almis personal blog

Roald Dahl

Vor kurzem habe ich Roald Dahl wiederentdeckt.

Ich kenne Dahl von früher, als Kind hatte ich das Buch Charlie und die Schokoladenfabrik – Dahl hat ja auch viele Kinderbücher verfasst. Ich habe das Buch jetzt wieder gesucht, aber (noch?) nicht gefunden. Ich kann mich erinnern, dass es voller Schokoladeflecken war, weil ich immer so eine Appetit auf Süßes bekommen habe, beim Lesen. Im Gymnasium hat sich unser Professor im Englischunterricht mitten in die Klasse gesetzt und uns die Geschichte Lammkeule vorgelesen, eine der, so denke ich, berühmtesten Dahl Geschichten. Wie fast immer bei Dahl ist sie detailreich und anfangs auch sehr lieblich erzählt, heimelig, eigentlich zuerst eine ganz normale Szenerie und dann kippt es in etwas ganz anderes, oft unfassbares. Gut, bei Lammkeule ist ziemlich klar, was vorfällt ist, am besten selbst lesen, es ist irrsinnig makaber, aber auch erstaunlich witzig.

Nun bin ich wieder auf Dahl aufmerksam geworden, vorrangig weil Wes Anderson vier Kurzfilme über Dahl Geschichten gedreht hat, die dann im FM4 Podcast vorgestellt wurden. Wer sich fragt, wieso ich dauernd diesen Podcast höre: seit meinem Bandscheibenvorfall versuche ich, jeden Tag ca. eineinhalb bis zwei Stunden spazieren zu gehen und dabei höre ich ihn mit Vorliebe, sonst wäre das Spazierengehen sicher langweiliger. Jedenfalls hat Pia Reiser von dem Buch Küsschen Küsschen geschwärmt – Forsetzung: Noch ein Küsschen. Warum die Bücher so heißen weiß ich nicht, es ist passend und unpassend zugleich, jedenfalls habe ich mittlerweile beide gelesen.

Praktisch alle Geschichten von Dahl enthalten Twists, entwickeln sich anders als man denkt. Manchmal versteht man die Wendung gleich, manchmal muss man einige Stellen des Textes schon mehrfach nachlesen, um zu begreifen, was eigentlich passiert ist, weil Dahl es uns nicht auf dem Silbertablett präsentiert. Oft, wenn man sich als Leser denkt, man hat Dahl durchschaut und man ahnt, worauf er hinauswill, macht er dann doch wieder etwas ganz anderes. Und das ist auch sein Geheimnis. Es gibt keine “Moral von der Geschichte”. Manchmal werden Grausamkeiten mit Grausamkeiten beantwortet, manchmal siegt der Humanismus oder auch die Frechheit, manchmal klingen Geschichten einfach aus und lassen einen grübelnd zurück, ab und zu gibt es fantastische Elemente, die aber nicht in eine fantastische Welt eingebunden sind. Es gibt Erstaunliches, Unglaubliches, Erschreckendes.

Und: Dahl hat die KI vorhergesagt. In seiner Geschichte Der große automatische Grammatisator erfindet der Portagonist eine Maschine, die – gefüttert mit Worten und Sätzen – selbstständig anfängt Geschichten zu schreiben. Der Erfinder der Maschine zahlt dann den tatsächlichen Schriftsteller in seinem Umfeld eine gewisse Abfindung aus, wenn sie versprechen, nie wieder etwas zu schreiben bzw zu publizieren, er möchte das Monopol besitzen. Fortan schreibt die Geschichten nur noch der “Grammatisator”; eine dystopische Horrorvision für die Nutzung künstlerischer Intelligenz eigentlich.

Autogramme

Am Donnerstag war ich bei der Dirk Stermann Lesung von Mir gehts gut, wenn nicht heute, dann morgen in der Buchhandlung Seeseiten in der Seestadt – die übrigens so heißt, weil sie direkt am See dort ist. Dankt mir später, dann braucht ihr sie nicht suchen so wie ich, die ich trotz Google Maps mit der Orientierung regelmäßig überfordert bin.

