almis personal blog

The Seed of the Sacred Fig

Letztens habe ich im Kino The Seed of the Sacred Fig gesehen, ein sperriger Titel, auch im Deutschen nicht weniger – “Die Saat des heiligen Feigenbaums”. Dieser Film ist etwas außerhalb meiner Kino Komfortzone gelegen, weil ich sehe lieber fiktionales und brauche auch oft einen gewissen Ausbruch aus dem Alltag. Und das ist der Film eindeutig nicht, ganz im Gegenteil: Das ist ein sehr arger, schwerer Film, weil man eben auch weiß, dass die Geschichte zwar erfunden, die Verhältnisse, die er er beschreibt, aber tatsächlich Realität sind. Und man merkt es auch daran, dass Regisseur Mohammad Rasoulof den Film nicht nur geheim drehen musste, er musste danach sogar aus seinem Land, dem Iran, fliehen.

Es geht in diesem Film um die Familie eines iranischen Juristen, der eben zum Ermittlungsrichter befördert wurde und das gerade in einer Zeit der landesweiten Proteste im Jahr 2022 gegen das autoritäre Regime, was seine Familie auch einer nicht unbeträchlichen Gefahr aussetzt – sie müssen umziehen und sich an recht strenge Verhaltensregeln halten. Seine zwei (fast) erwachsenen Töchter verfolgen die Geschehnisse auf Social Media – im Film sind immer wieder echte Videos aus dieser Zeit zu sehen – und beginnen gegen das System und damit auch gegen ihren Vater zu rebellieren, als im eigenen Haushalt plötzlich die Dienstwaffe des Vaters verschwindet…

MILDE SPOILER MÖGLICH

Was ich sehr gut an diesem Film finde, ist die wirklich differenzierte Gestaltung seiner Protagonisten. Weil es wäre sehr leicht gewesen, Vater Imam als unsympathischen Despoten zu schildern und die Mutter Najmeh als passive “Erfüllungsgehilfin.” Tatsächlich ist Imam sehr gläubig und hat einen strikten Ehrenkodex, er ist aber auch ein liebevoller Vater, der anfangs auffallend defensiv und komplett aggressionslos gezeichnet wird und mit den Frauen auf Augenhöhe kommuniziert, auch Verständnis für andere Meinungen zeigt. Und Najmeh ist natürlich eine konservative Ehefrau, die gelernt hat, dass der Mann in der Familie die uneingeschränkte Autorität hat, aber sie versteht, auch wenn sie sich dagegen zu wehren scheint, dass ihre Töchter in einer anderen Zeit aufwachsen und sich viele Dinge nicht mehr gefallen lassen wollen.

Im Prinzip ist die Familie ja nicht per se “rückschrittlich”. Die Töchter besuchen höhere Schulen bzw. studieren, sie sind am Handy und gehen shoppen und leben in gewisser Weise so wie auch anderswo junge Frauen leben. Dennoch ist ihnen nur ein bestimmtes Leben zu leben erlaubt. Streng verboten ist es natürlich, ihr Haar in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dass in diesem Film iranische Frauen ohne Schleier gefilmt werden (nämlich im Privathaushalt) bedeutet im “wirklichen Leben” große Schwierigkeiten für die Schauspielerinnen. Und hier verschwimmt dann die Fiktion endgültig mit der Realität. Dass ein Film, der über die Grenzen der Freiheit, vor allem für Frauen erzählt und gleichzeitig wegen Überschreitung von Grenzen quasi auf den Index gestellt wird, das ist schon sehr schmerzende Ironie.

Mir persönlich ist vor allem die Szene in Erinnerung geblieben, als die ältere Tochter, Rezvan, sich die Fingernägel lackieren will und die Mutter es ihr verbietet, mit dem Hinweis, sie könne später einmal, wenn sie verheiratet sei, ihren Mann um Erlaubnis dazu bitten. Und Rezvan antwortet sinngemäß, das wäre also ihr Schicksal, zuerst sagt ihr die Mutter, was sie zu tun hat und später ihr Mann. Wann werde sie das tun können was sie selbst möchte? Das ist schon arg, so etwas im Jahr 2025 zu hören.

