almis personal blog

We Live in Time, eins

Derzeit sind sowohl Jesse Eisenberg (wie erwähnt Mark Zuckerberg in The Social Network) als auch Andrew Garfield (Zuckerbergs Rivale Eduardo Saverin in dem genannten Film) in den Kinos zu sehen. We Live in Time hat mir im Gegensatz zu A Real Pain, aber wirklich gut gefallen und mich aber gleichzeitig auch wesentlich mehr mitgenommen und sogar ein kleines bisschen zerstört – aber dann auch wieder aufgerichtet.

Es geht in diesem Film um Tobias (Garfield), Produktmanager und Almut (Florence Pugh), Haubenköchin, in einer anfangs typischen Boy meets Girl-Variation, fast könnte man es Rom Com nennen. Allerdings wird das Paar sehr bald mit einer Krebsdiagnose konfrontiert und Almut muss sich daraufhin nicht nur für eine Therapie entscheiden, sondern auch dafür, welche Art von Zukunft sie mit Tobias haben möchte. Ein Thema, bei dem sie bis zu diesem Zeitpunkt unterschiedlicher Meinung waren…

ACHTUNG SPOILER ZUM INHALT SIND AB JETZT MÖGLICH!!!

Ok, eine Beziehung, die sich einer schlimmen Diagnose stellen muss. Das kennen wir doch schon, oder? Aber We Live in Time hat dann doch einen anderen Ansatz als beispielweise Love Story. Denn die Krebsdiagnose bewirkt, dass Almut sich zu einem Zeitpunkt bewusst für oder gegen Kinder entscheiden muss; ihre letzte Beziehung ist daran gescheitert, dass sie eben keine Kinder wollte. Und hier brauchen wir dann schon eine Menge an Suspension of Disbelief, denn – und das ist noch nicht mal ein Spoiler, wir sehen es im Trailer – Almut entscheidet sich für ein Kind, obwohl damit nun ein nicht unbeträchtliches gesundheitliches Risiko einhergeht.

Das Film ist nicht chronologisch erzählt, was ich die beste Entscheidung für diese Geschichte halte. Es wird zwar da und dort gemault, dass es so unübersichtlich wäre, aber hey, Pulp Fiction ist 30 Jahre her, wir schaffen das, einer Geschichte zu folgen, die nicht von A nach B verläuft. Brian Tellerico schreibt in seinem Review zwar sehr pointiert: “The chronological jumble will be a dealbreaker for some people who like their weepers straightforward.” Doch in Wahrheit rettet uns (oder zumindest mich) diese Erzählform. Wenn man ganz verwegen wäre, könnte man sogar sagen, dass das, woran wir uns im Zuge eines möglicherweise nahenden Todes, erinnern werden auch keine “Ordnung” haben wird. Wir werden unser Leben vermutlich nicht chronologisch vor uns ablaufen sehen. Es werden sich Erinnerungen der schönsten Momente mit denen der bittersten Stunden wohl abwechseln.

Das große Thema hier ist Zeit. Etwas, das in diesem Film sehr lange eingeteilt, verwaltet und streng gemessen wird. So läuft permanent ein Countdown bei Almuts Kochwettbewerben mit, Tobias stoppt die Zeit, die ein Schwangerschaftstest braucht, um ein Ergebnis zu liefern, und später die Wehen(-Pausen). Chemotherapie Zyklen werden nach zeitlichen Schemata geplant und fixiert, Chancen und Risken in Wochen und Monaten berechnet. Almut fragt sich: Wann habe ich wieder Zeit für mein Kind? Wann kann ich wieder arbeiten? Wann kann ich wieder leben? Und wirft dann selbstbestimmt alles über den Haufen. We live in time. Heißt: Wir leben genau jetzt!

Ich brauche auch noch mehr Zeit, daher geht es morgen weiter.

First of the Gang to Die

Am Ende des Jahres habe ich mir wieder das Rolling Stones Magazin gekauft, das sein 30 jähriges Bestehen feiert und zu diesem Anlass die 300 Lieblingsalben der Redaktion in diesem Zeitraum bespricht. So etwas lese ich immer sehr gern, wie schon einmal erwähnt, vor allem wegen der Musikbeschreibungsprosa.

