almis personal blog

The Mastermind

Eine neue Woche, ein neuer Josh O’Connor Film.

Wie ihn O’Connor selbst beschreibt: “I play J.B Mooney in The Mastermind. The Mastermind is an art heist film, about a man who thinks he has go a great idea, and gradually, as the film goes on, we discover – I don’t know if he knows – that it was not such a great idea.”

J.B. Mooney ist ein verhinderter Künstler, aktuell ein arbeitsloser Tischler, aber wohl eher aus Faulheit, Vater zweier halbwüchsiger Söhne, seine Frau Terri (Alana Haim) verdient das Geld für die Familie. Er entwickelt die Idee eines Kunstraubs im örtlichen (kleinen, süßen) Museum, mit zwei Komplizen, aber die Dinge laufen dann doch irgendwie anders, als Mooney das geplant hatte…

DIE ÜBLICHE SPOILERWARNUNG

Den Titel des Filmes kann man also getrost mit ironischem Unterton lesen, denn Mooney steckt zwar irrsinnig viel Zeit und Energie in den Versuch, nichts arbeiten zu müssen, sondern lieber etwas zu stehlen, obwohl seine Tischlereien sehr schön anzusehen sind. Ein Meisterdieb ist er trotzdem absolut nicht. Er hat keinen Plan B dafür, was er tun wird, wenn irgendwas im geplanten Ablauf nicht funktioniert, was, sind wir ehrlich, bei solchen Unternehmungen meistens der Fall ist. So selbstverständlich auch hier.

Dieser Film ist langsam und auch teilweise enervierend detailliert erzählt, was offenbar ein Trademark der Regisseurin Kelly Reichardt ist. Wir beobachten Mooney beispielsweise minutenlang, wie er Bilder auf einer Leiter auf und ab trägt. Wem jetzt diese Vorstellung schon Unbehagen bereitet, für den ist dieser Film sicher nicht geeignet. Er würde auch, wage ich zu behaupten, ohne Josh O’Connor, seiner Aura und Nuanciertheit nicht funktionieren. So hat er für mich aber dennoch seine Momente, die abgesehen vom Protagonisten vor allem in der vermittelten Stimmung der Zeit dieses Amerikas des Jahres 1970 liegen. Die grobkörnigen Bilder, die Farben, die Art, wie alle miteinander umgehen, das ist schon sehr schön beobachtet und eingefangen.

Es gibt etwa eine Szene, in der Mooney sich mit seiner Mutter trifft, um von ihr Geld naja, zu schnorren. Und wie Reichhardt das in Szene setzt, die dominate, aber auch besorgte Mutter, J.B. mit seinem – so sieht es aus – Kinderteller und dazu Cola trinkend, der ihr Geld für einen Blödsinn (denn das ist es) aus der Tasche ziehen will, das ist schon eine schöne “Parallelführung”. Oder als Mooney von seinen Auftraggebern verprügelt wird und sein eigener kleiner Sohn daneben im Auto sitzt und zwar “Dad” schreit, aber trotzdem weiter sein Mc Donalds Sackerl in der Hand hält und darauf wartet, weiteressen zu können, herrlich. Generell scheint den Fakt, dass Mooney, sollte er gefasst werden, eine hohe Haftstrafe zu befürchten hat, niemand sonderlich zu beunruhigen.

Auf letterboxd wieder beste Kommentare: “Man on the run? More like a man on a super slow leisurely walk” “Finally a heist movie, you can fall asleep to” Und am besten: “Josh O’Connor stealing art is my favourite movie genre.” Ja natürlich, er war ja auch ein Kunsträuber im tollen italienschen Indie Film La Chimera, aber halt ein ganz anderer, ein gebrochener, sensibler Intellektueller. Trotzdem fand ich The Mastermind schon auch sehenswert, wenn man sich auf die Langsamkeit einstellen kann.

Ferienende

Jetzt schlug wieder mal die goldene EPU-Regel zu: Sobald irgendein großes Projekt startet, das mehrere Monate dauern wird, melden sich mindestens zwei anderen Auftraggeber auch und wollen ebenfalls etwas von einem. Aber ich freue mich eh, es ist gemütlich, sich in diesen dunklen Monaten stundenlang interessanten Interviews zu widmen, im Schein der Stehlampe, an meinem kleinen Computerarbeitsplatz. Ich habe das sehr gerne, und habe am Wochenende gleich begonnen, damit ich zumindest das Gefühl habe, ich habe einen zeitlichen Vorsprung herausgearbeitet.

