almis personal blog

ESC Slowenien

Die slowenische Band Joker Out (mit dem Bandnamen hatten sie mich gleich, den find ich super) bringt das in den ESC, was wir von den Niederlanden nicht bekommen: Lebensfreude. Zwar verstehe ich den Text nicht, aber ich unterstelle einem Song, der eine derartige Fröhlichkeit und Ausgelassenheit ausstrahlt und dann noch den Titel Carpe Diem trägt, dass er uns etwas lebensbejahendes mitteilen will.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass Grissemann und Stermann 1997 den Auftritt der Gruppe V.I.P folgendermaßen kommentierten: “Eine Boygroup aus Ungarn? Das ist doch ein Widerspruch in sich, das ist klar, dass das nichts wird” Böse, aber auch harhar. Nun 26 Jahre später (*hust*) haben wir eine slowenische Boyband und das funktioniert für mich erstaunlich gut.

Zwar sind die Vocals vielleicht nicht die überzeugendsten in diesem ESC, aber ich mag den Vibe und ich mag auch das Video, das ein bisschen was von Grand Budapest Hotel hat und gleichzeitig auch was vom Beitrag aus Moldau voriges Jahr. Was insofern witzig ist, weil Moldau letztes Jahr mit Trenuletul mich auch schon an Wes Andersons Film erinnert hat. Und das Element: Eine Autoritätsperson kommt ursprünglich vorbei, um die Party zu beenden, lässt sich dann aber mitreißen und macht mit, ist auch übernommen. Aber vielleicht bin ich auch viel nerdiger als Joker Out und die kennen das Video von Zdob si Zdub gar nicht. Harhar.

Jedenfalls mag ich das.

ESC Armenien/Aserbaidschan

Für Armenien tritt Brunette mit Future Lover an.

Hierbei handelt es sich wieder einmal um einen Beitrag, der der Devise “Form follows function” überhaupt nicht folgt. Brunette erzählt, wie sie sich ihren zukünftigen Gebliebten vorstellt, er soll Kunst machen und Bücher lesen und mit ihr im Cafe sitzen. Ja eh, find ich auch sehr schön, aber so wie sie sich im Video gibt, mit dem knappen, schrillen Outfit und recht Club-tauglichen Outfit, den langen Fingernägel und den Silberringen, nehm ich ihr die beschaulichen Zukunftspläne nicht ganz ab.

Die Zeilen: “Three minutes making impossible plans. Seven minutes of unnecessary panic attacks” finde ich sehr charmant, aber auch die transportiert sie – mit dieser obercoolen und selbstbewussten Attitude – für mich nicht. Ich würde sie eher mit Baskenmütze und Schottenrock sehen, so etwas wie Ali Mac Graw in Love Story getragen hat.

Oder eben sowas, was die Zwillinge Turan und Tural aus Aserbaidschan anhaben. Die sind nämlich sehr down to earth in jeder Beziehung. Nachdem Aserbaidschan in den letzten Jahren oft sehr generische Songs von schwedischen Songwritern performt haben, die mit der Aserbaidschanischen Musikszene wirklich gar nichts zu tun hatten, kommt heuer zur Abwechslung handgemachte Musik. Zwar ist der Song Tell Me More nicht ganz rund – auf den Rap-Part hätte ich zum Beispiel sehr gut verzichten können – aber wenn sie dann so gemeinsam singen, hat es diesen etwas unbeholfenen, aber sympathischen Vibe, als würden sie in einem kleinen Club in Baku vor 20 Personen auftreten. Die Wettquoten spiegeln dementsprechend aber auch keinen Massen-Appeal wider…

Hier eine kurze Reminiszens an Jedward, das letzte Zwillingsbrüderpaar beim ESC. Ja genau, die zwei hyperaktiven Iren, die 2011 den immerhin 8. Platz erringen konnten (die beste irische Platzierung der letzten 20 ESC Jahre.)

ESC Niederlande

Die Niederlande haben sich seit ihrem Sieg 2019 mit Arcade von Duncan Laurence praktisch ununterbrochen der (fehlenden) psychischen Gesundheit von Menschen gewidmet. Arcade hat m.E. weniger wegen dem Song an sich gewonnen, sondern wegen dem Gefühl, das er transporiert hat “Loving you is a losing game” – ja, das fühlt man/frau. Grow – der Lost Song 2020 von Jeangu Macrooy hatte im Video ohnehin gleich eine Gruppentherapie und S10 letztes Jahr mit De Diepte war, laut Interpretin, eine Ode an die Traurigkeit – und so klang es auch.

