almis personal blog

Für Immer Hier

Vorige Woche habe ich I’m Still Here gesehen. Sehr viel Taschentuch Geraschel im vollbesetzten Votivkino.

Ich habe eh schon mal geschrieben, dass ich den Titel immer wieder vergesse und nachschauen muss, weil es relativ viele Filme gibt, die ähnlich heißen, die Mockumentary von Casey Affleck hat sogar exakt diesen Titel. Der deutsche ist allerdings auch nicht wirklich einprägsamer. Aber der Film ist ja nach einem autobiografischen Roman gleichen Namens gedreht worden, dieser Name hat auch einen tieferen Sinn und diese Geschichte hat sich tatsächlich ereignet.

Rubens Pavia (Selton Mello) ist ein erfolgreicher Ingenieur, der mit seiner Frau Eunice (Fernanda Torres) und seinen fünf Kindern Anfang der 1970er Jahren in einer hübschen Villa in Rio de Janeiro gleich neben dem Strand lebt. Früher war Rubens Politiker und nach dem Militärputsch lebte er eine zeitlang im Exil. Nun ist er zurück und unterstützt weiterhin heimlich Verfolgte des Regimes. Diese Aktivitäten hält er weitgehend von seiner Familie, auch von seiner Frau geheim. Bis eines Abends bewaffnete Beamte der Regierung vor der Tür stehen und Rubens abführen…

SPOILER MÖGLICH – DIE GESCHICHTE ERZÄHLT EINE REALE BEGEBENHEIT

Die Familie Pavia, wie sie hier geschildert wird, ist fast zu sympathisch und glücklich. Im ersten Teil des Filmes können wir ihr weitgehend idyllisches Leben mitverfolgen, das sich vor allem in der Unbeschwertheit zeigt, mit denen die Kinder, gemeinsam mit ihren Freunden dauernd, vom Meer tropfend, im Haus aus- und ein gehen. Es ist immer etwas chaotisch, immer aber auch fröhlich-lebendig. Das Schlimmste, was in dieser Zeit passiert, ist, dass der herrenlose Hund, den die Kinder vom Strand mitgebracht habe, Flöhe hat und sie ihn baden müssen. Aber wie sie ihn baden, ist auch schon wieder total niedlich.

Rubens hat ein sehr enges Verhältnis zu seinen Kindern, immer, wenn sie nach Hause kommen, fragen sie sofort nach ihm. Er wird auch sehr empathisch dargestellt, was sich in vielen kleinen Gesten und Szenen äußert. Einmal haben sie Besuch und der Sohn Marcelo erzählt etwas, worauf Rubens sagt: “Er erzählt immer sehr lange und verwirrende Geschichten.” Und als Zuseher erwartet man dann irgendwie, dass Rubens ihn gleich etwas genervt stoppen wird, aber er sagt, ganz im Gegenteil: “Komm, erzähl uns eine deiner langen und verwirrenden Geschichten!”

Alles ist also superfein, doch die Gefahr lauert im Außen. Es mehren sich mysteriöse Verhaftungen bzw. Entführungen von Regimegegnern. Auch Rubens und Eunice machen sich Sorgen, vornehmlich aber um die älteste Tochter Vera, die gerade in ihrer “rebellischen Phase” ist, wie sie es nennen, und gegen alles protestiert. Sie schicken sie zum Studieren nach London, um sie aus der “Schusslinie” zu nehmen, was sich als sehr weitsichtige Entscheidung herausstellt. Dass sie selbst – Rubens, Eunice und auch die zweitälteste Eliana – abgeholt und in Haft genommen werden, kann damit allerdings nicht verhindert werden. Eliana kommt am nächsten Tag wieder nachhause, Eunice nach einigen Wochen in einem furchtbaren Gefängnis. Rubens hingegen bleibt verschwunden. Und schlimmer noch: Von den Behörden wird abgestritten, dass er überhaupt jemals verhaftet worden ist. Staatlich gestütztes Gaslighting also.

Morgen erzähle ich dann weiter – und gehe auch auf das sehr wichtige Thema “Loslassen” ein.

5×2

Der Arthouse Channel von Prime ist mein Ruin. Er besteht praktisch nur aus Filmen, die ich bereits gesehen und sehr gerne habe und solchen, die ich schon lange einmal sehen wollte. So auch 5×2 von Francois Ozon.