Außerdem am Wochenende, Patchworkfamilien-Essen mjam angenehm, sich bekochen zu lassen:

Lasagne kunstvoll verschwommen in Szene gesetzt

Und im Kino am Spittelberg war ich auch noch, oida, was für ein Brainwash. Wo sind die Zeiten, in denen man einfach so ins Kino gehen konnte und nicht mit dem letzten heißen Scheiß indoktriniert wurde.

Aber die Gegend ist sehr schön und stimmungsvoll:

Wunderschöner Spittelberg

Gesehen habe ich übrigens den Film Loveable, ich habe das Gefühl, bald kann ich Norwegisch, das war mein sechster Film aus diesem Land heuer.

Es ist die Geschichte einer scheiternden Ehe und vielleicht reicht es jetzt auch mit den über-psychologisierenden Beziehungsgeschichten. Ich finde das prinzipiell ja sehr interessant, aber irgendwie kommen wir nicht weiter, bei den Ehen, die aus lauter Work/Life Disbalance und Kinderkram ihre Magie verlieren. Ja dann krieg vielleicht nicht gleich vier Kinder, wenn es mit zweien schon nicht funktioniert harhar. Diese Filme nämlich, die uns nicht sagen können, wie man dem aus dem Weg geht und irgendwie eine langjährige Ehe schafft, die mehr ist als (bestenfalls) eine Interessensgemeinschaft. Manchen Menschen gelingt das in real life, aber andere haben einfach keine Begabung dafür, und das ist in Loveable (wie so oft, sonst wärs keine Geschichte) eindeutig der Fall.

Und so sind die Ferien schon wieder um. Der Monat wird arbeitsreich und schulisch anspruchsvoll und noch so viele Filme sind zu sehen, harhar.

History of Sound

Ich arbeite jetzt meine Viennale Filme ab, heute The History of Sound von Oliver Hermanus.

Es geht in diesem Film um Lionel (Paul Mescal) aus Kentucky, Lionel, der Musik sehen kann und später, wir schreiben ungefähr 1917, das Konservatorium in Boston besucht. Dort lernt er David (Josh O Connor) kennen, der an der Uni lehrt und ebenso gerne singt. Die beiden beginnen eine Beziehung, als David in den Krieg ziehen muss, was Lionel, der untauglich ist, folgendermaßen kommentiert: “Don’t die.”. Nach seiner Rückkehr fragt David Lionel, ob er mit ihm im Rahmen eines Forschungsprojektes durch Maine reisen und Songs sammeln will…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

Zuerst mal ein paar Kommentare von Usern auf letterboxd, die waren diesmal sehr witzig, obwohl der Film alles andere als das ist:

Josh O’Connor in a sad gay movie is my religion.

As a gay person, who never gets over anything, I can relate to this 100000 %

For a movie about sound, the silence sure was loud

It’s always “wanna get drinks” and never “let’s traipse through the American northeast collecting folk songs and sleeping in a tent together”

Und mein Liebling: Not perfect, but just depressing enough to ruin my week. Harhahar

The History of Sound ist langsam und ruhig, dabei auch relativ konventionell erzählt, man hört sehr viele alte amerikanische Lieder, die alle schwerst melancholisch sind, aber David ist ein Pragmatiker. Er erzählt Lionel einmal von einem Song, in dem ein Witwer jeden Tag am Grab seiner Frau steht und jammert, dass sie gestorben ist, sie ist dann schon so genervt davon, dass sie ihm sagt, lass mich in Ruhe und leb dein Leben. David: “It’s a good lesson”. Außerdem findet David eine sehr gute Umschreibung dafür, dass er als Kind zum Waisen wurde, er sagt so auf die Art, ach Waise, das klingt so dramatisch, “I was temporary unparented”.

Der Film wirft auch die Frage auf, wieso man einen Iren und einen Briten engagiert, um US-Amerikaner aus dem Bible Belt zu spielen und wieso man Mescal ausgesucht hat, der deutlich zu alt für diese Rolle ist. Andererseits aber warum auf ihn verzichten, wenn man ihn besetzen kann? Die beiden sind ganz außergewöhnliche Schauspieler, Mescal habe ich in Aftersun geliebt, auch kein extrem fröhlicher Film und Josh O’Connor ist sowieso, sowohl aufgrund seines Könnens, als auch seiner Rollenwahl derzeit irgendwie unangefochten für mich.