Auch heuer bleibt es in dieser Tonalität, denn Mia Nicolai und Dion Cooper singen Burning Daylight, und es geht gleich folgendermaßen los: “I don’t find any joy anymore, from the same old cycle. I don’t know what made me happy before. From all to zero” Ja, das klingt schon mal verdächtig nach Feelgood Song des Jahres.

Ich denke, die Songcheckerinnen werden sagen, dass der Song natürlich viel zu unauffällig für den ESC ist. Denn wenn man schon was balladeskes bringt, dann sollte es so eher in Richtung Halo-Beyonce Hymne gehen, sodass jeder den Atem anhält; sonst ist die Gefahr groß, dass es zwischen den anderen 24, 25 Songs einfach untergeht, in seiner ganzen niedergeschlagenen Tristesse

Interessanterweise war ich vorige Woche im Donauzentrum und am Weg dorthin hab ich eben Burning Daylight gehört und dann, als ich ins erste Geschäft gehe, welchen Song spielt es? Genau. Womit wir dann beim Thema Radiotauglichkeit wären, auch immer eine heiß diskutierte Kategorie. Denn ein radiotauglicher Song muss nicht zwangsläufig gut auf der ESC-Bühne abschneiden.

Die Niederlande treten im Semifinale 1 an, im stärkeren der beiden Semifinali und sind im Moment Wackelkandidaten. Ich fände es aber schön, wenn sie weiterkommen.

ESC Tschechische Republik

Jetzt sind ja bereits alle ESC Songs für 2023 veröffentlicht und es erschöpft mich zugegebenermaßen jedes Jahr ein bisschen, mich da durchzuhören, es sind einfach soviele auf einmal — so lang bis ich letztendlich alle habe und sie dann für den Rest des Jahres in Dauerschleife höre, harhar.

Heute möchte ich über Vesna aus der Tschechischen Republik berichten, die mit My Sister’s Crown antreten.

Zuerst kriegt man ja ein bisschen Prinz Harry Vibes bei dem Titel – gut es wäre My Brother’s Crown, aber ihr wisst was ich meine. Aber so ist es dann nicht, es geht mehr um so eine allgemeine “Sisterhood”, ich glaub, es geht auch irgenwie gegen Männer oder so, jedenfalls handelt es von Female Empowerment und wir sind alle stark und selbstbestimmt. Das Video ist ziemlich schräg, aber in a good way mit der unappetitlichen Rote Rüben-Suppe (Blut?) und den gleichgeschalteten aber irgendwie queeren Männern und wer kennt es nicht, Computermonitoren als Köpfen? Man kann da alles mögliche hineininterpretieren, was ja immer spannend ist.

Ein bisschen erinnert mich Vesna mit ihrem kleinen Frauenchor an Tulia (Polen 2019), nur dass Vesna wesentlich eingängiger und damit einfacher zu konsumieren ist als der weiße Gesang, den Tulia damals gebracht hat. Überhaupt muss ich sagen bin ich ziemlich begeistert von Vesnas modern-folkloristischem Style, dem artsy Anspruch, dem Ohrwurm-Refrain, dem Sprachenmix und der allgemeinen Weirdness dieses Beitrags. Gehört zu meinen Favoriten dieses Jahr.

ESC – die Wettquoten

Gestern wurden erstmals die Wettquoten für das Semifinale 1 und Semifinale 2 des diesjährigen Songcontests veröffentlich. Und was soll man sagen:

Das ist doch mal ein eher ungewohntes, aber erfreuliches Bild. Gut, es schadet nix, dass das erste Semi das stärkere ist, mit Schweden, Finnland und Norwegen, alle drei richtige Banger, dazu Tschechien und Israel – aber trotzdem, Platz eins derzeit ist schon sehr super.

Wir dürfen halt das Staging nicht vergurken – wobei das Staging von Österreich in den letzten Jahren, als wir uns nicht qualifiziert haben, nie das Problem war; und die zwei sollten live singen können, aber nachdem Salena Livemusik in der U6 Station Westbahnhof zum besten gibt, wie ich auf Insta verfolgen konnte, und das gut klang, geh ich mal davon aus, dass das passen wird.

Ach es ist schon schön, wenn wir wieder mal einen konkurrenzfähigen Beitrag haben. Heute, am 21.März, sag ich Platz fünf insgesamt voraus, wobei ich selber denke, dass das zu optimistisch ist, aber bisschen Enthusiasmus ist schon erlaubt, heuer.