The Seed of the Sacred Fig fängt dort an, wo Mond der österreichischen Regisseurin Kurtwin Ayub aufhört. Ihre Themen sind ähnlich, bleiben aber künstlerisch-schemenhaft, während bei Rasoulof wirklich alles auserzählt wird, was noch kein Qualitätskritierum an sich ist. Der Film erschüttert in seiner Unbarmherzigkeit allerdings auf jedenfall sehr. Übrigens ist The Seed of the Sacred Fig der deutsche (sic!) Beitrag zum sogenannten Auslandsoscar.

Queer

Gerade ist der neue Film, Queer, von Luca Guadagnino bei uns in den Kinos angelaufen. Ich mag Guadagninos Arbeiten sehr. Call me by your Name zählt ohnehin zu meinen Lieblingsfilmen, aber auch Challengers, der 2024 lief, fand ich super, er war Platz 2 in meinen letztjährigen Top 10 – sooo unterhaltsam und temporeich. Und I am Love (schon etwas älter) hat mich auch beeindruckt. Das interessante bei Guadagnino ist, dass jeder Film von ihm tonal komplett anders (gut) ist.

Nun also Queer mit Daniel Craig in einer Rolle, die ungefähr das Gegenteil von James Bond ist. Craig ist William Lee, ein eher fraglier US-Amerikaner, der in den 1950er Jahren nach einer Drogenrazzia in New Orleans nach Mexico City geflüchtet ist, wo er – dank des Reichtums seiner Familie – ein sorgen- und arbeitsfreies, aber dafür drogenreiches Leben führt. Er erkundet die queere Szene der Stadt, hat eine Menge unbedeutender Abenteuer, verliebt sich aber schließlich in den ehemaligen Soldaten Gene (Drew Starkey). Die beiden begeben sich schließlich auf einen Drogentrip in den Dschungel Südamerikas…

ACHTUNG MÖGLICHE SPOILER!!

Wenn man sich jetzt denkt: Boah, das klingt nach wenig Plot, dann kann ich nur bestätigen: Ja richtig erkannt. Der Film hat tatsächlich sehr wenig Plot. Und obwohl ich die Buchvorlage von William S. Burroughs noch nicht kenne (habe mir das Buch gerade bestellt) – dessen Alter Ego Craig hier augenscheinlich verkörpert – denke ich mir, das ist wieder ein Roman, der eigentlich unverfilmbar ist, weil es in erster Linie wohl um das Innenleben des Protagonisten geht und es immer schwierig ist, das filmisch umzusetzen. Insofern Respekt an Guadagnino, dass er sich da drüber getraut hat.

Das eigentliche große Thema das Romans ist nicht Drogenabhängigkeit per se, sondern unerwiderte Liebe. Denn William, der zuerst eher als “Lebemann” dargestellt wird, beginnt irgendwann, Gene wirklich zu lieben, ihm buchstäblich zu verfallen. Und es macht ihn – ganz wortwörtlich – wahnsinnig, dass Gene seine Gefühle nicht in der Form zu erwidern scheint, wie er sich das wünscht. Oder sagen wir so: Das Ganze ist ziemlich ambivalent, von Genes Seite aus. Es ist nicht einmal klar, ob er tatsächlich “queer” ist oder nicht und was er sich von William “erwartet”. Die Suche Williams nach der Droge “Yage”, später auch bekannt als Ayahuasca, geschieht deshalb, weil sie anders funktioniert als herkömmliche Drogen. William erhofft sich davon telepathische Erlebnisse, das Kommunzieren ohne Worte oder viel mehr, den anderen zu verstehen. Als er sein Anliegen einem Biologen vorbringt, warnt ihn dieser vor der Unberechenbarkeit der Droge und liefert den (für mich) Schlüsselsatz im Film: “Who is it that you’re trying so desparetly to communicate with?”

Sinead O Connors Version von All Apologies setzt den Ton von Queer, sich zu entschuldigen, für all das was man ist und der eigenen Meinung nach nicht sein sollte. Zu viel zu lieben, wo keine Gegenliebe zu erwarten ist, zu viel zu verlangen, einfach insgesamt zu viel zu sein, nirgends (hinein) zu passen. Der Film ist seltsam, sperrig, surreal, nicht komplett stimmig würde ich sagen, aber er wirkt nach, er schafft eine Menge Identifikationspotential und Daniel Craig ist hier brilliant, in einer, zumindest für mich, neuen Facette.