Ist der Film tatsächlich so traurig? Ich habe ihn ja direkt nach Sentimental Value gesehen, der auch schwere Themen hat, aber dennoch auch sehr positive Vibes. The History of Sound ist schon deutlich dunkler, das stimmt, allerdings gibt auch dieser Film letztendlich eine Perspektive, wie man mit all dem Schmerz, den man – in diesem Fall Lionel – mit sich trägt, dennoch ein Leben führen kann, dass quasi um diesen Schmerz herum gebaut ist, und dass einen Sinn ergibt; dass Erinnerungen auch etwas neues schaffen können, was das eigene Sein erfüllt. Das war auch der Punkt, wo ich mich sehr abgeholt gefühlt habe, weil ich mir oft denke, wie ist das, wenn man stirbt und es nie mehr ein Wiedersehen oder eine “Auflösung” gegeben hat. Da tröstet die Botschaft von diesem Film sehr, dass der, den man liebt und der fort ist, dennoch immer da sein kann.

Viennale 4

Heute war der letzte Viennale Tag für mich. Ich hatte meine neue Boho-Jacke an, manche sagen ich sehe aus wie ein Schaf. Ich sage: Boho-Jacke! Harhar.

Davor war ich allerdings noch mit dem Kind auf der Bank – Volljährigen-Banksachen erledigen und dann waren wir noch sehr gut chinesisch essen in der Stadt.

Nicht an die gute Fotoqualität gewöhnen, das Foto ist vom Handy des Kindes gemacht

Dann hat er mich noch zum Gartenbaukino begleitet, wo es für mich dann in den Film After the Hunt ging. Und bei diesem Film passierte im Vorfeld etwas seltsames. Fast jeder, dem ich davon erzählte, meinte: Ah der, na ja, ich weiß nicht, der ist ja so umstritten. Ja. Und? Ich mein, nur weil ein paar random Menschen im Internet oder auf Filmfestivals irgendwas “umstritten” nennen, schauen wir es uns nicht selbst an und bilden uns nicht mehr unsere eigene Meinung? Jetzt, nachdem ich den Film gesehen habe, weiß ich auch warum er “umstritten” ist. Weil sich Regisseur Luca Guadgagnino nämlich zwischen alle Stühle setzt und nicht den Narrativ bedient, den man von ihm als homosexuellen Indie-Regisseur erwartet und sich auch (unter anderem) über “queere” Begrifflichkeiten ein bisschen lustig macht. Oder anders gesagt: Guadagnino geht wohl derzeit einiges am Arsch auf die Nerven, was unsere gesellschaftlichen Diskurse betrifft und ich verstehe ihn voll.

Uncut Flyer @ Gartenbaukino

Was ich in mein Review schreiben will, weiß ich noch nicht, wird wieder schwer. Ich könnte einfach so eine Ansammlung an Buzzwords schreiben, die für sich selbst sprechen:

Septum-Piercing, Masektomie, Dey, #metoo, Cancel Culture, Generationenvertrag, Kollektivschuld, Misogynie, Jihad…

Ok,vielleicht etwas zu dadaistisch. Harhar. Die Viennale geht dem Ende zu, aber der November bringt viele neue tolle Filme, diese Woche schon The Mastermind mit Josh O’Connor, oder was passiert, wenn ein Kunstraub nicht so ausgeht wie letztens im Louvre.

Sentimental Value

Endlich habe ich also den gespannt erwarteten und vorab recht gehypten (Oscar Buzz!) neuen Film vom norwegischen Regisseur Joachim Trier gesehen, der zuletzt vor drei Jahren mit The Worst Person in the World auf sich aufmerksam machte, er heißt Sentimental Value.