Dank dieser Liste, habe ich mich auch wieder an einige Songs erinnert, die ich früher sehr gerne gehört habe, so zum Beispiel an First of the Gang to Die von Morrisey, aus seinem Album You are the Quarry aus dem Jahr 2004. Hier bitte den Hinweis einfügen, wie “umstritten” angeblich Morrisey ist. Habe leider gerade keine Zeit, mich in diese Materie einzulesen harhar. Dieser Song hat jedenfalls wohl einen der skurillsten Texte in der Indie-Pop Geschichte. Es geht um eine, no na, Gang und ein Mitglied namens Hector, der eben als erstes stirbt und zwar natürlich durch eine Kugel, ich mein, wie sonst. “Such a silly boy!”

Jedenfalls kann man in First of the Gang to Die wunderbare Euphemismen für den Vorgang des Sterbens finden, wie beispielseise “to do time” oder “go under the sod”. Außerdem finden sich interessante Vorstellungen über Liebe, so singt er beispielsweise “You have never been in love until you’ve seen the dawn rise, behind the home for the blind.” Da kann sich jeder seinen eigenen Reim drauf machen, was das bedeuten soll.

Am allermeisten gefällt mir aber die Robin Hood-in-reverse-Attitüde von diesem besungenen Hector. Denn Robin Hood bestahl ja bekanntlich die Reichen, um die Beute an die Armen weiterzugeben. Nicht so Hector. Hector “stole from the rich and the poor and the not very rich and the very poor”. Das hat mich früher immer sehr amüsiert. Und nicht zu vergessen, “he stole all hearts away” – warum auch immer. Er dürfte eine Menge Charisma gehabt haben, dieser Hector. Wahrscheinlich war er so etwas wie Karl Moor aus Schillers Die Räuber.

Seinfeld, fuenf

Sehr oft gibt es bei Seinfeld Referenzen auf Europa – auf die Psychoanalyse (ok, da geht es immer um Wien) die Kultur, die Kulinarik.

Jerry und Elaine besuchen George einmal im Krankenhaus, wo ihm die Mandeln entfernt werden sollen. Sie sprechen mit einem dortigen Arzt über die Sinnhaftigkeit des Eingriffs und Elaine flirtet mit dem Arzt und erzählt, bei ihnen in der Familie hat sich nie jemand die Mandeln operieren lassen und sie durften auch niemand treffen, der operiert war. Daraufhin kontert der Arzt, in seiner Familie hätte niemand seine Mandeln und sie wiederum durften sich mit niemand anfreunden, der noch Mandeln hatte. Jerry daraufhin sarkastisch: “Well, it’s like the Capulets and the Montagues.” Das fand ich so lustig, dass ich laut gelacht habe, am Sofa.

Ein anderes mal bestellt George Pesto im Lokal und merkt aber an, dass es ihm gar nicht schmeckt. Er hat aber das Gefühl, dass es ihm schmecken sollte, weil gefühlt jeder jetzt Pesto mag, weil es gerade angesagt ist. George fragt sich: “Where was Pesto 10 years ago?” Etwas später sprechen sie dann darüber, dass derzeit alle nach Seattle ziehen und dauernd davon die Rede wäre. George: “It’s the Pesto of cities.” Und das stimmt irgendwie, zu der Zeit erschien auch Sleepless in Seattle und später war der Schauplatz von Grey’s Anatomy auch Seattle.

lrgendwann sind alle zu einer Wohnungseinweihungsparty eingeladen. Elaine möchte noch Wein als Mitbringsel dafür kaufen und der immer um sein Geld besorgte George hält eine flammende Rede dafür, warum das überhaupt nicht notwendig ist. Bzw. könnte man ja einfach Pepsi und Kekse mitbringen, das würde alle wesentlich mehr freuen. Sein Fazit: “What are we? Europeans with the Beaujolais and Chardonnay?” Das hat mich daran erinnert, dass ich in Las Vegas in unserem Hotel im Lift ein Schild gelesen habe, auf dem stand, dass im Stock so und so “European Sunbathing” angeboten wird und ich habe mich als Europäerin gefragt, was das sein soll. Habe dann erfahren, dass es eine Umschreibung für topless ist, harhar.

