almis personal blog

Über Bozen

Unlängst hat mich eine Freundin nach Tipps zu einem Tag in Bozen gefragt. Und obwohl ich 2007 über zwei Monate täglich in Bozen war, obwohl das Kind dort geboren wurde und ich ein Buch geschrieben habe, das Geboren in Bozen heißt (Werbung in eigener Sache), kann ich zu der Stadt erstaunlich wenig sagen, außer, dass sie hübsch ist und wirklich malerisch zwischen Weinbergen gelegen ist.

Bevor das Kind geboren wurde, wollte man mich ja eigentlich nach Innsbruck ausfliegen. Nachdem der ÖAMTC aber zu lange überlegte (unbezahlte Werbung harhar), beschloss der Arzt in Brixen, dass ich nach Bozen kommen würde mit den Worten: Wenn sie in Afrika wären, müssten sie das Kind ja auch in Afrika bekommen. Interessante Analogie.

Jedenfalls wurde das Kind dann dort geboren und ich fuhr täglich mit dem Zug von Brixen nach Bozen, und während dieser vielleicht halbstündigen Fahrt, ändert sich die Sprache, die vornehmlich gesprochen wurde, auf wundersame Weise. Bei der Bushaltestelle am Bahnhof Bozen gab es ein Schild, auf dem stand, dass man keine Fahrräder anlehnen sollte. Das Schild konnte man damals kaum lesen, weil so viele Räder davor lehnten. Es gab dort Pizzaschnitten, die so schmeckten, als wäre es das einfachste der Welt, Pizzaschnitten zu backen. Die Menschen froren bei neun Grad plus im Dezember (“E molto freddo!”) trotz dicker Daunenjacken. Ein Stadtteil klang wie ein Kinderreim (Zwölfmalgreien). Ich musste oft laufen, um meinen Zug zu erwischen und dabei meine Schwangerschafthose festhalten, die mir da schon etwas zu groß war. Einmal war der Zug verspätet und ich hatte Zeit dazu, am Bahnsteig zu weinen (nicht wegen der Verspätung). Das sind im großen und ganzen die Dinge, die mir über Bozen in Erinnerung sind und sie sind, fürchte ich, nicht touristisch verwertbar.

Oder wie ich in meinem Buch geschrieben habe:

“Für Andrea (meine Zimmernachbarin, Anm.) war Bozen so fremd wie für mich. Oder vielleicht noch fremder. Anders fremd. Sie kannte es und hatte festgestellt, dass es fremd war. Für mich war Bozen fremd im Sinne von unbekannt. Ich hatte es dadurch trotzdem leichter, denn ich hatte keine Vorurteile und Erwartungen.

Geboren in Bozen, Seite 61

Letztendlich hätte Bozen die Kulisse der größten Tragödie meines Lebens werden können, so ist es nur eine Stadt, die ich kaum kenne.

15

Heut ist der Sohn 15 geworden. Er hat sich Steakessen gewünscht, um zu feiern, gestern Abend.

Mein Steak:

Peppersteak mit Rösti und Kräuterbutter, 200 Gramm

Versus Steak des Kindes:

Rib Eye, 400 Gramm

Danach:

Warmer Schokokuchen

Es war sehr gut. Danach bin ich in den Garten gefahren und habe einen Tweet für den Alltagspoeten abgesetzt (true stroy!):

Heute haben viele Menschen gratuliert, unter anderem eine (der) Hebamme(n) des Kindes (bzw. von mir) aus Bozen, was ich total lieb fand. Sie kommt ja auch in meinem Buch vor. Unter anderem, weil sie viele Wochen nach der Geburt – es wird so Mitte November gewesen sein – auf die Intensivstation gekommen ist, mich dort nicht gesehen hat, aber in den Brutkasten vom Kind geschaut hat und eine anwesende Schwester gefragt hat: “E come sta A.?” Also wie gehts ihm. Das fand ich so lieb und rührend, dass ich fast geweint hätte oder auch hab, ich weiß es nicht mehr, muss in meinem Buch nachlesen harhar.