ESC: Österreich

Gestern wurde der österreichische Beitrag für den diesjährigen Songcontest präsentiert. Ich muss zugeben, ich hatte im Vorfeld leichte Bedenken oder sogar Vorurteile – zwei ziemlich junge Casting Show Teilnehmerinnen Teya und Salena schreiben selbst einen Song. Es ist ja schon für “alte Hasen” schwierig, beim ESC zu reüssieren…

Dann wurde am Montag der Titel des Liedes präsentiert: “Who the hell is Edgar?” und da habe ich dann schon etwas Hoffnung geschöpft, weil es kein generischer Titel ist und etwas weird, was ich immer gut finde. Und gestern kam dann eben der Song heraus – und was soll ich sagen? Ich mag das!

Es klingt nicht wie schon hundertmal gehört und es ist – obwohl witzig – kein typischer Spaßbeitrag – mit dem man beim ESC schon lange keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Also außergewöhnliche Songs sind schon immer gefragt, aber die musikalische Qualität muss auch passen. Dazu die Anspielung auf Edgar Allen Poe, wo jetzt jeder grübeln kann, was sie genau damit sagen wollen, auch immer gute Idee, man denke an Konstrakta (Serbien 2022).

Der Song kommt in der ESC Bubble ziemlich gut an, hat eine positive Besprechung von William Lee Adams (wiwibloggs) bekommen und ist bei den Wettquoten heute bereits in den Top 10, aktuell Platz 9. Also Zuversicht ist jetzt auf alle Fälle angebracht.

Sehr nett auch folgender Tweet:

Schweden?

Jetzt haben wir in der ESC Vorentscheid-Saison die interessante Situation bei den Wettquoten, dass Schweden auf Platz eins liegt, obwohl sie noch gar keinen Act haben.

Also na ja, anders, sie haben ja das Melodifestivalen, eine riesiges Vorentscheids-Spektakel, ähnlich wie San Remo, und das Finale ist erst am 11. März. Aber: Loreen ist in dieses Finale eingezogen. Ja genau, die Loreen, die 2012 den Songcontest mit Euphoria gewann. Aber es war nicht nur ein Sieg, Euphoria gilt als der populärste Siegertitel, wenn man mal von Waterloo absieht – und hat viele Menschen dem ESC (wieder) nähergebracht. Im Merci Cherie Songcontest Podcast müssen die Gäste immer ihren Lieblingsbeitrag aller Zeiten nennen und da kommt wirklich jedes 2. Mal Euphoria – Marco und Alkis sind schon bisschen gernervt davon, harhar.

Andererseits hieß es im ESC Songcheck einmal richtigerweise, als Alexander Rybak (Sieger 2009) 2018 erneut antrat, wieso tut man sich das an, als Sieger noch einmal zum ESC zu fahren, man kann ja quasi nur verlieren. Songcheck Kommentator Freshtorge meinte: “Außer du bist Johnny Logan, dann kannst du es machen.” Was richtig ist, Johnny Logan zweiter Siegersong – Hold me now – war sogar noch besser als der erste (Whats another year).

Wie dem auch sei, Loreen will es nochmal wissen mit einem Song names Tattoo und das kommt offensichtlich sehr gut an, auch wenn wir noch nicht wissen, ob sie das Melodifestivalen tatsächlich gewinnt. Sie hat international aber eine enorme Fanbase hinter sich, singen und performen kann sie sowieso. Mal sehen was passiert.

P.S. Finnland hatte seinen Vorentscheid UMK schon und Käärijä mit Cha Cha Cha ist derzeit auf dem dritten Platz bei den Wettquoten. Auf dem 2. Platz ist die Ukraine, aber einen nochmaligen Solidaritätssieg wirds hoffentlich heuer nicht geben.

Die EBU und die Politik

Also nun zum Sieger des kroatischen ESC Vorentscheides Dora – es handelt sich um die Band Let3 mit dem Song Mama ŠČ.

