almis personal blog

22 Bahnen

Der Roman 22 Bahnen der deutschen Autorin Caroline Wahl wurde 2023 medial enorm gefeiert, ich habe von einigen Menschen sehr positives darüber gehört und auf Amazon gibt es hunderte begeisterte Leserrezensionen. Ich glaube, da ist es ok, wenn ich sage: Das Buch hat mir jetzt gar nicht einmal so gut gefallen. Aber wie Philipp Tingler bei den TDDL sagte, Literaturkritik muss mehr leisten als die eigene Befindlichkeit über einen Text zum Ausdruck zu bringen und so möchte ich das hier versuchen.

22 Bahnen handelt von der jungen Frau Tilda, einer Mathematikstudentin und ihrer zehnjährigen Schwester Ida. Tilda ist die Ersatzmutter von Ida, da die wirkliche Mutter schwer alkohlkrank ist und sich nicht nur nicht um ihr Kind kümmert, sie gefährdet ihre kleinere Tochter auch mit ihrem mitunter aggressivem Verhalten und ist, qua Sucht, generell ziemlich verantwortungslos: Stichwort Topf auf dem eingeschalteten Herd vergessen. Tilda, die nebenbei an der Supermarktkassa arbeitet und zum Frustabbau Schwimmen geht (22 Bahnen!) sorgt dafür, dass Ida überlebt. Nebenbei gibt es noch den Russen Viktor, der Tilda interessiert und seine eigene tragische Lebensgeschichte im Gepäck hat…

Also erstmal: Das ist mir einfach too much. One tragic event at a time! Harhar. Ich finde, es wird auch zu beliebig, wenn man parallel mit mehreren Personen mitfühlen soll. Zumal das Zentrum der Tragödie, die suchtkranke Mutter, für sich schon nicht besonders gut ausgearbeitet ist. Es werden eine Menge an Alkohliker-Klischees abgearbeitet, die auch Menschen geläufig sind, die mit Alkoholismus noch wenig in Berührung gekommen sind, und das macht mich misstrauisch, weil die Autorin, die sich eines solch großes Themas annimmt, mehr darüber wissen sollte als ich. Es fehlt außerdem die ganze Hintergrundgeschichte. Wieso hat sich das alles so entwickelt? Was für ein Mensch ist diese Mutter? Warum hat sie diese Wahl getroffen? Ich verstehe zwar, dass Tilda sie auf gewisse Weise hasst, aber auch das ist mir zu eindimensional. Es ist für mich immer wesentlich interessanter, wenn Texte die Ambivalenz einer Situation wiedergeben und nicht nur auf die offensichtlichen Reflexe rekurrieren.

Die Beziehung der beiden Schwestern zueinander ist für mich das Kernelement des Romans und der Teil, der noch am besten funktioniert. Allerdings gibt es auch da die typischen Coming of Age Roman Tropen: Das kleine, künstlerisch-begabte, altkluge Mädchen hier, die wilde, emotional beschädigte, aber kämpferische, junge Frau dort. Und dann schauen sie sich auch noch gemeinsam Die Tribute von Panem an, was – minus der Abstraktionsebene – ein direktes Vorbild für 22 Bahnen zu sein scheint. Viktor wiederum ist (natürlich, Russe, er hat die ganze Dostojewski Schwere im Rücken!) emotional unzugänglich, wenn es darauf ankommt aber dann doch auch warmherzig und pragmatisch-anteilnehmend, und das ist mir einfach auch zu sehr Retter-in-der-Not und Märchenprinz. Das würde ich zumindest ein bisschen ironisieren, wäre ich die Autorin.

Auch auf sprachlicher Ebene konnte ich persönlich nicht anknüpfen, es ist halt recht flapsig-rotzig geschrieben und dafür bin ich zu alt. Ziemlich gut hat mir aber ein erzählerischer Kniff gefallen, bei dem immer aufgezählt wird, was vor Tilda so am Supermarktkassenband liegt und wie Tilda die Produkte analysiert und auf die Person rückschließt, die diese Sachen eben gerade gekauft hat. Das hatte für mich mehr Tiefgang als praktisch alles andere in diesem Roman. Schließlich kam mir der Gedanke, dass 22 Bahnen im Grunde ein okayes Jugendbuch wäre oder ist, das einfach über Gebühr zur Offenbarung der neuen deutschen Literaturszene hochgejazzt wurde und dem dieser Ballast, meiner Meinung nach, nicht guttut.

