almis personal blog

Tarantinos zehnter Film

Quentin Tarantino hat ja schon vor einiger Zeit kundgetan, dass er nur zehn Filme drehen wird und etwas beamtenmäßig quasi mit Mitte 60 in Pension gehen will.

Vor ungefähr einem Jahr wurde bekannt, dass sein letzter Film The Film Critic heißen würde und das war für mich sehr erfreulich, denn erstens klingt das nach einem Plot, der mich sehr interessiert und zweitens danach, als könne man nicht mehr als ein vielleicht zehnminütiges Gemetzel einbauen. Jetzt werden einige sagen, da passt ja eigentlich überhaupt kein Gemetzel, aber Tarantino findet ja immer einen Vorwand. Ich meine, dass es wenige Hollywood Auteurs gibt, die bessere Monologe oder Dialoge schreiben als Tarantino, aber auf die Gewalt in seinen Filmen könnte ich persönlich sehr gut verzichten (auch wenn ich weiß, dass sie oft integraler Bestandteil der Handlung sind).

Die Filmkritikerin, die Tarantino ursprünglich porträtieren wollte, wäre Pauline Kael (1919-2001) gewesen, die bekannteste Rezensentin in den USA wahrscheinlich überhaupt, deren Kritiken als Kunstwerke für sich gelten. Ich kenne sie schon durch die Referenzen von Roger Ebert, ein ebenfalls sehr prominenter Filmkritiker, von dem ich einige Bücher gelesen habe. Als Tochter von jüdischen polnischen Einwandern schlug sich Kael später als alleinerziehende Mutter mit allen möglichen Jobs durch, um ihrem Kind eine notwendige Herzoperation zu finanzieren. Ihr Kurzzeit-Ehemann, der nicht der Vater war, übernahm dann die Kosten für die OP und machte sie außerdem zur Managerin seines Kinos. Kael schrieb 30 Jahre für den New Yorker, arbeitete auch ein Jahr direkt im Filmbusiness als Produzentin in Hollywood – wechselte dann aber wieder zurück auf die andere Seite. Ihre Fans nannten sich “the Paulettes”, Clint Eastwood bezeichnete sie als seine Nemesis, George Lucas erfand eine Filmfigur, die nach ihr benannt wurde – “General Kael”. Kael veriss seinen Film und bezeichnete die Figur als “hommage à moi”. Kael hatte die Fähigkeit, Filme “hinauf”- manchmal auch “hinunter” zu schreiben. Später erkrankte sie an Parkinson und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Naja und jetzt macht Tarantino diesen Film doch nicht. Ich finde, jemand anderer sollte ihn doch noch drehen, es klingt so spannend. Nachdem ich das heute alles ein bisschen nachgelesen habe, habe ich mir gleich ein Buch mit Kaels gesammelten Rezensionen bestellt, namens 5000 Nights at the Movies. Ich werde dann sicher etwas darüber berichten können.

ESC 24 – die Texte

Ich hatte übrigens recht, der heurige ESC Beitrag aus Estland mit dem Titel (Nendest) narkootikumidest ei tea me (küll) midagi ist lang, nämlich der längste bisher beim Songcontest eingereichte. Und es wird noch besser, denn in Übersetzung heißt das “Über diese Drogen wissen wir doch nichts”. Die EBU hat diesen Titel zugelassen, während sie so manches “Shit” aus anderen Texten entfernt hat, wie zum Beispiel aus Izaaks Song Always on the run. Und da war “Shit” das Einzige, was vielleicht noch eine Spur edgy gewesen wäre. Anscheinend war es der EBU zu mühsam, die estnische Übersetzung zu googlen, und/oder sie haben sich gedacht, das versteht eh (fast) keiner. Dass der spanische Beitrag Zorra, Schlampe, heißt, war der EBU offenbar ebenso egal.