Worum es hier geht, ist schnell erzählt. Der Film besteht im Prinzip aus fünf Episoden des Paarlebens von Marion (Valerie Bruni Tedeschi) und Gilles (Stephan Freiss). Die Geschichte der beiden wird rückwärts erzählt, das bedeutet, das erste Kapitel ist das der Scheidung, das letzte folglich das, in dem sich die beiden kennenlernen…

ACHTUUUUNG GROSSE SPOILER!!! ABER DER FILM IST JA SCHON ÜBER 20 JAHRE ALT

Ich weiß schon, dass diese Geschichte eines Paares nicht ein quasi Destillat der “durchschnittlichen” heterosexuellen Beziehung darstellen kann, sondern schon eher versucht wird, etwas halbwegs spektakuläres zu erzählen. Aber nach dem Ansehen dieses Films muss ich sagen, ich habe echt viele Fragen an Francois Ozon, der das Drehbuch geschrieben hat, und zwar über sein Privatleben. Harhar. Weil hier ist halt wirklich sehr viel drinnen, was, sagen wir, außergewöhnlich ist.

Die Erzählweise – quasi vom traurigen Ende zurück zu den glücklichen Zeiten – ist ein sehr spannender Zugang und offenbart für mich persönlich aber gleichzeitig, dass wir hier zwar eine Beziehungsgeschichte verfolgen, aber viel Liebe ist in dieser Konstellation meines Erachtens nicht enthalten. Begehren, Neugier, Suche nach Abwechslung, ja, aber Liebe? Füreinander dasein, sich öffnen, sich wirklich für den anderen als Mensch interessieren, das zeigt uns dieser Film nämlich nicht.

Die befremdlichste Episode ist in diesem Zusammenhang sicher die, in der Nicolas, der Sohn von Marion und Gilles, überraschend als Frühgeburt zu Welt kommt. Wie Marions Vater komplett gelassen-abgeklärt, aber auch korrekt feststellt: “Mit Problemen muss man immer rechnen”. Gilles ist damit völlig überfordert, was ja auch verständlich ist. Als er im Büro angerufen und ins Krankenhaus beordert wird, geht er erst Mal ohne Eile mittagessen. Er fährt dann zwar noch ins Spital, schaut sich aber nur kurz seinen mittlerweile geborenen Sohn an und verschwindet schnell wieder. Seine Frau in einer derart herausfordernden und belastenden Situation alleine zu lassen, das ist schon ziemlich dings. Als der Film dann weiterläuft bzw. eben rückwarts, finden wir vielleicht in der Episode über die Hochzeit einen Hinweis darauf, warum Gilles reagiert wie er reagiert.

Denn ACHTUNG MEGAGROSSER SPOILER: Die Hochzeitsnacht verbringt Marion mit einem anderen, ihr fremden Mann. Theoretisch könnte Gilles auch nicht der biologische Vater sein, aber auch wir Zuseher wissen nicht, was genau passiert ist. Und was weiß Gilles überhaupt davon? Er hat die Nacht recht betrunken verschlafen und das Verschwinden seiner Frau gar nicht bemerkt. Aber die Schwäche (oder Stärke, je nachdem) des Filmes ist, dass er eben auch viele Leerstellen hat, vieles nicht erzählt wird. Das ist jedenfalls (nur) eines der eher unkonventionellen Elemente dieser Geschichte. Harhar. Falls jemand eine Theorie dazu hat, bitte schreibt mir.

Fazit: Eine durchaus interessante, gut gespielte (Bruni Tedeschi ist wie immer super) und auch spannende psychologische Studie über Paare im Lauf ihres Beziehungsleben, mit den üblichen Gefahren und Fallstricken – und noch einigen mehr (q.e.d.) Wirklich viel Assoziationspotential hat man, aufgrund der herrschenden Gemengenlage aber vermutlich eher nicht.

Mickey 17

Bei Mickey 17, dem neuen Film von Bong Joon Ho, hatte ich von Anfang an ein recht ambivalentes Gefühl. Zwar fand ich den Vorgänger Parasite (wieder so schöne Erinnerungen), der auch als erster nicht-englischsprachiger Film den Oscar für den besten Film bekommen und damit Geschichte geschrieben hat, sehr gut. Aber das erste Filmplakat von Mickey 17 zeigte Robert Pattinson im Weltraum. Und ich bin weder ein großer Fan von Pattinson, noch mag ich den Handlungsort Weltraum, bad luck harhar. Dann verschob sich die Veröffentlichung auch noch endlos um Monate, fast Jahre. Naja, jetzt ist der Film da und es geht um folgendes:

Unter dem dikatorischen Führer Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) soll ein neuer Planet namens Nifflheim besiedelt werden. Mickey Barnes (eben Pattinson), der vom Leben frustiert ist, meldet sich als “Expendable”, jemand, der für gefährliche Einsätze bei der Kolonisation verwendet wird. Wenn er stirbt, was ziemlich wahrscheinlich ist, wird ein Klon von ihm per 3D Drucker ausgespuckt und er beginnt ein neues Leben. Wie wir an der Zahl neben dem Namen sehen, gab es bisher schon etliche “Versionen”…

ACHTUNG SPOILER!! ACHTUNG SPOILER!!