Queer

Gerade ist der neue Film, Queer, von Luca Guadagnino bei uns in den Kinos angelaufen. Ich mag Guadagninos Arbeiten sehr. Call me by your Name zählt ohnehin zu meinen Lieblingsfilmen, aber auch Challengers, der 2024 lief, fand ich super, er war Platz 2 in meinen letztjährigen Top 10 – sooo unterhaltsam und temporeich. Und I am Love (schon etwas älter) hat mich auch beeindruckt. Das interessante bei Guadagnino ist, dass jeder Film von ihm tonal komplett anders (gut) ist.

Nun also Queer mit Daniel Craig in einer Rolle, die ungefähr das Gegenteil von James Bond ist. Craig ist William Lee, ein eher fraglier US-Amerikaner, der in den 1950er Jahren nach einer Drogenrazzia in New Orleans nach Mexico City geflüchtet ist, wo er – dank des Reichtums seiner Familie – ein sorgen- und arbeitsfreies, aber dafür drogenreiches Leben führt. Er erkundet die queere Szene der Stadt, hat eine Menge unbedeutender Abenteuer, verliebt sich aber schließlich in den ehemaligen Soldaten Gene (Drew Starkey). Die beiden begeben sich schließlich auf einen Drogentrip in den Dschungel Südamerikas…

ACHTUNG MÖGLICHE SPOILER!!

Wenn man sich jetzt denkt: Boah, das klingt nach wenig Plot, dann kann ich nur bestätigen: Ja richtig erkannt. Der Film hat tatsächlich sehr wenig Plot. Und obwohl ich die Buchvorlage von William S. Burroughs noch nicht kenne (habe mir das Buch gerade bestellt) – dessen Alter Ego Craig hier augenscheinlich verkörpert – denke ich mir, das ist wieder ein Roman, der eigentlich unverfilmbar ist, weil es in erster Linie wohl um das Innenleben des Protagonisten geht und es immer schwierig ist, das filmisch umzusetzen. Insofern Respekt an Guadagnino, dass er sich da drüber getraut hat.

Das eigentliche große Thema das Romans ist nicht Drogenabhängigkeit per se, sondern unerwiderte Liebe. Denn William, der zuerst eher als “Lebemann” dargestellt wird, beginnt irgendwann, Gene wirklich zu lieben, ihm buchstäblich zu verfallen. Und es macht ihn – ganz wortwörtlich – wahnsinnig, dass Gene seine Gefühle nicht in der Form zu erwidern scheint, wie er sich das wünscht. Oder sagen wir so: Das Ganze ist ziemlich ambivalent, von Genes Seite aus. Es ist nicht einmal klar, ob er tatsächlich “queer” ist oder nicht und was er sich von William “erwartet”. Die Suche Williams nach der Droge “Yage”, später auch bekannt als Ayahuasca, geschieht deshalb, weil sie anders funktioniert als herkömmliche Drogen. William erhofft sich davon telepathische Erlebnisse, das Kommunzieren ohne Worte oder viel mehr, den anderen zu verstehen. Als er sein Anliegen einem Biologen vorbringt, warnt ihn dieser vor der Unberechenbarkeit der Droge und liefert den (für mich) Schlüsselsatz im Film: “Who is it that you’re trying so desparetly to communicate with?”

Sinead O Connors Version von All Apologies setzt den Ton von Queer, sich zu entschuldigen, für all das was man ist und der eigenen Meinung nach nicht sein sollte. Zu viel zu lieben, wo keine Gegenliebe zu erwarten ist, zu viel zu verlangen, einfach insgesamt zu viel zu sein, nirgends (hinein) zu passen. Der Film ist seltsam, sperrig, surreal, nicht komplett stimmig würde ich sagen, aber er wirkt nach, er schafft eine Menge Identifikationspotential und Daniel Craig ist hier brilliant, in einer, zumindest für mich, neuen Facette.

Starkey fand ich weniger überzeugend; aber andererseits vielleicht vermittelt er damit genau diese Distanz, die er wohl auch vermitteln soll. Extrem genial: Jason Schwartzman als charmant-verrückter Hippie; Indiewire schreibt er sei “at-first unrecognizable”, also ich habe ihn nicht erkannt, bis ich genau dieses Review gelesen habe. Harhar.