Auch sonst findet man einige ganz witzige Dinge, wenn man die heurigen Songtexte genauer ansieht – vor allem einmal, dass es doch relativ viele Beiträge gibt, die zumindest teilweise in Landessprache verfasst sind, nämlich 18. Das war schon mal anders. Von manchen Songtiteln würde man spontan ja eher abraten, weil sie sehr Kalauer-geeignet sind, wie zum Beispiel der Song Hollow für Lettland. Einen Song Unforgettable zu nennen, wie das Schweden tut, ist zwar nicht per se schlecht, allerdings sollte der Song dann auch dementsprechend eindrucksvoll sein; ob das gelingt, darüber kann man geteilter Meinung sein. Mich erinnert es ein bisschen an “Intelligent Music Project”, die bulgarische Band von vor zwei Jahren, die trotz ihres selbstbewussten Namens das Finale dann nicht erreicht haben. Dizzy für UK ist ebenfalls ein bisschen schwierig und nicht unbedingt positiv konnotiert und La Noia, die Langweile, wie Italien, hätte ich jetzt auch nicht gewählt.

Beim eher kontroversiellen irischen Beitrag Doomsday Blue wurde im Reaction-Video gesagt, das sei kein Song, sondern da würden einem nur Harry Potter Zaubersprüche wie “Avada Kedavra” entgegen geschrien. Ich kenne mich zwar bei Harry Potter nicht aus, aber Google bestätigt diese Behauptung. Die Zypriotin Silia Kapsis singt: “Waking up in the morning and I’m feeling like ooh-la-la”. Ich würde mal sagen, die wenigsten fühlen sich beim Aufwachen “oh-lala”, noch dazu, wenn sie danach gleich den Lover rausschmeißen, weil der ein Liar ist, aber ok. Der Kroate Baby Lasagna wiederum zieht von daheim aus und verabschiedet sich von den Eltern. Er hat seine Kuh verkauft und sagt zu seiner Katze: “Meow cat, please meow back” und diese Zeile fügt sich nahlos in den gleichermaßen kindlich-verspielten, wie auch sentimentalen Gesamtkontext ein.

Soviel mal für heute.

Ripley neu

Vor einigen Tagen hatte eine neue Miniserie auf Netflix Premiere – Ripley, basierend auf dem Patricia Highsmith Roman Der talentierte Mr. Ripley (unbezahlte Werbung)

Sie umfasst acht Teile, jeder Teil dauert etwa eine Stunde (mal etwas kürzer, mal etwas länger), und wenn man bedenkt, dass der Roman jetzt nicht extrem dick ist, ist das ganz schön viel. Nachdem ich sowohl den Roman erst kürzlich gelesen, als auch die Verfilmung von Anthony Minghella aus dem Jahr 1999 gesehen habe, war ich sehr gespannt, was Regisseur und Drehbuchautor Steve Zaillian daraus gemacht hat. Zudem spielt Andrew Scott (der “hot priest” aus Fleabag) die Titelrolle. Ich habe zwei Abende mit Ripley verbracht und einige Zeit in der Sonne, um darüber zu schreiben.

Viel kann ich noch nicht verraten, weil ich alles in meiner Kolumne für Uncut ausführlich besprochen habe, aber gerade die ersten Folgen waren durchaus herausfordernd. Weil die Serie ist langsam, wirklich langsam erzählt. Und das sage ich als jemand, der damit an sich kein Problem hat. Und: Sie ist komplett schwarz/weiß gedreht. Sie ist sehr düster und quasi das komplette Gegenteil zum Minghella-Film, der bunt und voller Lebensfreude war.

Einer der besten Freunde von Dickie Greenleaf (im Film Jude Law), jener Dickie, den Tom Ripley (Matt Damon) in Italien aufspüren und nach Hause bringen soll, ist Frederick Miles (Philipp Seymour Hoffmann). Miles ist ein richtig oberflächliches amerikanisches Arschloch, das sich einbildet, der bessere Italiener und überhaupt ein Geschenk Gottes an die Welt zu zu sein, komplett von sich eingenommen und total neben der Spur. Und so großartig gespielt! Auf Twitter wurde das gerade gewürdigt:

Solche Szenen sieht man in Ripley nicht. Freddie Miles wird in der neuen Version von einer nonbinären Person (Eliot Sumner, das Kind von Sting) gespielt, der/die zwar eindrucksvoll ziemlich abseitig agiert, aber quasi das komplette Gegenteil des flamboyanten Schwerenöters der Vorlage (und des Filmes) ist.