Ich habe A. dort getroffen und ich habe ihr erzählt, dass ich mir nachher ein Autogramm holen möchte, in der Hoffnung, dass mich das etwas unter Druck setzt, es wirklich zu machen, weil normalerweise trau ich mich das eh nicht. Und sie meinte: “Das schaffst du”. Nachdem nach der Lesung die meisten Leute das Buch erst kaufen mussten, bevor sie es unterschreiben lassen können und ich meines ja schon hatte (plus ein dutzend Lesezeichen drinnen) war ich ganz vorne in der Schlange. Und voila:

Mein Buch (siehe die Lesezeichen auf der Seite)

Danach sind A. und ich noch durch die Seestadt gebummelt, ich weiß irgendwie nie, ob es mir dort gefällt oder nicht, es hat ein ganz eigenes Flair und es ist sehr dunkel am Abend, also ziemlich wenig beleuchtet. Wir waren dann in der sehr netten Pizzeria Portobello (die mich für diese Erwähnung nicht bezahlt) und haben fancy Getränke getrunken – Grapfruit Basilkum Limo bzw. Honey Ginger Brew – und geplaudert. Am Heimweg ist mir dann eingefallen, dass das doch nicht mein erstes Autogramm war; zwar war es das erste, dass ich mir selber geholt habe, aber ich habe schon ein Buch mit einem Autogramm für mich und zwar dieses:

Als Kind/Jugendliche war ich ein irrsinniger Fan von Hugo Wiener, hatte alle seine Bücher, mochte seinen sanften satirischen Ton sehr gerne und finde sie heute noch so witzig und liebenswert und ja. Wir kannten irgendwen, der wen kannte, der Hugo Wiener kannte (oder so ähnlich) und so wurde mir irgendwann das Buch mit dieser Widmung gebracht. Bis heute sehr wichtig für mich.

Drei Werke

Nachdem ich so begeistert von dem Film Saltburn war und im fm4 Prodcast gehört habe, dass die Drehbuchautorin (und Regisseurin) Emerald Fernell die zwei Romane Die geheime Geschichte von Donna Tartt und Der talentierte Mr. Ripley von Patricia Highsmith quasi als Inspiration für ihren Film herangezogen hat, habe ich mir beide Bücher bei medimops (unbezahlte Werbung) gebraucht bestellt und mittlerweile gelesen.

Der talentierte Mr. Ripley hab ich damals in Kino gesehen, konnte mich aber ehrlich gesagt kaum daran erinnern, die Filmversion ist auch etwas anders, verändert ein paar Handlungsstränge. Beide Werke (und Saltburn) verbindet tatsächlich einiges, zum Beispiel das Personal, das bedeutet, die Protagonisten sind alle aus gehobenem Haus, ziemlich “wealthy”, studieren und/oder betätigen sich künstlerisch, es sind alles Intellektulle, die das das Leben genießen und es damit übertreiben. Es gibt in allen Werken aber auch einen jungen Mann, der nicht dazu passt, der aus der eher unteren Mittelschicht kommt, aber immer die Sehnsucht verspürt, “dazuzugehören”. Das bedeutet zwangsläufig, es muss immer Lügen geben, Lügen nicht nur aus einer Not heraus, um sich aus einer prekären Lage zu befreien, aus einer gefährlichen Situation, sondern Lügen, die nur dazu da sind, etwas darzustellen, was man nicht ist.

Es werden viele Drogen genommen, in diesen Büchern. Bei Donna Tartt vor allem Alkohol, die Menschen sind fast dauer-betrunken, aber sonst auch Tabletten oder Koks oder was halt sonst verfügbar ist. Wenn gegessen wird, dann erstaunlich oft Lammkotellets und “süße Brötchen” (was soll das sein, sowas wie eine Topfengolatsche? Harhar. Oder ein Striezel?). Europa ist ziemlich präsent, also ja Ripley spielt eh zum Großteil in Italien, obwohl die Protagonisten Amerikaner sind, Saltburn in Großbritannien, aber auch die Donna Tartt-Menschen leben an der Ostküste, in Neuengland quasi schon einen ziemlich europäischen Lifestyle, wo zum Beispiel Los Angeles als Ort quasi so wie “bei den Wilden” verstanden wird. Außerdem werden Reisen nach Europa unternommen. Die Charaktere verbindet außerdem der Hang zu obsessiven Beziehungen, viele sind homosexuell/queer bzw. man weiß nicht so genau, wer mit wem (selbst Inzest steht im Raum). Und natürlich passieren echt arge und illegale Dinge, mehr will ich nicht sagen, wegen Spoiler.