Queer ist jedenfalls verstörend-sehenswert und die Sexszenen mögen zwar explizit sein, ich finde sie aber weder schockierend, noch sind sie das, worum es in diesem Film wirklich geht.

Johann Strauss Ausstellung

Kurz vor Silvester haben wir wieder einen Ferienausflug mit Oma gemacht.

Zuerst waren wir Mittagessen im Vapiano Herrengasse. Ich habe zu Weihnachten Gutscheine bekommen yeah. Das Vapiano war allerdings ganz und gar nicht ganz auf den Massenansturm an Touristen vorbereitet und es war alles sehr chaotisch. Aber es war schon wieder so chaotisch, das es insgesamt lustig war. Und das Essen war sehr gut.

Risotto al Funghi

Danach machten wir uns auf den Weg zum Theatermuseum am Lobkowitzplatz, wo ich noch nie war. Dabei kamen wir an der Stallburg vorbei und das erste Mal in meinem Leben sah ich dort tatsächlich auch Pferde.

Pferd und Weihnachtsbaum

Während sich unvorstellbare Massen an Menschen durch die Innenstadt schoben war im Theatermuseum absolut nichts los. Das war zwar angenehm, aber ich muss sagen, es war nicht gerechtfertigt.

2025 ist ja das Johann Strauss Jahr und die derzeit laufende Ausstellung ist sehr interessant gemacht – und barrierefrei zugänglich. Der Besucher/die Besucherin erfährt sehr viel aus dem Leben von Johann und den anderen Sträussen, es gibt einen Raum, aufbereitet mit der gesamten Strauss-Biografie, es gibt diverse Exponate wie Kleidung der Zeit oder Programmhefte und man hört die ganze Zeit Strauss-Musik. Außerdem sind diverse interaktive Elemente vorhanden- beispielsweise kann man sich ein und dasselbe Lied mit verschienden Besetzungen anhören; kammermusikalisch, mit voll besetztem Orchester etcetera, siehe:

Ich lausche

Ich weiß, Johann Strauss hat eine Menge unvergesslicher Musik komponiert – wobei der Radetzkymarsch btw. von seinem Vater ist – aber selbst wenn er nur die Fledermaus geschrieben hätte, wäre ich komplett zufrieden gewesen. Früher war es für meinen musikbegeisterten Papa ein Pflichtprogramm, diese Operette zu Silvester anzusehen und ich kann bis heute alle Texte und ich liebe die Musik. Ich würde gerne sagen, dass das Motto der Fledermaus “Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist” auch meines wäre. Aber leider bin ich viel zu sehr overthinker.

Wenn man sich nicht die ganze Fledermaus anschauen will, kann man sich aber auch “nur” die Ouvertüre anhören, da kommen auch alle Motive vor, so eine Art Hitpanorama. Basiswissen: Prinz Orlovsky wird meist von einer Frau gespielt und die Figur des Frosch kommt nur um dritten Akt vor und ist niemals ein Sänger, sondern eine komödiantische Sprechrolle mit oftmals aktuellen Anspielungen zum Beispiel an die Politik.

Am Ende waren wir noch im Souveniershop und Oma hatte die Spendierhosen an. So bekam das Kind eine kleine Fledermaus und ich das Begleitbuch zur Ausstellung, was mich sehr gefreut hat. (unbezahlte Werbung wie immer).

So sehr ich mich auf das Strauss-Jahr freue, so sehr befürchte ich auch, dass wir in einem Jahr absolut nichts mehr von Strauss hören und sehen können. Deshalb lieber bald die Ausstattung anschauen.

Filme des Jahres

Die Uncut Redaktion hat wieder ihre Filme des Jahres gewählt, hier zu finden. Die Wertung ist bei weitem nicht so einheitlich wie letztes Jahr ausgefallen, das klar von Oppenheimer dominiert wurde.

Auch ich war so frei und habe meine Wertung abgegeben:

Diese Wertung bezieht sich auf Filme, die 2024 in den österreichischen Kinos offiziell zu sehen waren. Daher ist hier beispielsweise The Brutalist und Volvereis (noch) nicht dabei.

Hätte auch nie gedacht, dass ein Film namens Sterben bei mir einmal in so einem Ranking auftauchen wird. But it did happen.