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Der Frauenfragen Podcast hatte letzte Woche endlich Dirk Stermann zu Gast. Ich wusste, dass er Gast sein wird, weil er mit Host Mari Lang befreundet ist. Das Gespräch war dann auch ziemlich interessant, Stermann, Vater einer erwachsenen Tochter, hat vor vier Jahren noch einen Sohn bekommen, den er auch häufig alleine betreut, da er wegen Corona ja derzeit mehr daheim ist als seine Partnerin. Er hat etwas erstaunliches zum Thema Kinderhaben gesagt:

Die, die keine Kinder haben, können nicht begreifen wie das ist, wenn du Kinder hast. Darum ist es auch so sinnlos, Leuten ohne Kinder zu erzählen, was es bedeutet, ein Kind zu haben. die, die ein Kind haben, wissen alle wie das ist ein Kind zu haben. Die beiden Welten werden sich nie treffen.

Ich denke oder fürchte, dass das wirklich stimmt. Andererseits macht uns jede Erfahrung, die wir machen, reicher und “weiser” und wenn ich beispielsweise nie reise, dann verstehe ich auch vieles nicht, was ein Reisender erlebt. Wenn ich eine bestimmte Krankheit habe, werde ich Spezialist für eben diese Krankheit und gewinne eine Perspektive, die jemand anders eben nicht hat.

Apropos Erfahrung, die andere nicht machen, ich weiß wie es ist, ein Extremfrühchen bekommen zu haben und habe darüber ein Buch geschrieben und weil Weihnachten ist, gabs in einer Facebook Gruppe eine Buchverlosung, u.a. meines Buches Geboren in Bozen (falls noch wer ein Geschenk braucht harhar) und jemand hat mein Buch gewonnen und freut sich hoffentlich darüber.

Alles gut

Heute vor 13 Jahren war der letzte Tag, an dem ich nicht Mama war.

Jahrelang hab ich den ganzen September ambivalente Gefühle gehabt. Wurde von der Spätsommerluft und dem Stand der Sonne getriggert. Das hörte mit jedem Jahr mehr auf und heuer hab ich kaum was gefühlt. Weil auch viele andere Themen das gerade heuer überlagern.

Bis ich heute in aller Frühe, um halb sieben, die Fotos von meiner damaligen Bettnachbarin im Krankenhaus Bozen sah. Ihr Sohn M. wurde heute vor 13 Jahren geboren. Auf ihrem Whatsapp Status hat sie ein Bild gepostet, in dem sie mit M. die Marsupio (Känguruhtherapie) macht. Sie sitzt da in dem weißen Kittel, den wir auf der Intensivstation immer angezogen haben, vor der Wand mit den braunen Fliesen, auf der Brust ihr winziges Baby. Und sie hat diesen Gesichtsausdruck zwischen Babyblues und Glücklich-sein und der Frage: wie bin ich bloß hierher geraten. Und das war dann doch wieder ein ziemlich emotionaler Flashback für mich.

Aber M. geht es wunderbar. Es ist alles gut.

Der schmale Grat

Gestern in der Früh hab ich ein Interview mit Reinhold Messner gelesen, in dem er unter anderem erzählt hat, dass sein Bruder Hubert wegen Corona aus der Pension zurückgekehrt sei, um wieder im Krankenhaus zu arbeiten. Das hat mich deshalb interessiert, weil Hubert Messner der Arzt des Kindes war, der ihn auf seiner Station nach der Frühgeburt behandelt hat. Und ihm das Leben gerettet hat.

Als ich daraufhin dann gegoogelt habe, hab ich erfahren, dass Hubert Messner gemeinsam mit einem Journalisten seine Autobiografie geschrieben hat Der schmale Grat. Als Arzt und Abenteurer zwischen Leben und Tod. Die ist Anfang März erschienen, aber nachdem zu diesem Zeitpunkt Corona voll Fahrt aufgenommen hat, ist das alles in den Hintergrund getreten. Sonst hätte man vielleicht darüber mehr erfahren.

Jedenfalls hab ich mir noch am gleichen Tag das Buch gekauft und ausgelesen. Messner beschreibt nicht nur sein Leben als Arzt, sondern auch als Abenteurer – er hat mit Reinhold mehrere Expeditionen unternommen – mal erfolgreich, mal nicht erfolgreich, immer lebensgefährlich. Das ist sehr spannend zu lesen. Noch spannender ist für mich natürlich der Teil in dem es um seinen Beruf als Neonatologe geht.