Es geht darin um Nora (Renate Reinsve), eine erfolgreiche Schauspielerin, die allerdings mit ihrem Leben kämpft, was in ihrer Kindheit begründet liegt. Beim Begräbnis der Mutter begegnet sie dem lange abwesenden Vater Gustav (Stellan Skarsgård) wieder, einem berühmten Filmregisseur, der ihr ein überraschendes Angebot macht: Nora soll in seinem neuen Film die Hauptrolle spielen, der von seiner Mutter handelt, was Nora aber sofort strikt ablehnt. Ihre Schwester Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas) die immer um Ausgleich bemüht ist, versucht sie vergeblich zu überreden, das Drehbuch zumindest zu lesen. Inzwischen lernt Gustav die junge amerikanische Schauspielerin Rachel Kemp (Elle Fanning) kennen und bietet ihr die Rolle an…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

Dieser Film hatte mich quasi bei Hallo. Weil schon die Anfangssequenz so poetisch ist wie sein doch irgendwie unübersetzbarer Titel, den man mehr fühlt als erklären kann. Da geht es nämlich darum, dass Nora als Jugendliche einen Essay über das Haus schreiben soll, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Es ist ein gemütliches Haus im Drachenstil gebaut (ok, da hab ich gegoogel harhar) Und wie sich das Haus fühlt, wenn es voller Menschen ist, ob es das Haus mag, bewohnt zu sein und auch die Türknallerei auszuhalten, oder ob das Haus nicht ab und zu ganz froh ist, wenn alle ausgehen und es leer ist. Die beeindruckendste Schlussfolgerung Noras lautet, “When our father left, the house turns brighter and brighter.”

Und da wissen wir natürlich alle schon, wohin der Hase läuft, das Thema sind Daddy Issues und dahinter gleich Transgenerational Trauma. Denn auch wenn Gustav als Vater einen beschissenen Job gemacht hat – nach der Scheidung verlässt er nicht nur die Mutter, sondern auch seine beiden Töchter auf eher Nimmerwiedersehen – so gibt es natürlich dafür einen Grund, und der ist wieder eine Generation davor zu finden; denn auch Gustav wurde als kleines Kind durch etwas, was seine Mutter getan hat, schwer traumatisiert. Und die wiederum, usw you get the picture. Er ist also, wenn man so will, ein Pain in the ass, aber nicht nur die immer geduldige Agnes hat dafür Verständnis, auch der Regisseur und Drehbuchautor Joachim Trier.

Und das ist das Schöne an diesem Film, das ist das, was ich an Filmen generell sehr gerne habe: Wenn es um große, schwere Themen geht, und das auch ungeschönt gezeigt wird. Wenn geweint werden kann, wenn jemand in seiner ganzen Verzweilfung gezeigt wird, wenn Noras Angst vor zu viel Nähe darin spürbar wird, dass sie ihren Geliebten nach dem Sex quasi hinauswirft, damit es nicht zu kuschelig wird, obwohl sie sich gerade danach auch seht; und wenn sie Agnes einmal die arge Frage stellt: “Why didn’t our childhood ruin you?” Die Antwort kommt ganz schnell, überzeugend und hallt echt lange nach. Weil, nein, ich verrate es nicht, harhar.

Aber gleichzeitig, und das ist auch wichtig bei solchen Filmen, gewinnt das Schwere nicht, ich mag diese naturalistischen Sozialdramen aus diesem Grund auch gar nicht, ich suche immer auch eine Illusion und eine Hoffnung. Und die ist immer da, bei Trier, da ist auch Humor, der uns doch allen über schlimme Zeiten in unserem Leben hinweghelfen kann und da ist die Kunst, in diesem Fall das Schauspiel und Filme-machen, die uns immer Trost und Zuflucht bietet und uns so erfüllen kann, dass wir unseren Schmerz vergessen, zumindest ab und zu. Und letztendlich glaubt Trier auch daran, dass sich Menschen verändern können, nicht um 180 Grad drehen, aber doch, kleine Schritte aufeinander zugehen. Dass das nicht alles ungeschehen macht, aber trotzdem hilft, uns ein kleines bisschen zu heilen.

Renate Reinsve ist so super in diesem Film, aber auch Stellan Skarsgård in seiner Ambivalenz; Skarsgård der – glaub ich – noch nie einen Sympathieträger gespielt hat, auch hier nicht – aber dennoch mag man ihm am Ende mehr als am Anfang. Und tatsächlich ist dieser Film bis in die kleinste Nebenrolle einfach überzeugend besetzt.