Und ja, that’s it. Bin jetzt auf den Film gespannt.

Teamchefs

Stell dir vor, du bist 20 Jahre Red Bull Team Teamchef, hast sechs Konstrukteurs- und acht Fahrertitel gewonnen, dein Team hat 124 Rennsiege zu Buche stehen, du warst der Boss von Sebastian Vettel und Max Verstappen, die mit deinem Team mehrfach Weltmeister wurden etcetera und der Hollywood Reporter macht nach deiner doch ziemlich überraschenden Kündigung das daraus:

Also 1) Ehemann, 2) Star einer Dokuserie, 3) Beiläufige Erwährung deines eigentlichen Jobs. Ich frage mich, ist das ironisch gemeint, so auf die Art, deine Frau ist trotzdem der Weltstar oder ist das die Aufzählung in absteigender Form, nach den Komponenten, für die Horner eben bei einem US-amerikanischen Publikum bekannt ist?

Eine Freundin schrieb mir dann: “Ich mochte den eh nie. Und du?” Es kommt selten vor, aber ich hab da echt keine Meinung. Harhar.

Ich mag als Teamchef Toto Wolff gern, der jedesmal zwei Stunden extrem stoisch das jeweilige Rennen verfolgt, egal was passiert. Manchmal zuckt er aber auch aus und schmeißt sein Headset auf den Boden, vor Wut. Und ich mag sein Englisch mit diesem echt breiten Wienerisch drinnen. Hab mal zum Kind gesagt, dass Wolff genauso Englisch spricht wie ich, also vom Akzent her, und das Kind darauf: “Der spricht schlechter als du!”, harhar na dann.

Bond?

Hier kommt er, der Blogeintrag quasi ohne Expertise, harhar.

Einige Menschen haben mich auf den neuen Bond Regisseur Denis Villeneuve angesprochen und was ich dazu sage. Die Nerds feiern das ja ziemlich.

Also ich fühle mich jetzt ehrlich gesagt nicht als James Bond Kenner. Ich habe schon recht viele Bonds gesehen, einige aber auch komplett auf Autopilot, weil ich der Handlung nicht folgen konnte und/oder sie mir wurscht war. Von Denis Villeneuve kenne ich nicht allzuviel, das was ich kenne, ist aber ziemlich gut. Ich würde sagen, er ist ein Suspense Regisseur mit Arthouse Schlagseite. Das heißt, er inszeniert schon gewaltvolle Filme, aber mit echt schönen, fast romantischen Bildern und oft auch nachdenklich, differenziert gezeichneten Protagonisten, also er bricht ein bisschen das Genre, wenn man so will.

Im FM4 Filmpodcast meinte Pia Reiser, das werden keine lustigen Bonds werden. Ich hoffe aber, es wird auch nicht so dröge (ein Wort, das ich eigentlich nicht in meinem aktiven Wortschatz habe) wie Skyfall, den ja viele für besten Bond aller Zeiten halten. Ich fand aber wirklich jeden anderen Daniel Craig Bond besser, sogar den schon im Titel sperrigen Quantum of Solace, weil Skyfall war (für mich) soo bemüht ernsthaft und auch so hoffnungslos-depressiv, absolut ohne (Selbst)ironie; das ist Bond als Charakter für mich jetzt auch nicht.

Anyway, noch gibt es ja weder ein Buch, noch einen Hauptdarsteller, harhar. Und da haben Pia Reiser und Christian Fuchs überlegt, wer es denn werden könnte und Pia Reiser so: “Ich wäre für Josh O’Connor, weil der halt auch irgendwie so eine, ich nenne es mal deppert, Softness hat und so ein anderer Männertyp irgendwie ist.” Ja, ja, ja, sage ich dazu nur. Einerseits. Anderseits würde ich lieber noch mehr Josh O’Connor Indiefilme, unter anderem von Alice Rohrwacher sehen, als ihn jahrelang von der Bond Franchise verschluckt wissen. Ich glaube aber eh, dass er nicht mehr im Rennen ist, vielleicht auch, weil er nicht will.

Wir werden sehen.

Menschlich?