Ich habe gelesen, dass Die geheime Geschichte schon zweimal verfilmt hätte werden sollen, aber das nicht geklappt hat, was mich sehr überrascht. Oft liest man ja einen guten Roman und weiß sofort, der wäre aber kaum verfilmbar. Bei Die geheime Geschichte ist das gar nicht so, das Buch wäre m.E. sogar absolut ideal zu verfilmen und hätte mit Neuengland im Herbst/Winter auch ein tolles Setting, also wäre ich Drehbuchautorin, ich würde das sofort adaptieren, ich stell mir das echt pittoresk vor und die meisten Szenen könnte man in einem Film super verwenden, ich hab da Bilder im Kopf… Naja, vielleicht macht das irgendwann doch noch jemand. Ansonsten muss man derweil Saltburn schauen, was auch keine schlechte Idee ist.

San Remo

Die San Remo Woche ist zuende.

Auf Facebook schrieb jemand: “Hey, da werden heute 30 Songs präsentiert, ich schaue seit 25 Minuten zu und es lief erst ein Song.” Ja, harhar, so ging es mir beim ersten Mal zuschauen auch, das ist ganz normal. Denn San Remo ist weniger ein Musikwettbewerb als ein Volksfest und Stress hat da kein Mensch, es dauert jeden Abend so bis zwei oder drei Uhr früh. Es treten ja nicht nur die Teilnehmenden selbst auf, sondern auch Haudegen aus der Vorzeit, die dann mit den aktuellen KandidatInnen Duette singen (zum Beispiel Giannia Nannini, Umberto Tozzi etc), wie auch eine Menge anderer Promis quer durch den Gemüsegarten – heuer zum Beispiel John Travolta oder Russell Crowe. Es gibt den gespielten Witz, es wird gelabert und politisiert, fast alles nur auf Italienisch, obwohl auch viel internationales Publikum zusieht.

Jemand anderer schrieb: “Oh il Volo haben jetzt einen Stylisten!” Und das heißt meiner Meinung nach soviel wie: Sie tragen Kleidungsstücke, die sie sich selbst nie ausgesucht hätten. Mahmood trägt Sachen, die er sich ganz sicher selbst ausgesucht hat und hat mit Tuta gold schon wieder einen potentiellen Siegertitel, ein wirklich toller Song, andere Länder nähmen ihn mit Handkuss, aber Italien denkt sich wurscht, haben wir nicht notwendig; Mahmood verfehlt das Finale der Top 5 knapp. Auch Diodato – der in der Pause draußen vor der Halle einfach mal Singing in the rain vorträgt – hat einen schönen Song, Ti muovi. Auch wenn er sowas von gar kein Wettbewerbssong ist. Diodato kommt raus, fängt an zu singen und setzt sich erstmal auf die Stiege. Einen Song mit einer derartigen Energie kann man kaum zum ESC schicken, weil ESC-Songs eine gewisse Urgenz haben müssen, um irgendwie zwischen den vielen Konkurrenten zu bestehen, aber schön ist er. Disclaimer: Ich weiß natürlich, dass San Remo in erster Linie San Remo ist und kein Auswahlverfahren für den Songcontest.

Ein gewisser Geolier singt I p’me, tu p’te. Ich verstehe weder den Titel noch viel vom Text und mache mir um meine Italienischkenntnisse Sorgen, komme aber dann dahinter, dass er im sizilianischen Dialekt singt. Sowas hat Italien schon mal gebracht, als sie 1991 vermeiden wollten, den ESC zwei Jahre in Folge zu gewinnnen und extra etwas mega Sperriges auf die Bühne gestellt haben (Peppino di Capri, Comme è ddoce ‘o mare) . Und selbst mit so etwas wurden sie dann Siebenter. Der Song von Geolier wirkt extrem frisch und modern. Annalisa wiederum trägt sehr schöne Strapse (oder wie man das nennen soll) und wird mit dem ziemlich eingängigen Sinceramente als Favoritin gehandelt. Es herrscht nämlich eine gewisse Erwartungshaltung, dass eine Frau diesmal San Remo gewinnt, weil das seit 2014 nicht mehr der Fall war.