Was für manche als wunderbare Sci Fi Prämisse erscheint (Sci Fi mag ich übrigens auch nicht besonders), führt bei mir eher zu Strinrunzeln, wobei ich zugeben muss, dass das Sterben und zu neuem Leben erwachen schon irgendwie interessant ist. Das Problem ist nur: Der Film erzählt uns nicht wirklich etwas darüber. Es ist wie bei diversen Filmen der letzten Zeit. Die Idee klingt gut – man denke zum Beispiel an Dream Scenario, da war die Grundidee, das Nicolas Cage in fremden Träumen auftaucht; oder bei Pfau, dass Albrecht Schuch durch Persönlichkeitsdienstleistungen seine eigene verliert. Wirkt superinteressant, ist aber nicht mehr als ein Köder, weil aus der Idee nichts gemacht ist – wobei Pfau zumindest recht witzig ist. Man verlässt dann aber mit eher schalem Gefühl das Kino. Eigentlich geht es bei Mickey 17 irgendwie auf recht patscherte Weise um (Anti)Rassismus und die Tücken der Kolonisation.

Es ist also so, dass nicht nur nichts aus der Idee der geklonen Wiedergeburt gemacht wird, die ganze Handlung ist gleichermaßen klamaukig wie auch langweilig und für mich auch extrem ärgerlich. Mark Ruffalo stellt nämlich den Diktator dar und natürlich legt er ihn als komplette Trump-Imitation an. Ich weiß nicht, ich finde es gibt im Jahr 2025 fast nichts faderes und auch fauleres als eine Persönlichkeit zu nehmen, die derart omnipräsent ist, dass man so übersättigt davon ist – egal ob man jetzt Trump schätzt oder verachtet – dass man einfach auch mal irgendetwas anderes sehen will. Aber klar, Ruffalo, den ich als Schauspieler an sich oft gern mochte, musste sich ja auch bei den Oscars immer irgendwelche “stand with” irgendwem Planketten aufs Revers heften. Wenn ich Bong Joon Ho wäre, hätte ich zu Ruffalo gesagt: “Bitte spielst jetzt einmal gscheit!” Harhar.

Jedenfalls war für mich das beste Element an Mickey 17 die irgendwie ekligen, aber auch süßen Aliens, “Creepers” genannt, vor allem der Baby Creeper. Nochmal: Das war das beste Element an diesem Film! Sage ich als Arthouse-affiner Mensch, wo Aliens ja eine eher untergeordnete Rolle spielen. Ja, auch Parasite war jetzt nicht unbedingt eine subtile und fein ziselierte Satire, aber der Film war bös-witzig, gespickt mit originellen Einfällen, mit interessanten Dialogen, starken Bildern. Mickey 17 ist plump, behäbig, dabei aber enorm selbstzufrieden und hat für mich leider auf gar keiner Ebene funktioniert.

Parallele Mütter

Ich habe endlich Parallele Mütter oder Parallel Mothers oder Madres Paralelas, wie es bei Almodovar im Original heißt, angeschaut. Der Film läuft derzeit im Gratiszeitraum auf dem Arthaus + Kanal von Prime (unbezahlte Werbung)

Ich habe ja praktisch alles von Pedro Almodovar gesehen, diesen Film aus dem Jahr 2022 aber noch nicht, und das lag natürlich einerseits daran, dass der gerade in einer noch Halbcoronazeit in den Kinos war bzw eben auch nicht war, andererseits aber auch, weil mir nicht verraten wurde, worum es in dem Film eigentlich geht, außer halt um zwei Mütter – eine sehr jung, eine schon eher älter – die gleichzeitig ihre Kinder bekommen. Irgendwie war der Trailer ungewöhnlich nichtssagend.

Nachdem ich den Film jetzt aber gesehen habe, ist mir klar, weshalb das so ist, weil nämlich Almodovar – und das ist normalerweise eher nicht so sein Ding – in diesem Film so derart viele Plottwists eingebaut hat, dass man nichts darüber sagen kann ohne halt alles zu verraten. Also deshalb jetzt von mir die Info: In Parallel Mothers geht es um die End-30erin Janis (Penelope Cruz), die gleichzeitig mit Ana (Milena Smit), noch nicht 18, in einem Madrider Krankenhaus ihr Kind bekommt. Beide Kinder sind Mädchen. Ende. Harhar.

ACHTUNG !! SPOILER !! ACHTUNG !!