Jetzt bin ich wieder voll im Zwiespalt, ob One Battle After Another der große Oscar Abräumer wird oder ob nicht Sentimental Value da und dort noch ein bisschen was mitzureden hat. Es ist ein guter Zwiespalt, harhar.

Viennale 3

Weiter geht es mit der Viennale und zwar im Gartenbaukino. Am Dienstag saß ich bei angenehmen Temperaturen davor noch ein bisschen im Stadtpark und habe die Eichhörnchen beobachtet, die sehr aufgeweckt waren, es war auch ungewöhnlich mild.

Danach habe ich den französischen Film Vie privée mit Jodie Foster als amerikanische Psychiaterin in Paris gesehen. Erstaunlich fand ich, dass Foster tatsächlich super französisch spricht; wie ich recherchiert habe, hat sie in Los Angeles als Kind eine französische Schule besucht. Der Film war leider nur so mittel. Er hat zwar vielversprechend mit der Prämisse begonnen, dass eine Patientin von Fosters Figur Suizid begeht und ich habe mich auf etwas eher düsteres, psychologisch interessantes eingestellt. Es wird aber dann schnell (zu) witzig und behaglich, es hat mich insgesamt sehr an die Serie Only Murders in the Building erinnert, die ich gerne schaue, wenn ich mich wohlfühlen will, aber von diesem Film habe ich mir etwas anderes erwartet.

Gartenbaukino am 23. Oktober 2025, zu Mittag

Heute habe ich dann zuerst Sentimental Value gesehen. Ein norwegischer Film von Regisseur Joachim Trier, der auch Worst Person in the World gemacht hat. Diesen Film mochte ich und Renate Reinsve, die auch in Sentimental Value wieder die Hauptrolle spielt, war wunderbar, aber irgendwie hat mir in Worst Person etwas gefehlt und ich habe gehofft, dass ich es hier, in Sentimental Value, finden würde. Ich habe es nicht gefunden, dafür etwas anderes und es war großartig. Es war auch der erste Film überhaupt, wo sofort mit dem Abspann Jubel im Saal ausgebrochen ist, das habe ich ja überhaupt noch nie auf der Viennale erlebt, sonst gibt es immer eher höflichen bis wohlwollenden Applaus. Gleichzeitig flossen viele Tränen um mich herum. Das ist ein ganz besonderer Film.

Und weil ich schon mal da war, hab ich gleich noch History of Sound geschaut – eine Liebesgeschichte mit Musik, für die es noch Karten gab. Besetzt mit meinem vielleicht Lieblingsschauspieler derzeit, Josh O’ Connor und mit Paul Mescal, den ich auch total mag. Leider (oder Gottseidank) wusste ich nicht, dass da, wo Sentimental Value in der “Familienwunde” bohrt, und dieses Thema einen aufwühlt, History of Sound in der Wunde daneben, der “Beziehungswunde” wenn man so will, weitermacht. Ich habe mich so sehr in der Figur von Paul Mescal wiedererkannt, was erstaunlich ist, weil er einen homosexuellen Musiker ab 1917 spielt, harhar. Aber Filme können das. Ein bisschen hat mich dieser Film auch an Brokeback Mountain erinnert, den ich nicht so besonders mochte – dieser hier ist auch sehr ruhig und langsam erzählt, hat mich aber viel mehr mitgenommen.

Langsam erreicht das Filmjahr 2025 Betriebstemperatur harhar.

Peter Hujar’s Day

Peter Hujar’s Day ist der neue Film von Regisseur Ira Sachs, der dieses Jahr beim Sundance Filmfestival Premiere hatte.

Peter Hujar (1934-1987) war ein Fotograf ukrainischer Abstammung, der in New York lebte. Er war mit der Schrifstellerin Linda Rosenkrantz befreundet, die eine Art Sozialstudie geplant hatte. Menschen aus ihrem Umfeld sollten an einem beliebigen Tag alles notieren, was sie gemacht haben und danach in einem Gespräch mit Rosenkrantz darüber sprechen. Rosenkrantz war interessiert daran herauszufinden “how people fill up their days”. Das Projekt verlief leider im Sand, erst 2021 wurde das Gespräch mit Peter Hujar als Einzelwerk veröffentlicht. Aus diesem Gespräch hat Sachs nun vorliegenden Film gemacht.

