almis personal blog

Kafka – Max

Die erste Folge von Kafka, die den Titel Max trägt, ist die heiterste. Es ist die Folge, in der Kafka (Joel Basman) tatsächlich noch recht viel lacht.

Es geht in dieser Folge vor allem um Kafkas Freundschaft zu Max Brod und dem Prager Kreis, noch zwei weiteren Schriftstellern, Felix Weltsch und Oskar Baum, der blind ist. Alle sind Juden. Max Brod wird Kafkas engster Freund und sowas wie sein Literaturagent. Heute würde man es Manager nennen. Immer wenn Brod (gespielt von David Kross) die Szenerie betrifft, freue ich mich, er wird schnell meine Lieblingsfigur; er hat viel Charisma und ist mir einfach total sympathisch – auch wenn er genau genommen ein Strizzi ist. Brod nimmt das Leben leicht, er ist ein Boheme, hat zahlreiche Freundinnen (“Ich bin eben in jede verliebt”), trinkt und isst mit Begeisterung, er schreibt gern und viel, er veröffentlicht auch das meiste davon. Während Kafka nach dem Motto arbeitet, dass nichts gut genug ist, sagt Brod, seine eigenen Werke sind eben “gut genug”. Das mag auch ein Grund für diese Freundschaft sein, Brod ist quasi alles, was der schwermütige Kafka nicht ist, er vermittelt ihm immer auch etwas von seiner Lebenslust und reißt ihn mit.

Es gibt so viele tolle Szenen in dieser Folge. Der Prager Kreis trifft sich zum Beispiel in einem Lokal und sie lesen sich gegenseitig ihre Texte vor. Kafka liest: “Wir kamen mit guter Schnelligkeit immer weiter in das Innere einer großen, aber noch unfertigen Gegend, in der es Abend war.” Felix Weltsch fragt daraufhin: “Unfertige Gegend? Bist du dir sicher? Oskar Baum sagt: “Ich verstehe es nicht, aber es ist gut. Was sagst du Max?” Und Brod: “Ich glaube ich habe noch nie was besseres gehört.” Alle lachen. Aber Brod meint es ernst. Er ist komplett überzeugt vom Talent Kafkas. Ein anderes Mal trifft sich Brod mit Verlagsmenschen von Rowohlt und schwärmt von Kafka, er sei “der größte Schriftsteller der Welt”. Der eine Verlagsmensch fragt ihn darauf nach Werken von Kafka, worauf Brod zugeben muss, dass Kafka noch nichts veröffentlicht hat.

Eine Szene spielt quasi in der Zukunft und der schon ältere Max Brod wird von einem Interviewer bezüglich Kafkas Nachlass, den Brod verwaltet und herausgegeben hat, gefragt, warum er, Brod, manche Passagen gestrichen hat. Danach sehen wir eine Szene, in der Brod und Kafka das Prager Original Toni Pachinger (Robert Palfrader) besuchen, der von seinen Eroberungen schwärmt, Nacktbilder herumreicht und generell geht es relativ derb zu. Palfrader in einer typischen Rampensau-Rolle. Danach beugt sich Brod zur Kamera, bricht die vierte Wand und sagt den Zusehern: “Das muss ich doch streichen, das versteht sich doch von selbst, dass von so einem Abend niemand erfahren darf”. Was ja doppelt lustig ist, weil wir die Szene ja eben trotzdem gesehen haben und wissen, was gestrichen worden ist.

Am Ende der Folge fragt der Interviewer Brod, was ihm – dem eher mittelmäßigen Schriftsteller ohne jede literaturwissenschaftliche Ausbildung – das Recht gäbe, der Herausgeber von Kafkas Gesamtwerk zu sein. Da sagt Brod: “Er war mein bester Freund.” Und das zeigt die Serie auch. So leichtlebig Brod sein kann, so sehr ist er bis zum Schluss an Kafkas Seite und nimmt auf der Flucht einen extra Koffer mit, nur um Kafkas Nachlass transportieren zu können. Ohne ihn hätten wir viele von Kafkas Texten nie kennengelernt.

Kafka – die Serie

Auf ORF hatte jetzt die neue Miniserie Kafka von David Schalko Premiere.