Starkey fand ich weniger überzeugend; aber andererseits vielleicht vermittelt er damit genau diese Distanz, die er wohl auch vermitteln soll. Extrem genial: Jason Schwartzman als charmant-verrückter Hippie; Indiewire schreibt er sei “at-first unrecognizable”, also ich habe ihn nicht erkannt, bis ich genau dieses Review gelesen habe. Harhar.

Queer ist jedenfalls verstörend-sehenswert und die Sexszenen mögen zwar explizit sein, ich finde sie aber weder schockierend, noch sind sie das, worum es in diesem Film wirklich geht.

Filme des Jahres

Die Uncut Redaktion hat wieder ihre Filme des Jahres gewählt, hier zu finden. Die Wertung ist bei weitem nicht so einheitlich wie letztes Jahr ausgefallen, das klar von Oppenheimer dominiert wurde.

Auch ich war so frei und habe meine Wertung abgegeben:

Diese Wertung bezieht sich auf Filme, die 2024 in den österreichischen Kinos offiziell zu sehen waren. Daher ist hier beispielsweise The Brutalist und Volvereis (noch) nicht dabei.

Hätte auch nie gedacht, dass ein Film namens Sterben bei mir einmal in so einem Ranking auftauchen wird. But it did happen.

Und damit einen guten Rutsch ins neue Jahr!

All We Imagine as Light

Am Samstag habe ich mir All We Imagine as Light angesehen, den indischen Film von Regisseurin Paypal Kapadia, der diesen Jahr den Großen Preis der Jury beim Filmfestival in Cannes gewonnen hat.

Es geht in diesem Film um drei Frauen in Mumbai, eine etwas jüngere, eine “mittelalterliche” und eine etwas ältere, die befreundet sind und im einem Krankenhaus arbeiten. Die Jüngste, Anu, soll von ihren Eltern verheiratet werden, liebt aber einen Muslim, was ihre Eltern nie tolerieren würden. Prabhas Ehemann ist nach Deutschland gegangen und meldet sich nicht mehr bei ihr. Parvaty ist verwitwet und im Begriff delongiert zu werden. Es geht in All We Imagine as Light um das Alltagsleben als alleinstehenden Frau in einer überbevölkerten, anoymen Stadt, um die Wünsche und Hoffnungen von Frauen, deren Wünsche und Hoffnungen der Gesellschaft weitgehend egal sind.

All We Imagine as Light ist als Film irgendwie außerhalb meiner Komfortzone. Die indische Kultur ist mir ziemlich fremd und – auch wenn das natürlich böse, sehr böse ist – ich schaue mir am liebsten Filme an, mit denen ich irgendwie direkte Bezüge zu mir selbst herstellen kann. Eine Frau im Sari finde ich interessant, ich denke mir aber automatisch auch: wie viel oder eher wenig hat sie mit mir gemeinsam? Komischerweise ist das, was in den ersten Szenen in dieser überfüllten, etwas heruntergekommen Stadt ins Auge fällt als das, was einem “materiell” am vertrauesten ist, das Smartphone. Menschen in Mumbai haben sehr moderne Smartphones und tippen darauf herum, wie wir auch.

Aber die Themen, die Frauen in ihrem Leben haben, sind natürlich völlig andere. Es gibt einen anderen moralischen Kodex als in Europa, alleine das Motiv der arrangierten Ehe ist uns ja hierzulande im Jahr 2024 völlig fremd. Frauen sollen, obwohl sie alle im Berufsleben stehen, sich also versorgen können, noch immer vor allem gut verheiratet werden. Was Frauen selbst für ihr Leben wollen, das spielt hier offensichtlich sehr wenig Rolle. Eine gewisse Schwermut liegt über dem Leben von Anu, Prabha und Parvaty, eine Schwermut, in denen es trotzdem einzelne Momente der Freude, der Zuversicht und der Leichtigkeit gibt. Das ist auch genau das, worauf der Filmtitel anspielt. Manchmal stellen wir uns das Licht vor (oder die Leichtigkeit?), müssen es uns vorstellen, weil gerade alles finster ist, und machmal, wenn auch selten, erleben wir bzw. diese drei Frauen das auch, dieses Licht, diese Leichtigkeit.