SPOILER IN DEM SINN GIBT ES HIER NICHT

Mich hat dieser Film von Anfang an fasziniert. Vielleicht auch, weil ich mich selbst beruflich sehr viel mit Transkripten von Interviews beschäftige und das oft erstaunlich interessant ist und viel über Menschen erzählt. Es geht ja nicht nur darum, was erzählt wird, sondern auch wie es erzählt wird, mit welchem Tonfall, mit den Pausen, Zwischentönen, wie die Geschehnisse gewichtet werden, welchen Erlebnissen Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Natürlich passiert in diesem Film per se gar nichts aufregendes. Peter Hujar (wunderbar: Ben Whishaw) besucht Rosenkrantz (der wichtige Sidekick: Rebecca Hall) in ihrer Wohnung, sie reden über den besagten Tag, Hujar raucht Kette, sie essen zusammen, trinken Kaffee und Whiskey, stehen auf ihrer Dachterasse, liegen im Bett, hören Musik, tanzen, zünden Kerzen an. Ein klassisches Kammerspiel also, wenn auch nicht in Echtzeit, während sie sprechen, vergehen einige Stunden. Die beiden sitzen oder liegen oft eng beieinader, was ihre vertrauensvolle Beziehung zeigt, sie berühren sich, sie lachen, als Zuseher merkt man, dass sie sich gut kennen. Es gibt etwas surreale Einschübe vom Sonnenuntergang, Passagen, wo die Kamera die beiden Personen in einer Art Porträt zeigt, immer wieder wird auch das Aufnahmegerät fokussiert.

An seinem Tag hat Hujar den Poet und “Vater” der Hippie Bewegung Allen Ginsberg getroffen. Er hat mit vielen Menschen, unter anderem Susan Sontag, telefoniert. Er hat in seiner Dunkelkammer gearbeitet und ein Nickerchen gemacht. Ein Freund kam zum Duschen vorbei und Hujar hat für beide chinesisches Essen geholt. Auch Fran Lebowitz, die mir quasi auf Schritt und tritt begegnet, ist Thema, Hujar war auch mit ihr befreundet (und hat tolle Fotos von ihr gemacht). Das Gespräch ist lustig, klug, denkt um die Ecke, reflektiert auch die eigenen Erinnerungen, das, was wirklich geschah, das worüber man dachte, es würde geschehen. Kurz kommt an seinem Tag auch eine französische Redakteurin der Elle bei Hujar vorbei und er erzählt Rosenkrantz, er hätte sich vorgestellt, wie sie ihn – den homosexuellen Bohemian – verführt. Aber dann wäre sie “short” und eher unvorbereitet gewesen.

Das alles ist ein Porträt von Hujar, der meint “nothing much happens, and I wasted another day”, was bei genauerer Betrachtung aber keineswegs stimmt. Es ist auch ein (grobkörnig gefilmtes) Porträt von seiner Zeit, seinem New York der 1970-er Jahren, von seinen Weggefährten. Für mich ist es sehr interessant und inspirierend gewesen. Ein Beweis auch, dass an einem “gewöhnlichen” Tag so viele kleine, feine, schöne Dinge passieren, denen man oft viel zu wenig Beachtung schenkt.

Viennale 2

Am Samstag Abend sah ich dann den zweiten Viennale Film in der Urania.

Was für mich gewöhnungsbedürftig ist, dass ich immer irgendwo mittendrin sitze. Normalerweise buche ich immer Randplätze wegen der Fluchtmöglichkeit harhar. In der Urania blieb der Sitz zu meiner rechten sehr lange frei und ich dachte schon cool, etwas Luft, doch im letzten Moment kam noch jemand und setzte sich neben mich und zwar Alexander Horwath. Ja, der Alexander Horwath, ehemals Viennale Leiter und Chef des Filmmuseums, seit kurzem auch Regisseur. Ich habe ihn in den 2000er Jahren einmal eine peinliche Fanmail geschrieben, nachdem er im ORF die Oscar Verleihung mitkommentiert hat und ich das super fand. Weil ich seinen Zugang so mochte. Nämlich ein absolut unsnobistischer und unprätentiöser, jemand, der nicht zwischen Arthouse und Hollywood Blockbuster unterscheidet, sondern nach der Qualität des gezeigten. Das empfinde ich als sehr sympathisch.

