmer. Ich hatte Angst, nicht darauf vorbereitet zu sein, was mich erwarten würde. Und wie sich später herausstellte, hatte ich damit vollkommen recht gehabt. Aber dann dachte ich, es geht jetzt nicht um mich. Ich sterbe jetzt nicht. Und dann ging ich hinein.

Sie war nicht mehr in der Lage zu sprechen, also hab ich gesprochen. Und wenn sie etwas sagen wollte und nicht konnte, hab ich ihre Hand genommen und gesagt, das würde sie mir das nächste Mal sagen, wenn sie sich besser fühlen würde und ich würde eh spüren was sie ausdrücken wollte. Als ich ging, sagte ich ihr, ich komme bald wieder, obwohl ich wusste, dass es gelogen war. Eine halbe Stunde später war sie tot. Ich saß von Ottakring bis Wien Mitte in der U3 und versuchte, nicht zu auffällig zu weinen.

Ich habe eines mitgenommen, aus dieser Geschichte, nämlich, dass ich mein Leben leben muss. So banal diese Erkenntnis auch sein mag, so im Alltag, wenn man so etwas erlebt spürt man, dass man nicht ewig Zeit hat. Und dass man das Leben auskosten muss, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Deshalb sind wir einige Tage danach für einen Tag nach Kärnten gefahren, um mit einer alten Dampflok durch die verschneite Landschaft zu fahren. Und ich habe ab diesem Zeitpunkt Dinge getan, die ich früher vielleicht nicht gemacht hätte.

Ich spür mich sehr, heute am 5. September 2018, und vielleicht würde sich H. darüber freuen.

Happy 2018

Bono Vox hat ja mal gesagt/gesungen: “Nothing changes on new years day”.

Ich bin ja nicht gerade ein Bono oder U2-Fan, aber da kann ich ihm jetzt nicht direkt widersprechen. Übrigens hat er (Bono) vor kurzem ein langes Interview im Rolling Stone gegeben, dass auf twitter als “Goldstandard für absurde Äußerungen egomanischer Altherren ohne Self-Awareness” – (c) L. Moosmann – bezeichnet wurde und die Beschreibung hat mir sehr gut gefallen. Ich hab ja mit Bono ein ähnliches Problem wie etwa mit Campino von den Toten Hosen, beide verbindet mangelnde Selbstironie. Und ich find Leute, die nicht ein Quentchen Selbstironie mitbringen, manchmal ein bisschen mühsam.

Jedenfalls Jahreswechsel: am 31. hab ich einen langen Spaziergang an der alten Donau gemacht, die immer fotogen ist, besonders aber in der Dämmerung im Winter.

Bye 2017, ich werd dich nicht vergessen.

Embrace the change!

Immer wieder erscheinen auf Elternblogs sentimentale Texte, dass die Kinder so schnell groß werden und einem die Zeit quasi durch die Finger rinnt.

Ich habs ja persönlich nicht sehr mit der Sentimentalität an sich, es ist einer dieser Gefühlszustände, die ich nicht sonderlich gut leiden kann, weil sie immer so ins leicht depressive abzugleiten drohen, und ganz nachvollziehen kann ich es auch nicht, wenn (zumeist) Mütter trauern, wenn aus Babys Kleinkinder, aus Kleinkindern Kindergartenkinder, aus Kindergartenkinder Schulkinder usw. werden. Ich hatte auch nie das Gefühl, dass alles zu schnell geht. Mag daran liegen, dass ich drei Jahre quasi rund um die Uhr mein Kind betreut habe und wirklich praktisch alles hautnah miterlebt habe, was es da zu erleben gibt.

Es gibt ja diesen Text, dass man oft nicht weiß, wann alles zum letzten Mal passiert, also beispielsweise, das letzte Mal, dass man sein Kind stillt, es am Arm trägt und so weiter. Ich hab ja nicht wirklich gestillt, abgesehen von zwei, drei eher glücklosen Versuchen, aber ich weiß nicht, wieviele Fläschchen ich gegeben habe und wieviele Windeln gewechselt und wie oft ich nachts wach war und wie oft ich das Kind von da nach dort getragen hab oder einfach im Kreis herum, es war jedenfalls alles wirklich oft genug für mich. Harhar. Ich sehe Veränderung auch nicht als etwas schlechtes an, etwas wovor man sich fürchten muss, auch wenn ich sonst durchaus auch ein Gewohnheitstier sein kann. Aber, dass ein Kind wächst und mehr kann, vor allem mehr versteht und sich differenzierter ausdrückt und man besser mit ihm reden kann, dass man das Gefühl hat, es begreift die Welt langsam und entwickelt eine eigene Perspektive, über die man sich mit ihm austauschen kann, das finde ich absolut großartig und will ich never ever zurücktauschen, nicht für eine Stunde.