Ein User schreibt in der Internet Movie Database über Ripley: “I’m 5 episodes in and I want to jump off a tall building.” Harhar. So schlimm fand ich es jetzt nicht, aber ich habe doch einige Fragen. Bald in meiner Kolumne zu lesen, die ich hier, wie man merkt, anteasere.

Kafka – die Frauen, Dora

Im letzten Jahr seines Lebens lernt Kafka Dora Diamant an der Ostsee kennen. Sie betreut dort Flüchtlingskinder. Es wird schnell deutlich, dass sie eine Helferin ist, ein Mensch, der sich um andere kümmert. Und Kafka ist jemand geworden, der jemand anderen braucht, der sich um ihn kümmert. Er ist totkrank. Kafka lässt sich in der Arbeit beurlauben, nimmt Abschied von seiner Familie – entzieht sich damit auch endlich dem Einfluss seines Vaters – und zieht mit Dora nach Berlin.

Die Entscheidung, Kafka in Dora quasi nur noch als Sterbenden zu zeigen, bewirkt, dass diese Folge teilweise sehr schwer anzusehen ist. Kafka und Dora werden praktisch nur im Kontext des drohenden Todes miteinander gezeigt. Ich weiß nicht, ob das in den Tatsachen begründet liegt – im Juni wird ein Film namens Die Herrlichkeit des Lebens in die Kinos kommen, der sich ausschließlich dieser Beziehung widmet, wo die beiden noch mehr miteinander erleben – oder ob Schalko das Gewicht auf die Symbolik legen wollte, was Dora für Kafka ist. Sie ersetzt auch ein bisschen Max Brod als denjenigen, der sich vollumfänglich um Kafka sorgt.

Wie es der blinde Oskar Baum bei einem Treffen der Verbliebenen des Prager Kreises sagt, die Krankheit habe Kafka das gebracht, was er immer wollte: “Eine Frau, die ganz für ihn da ist und voller Liebe und doch nichts von ihm verlangt, was er nicht geben möchte.” Darauf Felix Welten: “Willst du damit sagen, die Krankheit hat Vorteile?” Baum: “Sie hätte Vorteile. Krank sein hat immer Vorteile, wenn man nur nicht krank wäre.” Baum betont, dass es ihm mit seiner Blindheit auch so ginge- Blindsein wäre großartig, könnte man dabei sehen.

Dora und Kafka ziehen dann nach Kierling um, wo Kafka in ein Sanatorium verlegt wird. Milena kommt ihn noch einmal besuchen; ihr schenkt Kafka seine Tagebücher und sagt ihr, sie kann damit machen was sie will. Die Tagebücher werden später veröffentlicht. Dora wiederum übergibt Kafka seine letzten Notizen und Texte, mit der Bitte sie zu verbrennen, was Dora allerdings nicht macht. Diese werden ihr von der Gestapo – Dora heiratete später einen Kommunisten – abgenommen und liegen bis heute unter Verschluss im Bundesarchiv in Berlin.

Am Ende stirbt Kafka und unser Erzähler sagt uns, mit Anspielung darauf, dass er nie wusste, wie er zu erzählen beginnen soll: “Egal wie man anfängt, so hört es auf.” Eine wirklich fabelhafte Serie! Bitte mehr davon Herr Schalko und Herr Kehlmann. Schnitzler würde ich zum Beispiel auch gerne sehen – dieser kommt in Kafka nur in einer ganz kurzen Szene vor.

Kafka – die Frauen, Milena

Die Folge Milena ist die poetische und romantische Folge der Serie. Es ist quasi eine Folge in Echtzeit, wir sehen einen Spaziergang von Kafka und Milena im Wienerwald, es kommen in der ganzen Folge praktisch nur diese beiden Figuren vor, und ihre Gespräche, Zärtlichkeiten, aber auch tiefgehende Konflikte.

Milena nennt Kafka “Frank” und erzählt von sich, dass sie schon mal etwas stiehlt, wenn es sich ergibt, dass es ihre Lebensaufgabe wäre, ihren Vater zu enttäuschen, dass sie auch schon einmal versucht habe, sich zu töten. Als Kafka darauf entsetzt reagiert, entgegnet sie, dass das doch jeder einmal wolle. Milena sagt, man könne nur produktiv sein, so lange man jung ist.