Jedenfalls hatte ich instant eine kleine Panikattacke harhar, aber das legte sich schnell, denn der Film startete quasi sofort. Und wenn man sich fragt, was hat Herr Horwath (und ich) angesehen, nun ja, es war Peter Hujar’s Day. Einen Film, auf den ich schon sehr lange warte, keinen Ahnung, ob er überhaupt einen Kinostart bekommt, denn – nun ja, zuerst eine kleine Erzählung:

1998 arbeitete ich im Schloss Schönbrunn als Schauraumaufsicht. Mein Job war es, stundenlang durchs Schloss zu gehen, Fragen zu beantworten, fallweise Garderobendienst zu machen, Menschen mit Rollstühlen im Aufzug hin und her zu bringen usw. Im Schloss arbeiteten sehr viele interessante Menschen aus vielen verschiedenen Ländern, mit spannenden, nicht sehr linearen Lebensläufen. Ich lernte dort Melinda kennen, eine Studentin der Theaterwissenschaft, die sich gerade auf ihre Diplomprüfung vorbereitete. Wir sprachen jeden Tag über Richard III und Shakespeare und Filme, wir aßen unser Mittagessen gemeinsam im Park. Wie auch immer, einmal fing eine neue Kollegin an, eine WU Studentin übrigens, und wir plauderten mit ihr und sie meinte irgendwann: “Ich hasse französische Filme, da wird immer nur geredet.” Melinda und ich sahen uns an und sagten nichts, harhar.

Wenn jetzt jemand beim Lesen dieser kleinen Geschichte gedacht boah, ich verstehe das, ich hasse auch französische Filme, in denen nichts passiert, dann kann ich nur dringend abraten Peter Hujar’s Day zu sehen. Denn ich habe schon viele französische “Laberfilme” gesehen, in denen wesentlich mehr passiert ist.

Hier der Trailer:

Manchmal hab ich das Gefühl, ein Film wurde quasi nur für mich gemacht. Das ist hier der Fall. Bald mehr.

Viennale 1

Gestern ging es also los. Viel zu früh, da das Kind Stellung hatte und wir um halb sechs aufstehen mussten. Natürlich hätte ich an diesem Tag einmal noch gut weitergeschlafen, harhar.

Danach gabs Frühstück in einem Cafe am Hauptbahnhof mit einigen Menschen aus der Uncut Redaktion. Vielen Dank an Harald, der das Unmögliche schaffte, und wirklich (fast) alle Wunschkarten für das diesjährige Arthauskinofest aufgetrieben hat. Hier meine Auswahl:

Vielleicht werde ich noch die eine oder andere Karte extra kaufen, wenn es sich ergibt, so wie letztes Jahr, aber ich muss halt auch noch nebenbei was arbeiten und einkaufen gehen, kochen und halt so Reallife Dinge machen harhar. Und die Rezensionen schreiben sich dann auch nicht von alleine.

Jedenfalls stand schon kurz darauf der für mich erste Film im Gartenbaukino auf dem Programm, nämlich Nouvelle Vague. Wir waren zu viert von Uncut dort und was soll ich sagen, vier glückliche Menschen verließen anschließend das Kino harhar. Die offizielle Rezension wird ein Kollege schreiben, wir beide haben vorher vereinbart, wer von uns diesen rezensiert und wer dafür nächste Woche Sentimental Value bzw. Affeksjonsverdi (nämlich dann ich).

Nouvelle Vague ist jedenfalls kurz gesagt ein Film von Filmnerds für Filmnerds. Es geht um die Dreharbeiten zu Außer Atem von Jean Luc Godard, der Film ist in schwarzweiß und französisch (mit englischen Untertiteln), was mir erst circa zehn Minuten vor dem Start klar wurde und die Frage aufwirft, spricht der Texaner Linklater diese Sprache? Jedenfalls ist der Film gleichermaßen verkopft, sperrig, artsy, amüsant, klug und irrsinnig akkurat. Ich bin froh, dass ich das Original erst vor einer Woche gesehen habe, das macht die Szenen noch interessanter.