Wie kam ich jetzt darauf, aja genau, ich hoffe, ich habe das letzte Mal “Wir haben Läuse in der Klasse, bitte untersuchen sie ihr Kind” bereits hinter mir, ohne es zu wissen. Denn dieses Jahr, oh Wunder, gabs noch gar keinen derartigen Alarm und ich könnte wirklich gut damit leben, wenn das so bliebe.

1986

Ich mag das, wie Kurier-Journalist Guido Tartarotti schreibt, weil er es wunderbar, wenn auch sehr unaufgeregt, schafft, Stimmungen und wenn man so will Zeitgeist einzufangen.

Als die Grünen in Österreich jetzt vor kurzem aus dem Parlament gewählt worden sind, hat er einen Text dazu verfasst, dass für ihn jetzt tatsächlich irgendwie erst das Jahr 1986 beendet ist, das Jahr, in denen die Grünen erstmals ins Parlament einzogen. Und mit nur ein paar Sätzen spannt er den Bogen von damals nach heute und jeder, der 1986 irgendwie in einer ähnlichen Altersgruppe war, kann wohl damit was anfangen.

Ich kann mich zum Beispiel erinnern, dass ich mit meinen Eltern und Freunden mit Kindern wandern war, auf irgendeinem Wiener Hausberg und als wir oben waren, hat es plötzlich zu regnen begonnen. Wir haben uns unter Bäumen untergestellt, aber bis heute frag ich mich, ob wir Kinder nicht einfach auch in den Regen gelaufen sind und die Zunge rausgestreckt haben, um den Regen zu schmecken, wie wir es oft taten. Warum mich das beschäftigt?

Weil einige Tage (sic!) danach wurde im Fernsehen bekannt gegeben, dass es einen Störfall im Reaktor von Tschernobyl gegeben hatte, und der Regen, in dem wir damals quasi tanzten, womöglich ziemlich radioaktiv verseucht war. Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern mich daraufhin dazu angehalten haben, nicht in der Wiese in unserem Garten zu spielen, aber ich glaube, so richtig daran gehalten hab ich mich nicht, ich habe die ganze Tragweite der Sache nicht verstanden oder für überzogen gehalten. Wie man als Kind halt denkt, man ist unbesiegbar. Immerhin dürfte diese Katastrophe aber das Aus für Atomkraft in Österreich bedeutet haben.

Ich habe dann mit Tartarotti auf Twitter über das Lied “Solo por ti”, das er im Text erwähnt und damals ein Hit war, diskuiert, mir hat das damals nämlich gefallen. Wobei ich es, bis zu der Erwähnung im Text, komplett vergessen hatte. Wir hatten damals eine Bekannte, die in einem Plattengeschäft gearbeitet hat und mir immer die aktuellen Hits – wie auch diesen –  auf Musikkassette überspielt hat, die ich mir dann stundenlang auf meinem Kassettenrecorder (das klingt alles extrem Vintage, merk ich gerade) angehört habe. Tartarotti fand den Song “fürchterlichst”. Das mag aber daran liegen, dass er damals 18 war und ich eben erst zehn. Ich glaube, im Endeffekt hat er schon einen Punkt, es hat etwas von guilty pleasure Hörvergnügen. Harhar.

18 Jahre.

Gestern schreibt mir eine Freundin, dass ihre Schwester ein Baby bekommen hat und merkte an “…es wird jetzt einige Zeit dauern, bis ihre Welt nicht mehr Kopf steht.”

Darauf hab ich zurückgeschrieben: “Ja, ungefähr 18 Jahre.”

Passt auch sehr gut zu der Alexa Werbung, wo das Kleinkind die Spaghetti überall auf dem Hochstuhl und auf dem darunterliegenden Boden verteilt hat, und die Mutter sagt (leicht verzweifelt): “Alexa, wieviele Minuten sind 18 Jahre?”