Jemand schreibt: “San Remo sending a woman, also sending a fruit”. Denn ja, gewonnen hat dann eine andere Frau, nämlich Angelina Mango mit dem mutigen Titel La noia, zu deutsch: Die Langeweile, was ja zu Kalauern geradezu einlädt. So richtig warm bin ich mit dem Song bisher allerdings noch nicht geworden, was nicht jetzt nix heißen muss, ich mochte Maneskin am Anfang auch gar nicht und die haben dann immerhin 2021 gesiegt. Mal sehen.

All of Us Strangers

Auf den Film All of Us Strangers freue ich mich schon seit Monaten. Zwar ist die Prämisse etwas eigen, ein Mann in seinen 40-er trifft seine toten Eltern, aber der Hauptdarsteller ist Andrew Scott, bekannt als Priester aus der zweiten Staffel von Fleabag und ihm zur Seite steht Paul Mescal, der in der Serie Normal People (nach dem Buch von Sally Rooney) spielte und voriges Jahr für Aftersun (wunderbarster Film 2022) für den Oscar nominiert wurde. Dazu laufend 1980er Jahre Musik – das Hauptthema ist The Power of Love von Frankie goes to Hollywood – ich meine, was soll da noch schiefgehen? Und wie sich rausstellt: So gut wie nichts.

Der Drehbuchautor Adam (Scott) lebt in einem seelenlosen, praktisch leerstehenden Hochhaus in London, das ehrlich gesagt ein bisschen so aussieht wie der zu trauriger Berühmtheit gelangte Grenfell Tower. Das Haus bewohnt anscheinend niemand außer ihm und ein gewisser Harry (Mescal). Eines Abends, als Adam gerade The Power of love hört, klopft Harry aus fadenscheinigen Gründen bei ihm an und möchte sich selbst einladen, mit dem scherzhaft dahingesagten, es wären “vampires at my door”, eine Anspielung an den FGTH-Song. Schon alleine diese Szene ist perfekt. An diesem Abend passiert aber nichts weiter. Am nächsten Tag fährt Adam zum Haus seiner Kindheit in einem Vorort und trifft dort ziemlich unvermittelt seine Eltern wieder, die bei einem Autounfall gestorben sind, als er 12 Jahre alt war. Bald darauf lädt er Harry zu sich ein….

Dieser Film ist ein emotionales und geheimnisvolles Kunstwerk. Warum Adams Eltern plötzlich wieder da sind – sie sind in dem Alter geblieben, in dem sie verstorben sind, also mittlerweile jünger als Adam – wird nicht thematisiert, als er mit ihnen seine Kindheit aufarbeitet. Das alles ist sehr berührend und ehrlich und mehrdimensional, denn das Verhältnis von Adam zu ihnen war nicht friktionsfrei. Noch stärker fand ich persönlich allerdings die Szenen mit Adam und Harry, die beiden sind “queer” wie es der um einiges jüngere Harry ausdrückt, während Adam es “gay” nennt und sie führen in dem Film keinen einzigen überflüssigen Dialog. Die beiden sprechen nur über die wichtigsten Dinge im Leben und das auf eine so aufmerksame und sensible Art und Weise, dass man eigentlich als Zuseher selbst am liebsten in ihrer Nähe sein würde. Harry wirkt dabei wie der humorvolle Fels in der Brandung, während Adam oft komplett von seinen Gefühlen überwältigt wird.

Viel mehr kann man von diesem Film nicht verraten. Die Dialoge sind teilweise sehr witzig, teilweise gehen sie einem durch und durch. Im Kinosaal wird viel geschluchzt. Alle vier Protagonisten spielen stark und glaubwürdig. Ja, vielleicht kann man sagen, dass manche Dinge nicht ausreichend erklärt werden, manches wenig plausibel ist – aber wie plausibel kann schon erklärt werden, dass jemand plötzlich seine toten Eltern wiedertrifft? Ich würde den Film trotzdem auf keinen Fall als Fantasy bezeichnen, auch wenn er diese “übersinnliche” Komponente hat (wobei ich das hier auch nicht so nennen würde). Vieles funktioniert auch über spezielle Bilder und Kameraperspektiven. Wenn man im Kino nach Filmen sucht, die keine Fragen offen lassen und am Ende alles abgeschlossen ist, dann ist man hier komplett falsch. Dieser Film wirkt so sehr nach, eigentlich fängt er nochmals an, als er zuende ist, weil man über so vieles nachdenken muss, das rätselhaft geblieben ist. Vielleicht auch über sein eigenes Leben.