Milena: “Sobald einem der Schmerz nicht mehr endlos vorkommt, bleibt man stehen und lebt vom Ersparten.”

Kafka: “So schlimm war Ihre Jugend?”

Milena: “So schön war sie!”

Kafka – Folge Milena

Sie essen im einem Gasthaus, wo es die beste Leberknödelsuppe überhaupt gibt und dann liegen sie in der Wiese, wo sie sich gegenseitig vorlesen. Danach geht es darum, wann Kafka zu Milena nach Wien kommt, um sie quasi abzuholen. Sie möchte sich von ihrem untreuen Mann trennen und mit ihm zusammen zu sein. Bei der Planung dieser Aktion verliert sich Kafka in Ausflüchte, an dem einen Tag kann er nicht kommen, da hat er eine Dienstreise und an dem anderen Tag muss er auch arbeiten, und am Wochenende gehen die Züge zu ungünstigen Zeiten; umständlich erklärt er Milena dabei den Zugfahrplan.

Milena wird wütend und schreit Kafka an, dass er sich ständig als Opfer stilisiert, dass er sich klein und schwach und unbedeutend gibt und alle, sein Freunde, seine Schwestern, seine Frauen fragen sich ständig, wie man dem armen Franz helfen kann. Sogar in einen Käfer verwandle er sich, sagt Milena, damit man ihn in Ruhe lässt und zu nichts zwingt. Sie wirft ihm absolute Kompromisslosigkeit vor, er schreibe ja nicht einmal seine Texte fertig – Kompromisse seien für andere, nicht für den großen Franz Kafka. Nur eine Macht gäbe es, der sich Kafka beugt, sagt Milena: “Dem beschissenen Zugfahrplan!”

Kafka muss grinsen, aber es wird klar, dass es auch mit Milena keine Zukunft geben kann, Kafka ist nicht bereit dafür. Die Bontempi-Orgel setzt ein, die diese ganze Folge untermalt, sie soll die naive Vorstellung eines unbeschwerten Nachmittags voller Glück und Sorglosigkeit vermitteln, aber irgendwann wird es kühler und die Sonne verschwindet und der Nachmittag ist zuende und damit in gewisser Weise auch alles was war, und eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Die Musik der Bontempi-Orgel wirkt nun wie ein parodistischer Nachhall – die große Liebe gibt es für Kafka nur für kurze Momente.

Kafka – die Frauen, Felice

Kafka lernt Felice Bauer über seinen Freund Max Brod kennen. Sie ist eine selbst- und bodenständige Frau, die ihn vor allem auf intellektueller Ebene herausfordert und fasziniert. Sie sagt von sich selbst, dass sie nicht gerne isst und Zionistin ist, worauf Kafka sagt, das sei er auch – “glaube ich”. Felice spricht Kafka auf Hebräisch an, daraufhin antwortet er ebenfalls auf Hebräisch: “Von allen Sprachen, die ich nicht beherrsche, ist Hebräisch die Schönste.” Nach dieser ersten Begegnung schreibt Kafka Felice viele Briefe, die Felice begeistert liest und einmal in die Kamera sagt: “Es sind schon sehr schöne Briefe”.

Felice verhält sich aber auch bestenfalls gedankenlos, eventuell aber auch absichtlich verletztend. Kafka schickt ihr sein neues Buch und als sie sich wiedertreffen, fragt er gespannt, wie ihr dieser Text gefallen habe. Felice sagt daraufhin, sie sei noch nicht dazugekommen, sie lese gerade Arthur Schnitzler: “Ich mag ihn sehr!” Das trifft Kafka merklich, er macht eine abfällige Bemerkung über Schnitzler (“Widerlich. Man kann ihn nicht tief genug hinterstoßen.”). Man kann also sogar ein Franz Kafka sein und literarisch quasi zurückgewiesen werden.