Ich finde die Werbung echt witzig, ich lach jedesmal und das Kind lacht auch, was mich aus zwei Gründen freut, erstens, dass er den Witz versteht und zweitens, dass ich er nicht sauer ist, dass ich das lustig finde.

Friday Fives

Heute mach ich auch mal bei der wöchentlichen Rubrik von Buntraum mit, den Friday Fives. Weil die Woche einfach besonders war.

Wofür war ich diese Woche dankbar?

1. Am Wochenende war ich bei einer sehr netten Geburtstagsfeier, wo wir bis in die Nacht gepokert haben. Obwohl ich so mittelmäßig pokere (ich hatte einen Schummelzettel mit, was eine Straße, ein Flash usw. ist), wars wirklich sehr lustig und es gab eine Menge an Gewinnen. Neben Schokolade hab ich sogar drei Euro via Brieflos gewonnen. Während die anderen “Millionenshow”-Teilnahme ausgefasst haben. Boah, wie dankbar bin ich, dass ich das nicht gezogen hab. Weil es wird nämlich eingeschickt…

2. Am Montag hat unser Modern Jazz wieder gestartet. Eigentlich noch nicht wirklich, im Februar sind Schnupperstunden, aber weil wir uns fürs Sommersemester eingeschrieben haben, dürfen wir gratis schnuppern. Unser Trainer ist gottseidank immer noch in Wien und so werden wir zumindest noch bis im Sommer in den Genuß seiner echt anstrengenden, dafür aber auch enorm witzigen Stunden kommen. Auch wenn das Kind sich fragt, wieso ich – seit ich den Kurs besuche – in meiner Freizeit dauernd tanzen muss? Harhar.

3. Am Dienstag war ich mit der Klasse vom Kind in der Bücherei. Und zwar um acht Uhr früh, nach der montäglichen Jazzstunde. Und man geht doch eine Weile hin und zurück. Aber das Kind wollte gerne, dass ich mitkomme und ich habs auch nicht bereut, es war wirklich nett. Vorallem merkt man so deutlich den Unterschied, wie sehr sich die Kinder verändert haben, seit letztem Jahr, wo es irgendwie noch viel chaotischer zuging. Auch wenn in der Mama Timeline und auf den Elternblogs gerade die große Baby-Nostalgiewelle ausbricht, wo wir uns allen den Wechseljahren nähern (harhar), kann ich das für mich gar nicht sagen. Ich genieße es sehr, dass das Kind schon so groß ist und sich weiterentwickelt.

4. Ich darf wieder Christine Nöstlinger lesen. Ich bin so froh, dass dem Kind diese Autorin auch gefällt, weil so komme ich dazu, meine ganzen alten Lieblingsbücher wieder zu lesen. So haben wir gerade Das Austauschkind fertiggelesen und sind jetzt bei Anatol und die Wurschtelfrau. In diesem Buch sind übrigens noch die original Schokofinger-Flecken von mir von vor 30 Jahren drinnen. Harhar.

5. Ich hab ein ganz tolles Kompliment bekommen, das mich echt sehr berührt hat und ich habe dem Reflex widerstanden es irgendwie abzuwiegeln oder abzuwehren, wie man das ja oft aus Verlegenheit macht und weil man ja nicht unbescheiden sein will. Aber ich glaube mit knapp 41 hab ich jetzt ein Alter erreicht, in dem ich schöne Dinge, die man mir sagt, nicht mehr aus Nervösität zurückweisen werde, sondern sie als das nehmen, was sie sind und sie richtig genießen. Das fühlt sich nämlich wirklich hervorragend an.

Weitere Friday Fives findet ihr – wie jede Woche übrigens – bei Buntraum.

Zeugnis

Letzte Woche gabs beim Kind Zeugnis (das erste mit Noten) und aus diesem Anlaß hab ich meine alten Zeugnisse hervorgeholt und durchgesehen.

Ich muss sagen, ich war echt nicht sonderlich gut in der Schule. Meinen letzten Dreier in Mathematik hatte ich im ersten Halbjahr der 1. Klasse Gymnasium und dann erst wieder bei der Matura (um einen Punkt den Zweier verpasst). Dazwischen nur Vierer und leider auch Schlechteres.

Als ich gerade in Nostalgie geriet – gibts einen negativen Ausdruck für Nostalgie? – war der Nachbarsjunge da und ich zeigte ihm meine Zeugnisse, in denen ich in Mathematik mit “Nicht genügend” bewertet worden bin.