Heute in der Früh hab ich mich fast am Kaffee verschluckt, als ich zum Frühstück las, dass die FDP Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit erhalten hat.

Strack-Zimmermann, die permanent für Aufrüstung und Waffenlieferungen trommelt und zu Neuausrichtung der Bundeswehr und in Bezug auf Russland sagt: „Was wir brauchen – das mag martialisch klingen – Sie brauchen, um aus Sicht der Bundeswehr zu agieren, ein Feindbild.” (zitiert nach ihrer Wikipedia Seite)

Also Menschlichkeit habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Das hat schon einiges von 1984.

Es hat mich auch an ein Interview (leider hinter Schloss) von Harald Schmidt mit der ZEIT von vor zwei Jahren erinnert, indem er über die, sagen wir mal, oft fragwürdige Vergabe von Auszeichnungen und Preisen spricht. Er selbst hat ja vor vielen Jahren ebenfalls den Grimmepreis erhalten.

Dazu sagt er über 20 Jahre später:

Es tut mir heute weh, daran zu denken, mit welchem Stolz ich den Preis damals nach Hause getragen habe. Der Fernsehdirektor vom WDR hatte recht – als ich ihm von meiner Nominierung erzählt habe, sagte er zu mir: Da musst du dir überlegen, was du falsch gemacht hast.

Aus: “Haltung zeigen kostet gar nichts. Null” – Interview in der ZEIT Nr. 37/2023

Harhar, ja sagt irgendwie alles.

TDDL 25, drei

Am heutigen Tag waren alle vier Texte lesenswert, meiner Ansicht nach.

Es gab wieder einen netten Juryschlagabtausch über Daughter Issues, den Thomas Strässle vorgeschlagen hat und über den Klaus Kastberger gar sagte “Das ist ein Siegertext”.

Strässle: Ich war eigentlich darauf vorbereitet, dass ich diesen Text hier verteidigen muss, jetzt muss ich meine Strategie ein bisschen ändern.

Tingler: Sie können ja mich erstmal noch reden lassen.

Strässle: Dann soll mal Tingler hier seine Vorbehalte anbringen.

Tingler: Herr Tingler äußert seine Vorbehalte.

Meine zwei Lieblingstexte des ganzen Bewerbs sind aber Kindheitsbenzin von Boris Schumatsky und Fast eine Geschichte von Almut Tina Schmidt. Wobei diese beiden Texte an sich ziemlich unterschiedlich sind.

Schmidt schildert im Prinzip in Alltagssprache das Leben in einem Mietshaus und es passiert, siehe Titel eigentlich gar nichts. Aber wie Schmidt die Beziehungen der Bewohner porträtiert, wie man die anderen Mieter eben auch so mehr oder weniger kennt, welche Allianzen geschlossen (und wieder aufgelöst) werden, dass man zwar sehr nahe wohnt, aber nur Ausschnitte aus dem Leben der anderen beobachtet, wie man im Endeffekt ähnliche Leben führt (Hochzeit/Kinder/Scheidung/Krankheit), ähnlich scheitert, sich begegnet und wieder zurückzieht, das gelingt ihr, finde ich, hervorragend. Außerdem gibt es in diesem Text den grandiosen Satz: “Sibylle trug eine Frisur, die ich noch nie an irgendjemand gesehen hatte.” Schon sehr schön.

Schumatsky hat, wenn man so will, das staatstragendere Thema, im wahrsten Sinn des Wortes, als russischer Schriftsteller in Berlin, dessen betagte Mutter noch in Moskau ist und er immer überlegt, ob er zu ihr fliegen soll, was ein gewisses Risiko für ihn bedeuten würde, oder stattdessen einfach darüber schreibt, dass er zu ihr fliegt. Das ist alles sehr poetisch, von vielen Reflexionen über die (Mutter)sprache begleitet, auch über das Schreiben: “Ich schreibe deutsche Prosa, in die ich meine Wahrheit übersetze oder scheitere”, heißt es einmal. Oder auch. “Meine Mutter spricht eine Sprache, die Angst vor ihren eigenen Wörtern hat.” Und einmal, fast lakonisch: “In Moskau war Tauwetter, kein politisches, überall lag noch Schnee”.

Morgen ist dann die Preisverleihung.

