almis personal blog

Fuenf

Seit fünf Jahren vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht darüber grüble, warum das damals alles so kam wie es kommen musste.

Adrian weiß mittlerweile, dass er in Bozen geboren wurde, er hat den Arzt kennengelernt, der ihm das Leben gerettet hat und er spricht auch häufig von ihm, er hat die Intensivstation gesehen, und einen Brutkasten mit einem winzigkleinen Baby drinnen. Er weiß, dass er selbst viel zu früh zur Welt gekommen ist. Gestern hat er mir erklärt, warum denn das der Fall war: er wollte einfach schon zu Mama und Papa. Seufz. Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Er macht uns seit fünf Jahren zu den glücklichsten Menschen. Und zu sehr dankbaren obendrein.

Fall

Der Herbst wäre so eine tolle Jahreszeit. Wenn er nur nicht immer nach dem Sommer an die Reihe käme…

Wenn der Herbst kommt, dann hat man das Gefühl, man verliert etwas Kostbares, anstatt das zu genießen, was man stattdessen bekommt. Die frischen Morgen und Abende, das goldene Licht, diesen blitzblauen Himmel, die Dämmerung in Zeitraffer. Die langen Nächt, die heißen Tees und die Konzentration, die Ausdauer. Das schöne Gefühl, die Tür hinter sich zuzuziehen. Nachhause zu kommen. Und auch dieses bittersüße Abschiednehmen von der großen Leichtigkeit.

Für mich ist der September seit fünf Jahren ein noch ambivalenterer Monat, denn 2007 waren das jetzt gerade die letzten Tage eines ganz anderen Lebens. Und ich frage mich seitdem immer um diese Zeit, ob diese klaren Septembertage mir nicht einen Hinweis darauf gegeben haben, dass sich alles ändern würde, meine Art zu leben und meine Art zu denken. Die Intensität meiner Gefühle und Ängste.

Ja, ich liebe den September – weil er es mir nicht leicht macht. Weil er eine Herausforderung ist.

Aha-Erlebnis

Ich weiß nicht, ob andere Mütter das auch so empfinden, aber für mich war die Art und Weise, wie Adrian Fahrrad fahren lernte wie ein Wunder. Und zwar lernte er es so: er setzte sich aufs Rad, wir hielten das Rad hinten etwas fest, tauchten an und dann fuhr er. Das wiederholte sich ungefähr zehnmal und seitdem kann er alleine fahren.

Für mich ist das eigentlich unfassbar: denn bis Adrian alleine atmen konnte, dauerte es fast vier Monate und verlangte den Einsatz von mehreren Ärzteteams. Umdrehen lernen kostete ihn unermessliche Anstrengung, manchmal brauchte er dafür eine halbe bis dreiviertel Stunde, in der es um Millimeter ging. Es war frustrierend, aber er war ehrgeizig, er wollte es schaffen.

Krabbeln, robben und stehen lernen verdanken wir u.a. zwei netten Physiotherapeutinnen. Von den ersten Schritten bis zum tatsächlichen Gehen lagen monate. Festes Essen konnte er erstmals mit 22 Monaten zu sich nehmen (davor nur feinpüriert). Sprechen fing mit 2,5 Jahren (und ganz viel vorheriger anstrengung) an, Frühförderung und Ergotherapie unterstützen ihn. es fiel ihm nichts in den Schoß. Es ist für mich immer ein bisschen unfassbar, wenn andere Mütter erzählen, wie schnell ihre Kinder sich entwickeln oder wenn ich es mit eigenen Augen sehe – aha, so läuft das normalerweise.

Radfahren war erstmals kein Kampf, sondern etwas spielend leichtes. Schön ist das! Vor allem für ihn.

charlotte, zwei

ich hätte nicht gedacht, dass ich kurz nach dem artikel über das frühchen in köln einen bericht über “unser” krankenhaus bozen geschickt bekomme, in dem es dieses jahr eine erfolgsgeschichte über ein 23-wochen frühchen zu vermelden gibt.

ein schöner artikel über die arbeit des krankenhauses und unseres arztes.

charlotte

in der vergangenen woche ging wieder mal eine frühchen-geschichte durch die medien und diesmal eine sehr traurige. eine frau aus köln klagt eine klinik, die ihr in der 23. woche geborenes kind vor vier jahren nicht versorgte – das mädchen starb nach einer stunde.