Als Janis Arturo (Israel Elejalde) dem Vater des Kindes, mit dem sie eine unverbindliche Beziehung hat, das Baby zeigt, meint der, er glaubt nicht, dass das sein Kind ist, es sähe ihm nicht ähnlich. Es hat viel zu dunkle Haut für Spanier. Janis sagt, sie habe Vorfahren in Venezuela. Arturo verlangt einen Vaterschaftstest. Janis wirft ihm mit all dem typischen spanischen Temperament wütend aus der Wohnung, weil er ihr so etwas unterstellt. Kurz darauf bestellt sie sich einen DNA Test nachhause und macht ihn selbst. Und ich sitze so vorm TV und denk mir, wieso macht sie das, sie weiß ja, dass sie die Mutter ist. Ok, war nicht der Tag mit der schnellsten Auffassungsgabe bei mir harhar. Und auch die weiteren Twists habe ich oft nicht kommen sehen. Aber sie machen den Film halt extrem spannend.

Im Gegensatz zu seinem Vorgängerfilm Pain and Glory (vor der Coronazeit, den ich in wunderbarer Begleitung gesehen habe, da sind sie wieder, die Erinnerungen), in dem Männer – Antonio Banderas super hier – die Hauptrollen spielen, haben die Männer bei Parallel Mothers wieder einmal gar nichts zu sagen, im wahrsten Sinn des Wortes. Man könnte hier einen umgekehrten Bechdel Test machen. Der Bechdel Test besagt ja, wie viele Frauen kommen in einem Film vor, reden sie miteinander und reden sie über etwas anderes als über Männer. Ich glaube, hier reden niemals zwei Männer über irgendwas miteinander harhar.

Die Frauen sind es, die hier die Kontrolle haben und die Vergangenheit aufarbeiten wollen. Denn die große dramaturgische Klammer des Films ist es, dass Janis und ihre Großmutter ihren Urgroßvater, der während des spanischen Bürgerkriegs ermordet und in einem Massengrab am Rande ihres Heimatdorfes beigesetzt wurde, “finden” möchte. Janis möchte, dass er und andere Dorfbewohner, exhumiert werden (Arturo ist Archäologe), damit diese in den Familiengräbern bestattet werden können. Es geht in diesem Film also auch über die eigentliche Handlung hinaus ganz viel um Herkunft, Geschichte, Erinnerung und Traumata. Es wird wieder einmal deutlich, welch kompliziertes Gebilde “Familie” – die auch Wahlverwandtschaft sein kann – immer ist.

Nachdem ich erst vor kurzem The Room Next Door, den aktuellen, ersten englischsprachigen Film von Almodovar gesehen habe, der mir auch gut gefallen hat, habe ich aber nach diesem Film jetzt festgestellt, dass das da doch irgendwie etwas fehlt, wenn Almodovar mit nicht-Spaniern arbeitet.

Wicked

Das Votivkino hat dankenswerter Weise am Oscar Wochenende noch schnell einmal Wicked gezeigt und es war somit sogar im Nonstop Abo enthalten. Das war meine Chance, die ich auch genutzt habe.

Wicked – eigentlich ein Musical aus dem Jahr 2003 und enorm erfolgreich in den USA – ist die Geschichte VOR Der Zauberer von Oz, dem Film von 1939 mit Judy Garland usw. Einer der Lieblingsfilme meiner Mutter und von David Lynch. Ich kann mich an ihn leider kaum mehr erinnern und muss ihn jetzt nochmal sehen. Jedenfalls erzählt Wicked die Geschichte der beiden Hexen, von G(a)linda (Ariana Grande), der Good Witch und von Elphaba (Cynthia Erivo), der Wicked Witch of the West, die beide die Universität besuchen, sich dort kennenlernen und zu dem werden, was ich gerade beschrieben habe. Wobei Elphabas Bösartigkeit im Prinzip nur Propaganda der Gegenseite ist.

Obwohl dieser Film 160 Minuten dauert, ist es erst der erste Teil – Wicked: For Good kommt im November in die Kinos.

ACHTUNG SPOILER FOLGEN, ABER WENN MAN DAS MUSICAL KENNT, KENNT MAN DIE SCHON

Obwohl der Film also unfassbar lange dauert und sehr artifiziell, eben nach CGI aussieht, obwohl eine Hexe grün ist und es jede Menge sprechende Tiere gibt, also alles insgesamt ziemlich furchtbar klingt harhar, hat er mich erstaunlicherweise total gerührt. Ich weiß auch nicht wieso. Schon in der ersten Szene, die quasi das Ende des Wicked Plots markiert – “The Wicked Witch is dead” – es wird dann die Geschichte in der Rückblende aufgerollt, sieht man den Anfang von Der Zauberer von Oz, nämlich Dorothy und ihre Freunde von hinten, die die Yellow Brick Road entlanggehen und das fand ich schon so schön und traurig, ich weiß überhaupt nicht warum. Ein Film, der mich emotional macht, obwohl ich das gar nicht sein will.