TDDL 25, zwei

Beim Text Die Jäger von Chitwan von Verena Stauffer hab ich mir gedacht, ich verstehe die Geschichte irgendwie überhaupt nicht. Etwas peinlich, aber kann ja mal passieren. Gott sei Dank bin ich keine Jurorin.

Umso witziger war es, dass Juror Philipp Tingler zu Klaus Kastberger, der die Autorin eingeladen hat, gesagt hat: Ich möchte eine schlichte Frage stellen. Worum geht’s? Harhar

Kastberger daraufhin: Heiner Müller hat einmal gesagt, wenn ich Welt-Unterrichtsminister wäre, würde ich die eine Frage verbieten lassen und zwar die Frage “Was will der Text uns sagen?”

Daraufhin entspann sich eine halbwegs hitzige Diskussion zwischen den Juroren, in der Jurorin Brigitte Schwens-Harrant den schönen Satz sagte: “Ich habe nichts gegen Sätze.” Man einigte sich darauf, dass dieser Text eine Diskursfläche im Elfriede Jelinek’schen Sinne ist.

Am Ende dann wieder Philipp Tingler: Ich möchte fürs Protokoll festhalten, vielleicht ist das eine altmodische, aber meine unumstößliche Überzeugung, dass sich ein literarischer Text die Frage gefallen lassen muss, “Worum geht es?”

Thomas Strässle: Wenn man eine Lehre ziehen will, alles hängt mit allem zusammen und alles kann in alles umschlagen.

Tingler: Aber wussten wir das nicht schon vorher?

Strässle: Wir ahnten es.

Harhar, das ist meine Art von Diskussion, ich finde das höchst amüsant. Und ja, ich bin da auch altmodisch.

TDDL 25, eins

Die Bachmannpreisträgerin von 2021 Nava Ebrahimi hat gestern mit dem Text Drei Tage im Mai den heurigen Bewerb, die Tage der deutschsprachigen Literatur, eröffnet, und ich hab mit dem Text so viele Probleme – ein nicht ganz unerhebliches davon ist, dass der Text sich überhaupt nicht mit Literatur beschäftigt – dass ich das mal gesondert behandeln muss.

Kommen wir stattdessen zur allseits beliebten Bachmannpreis Bingo Karte dieses Jahres:

Sehr hübsch wieder, ich bin auch immer neidisch auf Mara Delius wegen des Colas harhar, und diesen Punkt kann man tatsächlich schon abhaken.

Was ich bei dieser Bingokarte noch ergänzt hätte, wäre “Prätentiöses Vorstellungsvideo einer Autorin/ eines Autors”. Hätte man heute auch bereits (mehrfach) gehabt. Mir ist schon klar, jede und jeder möchte sich von seiner besten Seite zeigen und in die fünf Minuten alles reinpacken, aber es ist halt oft einfach viel zu gewollt und anstrengend.

Am heutigen ersten Lesetag wurde gleich bei der ersten Autorin Fatima Khan darüber reflektiert, was man bei Literatur in Briefform bedenken muss. Sowas ist ja immer so eine Art Germanistikseminar (in humorvoll) und ich liebe das natürlich total. Hier ging es darum, dass man einen Brief an jemandem schreibt und nicht über jemanden. Sprich: Wenn man den Lesern etwas erzählen will und diese Informationen in den Brief hineinpackt, der Adressat diese Informationen aber schon hat. In dem Fall ging es um Aspekte des islamischen Glaubens, die man den Lesern näherbringen will, nachdem der Vater (als Adressat) aber ein Islamwissenschafter ist, muss man diese ihm ja nicht erklären – was die Autorin aber teilweise gemacht hat.

Es fielen aber auch schöne Sätze wie “Ich bin in einem salzarmen Haushalt großgeworden” und “Über eine Familie wie unsere werden normalerweise keine Bücher geschrieben.” Oder nachdenkenswert, die Protagonistin ist Kunsthistorikerin: “Erinnerung ist eine Form von Architektur”.

Replik von Juror Klaus Kastberger: “Ich hätte mir in diesem Text mehr Sichtbeton gewünscht” harhar schön.

Über Mahmood

Nachdem jetzt der italienische Sänger Mahmood mit Sarah Jessica Parker Werbung für Zalando (unbezahlte Werbung harhar) macht – eine relativ überraschende Paarung – habe ich endlich einen Vorwand, über ihn zu schreiben, was ich schon lange machen wollte.