Kafka verlobt sich mit Felice, zögert aber eine mögliche Hochzeit hinaus. Einmal wird er von ihr und zwei Freundinnen im Hinterzimmer eines Hotels befragt, warum er sich vor dieser Verpflichtung drückt und hier schafft Schalko den Kunstgriff, dass er den Erzähler sagen lässt: “Sie rufen jetzt vielleicht, dass das nicht so abgelaufen sein kann. Das ist ja wie — aus einem Kafka Roman. Wenn Sie das sagen, kann ich nur antworten: Denken Sie bitte kurz nach warum.” Kafka und Felice treffen sich dann noch einmal in einem Hotel und Kafka nutzt die Zeit ausschließlich, um Felice aus einem neuen Text vorzulesen. Vielleicht die Rache für die Schnitzler-Aussage? Jedenfalls wird die Verlobung dann gelöst.

Kafka – Max

Die erste Folge von Kafka, die den Titel Max trägt, ist die heiterste. Es ist die Folge, in der Kafka (Joel Basman) tatsächlich noch recht viel lacht.

Es geht in dieser Folge vor allem um Kafkas Freundschaft zu Max Brod und dem Prager Kreis, noch zwei weiteren Schriftstellern, Felix Weltsch und Oskar Baum, der blind ist. Alle sind Juden. Max Brod wird Kafkas engster Freund und sowas wie sein Literaturagent. Heute würde man es Manager nennen. Immer wenn Brod (gespielt von David Kross) die Szenerie betrifft, freue ich mich, er wird schnell meine Lieblingsfigur; er hat viel Charisma und ist mir einfach total sympathisch – auch wenn er genau genommen ein Strizzi ist. Brod nimmt das Leben leicht, er ist ein Boheme, hat zahlreiche Freundinnen (“Ich bin eben in jede verliebt”), trinkt und isst mit Begeisterung, er schreibt gern und viel, er veröffentlicht auch das meiste davon. Während Kafka nach dem Motto arbeitet, dass nichts gut genug ist, sagt Brod, seine eigenen Werke sind eben “gut genug”. Das mag auch ein Grund für diese Freundschaft sein, Brod ist quasi alles, was der schwermütige Kafka nicht ist, er vermittelt ihm immer auch etwas von seiner Lebenslust und reißt ihn mit.

Es gibt so viele tolle Szenen in dieser Folge. Der Prager Kreis trifft sich zum Beispiel in einem Lokal und sie lesen sich gegenseitig ihre Texte vor. Kafka liest: “Wir kamen mit guter Schnelligkeit immer weiter in das Innere einer großen, aber noch unfertigen Gegend, in der es Abend war.” Felix Weltsch fragt daraufhin: “Unfertige Gegend? Bist du dir sicher? Oskar Baum sagt: “Ich verstehe es nicht, aber es ist gut. Was sagst du Max?” Und Brod: “Ich glaube ich habe noch nie was besseres gehört.” Alle lachen. Aber Brod meint es ernst. Er ist komplett überzeugt vom Talent Kafkas. Ein anderes Mal trifft sich Brod mit Verlagsmenschen von Rowohlt und schwärmt von Kafka, er sei “der größte Schriftsteller der Welt”. Der eine Verlagsmensch fragt ihn darauf nach Werken von Kafka, worauf Brod zugeben muss, dass Kafka noch nichts veröffentlicht hat.

Eine Szene spielt quasi in der Zukunft und der schon ältere Max Brod wird von einem Interviewer bezüglich Kafkas Nachlass, den Brod verwaltet und herausgegeben hat, gefragt, warum er, Brod, manche Passagen gestrichen hat. Danach sehen wir eine Szene, in der Brod und Kafka das Prager Original Toni Pachinger (Robert Palfrader) besuchen, der von seinen Eroberungen schwärmt, Nacktbilder herumreicht und generell geht es relativ derb zu. Palfrader in einer typischen Rampensau-Rolle. Danach beugt sich Brod zur Kamera, bricht die vierte Wand und sagt den Zusehern: “Das muss ich doch streichen, das versteht sich doch von selbst, dass von so einem Abend niemand erfahren darf”. Was ja doppelt lustig ist, weil wir die Szene ja eben trotzdem gesehen haben und wissen, was gestrichen worden ist.