Ich habe davor ein Interview mit Schalko gelesen, in dem er sagte, er wolle mit dieser Arbeit gegen das Klischeebild von Kafka ankämpfen. Meine erste Reaktion darauf war: Na genau! Ich glaubte ihm kein Wort. Warum? Ich war vor Jahren gefühlt die Einzige, die die Serie Braunschlag furchtbar fand, während sonst jeder begeistert war. Und zwar deshalb, weil es für mich in dieser Serie keine Protagonisten, sondern nur Klischeefiguren gab. Und nun sollte derselbe Schalko also eine Kafka-Serie ohne Klischees inszenieren? Ich war sehr skeptisch. Und: Ich habe jetzt alle sechs Folgen gesehen und bin hin und weg von Kafka! Leider verhält es sich damit ein bisschen umgekehrt zu Braunschlag, ich bin naja, nicht die Einzige, aber sehr viel Publikumszuspruch gab es wohl nicht. Deshalb werde ich jetzt hier ausführlicher bloggen, damit David Schalkos nächste Serie nicht wieder sowas wir Braunschlag wird. Harhar.

Also Kafka ist, wie erwähnt, in sechs Folgen aufgeteilt. Die Folgen sind zwar halbwegs chronologisch angeordnet, ab dem 23. Oktober 1902, dem Tag, an dem Kafka Max Brod kennenlernt, sie sind aber auch thematisch gegliedert. Das bedeutet, es gibt eine Folge über seine Freunde, den Prager Kreis um Max Brod, die Max heißt, es gibt eine Folge Familie – die wohl deprimierendste Folge der ganzen Serie mit Nicolas Ofczarek, der den wirklich sehr schrecklichen Vater von Kafka spielt . Es gibt eine Folge Bureau, die sich vor allem Kafkas Tätigkeit in einer Versicherungsanstalt widmet. Und es gibt drei Folgen über Frauen, mit denen Kafka eine Beziehung hatte (man kennt sie wohl aus den Briefen, die Kafka an sie geschrieben hat) Felice, Milena und Dora. Dora ist die letzte Folge, in der Kafka auch stirbt.

Erzählt wird von einer allwissenden Erzählfigur, die sich aber ständig hinterfragt, was sie da eigentlich erzählt – “Nein, man muss anders anfangen”, heißt es in jeder Folge. Und das finde ich genial , denn es weist die Zuseher daraufhin, dass man jede Geschichte auch komplett anders beginnen und erzählen kann; dass man an einem anderen Ausgangspunkt starten, dass man verschiedene Aspekte unterschiedlich gewichten kann, jede Geschichte auch Dinge nicht erzählt (bewusste oder unbewusste Leerstellen) und, dass ein Erzähler, auch wenn er vorgibt alles zu wissen, selbst mit einem Hintergrund ausgestattet ist, mit einer Perspektive und Ansichten.

Die Serie ist auch filmtechnisch extrem reizvoll gemacht. Jede Folge hat einen anderen Charakter: In Bureau spricht Kafka zum Beispiel ganz anders, viel “amtlicher” und “bürokratischer”, die Szenerie ist sachlicher. In Familie experimentiert Schalko, er hüllt die Wohnung der Kafkas in dunkles Blau und lässt das Licht rot strahlen als Kafka mit seinem Vater zusammentrifft; außerdem erscheint Kafka oder ein Kafka Alter Ego auch einmal als das Ungeziefer, wie er es in der Erzählung “Die Verwandlung” beschrieben hat und was dann damit passiert ist ziemlich gruselig. In der Folge Milena sieht man ausschließlich Kafka und eben Milena im Wienerwald spazierengehen und reden, streiten, flirten, so ein richtiges Beziehungsdrama durchleben. In der letzte Folge, Dora, wird das Sanatorium, das Kafka besucht, mit dem Schloss aus der gleichnamigen Erzählung quasi zu einem einzigen Ort – wie in einem mystischen Fiebertraum. Es gibt Zwischentitel mit Zitaten aus Kafkas Werken, die vierte Wand wird ab und zu sehr pointiert durchbrochen, es gibt spannende Kameraperspektiven, der Einsatz der Musik ist fabelhaft…

Also man merkt, ich bin begeistert. Zu den einzelnen Folgen dann bald.

Natural Born Killers

Das Jahr 1994 war ein herausragendes Filmjahr mit Filmen wie Pulp Fiction, Forrest Gump, Die Verurteilten, Vier Hochzeiten und ein Todesfall etc.

Es war das Jahr, in dem ich 18 Jahre alt geworden bin und ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir im Kino standen und überlegten, uns Natural Born Killers anzusehen, was wir ja mit 18 durften. Der Film kam nämlich ebenfalls damals heraus und war von einer großen Kontroverse bezüglich der Darstellung von Gewalt und der angeblichen Verherrlichung dieser begleitet. Aber irgendwie traute ich mich nicht und wollte diesen Film nicht sehen. Dann vergingen kurz mal 30 Jahre und dann hörte ich eine Folge des FM4 Filmcast zum Thema Filmjahr 1994, in der der Film besprochen wurde. Und die Folge war so interessant, dass ich am Wochenende also erstmals Natural Born Killers gesehen habe. Er war komplett anders als ich ihn mir vorgestellt habe und ich bin irgendwie fasziniert von diesem Film.