Mahmood ist 2019 am außer-italienischen Radar aufgetaucht. Er hat 2019 San Remo mit dem Song Soldi gewonnen und ist dann zum ESC gefahren. Das hat dem Politiker Matteo Salvini nicht so gut gefallen, was wieder eine Kontroverse ausgelöst hat etcetera. Bei den ESC Songchecks meinte Constantin Zöller damals über Mahmood: “Ich finde er hat so eine seltsame Aura. Absolut nicht sympathisch.” Harhar, das ist wirklich eine zutreffende Beschreibung. Und über Soldi sagte er: “Das ist so abwechslunsgreich und anders, und dann noch auf Italienisch. (…) Wenn es nach mir geht, gewinnt er.” Gewonnen hat schließlich Arcade von Duncan Lawrence, weil alle mitgelitten haben, bei dessen Song über eine tragische Liebesgeschichte. Der musikalisch interessantere Song war aber Soldi, ein Lied über den Vater (ein Kernthema des ESC), der den Sohn verlassen hat und ihn, als er erwachsen ist, nach Geld (Soldi!) fragt. Unsterbliche Zeile: “Beve champagne sotto Ramadan” – “Er trinkt Champagner im Ramadan.” Mahmood wurde Zweiter.

2022 trat Mahmood mit dem Jungstar Blanco wieder bei San Remo an und gewann erneut. Diesmal sangen die beiden über eine tragische Liebesgeschichte. Der Song hieß Brividi (Schaudern), polarisierte aber stark, weil beide teilweise sehr hoch sangen und das nicht unbedingt die Komfortzone von Mahmood ist. Man fragte sich immer: Schafft er den nächsten hohen Ton auch noch? Ich persönlich fand das aber total stimmig, weil es geht in dem Lied ja auch ums Scheitern: “E ti vorrei amare, ma sbaglio sempre” – Ich will dich lieben, aber ich scheitere immer.” Und das hat sich nach dem Prinzip “form follows function” eben auch in der Darbietung widergespiegelt und für mich funktioniert. Live war der San Remo Auftritt aber deutlich besser als der beim ESC. Die beiden erreichten den sechsten Platz.

Zwei Jahre später, nämlich 2024, trat Mahmood nochmal bei San Remo an, mit dem Song Tuta Gold (Goldener Jogginganzug, das ist mal ein Songtitel). Viele meinten, das wäre sein bester Song bis dato, ich neige durchaus dazu, dem zuzustimmen, aber er gewann San Remo diesmal trotzdem nicht, obwohl es ein super ESC Lied gewesen wäre. Aber Italien hat eh nie Mangel an guten Beiträgen.

Mahmood im Tuta Gold Video

Das Interessante an Tuta Gold ist unter anderem das Video. Denn Mahmood hat einen arabischen Vater und ist homosexuell. In dem Video inszeniert er sich aber als, naja sagen wir Mann der Straße, mit seinen Kumpels, er trägt naja, sagen wir Streetwear und Goldzähne und irgendwie flirtet ein bisschen mit dem Klischee des toxischen Talahons – so ich habs geschrieben; was natürlich durch seinen Background alles doppelt bricht. In dem Video kommen außerdem leicht brutalistische Plattenbauten und aber auch Kühe vor, die dort grasen. Ich weiß nicht warum sie das tun, aber ich finde es interessant.

Wir werden sicher noch einiges von Mahmood hören.

Heumarkt neu

Um den “Heumarkt neu” gibt es jetzt schon seit zehn Jahren Diskussionen und Proteste. Ich habe diese phasenweise sehr nah miterlebt und war auch auf einigen Demos. Die Intiative Denkmalschutz hat sich immer wieder sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Kurz umrissen: Das Hotel Intercontinental soll ja abgerissen werden, in einem Wettbewerb zur Neugestaltung hat 2014 der Architekt Isay Weinfeld mit seinem Projekt “Scheibe Turm Konfiguration” gewonnen. Das Problem ist nur, dass sich das Areal in der UNESCO Welterbezone befindet und deshalb nicht höher als Bestand (ca 39 Meter) neu gebaut werden darf. Das wusste die Stadt Wien als Auftraggeber natürlich, dennoch war der Turm im Siegerprojekt 66 Meter hoch. Schon das verstehe ich ehrlich gesagt nicht, wie ein Projekt, das viel zu hoch ist, überhaupt jemals gewinnen konnte.