Es wird natürlich viel gesungen, schließlich handelt es sich um ein Musical, und ich kannte außer den Song Popular überhaupt gar nichts, aber die Musik ist durchaus catchy und beide können halt auch wirklich singen (was man bei den Oscars auch live gehört hat). Der Song Defying Gravity, wo Elphaba fliegen lernt, ist anscheinend das Herzstück des Musicals, jedenfalls der dramatische Höhepunkt des Filmes und obwohl das einfach Hexen sind, ich mein come on, ist man total dabei. Außerdem ist die Handlung stellenweise wirklich sehr böse-witzig, das Produktionsdesign detailverliebt, die Schauspielerinnen gut drauf und der Zauberer von Oz ist… Jeff Goldblum. Wie immer als Jeff Goldblum, aber das gut.

Es geht ja unter anderem darum, dass die Tiere in Oz domestiziert werden sollen und eben zum Beispiel keine Universitätsprofessoren mehr sein können. Glinda geht das irgendwie sonstwo vorbei, aber Elphaba ist ehrlich aufgebracht und will diese Zustände nicht auf sich beruhen lassen. Glinda, die eigentlich Galinda heißt, vom Ziegen-Professor immer nur “Glinda” genannt wurde, gibt, weil sie gerne immer beliebt sein will, großartig allen bekannt, dass sie fortan eben Glinda heißt, als Zeichen des Protestes. Das fand ich so passend für das was ich unter Virtue Signalling verstehe. Irgendwas tun, was die eigene “Moral” demonstrieren soll, im Prinzip aber null bewirkt und einem auch nichts abverlangt. Jedenfalls ist das meine Interpretation dieser Szene. Harhar.

Fazit: Man kann sich diesen Film wirklich als gute Sonntagnachmittagsunterhaltung ansehen und hat mehr davon als wenn man Nickel Boys wählt, der mir leider wirklich überhaupt nicht gefallen hat. Aber davon ein andermal.

Oscars 2025

Ich anerkenne natürlich das demokratische Votum, das in der Nacht verlautbart wurde, harhar.

Ich hab Anora dann eh auch als besten Film getippt, der Kopf hat gesiegt, allerdings hatte ich Brady Corbet für The Brutalist als besten Regisseur (da hab ich mich für den Bauch entschieden), nachdem Emilia Perez ja nach der “Kontroverse” schon seit einigen Wochen klinisch tot war und generell sehr gehasst wird (nicht von mir!).

So übel war meine Oscar Prognose dann gar nicht mal, 16/23 richtig. Ich habe am Wochenende auch noch zwei Filme gesehen, die in der Kategorie “Best Film” nominiert waren, nämlich Nickel Boys (mäh) und Wicked (erstaunlich gut), hätte ich mir umgekehrt erwartet. Macht jedenfalls insgesamt 8/10 der nominierten Filme gesehen. I’m still here werde ich bald anschauen, ich glaub Dune Part 2 werde ich auslassen (no hate, es ist nur einfach nicht mein Genre).

Ich freue mich, dass Adrien Brody gewonnen hat – ich habs ja schon im September quasi vorhergesagt, mir tut es leid um Demi Moore. Das wär schön gewesen, mit 62 quasi out of the blue der erste Oscar mit einer ikonischen Rolle, aber:

Conan O’Brien hat mir als Host gut gefallen – Gottseidank kein Virtue Signalling im Standup. Auf orf on wird natürlich beklagt, dass er so unpolitisch war, ja sorry, kann man einfach mal vier Stunden über was anderes reden als Politik und vor allem “Haltungen”. Ich bin da bei Ricky Gervais, der einmal seinen Kollegen riet: “You are in no position to lecture the public about anything. Accept your award, thank your agent and your god an f… off” Harhar.

O’Brien, der gleich mal sich selbst verarscht “Did Conan not have work done? Seriously, he looks his age”. Über Wicked: “The perfect movie for anyone who finished watching The Wizard of Oz, and thought sure, but where did all the minor charakters go to college?” Und: “If you have not seen Conclave, its log line is – a movie about the Catholic church, but don’t worry” Über A Complete Unknow: “Bob Dylan wanted to be here tonight- but not that badly.” Und, mein Liebling: “I loved The Brutalist. I didn’t want it to end. Luckily it didn’t”.

In Memorian wurde diesmal von Morgan Freeman eingeleitet und er hat über Gene Hackman gesprochen.

Die In Memorian-Section bei den Oscars – Screenshot by me

Hackman ist ja leider auch gestorben vorige Woche, auch wenn das mit 95 Jahren nicht so überraschend kommt, aber ich fand ihn aus vielerlei Gründen sehr bemerkenswert und werde auch noch näher darauf eingehen.

Jetzt bin ich jedenfalls müde.

Die letzten Tage

In den letzten Tagen überschlagen sich die Ereignisse und ich überlege unter anderem hin und her, wen ich beim Oscar Tippspiel von Uncut (unbezahlte Werbung) wählen soll. Also es geht wirklich um wichtige Dinge! harhar.