Am Ende der Folge fragt der Interviewer Brod, was ihm – dem eher mittelmäßigen Schriftsteller ohne jede literaturwissenschaftliche Ausbildung – das Recht gäbe, der Herausgeber von Kafkas Gesamtwerk zu sein. Da sagt Brod: “Er war mein bester Freund.” Und das zeigt die Serie auch. So leichtlebig Brod sein kann, so sehr ist er bis zum Schluss an Kafkas Seite und nimmt auf der Flucht einen extra Koffer mit, nur um Kafkas Nachlass transportieren zu können. Ohne ihn hätten wir viele von Kafkas Texten nie kennengelernt.

Kafka – die Serie

Auf ORF hatte jetzt die neue Miniserie Kafka von David Schalko Premiere.

Ich habe davor ein Interview mit Schalko gelesen, in dem er sagte, er wolle mit dieser Arbeit gegen das Klischeebild von Kafka ankämpfen. Meine erste Reaktion darauf war: Na genau! Ich glaubte ihm kein Wort. Warum? Ich war vor Jahren gefühlt die Einzige, die die Serie Braunschlag furchtbar fand, während sonst jeder begeistert war. Und zwar deshalb, weil es für mich in dieser Serie keine Protagonisten, sondern nur Klischeefiguren gab. Und nun sollte derselbe Schalko also eine Kafka-Serie ohne Klischees inszenieren? Ich war sehr skeptisch. Und: Ich habe jetzt alle sechs Folgen gesehen und bin hin und weg von Kafka! Leider verhält es sich damit ein bisschen umgekehrt zu Braunschlag, ich bin naja, nicht die Einzige, aber sehr viel Publikumszuspruch gab es wohl nicht. Deshalb werde ich jetzt hier ausführlicher bloggen, damit David Schalkos nächste Serie nicht wieder sowas wir Braunschlag wird. Harhar.

Also Kafka ist, wie erwähnt, in sechs Folgen aufgeteilt. Die Folgen sind zwar halbwegs chronologisch angeordnet, ab dem 23. Oktober 1902, dem Tag, an dem Kafka Max Brod kennenlernt, sie sind aber auch thematisch gegliedert. Das bedeutet, es gibt eine Folge über seine Freunde, den Prager Kreis um Max Brod, die Max heißt, es gibt eine Folge Familie – die wohl deprimierendste Folge der ganzen Serie mit Nicolas Ofczarek, der den wirklich sehr schrecklichen Vater von Kafka spielt . Es gibt eine Folge Bureau, die sich vor allem Kafkas Tätigkeit in einer Versicherungsanstalt widmet. Und es gibt drei Folgen über Frauen, mit denen Kafka eine Beziehung hatte (man kennt sie wohl aus den Briefen, die Kafka an sie geschrieben hat) Felice, Milena und Dora. Dora ist die letzte Folge, in der Kafka auch stirbt.

Erzählt wird von einer allwissenden Erzählfigur, die sich aber ständig hinterfragt, was sie da eigentlich erzählt – “Nein, man muss anders anfangen”, heißt es in jeder Folge. Und das finde ich genial , denn es weist die Zuseher daraufhin, dass man jede Geschichte auch komplett anders beginnen und erzählen kann; dass man an einem anderen Ausgangspunkt starten, dass man verschiedene Aspekte unterschiedlich gewichten kann, jede Geschichte auch Dinge nicht erzählt (bewusste oder unbewusste Leerstellen) und, dass ein Erzähler, auch wenn er vorgibt alles zu wissen, selbst mit einem Hintergrund ausgestattet ist, mit einer Perspektive und Ansichten.