Das ist außerdem der zweite Film in zwei Monaten (nach Saltburn) in denen die Protagonisten einen Pet Shop Boys Song singen.

Der Trailer:

Nochmal Milch

Apropos umstrittene Kuhmilch: Dagegen hatte ja Joaquin Phoenix eine Rede gehalten, als er seinen Oscar für The Joker erhalten hat. The Joker habe ich vor kurzem nach 20 Minuten abgebrochen, weil wenn ich ihn weiter angeschaut hätte, hätte ich vermutlich meinen Lebenswillen verloren. Na ja, jedenfalls hat Phoenix damals im Zuge einer eher schwer nachvollziehbaren Assoziationskette moniert, dass wir Menschen den Kälbern die Milch wegtrinken. Das fanden damals viele ganz toll. Mich hat es eher ratlos zurückgelassen.

Es gab da ja diesen Eröffnungsmonolog von Ricky Gervais bei den Golden Globes, in dem der sehr freche Gervais – nachdem er alle die Anwesenden quasi auf ihre Freundschaft mit Jeffrey Epstein angesprochen hatte, was nur wenige lustig fanden – die nun folgenden Preisträger ersuchte: “Do not use this as a platform to make a political speech. You know nothing about the real word”. Denn: “Most of you did spent less time in school than Greta Thunberg and are in no position to lecture the public about anything.” Zusammenfassend: “So if you win, come up, accept your little award, thank your agent and your god and f*** off. Okay?” Das fand ich herrlich.

Lanthimos/Payne

Weil im letzten Monat neue Filme von Yorgos Lanthimos (Poor Things) und Alexander Payne (The Holdovers) herausgekommen sind, habe ich – wie bei Sofia Coppola – zwei ältere Filme von beiden angesehen, quasi zum Vergleichen.

The Favorite, der vorletzte Film von Lanthimos, läuft gerade auf Netflix und für Lanthimos-Verhältnisse ist er schon recht mainstreamig. Aber nur für dessen Verhältnisse. Nach normalen Maßstäben gemessen, ist der Film extrem desolat, abseitig und sperrig. Natürlich ist er (wieder verhältnismäßig) lustig, aber mir ist es bisher bei jedem seiner Filme außer Poor Things so gegangen, dass sie mich wahnsinnig hinuntergezogen und deprimiert haben. The Favorite ist sehr künstlerisch und hat mit Emma Stone, Olivia Colman und Rachel Weisz beeindruckende Schauspielerinnen, die alle für den Oscar nominiert waren (Stone, Weisz) bzw. ihn auch gewonnen haben (Colman). Und wie Pia Reiser im FM4 Filmpodcast gesagt hat, “erstaunlich, dass das jemand finanziert hat, drei Lesben und keine Männer” harhar. Er hat tolle Bilder und Stimmungen – und doch muss ich den Film echt nicht nochmal sehen, er ist in keiner Weise “uplifting” und ich hab es ja schon sehr gerne, wenn ein Film mir auch irgendwie etwas Positives mitgibt, auch wenn es nur ein Hauch der Hoffnung ist. Da hat sich Lanthimos bei Poor Things sehr verändert, den ich wirklich auch als sehr untypisch lebensbejahend und selbstermächtigend empfunden habe.