Es können Spoiler folgen, weil ich mein, der Film ist 30 Jahre alt. Wer ihn sehen wollte hat ihn vermutlich gesehen. Harhar. Es geht jedenfalls um Mickey (Woody Harrelson) und Mallory (Juliette Lewis) Knox, einem Ehepaar beide aus sehr schlimmen Verhältnissen, mit “terrible childhoods”, die mit Drogen vollgepumpt einen Roadtrip durch die USA machen und nach drei Wochen bereits 50 Menschen getötet haben, begleitet quasi von einer Liveberichterstattung in den Medien, die sie zu zweifelhaften Stars macht. Nach dem einzigen Mord, der ein Unfall war – und dessen Opfer ein Navaro Indianer eigentlich die einzig integere Person in dem ganzen Film ist – und den sie eigentlich bereuen, werden sie festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, wo aus dem Roadmovie quasi ein Gefägnismeutereifilm bzw. eine Mediensatire wird…

So, wo fange ich an. Vielleicht bei den Personen und hier mit Woody Harrelson. Harrelson ist durchaus ein Teil der Hollywood-Industrie, allerdings ist er auch einer ihrer großen Außenseiter. Zwar dreimal Oscar nominiert und auch respektiert, vertritt er wohl eher keine Mainstreammeinung zu egal welchem Thema und ist auch sehr Amerika-kritisch. Bei der Präsentation seines Films Triangle of Sadness in Cannes 2022, in dem er einen zynischen amerikanischen Schiffskapitän mit Hang zum Kommunismus darstellt, hat er gemeint, er findet es miserabel, wenn ein Land ohne provoziert zu werden, mit der ganzen militärischen Macht ein Land attaktiert wie “Irak äh sorry, Afganisthan, äh sorry, Viet- sorry, Korea. Ach so, wir reden ja über die Ukraine.” Mich wundert es, dass Harrelson in den USA noch Rollen bekommt, harhar, aber gewisse Freigeister gibt es ja dann doch. Jedenfalls kann man kaum glauben, dass Harrelson 1993 Ein unmoralisches Angebot gedreht hat, wo er den sanften, etwas unbeholfenden, zutiefst verzweifelten und verletzten Mann von Demi Moore gespielt hat und dann ein Jahr darauf diese Figur des Serienmörders in Natural Born Killers und in beiden Rollen war er extrem glaubwürdig.

Harrelson passt aber sehr gut zu Regisseur Oliver Stone, der ja auch eine gewisse Außenseiter-Position in Hollywood hat, auch immer große amerikanische Geschichten und ihre Brüche genauer unter die Lupe genommen hat (JFK, Platoon, Geboren am 4. Juli, Wall Street, Nixon, Snowden). Im Filmpodcast wurde erzählt, dass Stone zu Natural Born Killers Interviews gegeben hat, in denen er wie ein französischer Intellektueller aufgetreten ist, der nur in Referenzen und Anspielungen spricht. Stone ist ja kein Splatter Regisseur oder jemand, der auf den billiger Schock aus ist, er war damals bereits 47 Jahre alt und wollte vor allem davon erzählen, wie kaputt das System in Amerika ist und vor allem die Medien (es war gerade die Zeit des O.J.Simpsons Falles).

Robert Downey Junior spielt einen komplett durchgeknallten TV-Journalisten, der Mickey und Mallory im Gefägnis interviewt und seine Bewunderung für die beiden kaum verhehlen kann. Tom Sizemoore einen charakterlich komplett verdorbenen Polizeibeamten und Tommy Lee Jones den Gefängnisdirektor, den er – nach eigener Aussage – nach einer Figur Molieres, in der Tradition der französischen Komödie angelegt hat, auch alles andere als mit leisen Tönen.

Wenn man das jetzt alles im Hinterkopf behält, in seiner ganzen Skurillität, und sich dazu noch vorstellt, dass praktisch das gesamte Team phasenweise auf Drogen war, dann kann man sich vielleicht vorstellen, was für ein wahnsinniger Film dabei herauskommt, und wie sehr dieser permanent auf Anschlag ist- mehr dazu dann morgen.

Bezirksmuseum Leopoldstadt

Vorigen Sonntag habe ich beim Frühstücken gelesen, dass Tag der offenen Tür in den Wiener Bezirksmuseen ist. Das war zwar super, allerdings wäre ich froh gewesen, wenn man das schon einen Tag früher publik gemacht hätte. Nachdem das Kind aber auswärts essen gegangen ist, habe ich mir schnell einen Überblick verschafft, was wo zu sehen ist und wo ich nicht ewig hin brauche, und habe mich so für das Bezirksmuseum Leopoldstadt entschieden.