Die Serie ist auch filmtechnisch extrem reizvoll gemacht. Jede Folge hat einen anderen Charakter: In Bureau spricht Kafka zum Beispiel ganz anders, viel “amtlicher” und “bürokratischer”, die Szenerie ist sachlicher. In Familie experimentiert Schalko, er hüllt die Wohnung der Kafkas in dunkles Blau und lässt das Licht rot strahlen als Kafka mit seinem Vater zusammentrifft; außerdem erscheint Kafka oder ein Kafka Alter Ego auch einmal als das Ungeziefer, wie er es in der Erzählung “Die Verwandlung” beschrieben hat und was dann damit passiert ist ziemlich gruselig. In der Folge Milena sieht man ausschließlich Kafka und eben Milena im Wienerwald spazierengehen und reden, streiten, flirten, so ein richtiges Beziehungsdrama durchleben. In der letzte Folge, Dora, wird das Sanatorium, das Kafka besucht, mit dem Schloss aus der gleichnamigen Erzählung quasi zu einem einzigen Ort – wie in einem mystischen Fiebertraum. Es gibt Zwischentitel mit Zitaten aus Kafkas Werken, die vierte Wand wird ab und zu sehr pointiert durchbrochen, es gibt spannende Kameraperspektiven, der Einsatz der Musik ist fabelhaft…

Also man merkt, ich bin begeistert. Zu den einzelnen Folgen dann bald.

Chucks

Das Kind muss einige Bücher im Deutschunterricht lesen und ich bin neugierig und lese quasi mit. Das erste Buch ist Chucks von Cornelia Travnicek.

Was soll ich sagen? Dieses Buch ist das literarische Pendant zum Doomscrolling. Oder old school ausgedrückt: die junge Protagonistin Mae ist so etwas wie ein Hiob der Gegenwart. Was ihr alles widerfährt (Achtung Spoiler): Krebserkrankung des Bruders, Scheidung der Eltern, Entfremdung von der Mutter, Drogensucht, Vorstrafe wegen Körperverletzung, der Lebenspartner ist an Aids erkrankt.

Eine praktische Frage, ich bin mir nicht ganz sicher, wann der Roman zeitlich genau angesiedelt ist, sicher aber nach dem Jahr 2003 (da gibt es einen Hinweis im Buch). Ich bin keine Medizinerin, aber der Krankheitsverlauf einer HIV-Infektion, den Travnicek in ihrem Roman schildert, erscheint mir eher in die 1980er Jahre zu passen, wo es noch kaum Therapiemöglichkeiten gab und eine HIV-Infektion quasi ein Todesurteil war. Ich mag mich irren, aber ich glaube (und hoffe), dass das in den 2000er Jahren so nicht mehr der Fall war bzw. ist, auch die Homepage der Aids Hilfe Wien bestärkt diesen Eindruck.

Ich denke etwas wehmütig an die 1980er Jahren zurück, in denen ich literarisch sozialisiert wurde und an Christine Nöstlinger. Auch bei ihr war nicht alles in Ordnung, auch bei ihr gab es Beziehungskrisen und Krankheiten und Mobbing und Depressionen, aber wenn ich von Christine Nöstlinger (und meinem Opa) eines gelernt habe, dann, dass das Leben leichter wird, wenn man es mit Humor nimmt, so gut wie möglich. Nöstlingers Bücher waren immer auch sehr lebensbejahend und ich finde es wichtig, das Jugendlichen mitzugeben.

Bei Cornelia Travnicek lerne ich nur, dass eigentlich alles Orsch ist. Mich hätte das mit 16 Jahren nicht angesprochen, aber ich bin zugegebenerweise auch nicht die Zielgruppe.

American Fiction/Erasure

Dieses Jahr wurden zehn Filme in der Oscar-Kategorie “Bester Film” nominiert. Ich habe fast alle davon gesehen. Einer davon, American Fiction, hat mich thematisch sehr interessiert, es war aber kein Starttermin in Österreich in Sicht. Also habe ich mir gedacht, ich zäume das Pferd von hinten auf und lese zuerst das Buch. Nachdem es die deutsche Version schwer verfügbar war, habe ich mir das Original bestellt.

Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich es nicht auf Deutsch gelesen habe, weil die Sprache in diesem Buch eine sehr wichtige Rolle spielt. Diese Woche wurde der Film still und heimlich auf Amazon Prime veröffentlicht und jetzt kann ich also ein paar Dinge dazu schreiben, nämlich auch zur Beziehung zwischen Buch und Film. Erasure ist im Gegensatz zu Die geheime Geschichte, von der ich kürzlich schrieb, überhaupt kein Buch, das dazu einlädt, es zu verfilmen. Es ist eher eine Collage, bestehend aus Zitaten, Gesprächsfetzen, einem Roman im Roman etc. Deshalb Hut ab für Cord Jefferson, der das Drehbuch schrieb und auch Regie führte.