Letztes Jahr hatte ich 20 von 23 Kategorien richtig, das wird heuer fix nicht passieren. Das Rennen ist so offen. Wie immer bin ich in einem emotionalen Zwiespalt, zum Beispiel bei “Bester Film”. Soll ich den Film wählen, der ganz gute Chancen hat und mir sehr gut gefällt (The Brutalist) oder den Film, der vermutlich die besten Chancen hat und mir nicht so gut gefällt (Anora). Ähnliches gilt für beste Hauptdarstellerin, aus gewissen sentimentalen Gründen bin ich ja schon für Demi Moore, alleine, weil sich ihre Töchter bei den Preisverleihungen immer so freuen – es gibt da Videos auf Social Media.

Was war noch los? Also der Opernball. Ich hab nicht viel gesehen, aber die Eröffnung. Dann ruft mich meine Mama an und schwärmt mir von den Kostümen vor. Ich so: “Bitte das ist der schönste Walzer aller Zeiten und wieso haben die solche Kostüme?” Meine Mama: “Warum, das sah toll aus, wie Samurais” Ich: Ich fand sie ur schiach! Die sollen was duftiges, pastelliges tragen, nicht sowas, wo man keine Beine sieht.” Mama: “Seit wann bist du so konservativ?” Ich: “Das Material verwendet man sonst für diese Decken, die man im Winter über Motorräder legt” Harhar.

Außerdem: Gestern hat das Wiener Duo Abor und Tynna die deutsche Vorentscheidung Chefsache ESC unter der Leitung von Stefan Raab beim Publikumsvoting gewonnen. Wow, da haben wir quasi gleich ja zwei österreichische Acts beim ESC und diese beiden singen auch noch deutsch – obwohl man jetzt nicht wahnsinnig viel versteht. Ich hab mir die Sendung nicht angesehen, weil ich Barbara Schöneberger nicht aushalte, aber ich finde der Song hat was. Mal schauen, wie sich die Wettquoten jetzt entwickeln, Österreich ist ja aktuell auf dem 5. Platz (warum auch immer), obwohl wir ja nicht mal noch den Song kennen.

Und: Ich lese gerade Tante Jolesch von Friedrich Torberg. Immer wieder super. Die Tante Jolesch macht die besten Krautfleckerl von allen, ihre ganze Familie kommt von überall her, wenn es Krautfleckerl gibt und als sie nach ihrem Geheimtipp dafür gefragt wird, sagt sie: Es ist immer zuwenig (davon vorhanden). Ich kenne jemand, der meinte damals, das sei auch sein Geheimtipp – in Bezug auf meiner Zuneigung zu ihm. Nun. Ich persönlich glaube fest daran, dass die Krautfleckerl der Tante Jolesch einfach wirklich die allerbesten waren. Analogie intended.

Und jetzt widme ich mich wieder der Oscar-Tipperei oder auch: Bauch gegen Kopf.

A Complete Unknown

Gestern war ich, wie gesagt, bei der Premiere von A Complete Unknown im vollbesetzten Votivkino und ich, die ich ein recht konventionelles Biopic erwartet habe, war angenehm überrascht.

Der “deutsche” Titel ist übrigens Like a Complete Unknown. Dass ein Filmtitel für den deutschsprachigen Raum eh auch englisch ist, ist man ja schon gewöhnt, aber, dass er einfach gleichbleibt und noch ein weiteres englisches Wort beinhaltet, das ist schon irgendwie sehr originell oder wie Pia Reiser in ihrem Review Don’t think twice it’s (mehr als) alright für fm4 schrieb: “Bei der Sitzung wär ich gern dabei gewesen” Harhar ja. Ich verwende deswegen einfach weiterhin den griffigeren Originaltitel.

A Complete Unknown erzählt den Beginn der Karriere von Bob Dylan (fabelhaft: Timothee Chalamet) in den früheren 1960er Jahren, seinen musikalischen Wandel zu dieser Zeit, sein Verhältnis zu seinem Mentor Pete Seeger (Edward Norton) und seine Beziehungen zur Aktivistin und Malerin Sylvie Russo (Elle Fanning) und der Sängerin Joan Baez (Monica Barbaro). Bis auf Fanning wurden alle für ihre Leistungen hier Oscar nominiert und sie sind tatsächlich alle sehr beeindruckend, auch Fanning!

MILDE SPOILER MÖGLICH

Das Schöne an diesem Film ist, man kann eigentlich nicht wirklich etwas spoilen. Ich mein, einerseits ist es halt einfach das Leben von Dylan, andererseits ist es über weite Strecken komplett unspektakulär. Wenn man von seiner Entdeckung als Musiker und Songwriter absieht, die aber auch nicht wahnsinnig abgefeiert wird, passiert nichts großartiges, nichts traumatisches, kein extremer Höhenflug oder Absturz, alles ist herrlich low-key.