Das Thema war dort “Als homosexuell verfolgt. Leopoldstädter Schicksale während der NS-Zeit“, und obwohl diese aktuelle Ausstellung alleine schon sehr interessant gewesen wäre (es wird über verschiedene Schicksale berichtet, was ziemlich erschütternd zum Nachlesen ist), ist das ganze Museum noch so viel mehr, nämlich total vielfältig an Exponaten und randvoll mit Informationen.

Man hat irgendwie das Gefühl, in Wien hat sich früher alles im 2. Bezirk abgespielt. Einerseits gibt es natürlich den Prater (mit Riesenrad) und auch den Augarten als große Grüngebiete, den Donaukanal als Flanierort, aber auch bekannte Kaffeehäuser, Bäder, Märkte und Theater. Die Straussdynastie hat im 2. Bezirk gewirkt, die Sängerknaben und auch sehr viele Literaten wie Arthur Schnitzler, Felix Salten, Joseph Roth, Peter Altenberg, Elias Canetti, sowie dessen Frau Veza Canetti, die Juden waren.

Von “Die gelbe Straße” gibt es einen Textausschnitt, der mich so neugierig gemacht hat, dass ich das Buch lesen werde

Der zweite Schwerpunkt des Museums liegt dann natürlich auch auf dem jüdischen Charakter der Leopoldstadt, die auch “Mazzesinsel” genannt wird. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung lebt(e) in diesem Bezirk, weshalb sich das Museum besonders den jüdischem Glauben, den Gebräuchen und Symbolen, aber natürlich auch der tragischen Geschichte während der NS-Zeit widmet. Damals wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung vertrieben, was einen großen Bevölkerungsverlust in diesem Bezirk zur Folge hatte. Nach dem Krieg kamen allerdings viele emigrierte Juden wieder zurück in die Josefstadt, sodass der zweite Bezirk seinen früheren Flair zurückerhielt, wenn auch in geringerem Ausmaß als früher.

Ausstellungsraum Bezirksmuseum Leopoldstadt

Insgesamt ist das Museum also so voller sehr vielfältiger Informationen, dass eine Stunde nicht wirklich reicht, um es zu “bewältigen”; allerdings ist man da schon relativ erschlagen von den vielen Texten und Ausstellungsstücken und nicht mehr so aufnahmefähig.

Ich werde also sicher nochmal wiederkommen und mir vielleicht auch noch andere Bezirksmuseen anschauen, ich kenne noch sehr wenige.

Das Riesenradmodell im Bezirksmuseum Leopoldsstadt

Das Lehrerzimmer

Der Film Das Lehrerzimmer wurde heuer in der Sparte “Best International Feature” für den Oscar nominiert und ist jetzt auf Amazon Prime zu sehen (unbezahlte Werbung).

Die junge Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) ist neu im Kollegium eines Gymnasiums in Hamburg, dass sich eine “Null Toleranz” Politik auf die Fahnen schreibt, nachdem immer öfter Geld gestohlen wird. Eines Tages wird einer ihrer 12-jährigen Schüler, der türkische Junge Ali, des Diebstahls verdächtigt und mit fragwürdigen Methoden bloßgestellt. Der Verdacht kann nicht verifiziert, aber auch nicht eindeutig widerlegt werden. Carla ist entsetzt über die Art und Weise wie Ali behandelt wird, der vermeintliche Rassismus hinter der Anschuldigung stößt ihr sauer auf; sie macht sich nun auf eigene Faust daran, den Täter zu überführen…

Dieser Film, der ausschließlich in diesem Schulgebäude spielt und wo man selbst die Protagonistin niemals privat erlebt und auch nichts über ihr Leben abseits ihres Berufs erfährt, zeigt auch genau das: Den Mikrokosmos oder hier auch das Kriegsgebiet Schule. Eine Zwangsgemeinschaft, in der die Direktorin den Fokus nicht auf Zusammenhalt, sondern auf Misstrauen und Argwohn legt, um Probleme zu lösen und dadurch selbst ein noch viel größeres Problem generiert. Langsam entsteht nämlich eine äußerst toxische Energie, eine Gruppenbildung in Lehrer und Schüler, Jäger und Gejagte, bald gibt es aber auch Friktionen innerhalb dieser Gruppen. Diese Dynamik kann ab einem bestimmten Punkt kaum mehr eingefangen werden. Die positiven Kräfte, die es gibt, wirken schwach.