Die Hauptfigur in American Fiction ist Literaturprofessor und Schriftsteller Thelonius Ellison (Jeffrey Wright), genannt “Monk”; ein Mann in den besten Jahren quasi und er ist schwarz. Er lebt alleine an der Westküste, muss aber nach Boston, um nach seiner Mutter zu sehen, die an Alzheimer erkrankt ist. Monk hat einen eben erst als homosexuell geouteten Bruder, Cliff (schrill: Sterling K. Brown) und die Schwester Lisa, beide Ärzte. Monk schreibt sehr intellektuelle Bücher – etwa jüngst über Aischylos – die niemand lesen will. Auf einer Buchmesse in Boston kommt ihm das Buch We’s Lives In Da Ghetto (sic!) unter, das Buch einer schwarzen Autorin, das große Erfolge feiert. Sie wird als “neue schwarze Stimme Amerikas” bejubelt. Monk ist von diesem Buch angewidert, da es nur schwarze Stereotypen reproduziert, das Leben der Romanfiguren besteht ausschließlich aus Drogen, Gefängnis, unerwünschten Schwangerschaften, Armut und Gewalt. Außerdem strotzt es vor bewussten Rechtsschreibfehlern, um es “authentischer” zu machen. Monk setzt sich hin und schreibt aus Jux einen Roman in einem ähnlichen Duktus, dass er My pafology nennt (ursprünglich “My pathology”, aber er schreibt es absichtlich falsch). Sein Literaturagent lacht ihn aus, bis ihnen ein Verlag 750.000 Dollar für das Manuskript bietet…

Wenn es um den Literaturbetrieb geht, ist das Buch und auch der Film sehr witzig. Monk versteht die Welt nicht mehr, dass er mit seinem satirischen Text nicht nur für voll genommen wird, sondern ein unglaubliches Honorar geboten bekommt. Er ist nun in der Zwickmühle. Kein Autor wird Autor, weil er reich werden möchte – da gibt es erfolgversprechendere Wege – sondern weil er sich mitteilen will, wie er sich nur schreibend mitteilen kann. Weil er das, was in seinem Kopf ist, irgendwie zu Papier bringen muss, vielleicht auch, weil er verstanden und erkannt werden möchte, weil er damit sein eigenes Leben aufarbeitet. Er möchte dabei sein bestes geben. Andererseits braucht Monk das Geld dringend, weil er seine Mutter in einem Pflegeheim unterbringen muss. Also legt er sich für diesen Roman ein Pseudonym zu. Die Szenen, in denen er mit weißen Autoren diskutiert, die My pafology lieben, während er es in der Luft zerreißt sind sehr amüsant. Ebenso eine Szene mit seinem Agenten, in der dieser ihm drei verschiedenen Sorten einer Whiskeymarke präsentiert und Monk fragt: “Verstehst du die Metapher?” Monk: “Nein.” Harhar. Es geht grob gesagt darum, dass auch billiger Alkohol betrunken macht.

Die privaten Momente von Monk sind melancholisch. Im Alltagsleben kann er sich nicht so gut mitteilen. Er tut sich schwer, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten. Auf seiner Familie lastet quasi “generational trauma” und ein schlecht gehütetes Geheimnis. Dass die Familie schwarz ist, spielt dabei eine gewisse, aber eher untergeordnete Rolle. Muss es eine Rolle spielen? Will Monk die tatsächliche Geschichte seiner Familie erzählen? Könnte er das, eine wirklich schwarze Stimme sein? Will er das überhaupt? Ist seine Perspektive “schwarz”? Diese und ähnliche komplexe Themen deuten sich an. Der Film geht über das Buchende hinaus, in dem er es quasi persifliert. Das ist genial gemacht.

Ich kann Buch und Film nur empfehlen, wenn man beides vergleichen möchte, dann sollte man hier unbedingt das Buch zuerst lesen.

Disclaimer: Ich weiß nicht, ob “schwarz” und “weiß” politisch korrekt ist, ich habe diese Formulierungen aber aufgrund der einfacheren Lesbarkeit gewählt.