Ja, es gibt bisschen Wickel mit Pete Seegers, weil Dylan irgendwann zur E-Gitarre greift, statt weiter Folk zu machen und abstinent ist er auch nicht – aber eben auch nicht suchtkrank, wie beispielsweise Johnny Cash im anderen Mangold Biopic. Ja, er hat eine Art Hassliebe zu Joan Baez und letztendlich ist das eine große Belastung für Sylvie (ihr Name wurde auf Wunsch von Dylan verändert, weil sie, laut ihm keine öffentliche Person ist), mit der er eigentlich zusammen ist, aber auch hier geht es zumindest für Dylan ohne großes Drama ab. Letztendlich, das vermittelt zumindest der Film, war ihm die Musik wohl wichtiger als alles andere.

Es wird sehr viel Musik gemacht in diesem Film, zahlreiche seiner und auch anderer Songs hören wir in voller Länge und von den Darstellern selbst vorgetragen, die Texte nehmen auch viel Raum ein. Eine sehr schöne Szene ist die, als auf dem Höhepunkt der Kuba Krise Präsident Kennedy im TV von einem möglichen Schlag gegen die Ostküste warnt. Joan Baez packt eilig ihre Sachen, um (ohne wirkliches Ziel) New York zu verlassen, so wie viele andere New Yorker und kommt dann am Club Gaslight vorbei, wo Bob Dylan seelenruhig vor einer Handvoll Menschen den Song Masters of War singt – “Is your money that good? Will it buy you forgiveness? Do you think that it could?”

Die beiden bleiben in New York – der Atomschlag findet nicht statt. Nach einem kurzen Aufatmen diesbezüglich, bezeichnet Baez Dylan als Arschloch, als er ihr sagt: “Your songs are like an oil painting at the dentist’s office”. Harhar böse. Und so performen sie letztendlich auch It ain’t me babe gemeinsam. In einer recht passiv-aggressiven Weise, vor allem von Baez’ Seite aus. Mit Sylvie geht er ins Kino und spricht darüber, ob Bette Davis das Beste aus sich gemacht hat oder einen ganz anderen Menschen kreiert hat. Bob empfindet zweiteres und er glaubt nicht, dass diese (gute) Kreation zwangsläufig besser ist als es die “tatsächliche” Bette Davis wäre.

Vielleicht eine gewisse Selbstaussage, in einem Film, der die Zuseher erfreulich wenig betreut, bei der Interpretation von Dylans Persönlichkeit und der auch keine endgültigen Behauptungen darüber aufstellt, wer Bob Dylan tatsächlich war und ist.

It ain’t me babe

Morgen läuft nun das Bob Dylan Biopic A Complete Unknow von Regisseur James Mangold an. Die Zeile “a complete unknow” kommt in den Lyrics zum Song Like a Rolling Stone vor, es reimt sich sogar darauf. Like a Rolling Stone wurde von den Rolling Stones (sic!) gecovert. Regisseur James Mangold hat 2005 auch ein gutes Johnny Cash Biopic gedreht, das Walk the Line heißt – nach einem Cash Song.

Und jetzt Achtung, es wird kompliziert. In diesem Film covern Johnny Cash (River Phoenix) und seine spätere Frau June Carter (Reese Witherspoon) den Song It ain’t me babe von, genau, Bob Dylan. Und anscheinend singt Timothee Chalament (im Film Dylan) diesen Song mit Monica Barbaro (im Film Joan Baez) in A Complete Unknown ebenfalls.

Jedenfalls ist It ain’t me babe im Prinzip ein Anti-Liebeslied. Denn der Progonist in dem Song gibt sich alle Mühe, nicht “auserwählt” zu werden und rät der Frau auch gleich: “Go away from my window, leave at your own choosen speed”. Harhar.

Er wirft ihr nämlich vor, sie wolle jemanden:

Who’s never weak but always strong, to protect you and defend you
Whether you are right or wrong, someone to open each and every door
But it ain’t me babe, no no no, it ain’t me babe, it ain’t me you are looking for

Das muss natürlich abgelehnt werden, zumindest in Teilen, das ist ja weniger Liebe als vielmehr Co-Abhängigkeit. Das kann und sollte so niemand leisten (müssen). Aber vielleicht kann man es auch so lesen, dass der Protagonist vieles überspitzt, was die Frau alles von ihm will; dass er sie nicht verlässt beispielsweise und immer für sie da ist und das macht ihm Angst. Es gibt ja immer verschiedene Perspektiven. Phoenix und Witherspoon jedenfalls performen den Song in Walk the Line auf sehr lustige, auch selbstironische Art und Weise.