Das ist das, was dieser Film sehr gut kann, kleine poetische Bilder und Stimmungen einfangen, lyrische Sätze einstreuen, Charakter detailliert zeichnen. Dennoch ist der Film für mich auch, und das sage ich wirklich selten, zu langsam erzählt. Er verliert sich in unfokussiertem Geplänkel, und schwächt seinen Narrativ dabei selbst. Wäre alles etwas kompakter, würden manche Erzähstränge näher beleuchtet werden, hätte All We Imagine as Light einen noch eindrücklicheren Eindruck bei mir hinterlassen.

The Second Act

Gestern habe ich mir The Second Act von Quentin Dupieux angesehen. Ein Film, der bereits bei der Viennale lief. Dupieux hat wohl schon einige sonderbare Filme gedreht, was ich ja ganz gerne mag, aber ich habe bisher keinen davon gesehen. Und nach The Second Act bin ich auch nicht sicher, ob ich etwas davon nachholen will, sorry, harhar.

Der Inhalt des Films wird damit umrissen, dass David (Louis Garrel) von Florence (Lea Seydoux) umschwärmt wird, an der er aber kein Interesse hat und deshalb versucht, sie seinem Freund Willy (Raphaël Quenard) schmackhaft zu machen. Das Ganze gipfelt in einem Zusammentreffen,bei dem auch der Vater von Florence (Vincent Lindon) anwesend ist. Aber das ist nur eine Facette dieses Filmes…

!!! ACHTUNG INHALTSSPOILER FOLGEN !!!

Oben geschilderter Plot ist nämlich nur der Film im Film. Denn tatsächlich sind die vier genannten Protagonisten Schauspieler, die in einem Film spielen, der das angesprochene Thema hat. Das wird ziemlich schnell klar, da die vierte Wand gebrochen wird, und die Schauspieler zum Publikum sprechen. Aha denkt man sich als Zuseherin, hier können wir einen Blick hinter die Kulissen werfen und bei Dreharbeiten dabei sein, was ich ja als Cineastin immer sehr interessant finde. Aber das ist es dann irgendwie auch nicht. Denn die Hintergrundarbeit (Drehbuch und Regie) bei dem Film wird von einer KI ausgeführt, die nur mittels Tablet in Erscheinung tritt.

Ok, denkt man sich, das ist am Puls der Zeit, Fragestellungen zu neuen Technolgien, zu prekärer Beschäftigung, sowie Kunst und Kommerz, ebenso wie Dialoge, die sich um Cancel-Culture, Transsexualität und Wokeness drehen. Aber das Ganze ist, ich kanns nicht anders sagen, auch ziemlich blutleer. Die Charaktere der Schauspieler vermischen sich mit denen der Privatpersonen, doch viel mehr als Platitüden kommen dabei meines Erachtens nicht heraus. Ich habe ja die Vermutung, dass die Metaebene hier vor allem deshalb existiert, um dem Film eine Relevanz zu geben, die das Drehbuch, das mir eher lieblos und oberflächlich gefertigt erscheint, für mich nicht hat.

Ja, es gibt ein paar recht amüsante Szenen (in einem Review hab ich sehr passend “somewhat funny” gelesen), aber alles in allem führt das für mich nirgendwohin. Ich mag Metaebenen in Filmen an sich schon ganz gerne, wenn sie dosiert eingesetzt werden und der Film auch ohne sie etwas zu sagen hat und für sich stehen kann. Aber das ist hier nicht der Fall. Ich habe nur darauf gewartet, dass Vincent Lindon auch noch seine früherere Beziehung zu Caroline von Monaco erwähnt. Tja, und speaking of Lindon – die allesamt sehr guten Schauspieler sind hier ziemlich, naja verschwendet ist zu viel gesagt, sie retten vielmehr das, was zu retten ist.