Von Alexander Payne hab ich mir Sideways im Votivkino angesehen, da gab es ein kleines Payne-Special. Es hat geschüttet und ich war waschelnass, als ich ins Kino gekommen bin, habe mich dann an der Kinoheizung gewärmt und als ich heimgefahren bin, hat es wieder geschüttet und ich war noch nasser, aber der Film hat trotzdem so ein schönes wohliges Gefühl bei mir hinterlassen. Ich habe Sideways 2004 im Kino schon mal gesehen, konnte mich aber an wenig erinnern, außer daran, dass es um eine Fahrt von zwei Freunden durch die kalifornischen Weinberge geht, dabei lernen sie zwei Frauen kennen und es ist alles recht weird. Aber nicht in der Lanthimos-Schrägheit, sondern mehr so schrullig und sehr menschlich. Miles, der von Paul Giamatti in Sideways gespielt wird, ist ein netter Mensch mit Abgründen. Er schreibt seit Jahren an einem 700 Seiten Roman, trinkt zu viel, er liest fragwürdige Magazine, er kommt über seine Scheidung nicht hinweg. Er kämpft mit dem Leben. Paul, den Giamatti in The Holdovers spielt, ist im ersten Moment ein Unsympathler, bis man draufkommt, dass er eben genauso mit dem Leben kämpft, auch trinkt, auch traurig ist, er zeigt es nur anders als Miles. Aber weil es Payne ist, gibt es immer dieser Silberstreif am Horizont, der uns sagt, es wird vielleicht nicht alles super werden, aber besser, besser wird es werden. Ich mag das.

Erika Freeman

Dirk Stermann hat ein Buch über Erika Freeman geschrieben, eine aus Österreich stammendene jüdische Psychoanalytikerin, die als Kind in die USA emigrieren musste und dort die Therapeutin diverser Hollywoodstars wurde. Das Buch heißt Mir gehts gut, wenn nicht heute dann morgen.

Stermann hatte Freeman als Gast in seiner (und Grissemanns) Sendung Willkommen Österreich im Jahr 2019 kennengelernt, damals war sie erst 92, und die beiden haben sich schnell angefreundet. Nachdem Freeman nach einer Operation während der Coronazeit nicht mehr nach New York zurückreisen konnte, lebt sie seitdem im Wiener Hotel Imperial. Stermann hat sie monatelang jeden Mittwoch dort besucht, mit ihr gefrühstückt und über das (und vor allem ihr) Leben gesprochen.

Herausgekommen ist keine klassische Biografie, denn Freeman regt Stermann immer dazu an, nicht zu chronologisch zu denken und zu schreiben, sondern eher assoziativ; dennoch weiß man am Ende sehr vieles aus ihrem Leben, die mit zwölf Jahren alleine in die USA zu Verwandten ausgewandert ist, welche sie aber nicht bei sich haben wollten. Die sich von da an alleine durchgeschlagen und studiert hat, erfolgreiche Analytikerin wurde und früh den Ehemann verloren hat. Dabei immer eine erstaunlich positive Lebenseinstellung bewahrt hat, in der sie nichts schwarz/weiß sieht und Verständnis für alle Menschen, ja sogar eine wirklich authentische Liebe zu ihnen vermittelt. Und viel Humor und Lebensklugheit.

An sich wollte Stermann das Buch “Erika, mittwochs” nennen, doch das war ihm zu schlüpfrig, vor allem, als ein Freund zu ihm gesagt hat, ob das mit Freeman denn so eine Art Harold und Maude-Geschichte werden würde. Worauf Stermann meinte, dazu sei er nicht knabenhaft genug, es wäre eher Maude/Maude. Der tatsächliche Titel ist eine Aussage von Freeman, nachdem sie nach einer lebensbedrohlichen Situation wieder ins Imperial zurückgekehrt war und Stermann sie gefragt hatte, wie es ihr denn gehe. Freeman selbst findet den Titel etwas zu lang.

Es gibt soviel zitierenswertes in dem Buch, dass es schwerfällt, etwas speziell herauszupicken, und am besten mal liest es selbst, weil es auch sehr stimmungsvoll verfasst ist, aber zwei Dinge möchte ich schon erwähnen. Zum einen die Aussage: “Manche Menschen brauchen mal ein Durcheinander, wenn sie Angst haben vor einem Miteinander.” Darüber hab ich länger nachgedacht. Sehr schön fand ich auch, als Stermann Freeman eine Mesusa schenkt, die sie dann am Türpfosten ihres Zimmer befestigen lässt und der Hotelangestellte, der das macht, stellt anschließend fest, dass sie schief aufgehängt ist. Worauf Freeman sagt: “Das ist in Ordnung. Nur Gott kann Dinge richtig machen, Menschen machen Fehler”. Das ist doch tröstlich, oder?