Nowak wird als übermotivierte Ideologin gezeichnet, die natürlich durchgehend gendert, die “woke” Rituale in ihrer Klasse etabliert, die konsequent ist, dabei auch bewusst transparent und fair auftreten will, die aber für mich vor allem eines ist: wahnsinnig unauthentisch. Sie scheint ein Bild in sich zu haben, wie sich eine Lehrerin zu verhalten hat und dieses Bild lässt sie sich nicht von der tatsächlichen Schulrealität nehmen. Was ihr oft fehlt sind Intuition und Gespür für Menschen und Situationen. Die Behandlung von Ali erscheint ihr zwar zurecht fragwürdig und übergriffig, aber weil ihrer Weltanschauung zufolge ein migrantischer Junge auf keinen Fall der Täter sein kann, was genauso ein Bias ist, sucht sie den wahren Schuldigen auf eigene Faust. Sie meint es gut, verzichtet dabei aber auf alles, das ihr gerade noch so wichtig war: Weitblick, Verhältnismäßigkeit und Rationalität.

Das ist meine Interpretation. Man könnte alle Ereignisse aber auch ganz anders bewerten. Ich glaube, damit hat der Regisseur auch gespielt, mit dieser Ambivalenz. Jedenfalls wünscht man sich bei Das Lehrerzimmer Robin Williams aus Club der toten Dichter herbei, der der ganzen Schulgemeinschaft eine Rede über Liebe, Freiheit und Poesie hält. Diese Schule hätte es bitter nötig.

Oscars, das wars

Es gibt eine Neuerung bei den Oscars: Es fängt in MEZ jetzt schon gegen 23 Uhr mit dem Red Carpet an und ab Mitternacht ist dann die Verleihung; so konnte ich leider nicht anders als aufzubleiben, so bis 3.30 Uhr, und somit hab ich das erste mal in meinem Leben die gesamte Oscar-Show gesehen.

Die Show war recht unterhaltsam und auch kurzweilig, ich bin zwar nicht der größe Fan von Jimmy Kimmel, aber schön fand ich seine Aussage, dass man quasi durch den Writers Strike den Einsatz von KI im Film zumindest vorerst mal zurückgedrängt hat: “Thanks to this historic agreement, actors are now able to go back to worry about being replaced by younger, more attractive people and I think that is great.” Great war auch die I am just Ken Performance von Ryan Gosling. Ich weiß, er hat in Barbie auch schon gesungen und auch in La La Land, aber in einem Film zu singen, ist halt doch noch mal was anderes als live vor Publikum. Am Ende kam noch Slash aus den 1990-er Jahren und spielte ein Gitarrensolo, warum weiß man nicht, aber lustig wars doch, sogar Martin Scorsese, sonst bei solchen Award-Shows meist im Halbschlaf, sah richtig glücklich aus.

Dann gabs das alljährliche “In Memoriam”-Segment, wo gefühlt eh immer Time to say goodbye zu hören ist, diesmal aber auch tatsächlich, performt von Andrea Bocelli samt Sohn. In dem Segment hofft man dann, dass die Academy eh keinen vergessen hat, der einem selbst wichtig ist, Matthew Perry war gottseidank dabei. Jonathan Glazer, selbst Jude, der mit The Zone of Interest den Preis für “Best International Feature” gewonnen hat, hat wiederum an die Opfer des 7. Oktober und aber auch die im Gazastreifen erinnert, und mehr hat er nicht gebraucht, das ist heutzutage in sozialen Medien fast so kontroversiell wie ein Papst, der für Frieden eintritt.

Die größe Knalleffekt bei den Preisen war vielleicht Emma Stone als beste Hauptdarstellerin- in den letzten Wochen war Lily Gladstone favorisiert worden, da sie die erste indigene Darstellerin gewesen wäre, die einen Oscar erhalten hätte und solche Narrative lieben die Oscars ja oft und Stone hat eh schon einen Oscar etcetera. Stone hatte mit ihrer Auszeichung sichtlich selbst nicht gerechnet, außerdem war ihr Kleid hinten aufgeplatzt, während des Ken-Auftritts, wie sie selbst sagte, bei dem sie mit ihrem Ex La La Land-Partner Gosling auch kurz gesungen hatte. Sie war jedenfalls spektakulär gut in Poor Things.

Oppenheimer Nebendarsteller Robert Downey jr. sagte in seiner Dankesrede: “Thanks to my terrible childhood” Downey juniors Auszeichnung hatte diesen “Phoenix aus der Asche” Moment; in den 1990er Jahren war er schwer drogenabhängig – vermutlich auch wegen dieser Kindheit – und auch im Gefängnis, wurde aus allen Produktionen rausgekickt, sein Leben war fast zu Ende, seine Karriere war es definitiv. Dann wurde in den 2010er mit Iron-Man zu einem Star des Mainstreamkinos und jetzt als Oppenheimer-Antagonist Lewis Strauss hat er auch im “Charakterfach” reüssiert. Auch das ist ein schöner Oscar-Narrativ, vor allem aber eine Erinnerung daran, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte.