Und er (total entsetzt): “Wie geht das bitte??”

Und ich: “Ach so schwer war das gar nicht…”

Und er: “Mein Papa hatte nur Einser” (Anmerkung: sein Papa ist Uni-Lektor)

Und ich (kleinlaut): “Auf der Uni war ich dann schon besser.”

To let go

Gestern hatte ich ein irgendwie flashiges Erlebnis.

Meine beste Freundin aus Kindertagen hat ein Foto auf facebook gepostet, dass ihre Tochter beim Betreten das Flughafens zeigt und dazu geschrieben: Time to let her go. Das war aus einigen Gründen bemerkenswert.

Erst einmal, weil ich mich plötzlich sehr lebhaft daran erinnert habe, wie das so war, als wir beide damals 16 waren. Unsere Freundschaft war von so manchen ups und downs gekennzeichnet und mittlerweile haben wir nur noch in sehr, sehr losen Kontakt. Die Gründe sind, denke ich mannigfaltig, vor allem aber waren wir eigentlich immer grundverschieden, ich konnte mit ihrer Welt nichts anfangen und umgekehrt, sie wollte Party machen, ich wollte lesen, sie wollten Action im Kino sehen und ich irgendwelche französischen Problemfilme, sie hatte eine Fußkette und ich nicht mal Ohrringe, sie war sehr offen und ich sehr zurückhaltend; und so passierten wohl gegenseitig viele Verletzungen, die irgendwann einmal zu einem Bruch führten. Aber mit knapp 16, so alt wie ihre Tochter jetzt ist (!), da haben wir uns super verstanden. Mit 16 war alles plötzlich sehr aufregend, mit dem ersten Freund und so, da braucht man jemanden, mit dem man über alles reden kann und so eine Freundin war sie für mich und ich glaub, auch ich für sie. Das war vielleicht diese eine, kurzen Zeitspanne, wo wir auf der selben Welle lagen und uns alles anvertrauten.

Aber dann driftete es auseinander. Als sie ihre Tochter bekam, war ich gerade erst von daheim ausgezogen und dabei mein Studium abzuschließen, und ich sah sie nur ganz zufällig, wir hatten schon jahrelang nichts mehr voneinander gehört. Es war für mich komisch, gar nichts mehr von ihr zu wissen, und auch in diesem Moment nichts zu erfahren, nur zu sehen, dass sie ganz woanders in ihrem Leben stand als ich. Später, als ich ein Baby hatte und ihr Mädchen schon ein Volksschulkind war, da haben wir uns wieder zufällig gesehen, aber sie hat mich gar nicht erkannt, als ich mit dem Kinderwagen die Straße hinunterging, sie hat nur den Kinderwagen gesehen und zu ihrer Tochter gesagt, “Pass mit dem Roller auf.” Ich habe gar nichts gesagt, weil ich gerade aus der schlimmsten Phase meines Lebens wieder aufgetaucht war und eigentlich nicht darüber reden wollte. Und wer weiß, welche schlimmen Phasen sie vielleicht schon hinter sich hatte und sich vielleicht das gleiche dachte?

Und jetzt geht ihre Tochter weg, wie lange, das weiß ich nicht, und wohin, auch nicht, aber weiter weg, glaube ich, und wieder denke ich mir, wow, was sie schon alles erlebt hat, mit ihrem Kind und was sie schon alles weiß, von dem ich noch gar keine Ahnung habe, einfach, weil ihr Kind sechseinhalb Jahre älter ist als meines. Und wow, überhaupt schon so ein großes Kind zu haben, eine Teenagerin, wann sind wir eigentlich so alt geworden? Und, ob das “time to let her go” ängstlich war, oder bestimmt oder auch irgendwie erleichtert? Traurig oder stolz oder hoffnungsvoll? Wahrscheinlich von allem etwas.

Jedenfalls glaube ich, dass ich so fühlen würde, an ihrer Stelle. Aber soweit bin ich noch nicht.

Modern Jazzdance. Progress

Mittlerweile haben wir drei Jazztanz/Modern Stunden hinter uns und es ist doch schon viel besser geworden.