dazu muss gesagt werden, dass die ärzte ab der 25. woche dazu verpflichtet sind, ein frühgeborenes zu versorgen, vor der 22. woche wird das kind nicht behandelt, da es als nicht lebensfähig gilt. spiegel hat da auch eine übersicht gestaltet.

das baby der kölnerin lag in einem juristischen graubereich, in dem manche kliniken behandeln und manche nicht, manche kinder überleben, viele aber nicht oder nur mit schweren behinderungen. nun kann niemand von uns beurteilen, ob die entscheidung, die diese ärzte getroffen haben, die richtige war oder nicht. ich glaube aber, nach der schilderung der patientin, dass das tatsächliche problem woanders lag und zwar in einem kommunikationsdefizit auf seiten des medizinischen personals. sie wurde in ihrer situation nicht aufgeklärt und später mit dem neugeborenen kind alleine gelassen. ich wage zu behaupten, dass die frau nicht geklagt hätte, hätte sie sich in dieser situation angehört und verstanden gefühlt.

ich glaube in so einer lage ist die kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit der ärzte das wichtigste. ich habe in bozen viele gespräche gehabt, die mich aus dem tal der tränen geführt haben. und zwar nicht, weil mir jemand irgendetwas versprochen hat, sondern weil sich jemand die zeit genommen hat, immer wieder mit uns zu reden, zu erklären, auch unangenehme wahrheiten anzusprechen und auf uns einzugehen. unser kind als patienten und uns als eltern einfach ernst zu nehmen. das habe ich auch bei anderen eltern auf der station beobachtet und ich habe niemanden erlebt, der den ärzten nicht vollkommen vertraut hätte.

denn darum geht es, um das vertrauen, dass sich die ärzte mit dem kind individuell auseindersetzen und um das gefühl, dass sie hinter einem stehen, um aufzufangen.

weltfrühchentag

gestern war der erste internationale weltfrühchentag.

es fanden sehr interessante aktionen rund um den globus statt und in vielen medienberichten wurde auf das thema aufmerksam gemacht. gut hat mir auch der artikel im kurier gefallen, in dem auch darüber berichtet wird, dass die maschinelle beatmung von frühchen in zukunft mehr und mehr in den hintergrund treten wird, dank neuen behandlungsmethoden. das sind tolle neuigkeiten.

nächstes jahr am weltfrühchentag wird hoffentlich mein roman zum thema bereits veröffentlicht sein. klingt jetzt vielleicht etwas großspurig, aber wenn ich nicht dran glaube, wer dann?  harhar.

jedenfalls geht jetzt die verlagssuche los. wenn sie zufällig ein verleger sind und interesse haben: kontaktieren sie mich gerne.

 

kismet

jedesmal wenn ich in den letzten tagen von den unheimlich tragischen ereignissen in der innsbrucker uniklinik lese, denke ich daran, wie wir vor adrians geburt eigentlich nach innsbruck fliegen wollten. in meinem mutter/kind pass wurde sogar “transfern nach IBK” eingetragen.

tja und dann lag ich stundenlang (so kam es mir zumindest vor) in einem krankenzimmer und bekam die 1. lungenreifungsspritze und derweil telefonierten er und der primar von brixen und wer weiß noch alles mit der flugrettung und dem öamtc und sie bekamen keine flugerlaubnis nach österreich, da wir ja in italien waren und das mit der verrechnung daher alles nicht so einfach.

und dann kam der primar und sagte, dass wir keine zeit mehr haben, zu warten, wenn ich in afrika wäre, nun ja, dann müsste ich auch in afrika bleiben, aber ich war gottseidank in südtirol und so sollte ich eben nach bozen. das war im ersten moment schon irgendwie ein schock. nach bozen, das wäre ja noch weiter weg von wien und dort sprechen dann alle italienisch und wuseln herum und ich verstehe kein wort. na ja, kein wort ist übertrieben, aber trotzdem. dass es die vielleicht beste entscheidung meines bisherigen lebens war, das wusste ich damals ja noch nicht.

als ich schon in der luft war und er auf der autobahn, kam der anruf aus österreich, sie transportieren mich. da wars dann zu spät. aber manchmal muss man sich auf “schicksal” einfach verlassen. ironie des schicksals: die allererste krankenschwester, mit der ich in bozen in berührung kam, war eine schnell sprechende, herumwuselnde italienerin.