The Second Act wurde innerhalb von zwei Wochen irgendwo am Land im winterlich-trüben Frankreich gedreht, und sieht auch nach Low Budget in jeder Beziehung aus. Dabei hätte man aus der Grundidee vieles machen können. Ein bisschen schade.

Emilia Pérez

Am Donnerstag habe ich mir zum zweiten Mal Emilia Pérez angeschaut. Das Kind danach: Und, schaust ihn nochmal? Ich: Vielleicht. Ich finde denn Film sooo schön. Trotzdem traue ich mich nicht, ihn wirklich jemanden zu empfehlen, weil er schon auch sehr schräg ist und mir jemand auf meine Empfehlung hin danach auch sagen könnte: WTF? Ja, es ist diese Art von Film. Es ist quasi das Gegenteil von Crowdpleaser Konklave, wo ich mir denke, dass den alle irgendwie mögen. Ich werde aber versuchen, meine Eindrücke darzulegen

Emilia Perez ist das neue Werk des französischen Regisseurs Jacques Audiard. Es geht darum, dass der mexikanische Kartellboss Manitas del Monte (Karla Sofía Gascón) schon seit jeher den Wunsch hat, eine Frau zu werden. Er wendet sich an die ambitionierte Anwältin Rita Moro Castro (Zoe Saldana), die sich auch durch erzwunge Kooperation mit dem System nur halbwegs über Wasser halten kann. Rita soll ihm gegen sehr gute Bezahlung helfen, eine passende Klinik im Ausland zu finden und sich danach um seine Frau Jessi (Selena Gomez) und die beiden kleinen Söhne zu kümmern. Denn er hat nicht vor, seiner Familie von seinen Plänen zu erzählen und muss sie deshalb hinter sich lassen. Rita macht sich auf die Suche nach einem geeigneten Arzt…

ACHTUNG MILDE SPOILER

Wie ich schon kurz während der Viennale erörtert habe: Dieser Film “geht” eigentlich nicht. Er ist in einem korrupten, umbarmherzigen Mexiko angesiedelt, er handelt von Transition eines “Capos”, es wird gesungen und getanzt als gäbe es kein Morgen und ein bisschen ist er auch ein Märchen, würde ich sagen. Zielgruppe: Nicht unbedingt vorhanden.

Dem Film wird außerdem gleichzeitig vorgeworfen Trans-Propaganda zu betreiben und transfeindlich zu sein. Ich würde sagen: Alles richtig gemacht. Tatsächlich stimmen m.E. beide Befunde nicht. Denn hier geht es nicht um irgendwelche Pronomen, dieser Film hat keine Agenda oder Ideologie und will das Publikum von nichts überzeugen, aber er geht sehr empathisch mit seiner Protagonistin um; und: er will einfach nur eine Geschichte erzählen. Und wie angenehm ist das! Einfach eine Geschichte ohne Belehrungen. Eine individuelle Erfahrung, ohne Anspruch auf Zwang irgendein gesellschaftspolitisches Statement zu generieren. Oder wie Christian Fuchs im fm4 Filmpodcast sehr zutreffend sagte (noch ohne den Film zu kennen): “Audiard ist jemand, der immer ein bisschen am Zeitgeist dran ist, aber so seinen eigenen Blick auf manche Dinge hat.” Genau das.

In der kommenden Oscar Season wird noch darüber diskutiert werden, wieso Karla Sofia Gascón als Hauptdarstellerin ins Rennen geht, und Zoe Saldana als Nebendarstellerin. Saldana hat sogar fünf Minuten mehr Sceentime. Als ich Emilia Perez das erste mal gesehen habe, bin ich gefühlsmäßig eher bei Saldana, also der Anwältin, gewesen, diesmal bei Gascon als Manitas/Emilia. Das ist ein interessantes Phänomen, das ich so noch nicht erlebt habe. Aber hier haben wir es tatsächlich mit zwei “Leads” zu tun, Selena Gomez ist ganz eindeutig die Nebendarstellerin. Alle drei sind so unterschiedlich, aber jede für sich absolut überzeugend.