Ich werde von dem Buch noch mehr erzählen, aber eines ist mir beim Lesen besonders in Erinnerung geblieben: es ist ein großer Unterschied bei den Eltern ob ein Baby zu früh geboren wird oder ob es während der Geburt in eine lebensbedrohliche Situation kommt und dann Patient der Neonatolgie wird. Im ersten Fall erscheint das Krankenhaus und die Ärzte als Retter, als Anker, als positive Kraft; im zweiten Fall empfinden die Eltern das Krankenhaus manchmal als Verursacher des Leides, das sie ertragen müssen, auch wenn kein medizinischer Fehler passiert ist. Im zweiten Fall wird die Schuld wesentlich öfter beim medizinischen Personal gesucht und dieses auch verklagt. Im zweiten Fall fällt es den Eltern schwerer ihr Schicksal zu akzeptiren

Messer schreibt dazu:

Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sich gerade Eltern, bei denen es während einer Termingeburt zu Komplikationen kommt, oft gegen das Kind entscheiden. Bei Frühgeburten entscheiden sich Eltern meistens dafür, auch ein Kind mit Hirnschäden ins Leben begleiten zu wollen.

(Messner Hubert: Der Schmale Grat, S. 188)

Ich habe darüber gestern lange nachgedacht. Ich glaube, es liegt darin begründet, dass Frühgeburten doch oft eine gewisse Vorlaufzeit haben. Auch bei mir, wo es doch relativ überraschend war, weil die Schwangerschaft bis dahin problemlos verlaufen war, verging noch fast eine Woche bis zur Geburt. In dieser Zeit hadert man auch sehr mit seinem Schicksal. Man will es nicht wahrhaben. Man “versteht” nicht, was passiert. Letztendlich hat man aber doch Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen und zumindest ich habe mich aufs Kämpfen eingestellt. Ich denke, es ist wesentlich schwieriger “unvorbereitet” ins Krankenhaus zu gehen, eine unkomplizierte Geburt zu erwarten und dann komplett ins kalte Wasser gestoßen zu werden. Es fehlt einem dann die Zeit, sich auf die neue Situation vorzubereiten.

Cool

Die letzten zehn Jahre war ich immer mehr oder weniger nachdenklich, wenn der Geburtstag des Kindes sich genähert hat. Wegen der Umstände damals und der Verzweiflung, jedesmal Mitte September hat mich die Septemberluft getriggert, und die Ängste waren wieder von neuem da. Wobei das tatsächlich auch mit jedem Jahr weniger geworden ist.

Heuer dann wohl die ultimative “Heilung” von diesen Zuständen, gerade in dem Jahr, wo die Tage des Geburstagscountdowns so fallen, wie sie 2007 auch waren, also der Mittwoch als der Tag, an dem die Frühgeburt quasi begonnen hat, ist auch dieses Jahr ein Mittwoch gewesen.

Und ich sag so zum Kind: “Übrigens genau jetzt um diese Zeit vor elf Jahren bin ich mit dir im Bauch im Hubschauber nach Bozen gefolgen.”

Und er so: “Cool.”

Jo. Eh. Jetzt schon.

Welt-Frühgeborenentag

Heute durfte ich – anlässlich des Welt-Frühchentags auf dem bekannten deutschen Blog Stadt-Land Mama unsere Geschichte erzählen und auch auf mein Buch hinweisen. Das ist toll.

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Auf dem Foto war das Kind übrigens genau einen Monat alt. Aber noch immer sehr winzig und intubiert.

An einem Tag wie diesen wünsche ich allen “aktuellen” Frühchen-Eltern soviel Glück wie wir das hatten. Ich bin dafür immer noch täglich dankbar.

Shivers

Genau zehn Jahre ist es her, dass die letzte Folge der Serie Six Feet Under ausgestrahlt wurde. Ich habe bereits einmal in meiner Uncut-Kolumne von der Serie erzählt.