Oscar Countdown

Ja, es ist vollbracht, vor der heutigen Oscar-Verleihung habe ich jetzt alle zehn in der Kategorie “Best Film” nominierten Filme gesehen. Das habe ich bisher noch nie geschafft, weil auch nicht immer alle Filme vor der Verleihung bei uns zu verfügbar waren.

Der letzte war zugegebenermaßen ein bisschen eine Überwindung, weil ich mit Martin Scorsese leider wenig anfangen kann und meistens schon nach 25, 30 Minuten total aus dem jeweiligen Film kippe; und Killers of the Flower Moon dauert dreieinhalb Stunden. Das Thema – die mörderische Ausbeutung der Osage-Indigenen – ist ein wichtiges und auch erschütterndes, aber ich kann so schwer mit der Art von Scorsese Geschichten zu erzählen connecten. Das ist leider auch bei diesem Film nicht anders, wobei er mich wahrscheinlich mehr erreicht hätte, wenn er circa eine Stunde kürzer wäre. Oder eineinhalb.

Noch ein paar Dinge, die mir bei den Filmen so durch den Kopf gehen. Es gibt heuer drei Filme, die teilweise in schwarz/weiß gedreht wurden. Poor Things und Maestro haben einen Vorher-Teil, der schwarz/weiß ist und ab einem gewissen erzählerischen Moment kommt die Farbe hinzu (natürlich auch metaphorisch gesehen). Das macht Oppenheimer anders, dort gibt es Farbe, wenn aus der Sicht Oppenheimers erzählt wird, wenn die Perspektive auf eine “objektive” Sichtweise wechselt, sind die Szenen schwarz/weiß, was auch sehr reizvoll ist. Es überwiegen aber die Szenen in Farbe.

Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller spielt in gleich zwei der nominierten Filmen mit. Für Anatomie eines Falls wurde sie als beste Hauptdarstellerin auch nominiert; in The Zone of Interest spielt sie eine wichtige Nebenrolle. In Anatomie eines Falls spricht sie französisch und englisch, in The Zone of Interest ausschließlich deutsch. Interessant ist auch, dass Anatomie eines Falles der französischen Regisseurin Justine Triet zwar die goldene Palme in Cannes erhielt und für fünf Oscars (darunter bester Film und beste Regie) nominiert ist, Frankreich sich aber entschieden hat, einen anderen Film – nämlich Geliebte Köchin – als “Best International Feature Film” einzureichen. Es wird gemutmaßt, dass das deshalb passiert ist, weil befürchtet wurde, dass in Anatomie eines Falls zuviel englisch gesprochen wird und es darf nur einen gewissen Englisch-Anteil geben. Tatsächlich zählt Gebliebte Köchin aber nun nicht zu den nominierten Filmen in der Kategorie “Best International Feature Film”

Oppenheimer-Regisseur Christopher Nolan wiederum verdanken wir es, dass es seit 2010 möglich ist, dass fünf bis zehn Filme in der Kategorie “Best Film” nominiert werden können; davor waren es immer nur fünf. Das liegt daran, dass Nolans The Dark Knight als Comicverfilmung die große Leerstelle bei den Oscars 2009 war. Zwar neunmal insgesamt nominiert, aber aufgrund seiner (eher formalen) Genre-Zugehörigkeit eben nicht tauglich für die Königskategorie. Mittlerweile dürfen also bis zu zehn Filme nominiert werden, sofern sie mindestens fünf Prozent der Stimme bei einer Vorauswahl erreicht haben.

Nolan – bisher achtmal nominiert – wird heuer seine ersten Oscars (vermutlich Plural) erhalten, während Bradley Cooper mittlerweile 12 mal nominiert wurde (als Schauspieler, Produzent, Regiesseur und Drehbuchautor), aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder leer ausgehen wird.

Ich könnte noch viel erzählen, aber ich denke, es reicht fürs erste. Harhar.

Eine schöne Woche

Das war eine schöne Woche.

Ich hatte ziemlich viel zu arbeiten, ein paar relativ heikle Deadlines, war aber dann doch früher fertig als erhofft, worauf mir mein langjähriger Auftraggeber schrieb: “Das war ja wirklich im Eiltempo. Shampoo wie Marko Arnautovic sagen würde.” Harhar

Dann gabs einmal Kebap zu Mittagessen mit dem Kind, selbst gekauft von mir, da keine Zeit zu kochen (siehe oben). Danach hat er mich ein paar Sachen für sein Biologiereferat zum Thema Frühgeburt gefragt – ich mein, wer sollte so ein Referat halten, wenn nicht er. Am Ende meinte er, er könnte jetzt bei der Quellenangabe “Mama” dazuschreiben. Ja, das ist tatsächlich das einzige naturwissenschaftliche Thema, bei dem ich mich wirklich auskenne.