Zwar merkt man das nicht unbedingt, wenn wir den Saal verlassen – gestern sagte der Chef des Studios zu uns, als wir an ihm vorbeigingen: “Alles in Ordnung?” und es ist auch einigermaßen fies, wenn man nach dem Training mehrere Stockwerke über eine Treppe zur Ubahn geht, aber während der Stunde läuft es deutlich besser. Gestern hatte ich nur einmal das Gefühl, dass ich keine Luft mehr kriege, und ich weiß nun wieder, wo meine Stärken liegen und wo meine Schwächen.

Drehungen kann ich nicht so gut. Das heißt, ich bin zu langsam, wenn da direkt nachher irgendwas anderes dran getanzt wird. Bei den Choreografien belaste ich meistens das richtige Bein. Das ist eigentlich fast das wichtigste, bei Choreografien, dass man am richtigen Bein steht, um korrekt weitermachen zu können. Harhar. Hab mich heute mit einer Freundin und Ballettkollegin/selbst Trainerin unterhalten, die meinte, der Vorteil, den wir haben ist, dass wir die richtige Körperspannung und Haltung schon als Kinder gelernt haben. Das braucht man nicht nur fürs klassische Ballett, sondern ist auch für andere Tanzstile hilfreich.

Die Älteste bin ich aber immer noch. War schön letztens zu beobachten, als wir so eine leicht spirtuelle Choreografie getanz haben, mit “betenden Händen” am Anfang und dabei intonierte unser Trainer einmal spaßeshalber: “Life is a mystery, everyone must stand alone…” und ich war die Einzige, die gelacht hat. Weil ich noch den riesigen Skandal um diesen Song in der Unterstufe des Gymnasiums miterlebt habe.

 

Alte Hood

Im Zuge des Ausgehens am Wochenende war ich auch wieder mal in meiner alten Hood, Favoriten. Zwar haben wir im 10. Bezirk noch unsere Familie, aber abgesehen von Besuchen in den Wohnungen dort, bin ich nur noch selten im dem Bezirk, in dem ich zwar 37 Jahre gelebt habe, seit mittlerweile drei Jahren aber nicht mehr ansässig bin. Denn nun lebe ich in Floridsdorf, ganz im Norden anstatt sehr im Süden Wiens.

Es ist schon witzig, wieder mal die Wohnung zu besuchen, in der ich aufgewachsen bin und dann mit dem Bus zum Reumannplatz und später wieder zurück zu fahren. Der Bus ist übrigens um 21.30 komplett voll, alle Sitzplätze belegt. Es ist zu dieser Zeit mehr los als im Bus in Floridsdorf während der rushhour. Der Flodo-Bus, der übrigens nur alle zwanzig Minuten fährt, führe zu dieser nachtschlafenen Zeit halb zehn Uhr abends auch gar nicht mehr. Wie auch den ganzen  Sonntag nicht! Dafür wird man von Busfahrer gegrüßt.

Anhand dieser Eckdaten kann man sich vorstellen, dass das Leben in Favoriten ein vollkommen anderes ist als in Floridsdorf. Das Kind sagt zum Beispiel immer, “Hier bei uns am Land…” also da weiß man schon Bescheid. Zu Transdanubien hat wohl jeder so seine Meinung (gehört nicht mehr so richtig zu Wien), zu Favoriten aber definitiv auch, und die ist nicht immer so positiv.

Ich habe lange mein Leben in Favoriten gar nicht hinterfragt. Ich mochte an Favoriten, dass man das auch nicht musste. Man kann sehr ungestört von Trends und Klassen-Etüden, von Sehen und Gesehen werden, einfach sein. Es interessiert im Prinzip keinen, außer man will Streit anfangen. Das geht in Favoriten schon sehr gut. Aber sonst kann man sehr unbehelligt leben. Eigentlich hab ich erst nachzudenken begonnen, als ich drei Monate in Südtirol gelebt habe und nichts vermisst habe. Nach Favoriten verzehrt man sich nicht gerade vor Sehnsucht. Und mit Kind kommt man dann ins Nachdenken, darüber wie und wo man weiterleben will. Am Ende war ich nicht mehr sehr glücklich in Favoriten, was vielleicht auch am Bezirk, definitiv aber mehr an mir und den Lebensumständen lag.

Trotzdem war der Ausflug in den alten Lebensraum schön, auch wenn es erstaunlich ist, wie schnell man sich entwöhnt und eigentlich fast fremd fühlt. Denn auch Favoriten hat sich weiterentwickelt.