Ich weiß noch, dass ich diese Folge ziemlich zeitnah gesehen habe, also eben auch Ende August 2005, gerade aus unserem USA-Urlaub zurück, frisch verheiratet. Einerseits also in einem Zustand von fast absurder Glückseligkeit, andererseits mussten wir am drauffolgenden Tag zu einem Begräbnis gehen. Eine Abbildung des menschlichen Lebens, Freude und Leid nahe beinander.

Die letzten sieben, acht Minuten der Serie, das große Finale, sind so berührend und wahrhaftig, dass es sich gelohnt hat, die teilweise sehr schmerzvolle, oft auch richtig heftige Serie zu sehen. Was nicht heißt, dass mir nicht jedesmal wieder die Tränen über die Wangen rinnen, wenn ich mir das Finale ansehe, bis heute.

In meinem Buch Geboren in Bozen hab ich übrigens diesen Satz zitiert, der fällt, als Claire zu einer großen Reise aufbricht, und ein Abschiedsfoto machen möchte:

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Maternita

Die Schwangerschafts- und Babyinfoseite Maternita hat sich in ihrem neuesten Blogbeitrag mit Büchern zum Thema Frühgeburt beschäftigt. Ich freue mich sehr, dass auch Geboren in Bozen dabei vorkommt:

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Inga Sarrazin, selbst Mutter von Zwillingsfrühchen, hat mein Buch gelesen, und natürlich interessiert mich sehr, was andere Menschen, die unsere Erfahrungen teilen, zu meiner Aufarbeitung sagen. Denn ich habe auch schon einige Frühchen-Mamas getroffen, die mir gesagt haben, dass sie mein Buch bewusst nicht lesen, weil sie ihre eigene Geschichte noch nicht verarbeitet haben, und Angst davor haben, dass die eigenen Gefühle von damals wieder hochkommen.

Das verstehe ich sehr gut. Ich habe selbst Themen, denen ich aus dem Weg gehe, und wo ich die Konfrontation scheue. Umso mehr freut es mich aber, wenn ich Feedback von Frühchen-Eltern bekomme. Inga Sarrazin schreibt:

Mich selbst hat dieses Buch sehr berührt, viele fast vergessene Situationen wieder aufleben lassen und mir gezeigt wie viel Frühcheneltern doch gemein haben.

Mein Fazit:

Ein ungeschönter Erfahrungsbericht aus dem realen Leben, der einem das Verständnis für eine außergewöhnliche Erfahrung nahe bringt. Für Eltern und Fachpersonal rund um die Geburt lesenswert.

Herzlichen Dank für diese Worte!

Unnamed novel, eins

In der letzten Zeit haben sich meine Nachmittage ein bisschen verändert, ich kann mittlerweile öfters am Balkon sitzen bleiben, wenn die Kinder im Hof spielen, ich sehe die Eltern der jetzt Drei- bis Vierjährigen unten sitzen, und bin ein bisschen froh, wieder mehr Freiraum zu haben.

Denn so bin ich dazu gekommen, wieder mit dem Schreiben zu beginnen. Natürlich unterbrochen durch Kindergekreische und Kinderstreitereien und Kinderwünsche, dezent mitgeteilt, durch etwa fünfzehnmaliges Läuten an der Gegensprechanlage, wo ich doch ohnehin draußen sitze und man mir auch durchaus etwas zurufen könnte, aber immerhin kann ich mich doch mal einige Minuten auf meine Texte konzentrieren.

Mein erstes Buch, Geboren in Bozen, wurde ja von vielen als mutig, offen und authentisch bezeichnet (danke dafür), das neue – noch namenlose – macht mir selber gerade noch etwas Angst. Ich weiß ungefähr, wie es anfangen und wovon es handeln soll, doch mit mir selbst so ehrlich zu sein, wie es dieses Buch bedarf, das fällt mir gar nicht so leicht. Beim Schreiben ist es durchaus so, dass immer mehr Fragen auftauchen, je tiefer ich mich in die Materie einlasse. Und ich muss mir selbst einige unangenehme Fragen stellen – und wahrscheinlich in weiterer Folge auch beantworten, so dies möglich ist.

Aber so ist das Leben und so ist das auch das Schreiben, wie ich es für mich selbst begreife. An der Oberfläche zu bleiben, das interessiert mich nicht.