Außerdem hab ich mir zwei Bücher des Drehbuchautors William Goldman bestellt, in denen er über seine Arbeitsweise erzählt, und lese natürlich gerade zahllose Artikel zum Thema: The Oscar – Who will win/Who should win. Das war echt ein herausragendes Filmjahr. Hier eine sehr liebevoll gemachte Montage, die nochmal alle Nominierten in der Kategorie “Best Film” vorstellt, es wird gelacht, es wird geweint, es wird geträumt und philosophiert, es gibt große Gefühle, wie im richtigen Leben:

Und last but not least habe ich diese Woche sehr liebe und aufmerksame Nachrichten von jemanden bekomme, an den ich viel denke und das macht mich so froh, ich kanns gar nicht sagen.

Kunsthaus neu

Am Donnerstag war ich mit K. bei der Neueröffnung des Kunsthauses Wien. Spoiler: Wir haben beide keine gröbere Veränderungen wahrnehmen können, außer das eine oder andere Exponat, aber es war freier Eintritt und es war ein schöner Ausflug.

Hundertwasserhaus/Kunsthaus Wien 29. Februar 2024

Eines der ersten Bilder, das wir gesehen haben, trug den Namen “Zwei Kuverts auf langer Reise”, woraufhin K. meinte, das erinnert sie an ihren Weihnachtsbrief an ihre kleine Enkelin, der bis heute nicht angekommen ist, sie sollte wohl ein Foto von dem Bild an die Wiener Post schicken. Harhar. Dann haben wir über Namen von Bildern geredet. K. meint, es wäre eigentlich eine Zumutung, wenn Maler ihren Werken keine Titel geben oder vielleicht noch “Ohne Titel” schreiben, weil man mit Titel soviel mittransportieren kann und das sehe ich absolut genauso.

Die zwei Kuverts

Ich weiß noch als ich das erste Mal im Guggenheim Museum in Venedig war und ein Bild gesehen habe, das sich The sun in its jewel case nannte; der Name hat mich fast mehr beeindruckt als das Bild selbst und Hundertwasser kann das mit den Titeln auch sehr gut. Außerdem kann man von ihm Zitate auf den Wänden lesen wie: “Die gerade Linie ist gottlos” und “Unser wahres Analphabetentum ist das Unvermögen schöpferisch tätig zu sein.”

Auch ein sehr interessanter Titel und Bild:

Dach der Sehnsucht

und:

Wir schlafen vor den Mauern von Pompeji – Eifersuchtsschlaflosigkeit vor den Mauern eines Kampmannglasbaum

“Eifersuchtsschlaflosigkeit” – wer kennt es nicht?! So gut. Auch spannend:

Die Bäume sind die Blumen des Guten

Außerdem kann man im Kunsthaus verfolgen, was Hundertwasser noch so alles gemacht hat, zum Beispiel das Thermenhotel in Bad Blumau und dessen Umgebung gestaltet. Außerdem gibt es Briefmarken von ihm und er hat das Cover der Bibel, des Brockhaus’ und des Stowasser’ auf seine Art und Weise neu kreiert. Der Stowasser ist ja ein Lateinisch-Deutsch Schulwörterbuch und es ist insofern noch interessanter, weil Hundertwasser eigentlich Stowasser hieß. Dann gibt es noch die Pfarrkirche Bärnbach zu sehen und natürlich eine Nachbildung von der Müllverbrennungsanlage Spittelau.

Nach dem Rundgang waren wir noch auf einen späten Mittagskaffee und ein Mittags-Schokocroissant (ich) und haben geredet. Ich bin K. dankbar, dass ich ihr wie eine hängengebliebene Schallplatte immer wieder dasselbe, das mich so sehr beschäftigt, erzählen darf und sie immer einen so bereichernden Blickwinkel darauf hat und mich auf Dinge aufmerksam macht, auf die ich selbst nicht gekommen wäre.

American Fiction/Erasure

Dieses Jahr wurden zehn Filme in der Oscar-Kategorie “Bester Film” nominiert. Ich habe fast alle davon gesehen. Einer davon, American Fiction, hat mich thematisch sehr interessiert, es war aber kein Starttermin in Österreich in Sicht. Also habe ich mir gedacht, ich zäume das Pferd von hinten auf und lese zuerst das Buch. Nachdem es die deutsche Version schwer verfügbar war, habe ich mir das Original bestellt.

Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich es nicht auf Deutsch gelesen habe, weil die Sprache in diesem Buch eine sehr wichtige Rolle spielt. Diese Woche wurde der Film still und heimlich auf Amazon Prime veröffentlicht und jetzt kann ich also ein paar Dinge dazu schreiben, nämlich auch zur Beziehung zwischen Buch und Film. Erasure ist im Gegensatz zu Die geheime Geschichte, von der ich kürzlich schrieb, überhaupt kein Buch, das dazu einlädt, es zu verfilmen. Es ist eher eine Collage, bestehend aus Zitaten, Gesprächsfetzen, einem Roman im Roman etc. Deshalb Hut ab für Cord Jefferson, der das Drehbuch schrieb und auch Regie führte.

Die Hauptfigur in American Fiction ist Literaturprofessor und Schriftsteller Thelonius Ellison (Jeffrey Wright), genannt “Monk”; ein Mann in den besten Jahren quasi und er ist schwarz. Er lebt alleine an der Westküste, muss aber nach Boston, um nach seiner Mutter zu sehen, die an Alzheimer erkrankt ist. Monk hat einen eben erst als homosexuell geouteten Bruder, Cliff (schrill: Sterling K. Brown) und die Schwester Lisa, beide Ärzte. Monk schreibt sehr intellektuelle Bücher – etwa jüngst über Aischylos – die niemand lesen will. Auf einer Buchmesse in Boston kommt ihm das Buch We’s Lives In Da Ghetto (sic!) unter, das Buch einer schwarzen Autorin, das große Erfolge feiert. Sie wird als “neue schwarze Stimme Amerikas” bejubelt. Monk ist von diesem Buch angewidert, da es nur schwarze Stereotypen reproduziert, das Leben der Romanfiguren besteht ausschließlich aus Drogen, Gefängnis, unerwünschten Schwangerschaften, Armut und Gewalt. Außerdem strotzt es vor bewussten Rechtsschreibfehlern, um es “authentischer” zu machen. Monk setzt sich hin und schreibt aus Jux einen Roman in einem ähnlichen Duktus, dass er My pafology nennt (ursprünglich “My pathology”, aber er schreibt es absichtlich falsch). Sein Literaturagent lacht ihn aus, bis ihnen ein Verlag 750.000 Dollar für das Manuskript bietet…

Wenn es um den Literaturbetrieb geht, ist das Buch und auch der Film sehr witzig. Monk versteht die Welt nicht mehr, dass er mit seinem satirischen Text nicht nur für voll genommen wird, sondern ein unglaubliches Honorar geboten bekommt. Er ist nun in der Zwickmühle. Kein Autor wird Autor, weil er reich werden möchte – da gibt es erfolgversprechendere Wege – sondern weil er sich mitteilen will, wie er sich nur schreibend mitteilen kann. Weil er das, was in seinem Kopf ist, irgendwie zu Papier bringen muss, vielleicht auch, weil er verstanden und erkannt werden möchte, weil er damit sein eigenes Leben aufarbeitet. Er möchte dabei sein bestes geben. Andererseits braucht Monk das Geld dringend, weil er seine Mutter in einem Pflegeheim unterbringen muss. Also legt er sich für diesen Roman ein Pseudonym zu. Die Szenen, in denen er mit weißen Autoren diskutiert, die My pafology lieben, während er es in der Luft zerreißt sind sehr amüsant. Ebenso eine Szene mit seinem Agenten, in der dieser ihm drei verschiedenen Sorten einer Whiskeymarke präsentiert und Monk fragt: “Verstehst du die Metapher?” Monk: “Nein.” Harhar. Es geht grob gesagt darum, dass auch billiger Alkohol betrunken macht.

Die privaten Momente von Monk sind melancholisch. Im Alltagsleben kann er sich nicht so gut mitteilen. Er tut sich schwer, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten. Auf seiner Familie lastet quasi “generational trauma” und ein schlecht gehütetes Geheimnis. Dass die Familie schwarz ist, spielt dabei eine gewisse, aber eher untergeordnete Rolle. Muss es eine Rolle spielen? Will Monk die tatsächliche Geschichte seiner Familie erzählen? Könnte er das, eine wirklich schwarze Stimme sein? Will er das überhaupt? Ist seine Perspektive “schwarz”? Diese und ähnliche komplexe Themen deuten sich an. Der Film geht über das Buchende hinaus, in dem er es quasi persifliert. Das ist genial gemacht.

Ich kann Buch und Film nur empfehlen, wenn man beides vergleichen möchte, dann sollte man hier unbedingt das Buch zuerst lesen.

Disclaimer: Ich weiß nicht, ob “schwarz” und “weiß” politisch korrekt ist, ich habe diese Formulierungen aber aufgrund der einfacheren Lesbarkeit gewählt.