Vor allem aber fasziniert mich Emilia Perez, weil dieser Film für mich ein bizarres audiovisuelles Kunstwerk ist. Ich liebe die Musik, die oft melancholisch-rezitativ und aber auch catchy ist. Es gibt Szenen, da kann man lachen und weinen gleichzeitig. Hier wird das Laden von Maschinengewehren zu einer Art choreografisch durchkomponierten Tanz. Noch nie sah Mexiko City so schön aus. Es geht um Selbstermächtigung, Empathie und Buße. Ich liebe das wirklich sehr, deshalb sind mir die Dinge, die man vielleicht hier und da beanstanden könnte, egal. Ich werde vermutlich noch öfter was dazu schreiben, bis zu den Oscars. Sorry. Harhar.

Conklave, zwei

Der Regisseur von Conklave ist übrigens der deutsch-österreichisch-schweizerische (die Quelle sagen unterschiedliches) Edward Berger, der vor zwei Jahren Im Westen nichts Neues gedreht hat und damit sehr erfolgreich war. Ich habe den Film nicht gesehen, weil ich eine gewisse Scheu vor Kriegsfilmen habe.

Mit Conklave bringt er wieder einen Film über eine Gruppe von Männern heraus, die auch irgendwie Krieg führen, was auch im Film ausgesprochen wird. Lawrence sagt während einer Diskussion zu Bertini einmal, das sei ja eine Papstwahl und kein Krieg und Bertini daraufhin: “It is a war!!! And you have to commit to one side”.

Mein allerliebstes Zitat aus diesem Film (es kommt auch im Trailer vor, also nicht wirklich ein Spoiler) ist etwas, was Kardinal Lawrence in seiner Ansprache vor Beginn der Papstwahl sagt:

There is one sin, which I come to fear above all others. Certainty. If there was only certainty and no doubt, there will be no mystery and therefore no need for faith.

Das gefällt mir sehr gut, weil es irgendwie zum Leben passt, auch wenn man kein Kardinal ist. Es ist nicht alles immer so klar wie es vielleicht scheint. Und die Ambition von Menschen anderen permanent ihre Sichtweise aufdrängen zu müssen und nichts anderes gelten zu lassen, das ist ja ein Grundübel der Gesellschaft in der letzten Zeit. Ich finde, das verengt unnötig den Blick auf ja, eigentlich alles und es nimmt nicht nur das Geheimnis, sondern auch die Freiheit, die man hat.

Wenn man also Lust hat auf gute Schauspieler, Spannung, feine Dialoge und schöne Bilder hat – der Vatikan ist schon sehr fotogen und es sieht toll aus, wenn zum Beispiel alle Kardinäle im Regen mit weißen Schirmen über den Innenhof laufen – dann anschauen. Es wird übrigens auch gevapt und am Smartphone herumgewischt. Und es gibt tatsächlich eine Frau im Vatikan: Isabella Rossellini in einer Schlüssel-(Neben)rolle.

Conklave, eins

Vor einigen Tagen habe ich den heurigen Oscar-Crowdpleaser gesehen, wie ich ihn nennen möchte.

Also einen Film, der durchaus anspruchsvoll und ein wenig artsy ist, dabei aber auch ziemlich spannend und amüsant erzählt wird und zwar Conklave. Solche FIlme sind in hohem Maße Oscar-verdächtig, weil sie nicht polarisieren und vermutlich den meisten Juroren gefallen und deshalb wohl auch von vielen Stimmen bekommen werden. Weil bei den Oscars gibt man ja nicht nur Stimmen für den Lieblingsfilm ab, sondern eine Rangreihung.