P.S. Wie immer unbezahlte Werbung und ich möchte meiner Freundin L. danken, die mir das Buch bei einem Buchhandlungsbesuch, bei dem wir herumgestöbert haben und ich daran Interesse zeigte, quasi hinter meinem Rücken gekauft und geschenkt hat. Große Freude darüber.

In der Oper

Meine Freundin und Ex-Arbeitskollegin K. hat mich gefragt, ob wir gemeinsam noch unser NÖ-Card ausnutzen wollen, die ja noch bis März gilt, für ein Event in Wien oder Umgebung und wir haben uns letztendlich für eine Führung in der Staatsoper entschieden.

Zum Mittagessen haben wir uns bei Swing Kitchen in der Operngasse getroffen (unbezahlte Werbung). Swing Kitchen habe ich während der Coronazeit entdeckt und ich habe so schöne Erinnerungen daran, nicht unbedingt was das Essen selbst angeht, sondern das Gefühl, mit jemand besonderem dort zu essen. Aber die vegetarischen Burger selbst sind auch sehr gut. Diesmal wollte ich “Bacon” probieren und es hat tatsächlich nach Speck geschmeckt. Wir haben uns sehr gut unterhalten, K. hat oft andere Perspektiven auf Dinge als ich und das ist spannend, weil ich dann auch anders zu denken beginne.

Im Zuschauerraum, Blick auf die Mittelloge, oder wie Tarek Leitner sie nennt, Führerloge hahar (deshalb moderiert er heuer vermutlich den Opernball nicht mehr)

Um 14 Uhr waren wir bei der Oper, wo gleichzeitig Führungen auf Deutsch und Englisch, aber auch Italienisch und Spanisch starteten. Erstaunlicherweise ist es, trotz der vielen Gruppen gelungen, dass wir uns nie in die Quere kamen oder uns sonst irgendwie gegenseitig störten. Ein großes Thema bei der Führung war natürlich der Opernball, der ja in einigen Tagen stattfindet und manche Teilnehmer wollten wissen, was das alles so kostet. Eine normale Karte ist ja noch leistbar (385 Euro plus freiwiliger Spnede), nur darf man sich da nirgends hinsetzen. Und es ist auch sonst nichts inkludiert. Eine Loge kostet halt schon mal 25.000 Euro aufwärts.

Im Zuschauerraum war ich erstaunt, wir groß die Bühne der Oper ist. Und tatsächlich hat unsere Führerin dann bestätigt, dass die Bühne quasi genauso groß ist wie der Zuschauerraum selbst, nur sieht man halt immer nur einen Teil davon.

Bühnenarbeiter in Aktion

Was mich auch erstaunt hat, (obwohl eh logisch, weil fast jeden Tag ein anderes Stück aufgeführt wird): Es müssen täglich Kostüme, Requisiten und so weiter zwischen Oper und zum Beispiel dem Arsenal als Hauptlager hin und her geführt werden, was mir extrem ineffzient vorkommt. Natürlich muss auch die Bühne jeden Tag neu gestaltet werden. Unsere Führerin hat dann erläutert, wieso nicht zum Beispiel ein Stück zwei Wochen durchgehend gespielt wird, weil das einerseits früher so etabliert war, weil die Reichen als Zeichen ihrer Stellung jeden Tag in die Oper gingen und die wollten natürlich nicht dauernd dasselbe sehen und zweitens, weil es der Oper so möglich ist, viel mehr Stücke insgesamt zu zeigen, auch unbekannteres.

Stiegenaufgang der Oper

Wir sahen uns dann auch noch den Teesalon und die Pausenräume an. Jeder hat seinen eigenen Charakter, es wird auch der ehemaligen Operndirektoren gedacht, die ja oft selbst Musiker waren, wie Karl Böhm, Herbert von Karajan, Lorin Maazel etcetra. Außerdem hat sie zu darauf hingewiesen, dass man täglich die Chance hat, günstige Stehplatzkarten für denselben Tag zu bekommen. Sie rät aber von Stehplätzen bei Wagner Opern ab, ja kann ich mir vorstellen. Zu unbekannteren Stücken gibt es oft auch eine gratis Werkeinführung.