Wer verfolgen will, wie der Debütfilm eines Visionärs entsteht, der wenig von Vorbereitung oder Drehbüchern hält, der den Dreh für den Tag auch einmal abbricht, weil er Hunger oder Zahnschmerzen hat, der sich gerne Tipps geben lässt, um sie in den Wind zu schlagen, der immer Sonnenbrille trägt und eine Zigarette nach der anderen raucht, der ist hier richtig. Wer sich für die Stimmung auf einem Filmset der 1960er Jahre erwärmen kann, sich auf launische, mutige und neugierige (zukünftige) Filmstars einlassen möchte, die zuweilen auch selbst viel Meinung mitbringen, wer das Kino liebt und sehen will, wie sehr das auch Richard Linklater tut, dem sei Nouvelle Vague ans Herz gelegt.

Außer Atem

Außer Atem – der gerade am Arthouse Kanal von Amazon Prime läuft – ist ein Film aus dem Jahre 1960 und die Initialzündung der Filmströmung Novelle Vague. Buch und Regie: Jean-Luc Godard.

Die Nouvelle Vague zeichnet sich formal durch einen experimentellen Zugang mit Handkameras, einem quasi-dokumentarischem Stil und vielen Außenaufnahmen, dem Spiel mit Licht und Schatten aus. Inhaltlich korrespondierend bricht sie mit herkömmlichen Erzählweisen, stellt oft einen Antihelden in den Mittelpunkt und gibt sich komplex und pessimistisch-ambivalent.

Der Plot von Außer Atem ist rasch umrissen. Der Kleinkriminelle Michel (Jean-Paul Belmondo) ist mit einem gestohlenen Wagen unterwegs als er in eine Straßensperre gerät und in Panik einen Polizisten erschießt. Er hat vor, nach Italien zu flüchten und versucht seine amerikanische on/off Geliebte Patrica (Jean Seberg), die in Paris studiert, zu überreden mit ihm zu kommen…

KAUM SPOILER UND DER FILM IST AUCH SCHON SEHR ALT

Ausser Atem ist, wenn man so will, eine Variante des Film Noir. Michel wäre gerne ein unerschrockender Charakter wie sein Vorbild Humphrey Bogart, doch tatsächlich verbirgt sich hinter seiner arrogant-unsympathischen Fassade, seinem Anspruch, auf alles eine Antwort zu haben, ein sehr unsicherer Mensch, der seinen Platz in der Welt noch sucht. Er ist Patricia nicht nur intellektuell unterlegen, er fühlt sich auch als Mann von ihr nicht ernst genommen. Patrica selbst weiß ebenfalls nicht so recht was sie will, obwohl auch sie rein äußerlich sehr selbstbewusst erscheint. Sie strebt eine Karriere als Journalistin an und ist ehrgeizeig; sie sehnt sich gleichzeitig nach einer Partnerschaft aber ebenso danach, frei sein. Auch dahinter liegen Unklarheit und Zweifel.

Während Michel in die Kriminalität flüchtet, sucht Patricia Trost in der Kunst und Philosophie. Deshalb hören wir hier sehr viele äußerst interessante Wortwechsel. Michel sagt einmal: “When we talked, I talked about me, you talked about you, when we should have talked about each other.” Und als Patricia ihn fragt, was er wählen würde, Trauer oder das Nichts, antwortet er: “Grief is stupid, l’d choose nothing. It’s not better, but grief is a compromise. l want all or nothing.” Insofern braucht man sich über die weiteren Entwicklungen in diesem Film auch nicht besonders wundern…

Obwohl in diesem Film Zigaretten und (Festnetz)Telefonie extrem wichtig sind – Michel erklärt Patricia etwa, dass der größte Vorteil eines berühmten Paris Kaufhauses darin bestünde, dass man von dort nach überallhin telefonieren könne – und es beides in dieser Form mit den damaligen Konnotationen nicht mehr gibt; und obwohl Frauen und Männer heute (hoffentlich) anders miteinander umgehen als Michel mit Patricia und vice versa, wirkt dieser Film erstaunlich modern und heutig. Vor allem wohl wegen der atemlosen (!) Kameraführung und den aufgeworfenen existentiellen Fragen, die doch irgendwie immer diesselben bleiben, wohin wir uns als Menschen auf technologischer und humanistischer Ebene auch entwickeln mögen.

Auf der Viennale werde ich am Freitag den Film Nouvelle Vague von Richard Linklater sehen, der sich mit den Dreharbeiten zu Außer Atem beschäftigt und ich bin jetzt sehr gespannt.