Und damit einen guten Rutsch ins neue Jahr!

All We Imagine as Light

Am Samstag habe ich mir All We Imagine as Light angesehen, den indischen Film von Regisseurin Paypal Kapadia, der diesen Jahr den Großen Preis der Jury beim Filmfestival in Cannes gewonnen hat.

Es geht in diesem Film um drei Frauen in Mumbai, eine etwas jüngere, eine “mittelalterliche” und eine etwas ältere, die befreundet sind und im einem Krankenhaus arbeiten. Die Jüngste, Anu, soll von ihren Eltern verheiratet werden, liebt aber einen Muslim, was ihre Eltern nie tolerieren würden. Prabhas Ehemann ist nach Deutschland gegangen und meldet sich nicht mehr bei ihr. Parvaty ist verwitwet und im Begriff delongiert zu werden. Es geht in All We Imagine as Light um das Alltagsleben als alleinstehenden Frau in einer überbevölkerten, anoymen Stadt, um die Wünsche und Hoffnungen von Frauen, deren Wünsche und Hoffnungen der Gesellschaft weitgehend egal sind.

All We Imagine as Light ist als Film irgendwie außerhalb meiner Komfortzone. Die indische Kultur ist mir ziemlich fremd und – auch wenn das natürlich böse, sehr böse ist – ich schaue mir am liebsten Filme an, mit denen ich irgendwie direkte Bezüge zu mir selbst herstellen kann. Eine Frau im Sari finde ich interessant, ich denke mir aber automatisch auch: wie viel oder eher wenig hat sie mit mir gemeinsam? Komischerweise ist das, was in den ersten Szenen in dieser überfüllten, etwas heruntergekommen Stadt ins Auge fällt als das, was einem “materiell” am vertrauesten ist, das Smartphone. Menschen in Mumbai haben sehr moderne Smartphones und tippen darauf herum, wie wir auch.

Aber die Themen, die Frauen in ihrem Leben haben, sind natürlich völlig andere. Es gibt einen anderen moralischen Kodex als in Europa, alleine das Motiv der arrangierten Ehe ist uns ja hierzulande im Jahr 2024 völlig fremd. Frauen sollen, obwohl sie alle im Berufsleben stehen, sich also versorgen können, noch immer vor allem gut verheiratet werden. Was Frauen selbst für ihr Leben wollen, das spielt hier offensichtlich sehr wenig Rolle. Eine gewisse Schwermut liegt über dem Leben von Anu, Prabha und Parvaty, eine Schwermut, in denen es trotzdem einzelne Momente der Freude, der Zuversicht und der Leichtigkeit gibt. Das ist auch genau das, worauf der Filmtitel anspielt. Manchmal stellen wir uns das Licht vor (oder die Leichtigkeit?), müssen es uns vorstellen, weil gerade alles finster ist, und machmal, wenn auch selten, erleben wir bzw. diese drei Frauen das auch, dieses Licht, diese Leichtigkeit.

Das ist das, was dieser Film sehr gut kann, kleine poetische Bilder und Stimmungen einfangen, lyrische Sätze einstreuen, Charakter detailliert zeichnen. Dennoch ist der Film für mich auch, und das sage ich wirklich selten, zu langsam erzählt. Er verliert sich in unfokussiertem Geplänkel, und schwächt seinen Narrativ dabei selbst. Wäre alles etwas kompakter, würden manche Erzähstränge näher beleuchtet werden, hätte All We Imagine as Light einen noch eindrücklicheren Eindruck bei mir hinterlassen.

A Hug

Das Internet liefert immer wieder Gedankenanstöße, die ich gerne sammle und speichere und ab und zu, wenn ich ein bisschen traurig oder nachdenklich bin, durchlese.

Heute habe ich das hier gefunden:

Das gefällt mir, weil es irgendwie Geborgenheit vermittelt. Und, weil ich diese Hoffnung auch manchmal habe. Dass er es spürt.