Am Ende kommt man noch in den total schönen Souveniershop (bin ein Opfer von sowas) – mit Kühlschrankmagneten und Karten und Häferln, Büchern, echt total nett. Und ich habe K. erzählt, dass ich selber irrsinnig lange im Ballett war, das wusste sie gar nicht. Ich hab ihr gesagt, meine Eltern wollten mich beschäftigen, damit ich mit sechs Jahren nicht auf die schiefe Bahn gerate (harhar); ich persönlich hätte ja auch nix dagegen gehabt, die Zeit einfach bei meinen Großeltern zu verbringen, wie sonst immer. DieLänge der Ausbildung hat nicht viel mit Talent zu tun hat, ich war nicht sonderlich begabt, und das sage ich nicht aus Koketterie, sondern es ist wirklich so. Besser war ich im Jazztanz, hat mir auch mehr Spaß gemacht.

Blick auf die Bühne, hinten das Requist/Haus für eine Vorstellung von Animal Farm

Lost in Translation

Weil gerade der neue Sofia Coppola Film Priscilla herausgekommen ist, machen manche Kinos ein kleines Coppola-Special. Und das Nonstop Kino Team hat eine Mail rausgeschickt, dass Lost in Translation leider nicht im Abo inkludiert ist und dass wir keine Hate-Mails schicken sollen. Naja, ich war schon ein bisschen in Versuchung ehrlich gesagt harhar. War aber dann im Stadtkino, wo es als Mittagsfilm nur sieben Euro gekostet hat.

Ich habe LIT damals so sehr geliebt, dass ich sogar immer noch das Filmplakat in der Wohnung hängen habe. Ein bisschen hatte ich auch Angst, dass ich den Film 20 Jahre später vielleicht nicht mehr so gut finde, denn ich bin viel älter (nona), in einer komplett anderen Lebensphase etc. Aber ich kann Entwarnung geben, der Film hat mir vielleicht sogar noch eine Spur besser gefallen als damals.

Es geht ja um den alternden Schauspieler Bob Harris (Bill Murray) und ich tu mir wirklich schwer, das zu schreiben, weil er war halt so um die fünfzig harhar, und um die junge Charlotte (Scarlett Johansson damals “in echt” erst 17 Jahre!), die gerade ihr Philosophiestudium beendet hat. Sie ist mit ihrem Mann, einem (sehr oberflächlichen) Werbefotografen in Tokio, wo auch Bob ist, der dort einen Whiskeywerbespot drehen soll. Beide leiden aktuell unter extremen Jetlag und generell am Verlorensein in der Welt. Charlotte weiß nicht, was sie mit ihrem Leben tun möchte, Bob hinterfragt das eigene, in dem er zwar kommerziell erfolgreich, aber künstlerisch unzufrieden ist; seine Ehe ist auch ein Krisenherd. Und so freunden sie sich an und führen sehr ehrliche Gespräche miteinander.

Vieles ist wunderbar in diesem Film. Die Schauspieler und die Chemie der Protagonisten miteinander. Das Thema platonische Liebe, das man im Kino jetzt nicht unbedingt sooft präsentiert bekommt. Die Darstellung der für beide fremden Kultur, ihre Versuche des Verständnisses. Der feinsinnige Humor, die Musik, ja natürlich die Karaokeszene, in der Murray More than this von Roxy Music singt, einer der allerbesten Songs der 1980er Jahre, der die Melancholie von Lost in Translation perfekt widerspiegelt. Die Bilder, die Stimmungen, auch wenn eigentlich gar nichts passiert, was ein Trademark von Sofia Coppola ist, quasi plotlos zu erzählen.

Und natürlich auch die letzte Szene, wo Millionen von Menschen seit 2003 versucht haben herauszufinden, was flüstert Bob Charlotte ins Ohr? Ich hab es natürlich auch wieder nicht verstanden, was eh beabsichtigt ist, aber die Endszene hat mich wieder trotzdem voll erwischt, auch wenn ich ja schon weiß, was kommt. Wenn Just like honey von The Jesus and Mary Chain einsetzt, so als Song an sich vielleicht eher unscheinbar, aber in Verbindung mit diesem Moment im Film unschlagbar. Da sind mir wieder die Tränen gekommen, weil es so schön ist. Magisches Kino einfach.