Ich bin gespannt, wie das im neuen Film sein wird. Ich habe eine Premierenkarte für morgen.

Un Mondo a Parte

Es war wieder mal Zeit für Kino und diesmal war mir wirklich nach einem Film, der mir ganz viel “fuzzy feeling” mitgibt. Also habe ich mich für Un Mondo a Parte entschieden. Das heißt eigentlich übersetzt “Eine Welt für sich”, aber die Kommission, die die deutschen Verleihtitel festlegt, hat sich für das generische “Willkommen in den Bergen” entschieden. Na ja, von mir aus. Ich habe ihn trotzdem auf Italienisch (mit Untertiteln) gesehen und das ist auch wichtig fürs Lokalkolorit.

Der Film, bei dem Riccardo Milani Regie führte und der der erfolgsreichste in Italien 2024 war, handelt vom Lehrer Michele (Antonio Albanese), der seit 35 Jahren in Rom unterrichtet und die Nase voll von den Schnöseln dort hat. Er will ein einfaches Leben, er will in die Natur und endlich ist es soweit: Er wird in die Abbruzzen versetzt, in ein Volksschule am Ende der Welt, mit sieben Schülern, immer von der Schließung bedroht. Seine Kollegin und Vize-Direktorin Agnese (Virginia Raffaele) macht ihn mit den Gepflogen- und auch den Schwierigkeiten vertraut, die im Bergdorf Rupe auf ihn warten…

SPOILER MÖGLICH !!!

Das ist jetzt natürlich nichts, was man noch nie gesehen hat. Wir kennen sowohl Culture-Clash Plots zuhauf und auch Geschichten von ambitionierten Lehrern, die zu Helden werden. Wenn man sich die Handlung durchliest und das Plakat sieht, kann man sich schon ungefähr vorstellen, was alles passieren wird. Insofern war dieser Film auch ein Risiko, weil mit ein bisschen “Erkenntnisgewinn” will man ja dann doch nach Hause gehen. Und die erfreuliche Nachricht ist, den bietet der Film absolut, denn trotzdem er diese Momente hat, in denen er auf die Knöpfe drückt, die in dieser Konstellation eben gedrückt werden, ist er wirklich sehr witzig, ideologiefrei und erstaunlich differenziert erzählt.

Sehr schön ist beispielsweise mit welcher naiven Euphorie Michele sich auf den Weg macht – und wie sehr er in seinem Auto, im Schnee steckengeblieben, vor den umherstreifenden heulenden Wölfen zittert. Er kann weder einen Ofen anheizen noch hat er das entsprechende Schuhwerk für ein Leben in den Bergen. Nachdem er den Kindern erzählt, sie müssten schon vor dem Frühstück die Welt retten, bekommt er den entsprechenden Gegenwind der Eltern, Marke: “Ach ein Wissenschaftler!” In Rupe hat man nämlich ganz andere Sorgen, vor allem die Perspektivlosigkeit der Jugend und demzufolge Dorfflucht, was die Bevölkerung ständig schrumpfen lässt, ein ewiger Teufelskreis. Aber die Dichotomie wird ohne Gesinnungskampf aufgelöst und zwar so, dass tatsächlich beide Seiten einen Schritt aufeinanderzumachen.

Wenn sich Menschen in Rupe begegnen, stoßen sie einen undefinierbaren Laut aus. Michele fragt einmal, was das für ein Geräusch sei und ihm wird erklärt, das wäre ein Gruß. Bald darauf geht er auch so Dorf, ein “Bo” hier, ein “Bo” dort; er ist angekommen. Meine Lieblingsszene ist aber die, wo die Kinder Michele erklären, wie die “Cesidio” Schule zu ihrem Namen gekommen ist. Den trug nämlich ein (natürlich sonstwo komplett unbekannter) Hirtenpoet, aber die Kinder wissen alles von ihm und wechseln sich problemlos mit der Weitergabe von Informationen über ihn ab. Michele meint dann in der Pause zu Agnese: “In Rom war ich an der Alberto Moravio Schule und kein einziges Kind und niemand von den Eltern wusste wer Alberto Moravia war.” Harhar. Regisseur Milani ist selbst Römer.

Was ich nicht auf meiner Bingokarte hatte: Es kommt der ESC Song Not the same – der Beitrag aus Australien (!) 2022 in einer Coverversion vor. Warum gerade dieser, keine Ahnung. Vielleicht ist Milani ein Songcontest Fan? Jedenfalls ist Un Mondo a Parte ein sehr gut gespielter, amüsanter, feelgood Film, der einem das Gefühl gibt, dass die Welt trotz widriger Umstände, hin und wieder, da und dort, doch auch in Ordnung ist. Und das kommt einem manchmal gerade recht.