In Conklave geht es jedenfalls – wie der recht technokratische Titel schon sagt – um eine Zusammenkunft aller Kardinäle nach dem Tod des bis dahin amtierenden Papstes. Kardinal Thomas Lawrence (Ralph Fiennes) wird dazu auserkoren, die Wahl zu leiten, obwohl er sich selbst nicht gerade als Manager sieht und generell aktuell ein paar Probleme mit seiner Kirche und dem Glauben hat. Er selbst unterstützt den progressiven Aldo Bertini (Stanley Tucci), der sich nicht um das Amt reißt, aber andere (repressive) Kräfte verhindern will. Und dann beginnt das doch sehr intrigante Spiel um die Macht…

Als Zuseherin ist man ja immer recht schnell in den Bann gezogen, wenn man sich in einem Setting vorfindet, in dem Menschen bewusst isoliert werden und in ritualisierter und streng reglementierter Form etwas wichtiges entschieden werden soll, weil das so viel Raum für spannende Gruppendynamiken aller Art bietet. Oder wie das Votivkino in seiner Kritik schrieb: “Germanys Next Topmodell meets the Vatican. Nur einer kann der nächste Papst werden.”

Dabei spielt die Religion selbst in Conklave eine geringere Rolle als man glauben könnte. Natürlich geht es ein bisschen um Konservatismus versus Aufbruch, mehr geht es allerdings um das universelle Thema Gruppenbildung bzw. Spaltung, und noch mehr um Intrige, Manipulation und wie man in einem toxischen Umfeld authentisch bleiben und das Richtige tun kann, wie Kardinal Lawrence. Lawrence ist ein guter Mensch, aber auch ein zweifelnder, ein (auch sich selbst) hinterfragender. Die Rolle des Managers der Papstwahl überfordert ihn permanent.

Ralph Fiennes ist hier so super und man kann sich generell nur wundern über die “Range”, die er hat. Vom Shakespeare Darsteller im Theater – das merkt man auch hier sehr an seiner Sprache – über den männlichen Part von epischen Liebesgeschichten wie Der englische Patient, vom schrecklichsten aller schrecklichen Nazis Amon Göth in Schindlers Liste zu hippen Typen in italienischen Thrillern wie A Bigger Splash bis zu sehr komödiantischen Rollen wie als Concergie in The Grand Budapest Hotel oder als wahnsinniger Küchenchef in The Menu. Für seinen Nebendarsteller gilt fast das Gegenteil, ich zitiere das Votivkino “Stanley Tucci als Stanley Tucci, wir lieben ihn, auch wenn er immer dieselbe Rolle spielt.” Harhar

to be continued…

In der Mittagspause

Heute habe ich gelesen, dass Rust, der Film, in dem Alec Baldwin eine Kamerafrau erschossen hat, Premiere hat und ich hab ein bisschen in der Internet Movie Database recherchiert und festgestellt, dass der Film tatsächlich schon einen Preis gewonnen hat, was mich gewundert hat. Allerdings, aha, den Hall of Shame Preis der Alliance of Women Film Journalists.

Und so habe ich meine ganze Mittagspause damit verbracht, zu stöbern, welche teilweise sehr amüsanten teilweise auch sehr woken (das muss heuzutage wohl sein) Preiskategorien und Begründungen es bei dieser Organisation gibt.

Es gibt etwa den Actress Defying Age and Ageism Preis – jede, die den bekommt, müsste ja eigentlich drauf sagen: “Habt ihr mich gerade alt genannt?” Und gleichzeitig gibt es aber auch den Preis für Most Egregious Age Difference Between the Leading Man and the Love Interest. Ist das nicht auch Ageism, wenn man es genau nimmt?

Dann gibt es so lustige Preiskategorien wie Actress Most in Need of a New Agent und Sequel/Remake that Should Not Have Been Made oder Movie You Wanted To Love But Just Couldn’t. Es gibt auch eine Kategorie für Unforgettable Moment – den hat dann zum Beispiel einmal der Stummfilm The Artist gewonnen, und zwar für “The sound of the glass clinking on the table” und Inception war nominiert für: “Paris folds in on itself.” Der Female Icon Award ging einmal an Jennifer Lawrence für “handling her high degree of celebrity extremely well.” Ich weiß teilweise nicht, ist das Satire oder ernst gemeint?

In der Hall of Shame findet man – außer Alec Baldwin und seine Crew – natürlich auch so Menschen wie Harvey Weinstein, aber auch jemand wie Christopher Nolan “for insisting that Tenet be screened exclusively in theaters during a pandemic.” Na was für ein Orsch bitte, der jahrelang an einem Film arbeitet und ihn dann auch in Kinos aufgeführt sehen will, wie kann er nur?? Gerade, dass sie ihn nicht “Coronaleugner” nennen. Harhar.