Der Text ist ein bisschen dadaistisch, es geht um den Kauf eines Traktors und, dass Mama einen Psychopathen liebt – nun sagt die Band, die in semi-militaristischen Outfits auftritt- dass damit Putin gemeint ist. Das ist natürlich relativ heikel, denn wie wir alle wissen, sind politische Botschaften beim ESC nicht gestattet. Man denke nur an Weißrussland 2021, das disqualiziert wurde, weil sie einen regierungsfreundlichen Song (der gleichzeitig angeblich eine Verhöhnung der damaligen Proteste in Belarus war) eingereicht haben. Der Text ist sehr verklausuliert formuliert und dementsprechend interpretierbar. Auch ein zweiter eingereichter Song wurde als zu politisch abgelehnt, woraufhin Weißrussland dann auf eine Teilnahme verzichtet hat.

Damals sagte u.a. Corinna Milborn im Merci Cherie Podcast, das hätte man eh schon öfter machen sollen, von Seiten der EBU (European Broadcasting Union, die quasi Verantwortlichen des Songcontests), Songs ablehnen. Die Aussage fand ich ja schon ein bisschen dings, denn einerseits wollen mir Meinungsfreiheit haben und künstlerische Freiheit sowieso, andererseits aber nur, wenn die Meinung, die vertreten wird, uns auch passt. Ansonsten bitte disqualifizieren, danke.

Nun könnte man auch sagen, dass Jamals Song 1944, mit dem sie den ESC 2016 gewonnen hat, ja auch ziemlich politisch ist. Die EBU war damals anderer Meinung, dabei sagte Jamala selbst, dass es um die Deportation der Krimtartaren ging, also wieviel politischer kann es noch werden, und der Text vermittelt jetzt nicht irrsinnig viel Feelgood Vibes:

When strangers are coming…
They come to your house,
They kill you all
and say,
We’re not guilty
not guilty.

Und jetzt also Let 3, mit ihrem Song. Er wird vermutlich im Bewerb antreten dürfen, zumindest hab ich nichts anderes gehört, aber ein bisschen eine zweischneidige Sache ist das alles schon. Wie so oft gibt es keine einfachen Antworten, wenn es um eine so sensible Thematik geht, aber ich denke, die EBU sollte sich schon überlegen, welche Linie sie da tatsächlich fahren will, in Zukunft.

San Remo & Ariete

Sehr berührt hat mich Mare di guai von Ariete. Aus meiner Warte ist die Sängerin fast noch ein Kind, obwohl sie eh schon 20 ist, aber ich bin ja auch schon bald 50.

Der Text ist so schön traurig und man könnte fast meinen, sie beginnt eine Geschichte zu erzählen, die Marco Mengoni mit seinem Lied, weiterspinnt, weil bei ihr heißt es: “La luna sembra un po’ arrabbiata (come mai?)” – in etwa: “Der Mond wirkt ein bisschen wütend (warum)?” und in Mengonis Song dann: “Se questo è l’ultima canzone e poi la luna esploderà” also: “Wenn das das letzte Lied ist und dann der Mond explodieren wird” – denn er war ja, richtig, wütend.

Das Verrückte bei San Remo ist, dass so ein Song auf dem 14. Platz landet (von 28.) Ich glaub, ich lehn mich nicht zu weit aus dem Fenster wenn ich sage, dass die meisten ESC-Vorentscheide glücklich wären, wenn sie einen Song von so einem Kaliber überhaupt im Programm hätten und der würde dann vermutlich auch gewinnen. Aber sagt halt auch viel über das Niveau der italienischen Musikszene aus.

San Remo & Colapesce Dimartino

Beim gestrigen Finalabend in San Remo haben Colapesce & Dimartino mit ihren Song Splash beide Kritikerpreise gewonnen. Es wundert mich nicht, Splash ist wirklich ein sehr spezieller Song, der sich nicht in konventionelle Muster mit Strophe/Refrain/Strophe/Refrain/Bridge usw. einteilen lässt. Er hat für mich etwas Avandgartistisches, unbeschreibbares, und der Titel des Songs kommt nur einmal vor und zwar als letztes Wort. Sowas liebe ich. Außerdem wird es nicht Spläääsch ausgesprochen, sondern wirklich Splaaasch.

Wenn man dann tatsächlich noch etwas braucht, um von diesem Song beeindruckt zu sein, dann kann man sich die enthusiastische Vintage-Hipster Performance der beiden Künstler ansehen, das ist schon sehr super. Und der ganze Text von wegen, eigentlich wollen sie nicht am Meer sein, weil am Meer kann man nicht vergessen, lieber ist ihnen der Lärm der Stadt, das lenkt ab, aber irgendwie ist das Meer ja schon schön und deshalb springen sie am Ende doch hinein (Splaaaasch!!!)