Emilia Pérez

Am Donnerstag habe ich mir zum zweiten Mal Emilia Pérez angeschaut. Das Kind danach: Und, schaust ihn nochmal? Ich: Vielleicht. Ich finde denn Film sooo schön. Trotzdem traue ich mich nicht, ihn wirklich jemanden zu empfehlen, weil er schon auch sehr schräg ist und mir jemand auf meine Empfehlung hin danach auch sagen könnte: WTF? Ja, es ist diese Art von Film. Es ist quasi das Gegenteil von Crowdpleaser Konklave, wo ich mir denke, dass den alle irgendwie mögen. Ich werde aber versuchen, meine Eindrücke darzulegen

Emilia Perez ist das neue Werk des französischen Regisseurs Jacques Audiard. Es geht darum, dass der mexikanische Kartellboss Manitas del Monte (Karla Sofía Gascón) schon seit jeher den Wunsch hat, eine Frau zu werden. Er wendet sich an die ambitionierte Anwältin Rita Moro Castro (Zoe Saldana), die sich auch durch erzwunge Kooperation mit dem System nur halbwegs über Wasser halten kann. Rita soll ihm gegen sehr gute Bezahlung helfen, eine passende Klinik im Ausland zu finden und sich danach um seine Frau Jessi (Selena Gomez) und die beiden kleinen Söhne zu kümmern. Denn er hat nicht vor, seiner Familie von seinen Plänen zu erzählen und muss sie deshalb hinter sich lassen. Rita macht sich auf die Suche nach einem geeigneten Arzt…

ACHTUNG MILDE SPOILER

Wie ich schon kurz während der Viennale erörtert habe: Dieser Film “geht” eigentlich nicht. Er ist in einem korrupten, umbarmherzigen Mexiko angesiedelt, er handelt von Transition eines “Capos”, es wird gesungen und getanzt als gäbe es kein Morgen und ein bisschen ist er auch ein Märchen, würde ich sagen. Zielgruppe: Nicht unbedingt vorhanden.

Dem Film wird außerdem gleichzeitig vorgeworfen Trans-Propaganda zu betreiben und transfeindlich zu sein. Ich würde sagen: Alles richtig gemacht. Tatsächlich stimmen m.E. beide Befunde nicht. Denn hier geht es nicht um irgendwelche Pronomen, dieser Film hat keine Agenda oder Ideologie und will das Publikum von nichts überzeugen, aber er geht sehr empathisch mit seiner Protagonistin um; und: er will einfach nur eine Geschichte erzählen. Und wie angenehm ist das! Einfach eine Geschichte ohne Belehrungen. Eine individuelle Erfahrung, ohne Anspruch auf Zwang irgendein gesellschaftspolitisches Statement zu generieren. Oder wie Christian Fuchs im fm4 Filmpodcast sehr zutreffend sagte (noch ohne den Film zu kennen): “Audiard ist jemand, der immer ein bisschen am Zeitgeist dran ist, aber so seinen eigenen Blick auf manche Dinge hat.” Genau das.

In der kommenden Oscar Season wird noch darüber diskutiert werden, wieso Karla Sofia Gascón als Hauptdarstellerin ins Rennen geht, und Zoe Saldana als Nebendarstellerin. Saldana hat sogar fünf Minuten mehr Sceentime. Als ich Emilia Perez das erste mal gesehen habe, bin ich gefühlsmäßig eher bei Saldana, also der Anwältin, gewesen, diesmal bei Gascon als Manitas/Emilia. Das ist ein interessantes Phänomen, das ich so noch nicht erlebt habe. Aber hier haben wir es tatsächlich mit zwei “Leads” zu tun, Selena Gomez ist ganz eindeutig die Nebendarstellerin. Alle drei sind so unterschiedlich, aber jede für sich absolut überzeugend.

Vor allem aber fasziniert mich Emilia Perez, weil dieser Film für mich ein bizarres audiovisuelles Kunstwerk ist. Ich liebe die Musik, die oft melancholisch-rezitativ und aber auch catchy ist. Es gibt Szenen, da kann man lachen und weinen gleichzeitig. Hier wird das Laden von Maschinengewehren zu einer Art choreografisch durchkomponierten Tanz. Noch nie sah Mexiko City so schön aus. Es geht um Selbstermächtigung, Empathie und Buße. Ich liebe das wirklich sehr, deshalb sind mir die Dinge, die man vielleicht hier und da beanstanden könnte, egal. Ich werde vermutlich noch öfter was dazu schreiben, bis zu den Oscars. Sorry. Harhar.