Na jedenfalls war das eine sehr kurzweilige Mittagspause.

The Room Next Door

Nun noch etwas mehr zu The Room Next Door, von Pedro Almodovar.

Die erfolgreiche Autorin Ingrid (Julianne Moore) hat gerade ein neues Buch veröffentlicht, in dem es um ihre Angst vor dem Tod geht. Wie es der Zufall so will, trifft sie auf ihre alte Freundin Martha (Tilda Swinton), die Krebs im Endstadium hat. Martha möchte ihrem Leben mittels Pille aus dem Darknet selbstbestimmt ein Ende setzen, und sucht jemand, der im “room next door” bleibt. Nachdem sich nicht sehr viele Menschen darum reißen, diese Aufgabe zu übernehmen, fragt Martha irgendwann Ingrid, ob sie diese Person sein will, die nebenan wohnt und bei ihr bleibt, bis es soweit ist…

SPOILER MÖGLICH

Dass dies Almodovars erster englischsprachiger Film ist, merkt man tatsächlich deutlich an der Sprache. Und damit meine ich jetzt nicht, dass alle englisch sprechen statt spanisch, nein, sie sprechen englisch, als würden sie in Wahrheit spanisch sprechen. Versteht das irgendjemand? Harhar. Ingrid und vor allem Martha sprechen anfangs viel zu viel und viel zu schnell. Ich habe mir gedacht, irgendwie passt das nicht und habe mir dann überlegt, wäre es spanisch, würde es mich wahrscheinlich nicht “stören”. Generell wird aber im ersten Teil des Filmes viel zu viel geredet. Martha erzählt Ingrid Dinge, die Ingrid als so gute frühere Freundin bereits wissen sollte. Es ist schon klar, dass Almodovar will, dass auch wir diese erfahren, aber das war mir irgendwie zu platt. Die Rückblenden sind auch eher so mittel.

Dann gibt es auch hier wieder einen ur nervigen Nebencharaker (it’s a thing derzeit), nämlich Damian (John Turturro) mit dem beide Frauen vor langer Zeit einmal (nacheinander) zusammen waren. Und ich hoffe sehr, dass er damals nicht so mühsam war, weil sonst ist die Faszination schwer nachvollziehbar. Jedenfalls trifft er sich einmal mit Ingrid, spricht er davon, dass er schon wieder Großvater wird und das sei ja so unverantwortlich in der heutigen Zeit wegen Klima bla bla. Ingrid weist ihn dann daraufhin, dass er sehr selbstgerecht sei und es ihm außerdem nicht zustehe, quasi allen anderen die Laune zu verderben, nur weil er irgendwelche Horrorszenarien in seinem Kopf durchspielt. So super, die Antwort! Jedenfalls erläutert sie dann, dass man sich auch Gedanken über etwas machen kann, und trotzdem den Augenblick genießen, so wie Martha das täte, die genau wisse, dass ihre Tage gezählt seien.

Generell wird The Room Next Door immer besser, je länger der Film dauert, je mehr Momente Ingrid und Martha alleine haben, und am besten ist er da, wenn sie im Ferienhaus sind und reden, sich alte Filme ansehen, in Büchern blättern, in den Wald gehen. Das fühlt es sich richtig geborgen, fast gemütlich an, obwohl das Thema ja alles andere als das ist. Ich verzeihe diesem Film möglicherweise auch ein paar Schwächen, weil er so gut diese gewisse Stimmung vermitteln kann, in Frieden mit der Welt zu sein. Trotz allem. Wie schon gesagt: Der Film ist sehr berührend, aber er ist nicht wirklich traurig, zumindest empfand ich es nicht so. Ein paar Almodovar’sche Trademarks wie die starken Frauenfiguren, die schrillen Farben, ein paar Skurilitäten gibt es – aber so ein theatralisches spanisches Musikstück hätte hier natürlich auch gut gepasst, nur gibt es das nicht, weil wir sind ja in den USA.

Ich habe jetzt nachgezählt: ich habe 16 von den 23 “großen” Almodovar Filmen gesehen. Da geht noch was!