Nach Einspruch der UNESCO hat man herumlaviert, den Turm gestrichen und das Projekt verkleinert auf 55 Meter. Was ja, wie nicht besonders schwer verständlich, immer noch viel zu hoch ist. Die Stadt Wien und der Investor Tojner tun aber so, als wäre man der UNESCO schon so weit entgegengekommen und diese trotzt einfach nur, um die Stadt Wien zu ärgern. Von Journalisten würde ich mir erwarten, dass sie diese Haltung hinterfragen.

Deshalb habe ich vor kurzem ziemlich entgeistert die Kolumne von Christoph Schwarz mit dem Titel Schluss mit der UNESCO-Frozzelei gelesen. In diesem Kommentar mokiert sich Schwarz darüber, dass sich Wien von der UNESCO gängeln lässt, er spricht von Kompromisslosigkeit und: “Mit ihrem erpresserischen Nein behindern sie eine zeitgemäße Innenstadtentwicklung”.

Ähm. Also erstens hat ja niemand die Stadt gezwungen, den Welterbestatus beantragen. Wenn man das aber tut, muss man sich zweitens eben an die Vorgaben der UNESCO halten, das hat nichts mit Erpressung zu tun. Diese wurden auch drittens nicht irgendwann geändert, die Stadt Wien hat sich nur von Anfang an in diesem Projekt darüber hinweggesetzt. Und viertens bedeutet der Welterbestatus, den Schwarz so gerne loswerden will, auch eine gewisse Sicherung unseres kulturellen Erbes vor Investoren und Spekulanten. Die Welterbezone in Wien ist überschaubar und wird nicht zuletzt wegen ihrer Architektur jährlich von Millionen von Touristen besucht; im Rest der Stadt kann eh entwickelt und gebaut werden (und wird ja auch nicht zu knapp, darüber könnte ich mich auch auslassen, aber anderes Thema)

Immerhin hat der Kurier Sabine Haag, ehemalige Direktorin des KHM, darauf replizieren lassen. Mir ist aber trotzdem unbegreiflich, wie ein Journalist einen derartigen Kommentar schreiben kann, ohne sich offenbar vorher ausreichend mit der Materie zu beschäftigten.


Wenn man für den Einsatz zur Erhaltung des Weltkulturerbes Wien spenden möchte, findet man hier nähere Informationen.

Die Leykam Kontroverse

Der Leykam Verlag geriet in den letzten Tagen in die Schlagzeilen.

Falls es jemand nicht mitgekriegt hat, die Autorin Mareike Fallwickl gibt in Kürze mit Eva Reisinger ein Buch heraus, das sich Das Penismuseum (sic!) nennt und in dem mehrere Autorinnen ihre Sicht auf Frau sein in der heutigen Zeit schildern. Die Beschreibung lautet: “Wütend, unberechenbar und ungezähmt – die Frauenfiguren von Mareike Fallwickl und Eva Reisinger haben genug. Sie lassen sich nichts mehr gefallen, verhalten sich anders, als die Gesellschaft es von ihnen erwartet, sie leben anders, lieben anders, hassen anders.”

Ich mochte Die Wut, die bleibt von Mareike Fallwickl überhaupt nicht, vor allem nicht die “Lösungen”, für die der Roman steht. Ich habe aber noch extra anderes von ihr gelesen, das ich erheblich besser fand, weil weniger orthodox. Ideologie frisst oft Verhältnismäßigkeit und manchmal auch Literatur. Und das lässt sich auch 1:1 auf das übertragen, was gerade bei Leykam los ist. Denn eigentlich hätte auch die Autorin Gertraud Klemm einen Beitrag zu Das Penismuseum leisten sollen, aber sie wurde nun gecancelt, weil random Menschen im Internet sie transfeindlich finden, dabei geht es unter anderem um den Begriff “Frau”. Deshalb wurde sie von Leykam und den Co-Autorinnen sofort reflexhaft vor den Bus geworfen.

Man kann sich gerne die inkriminierten Passagen von Klemm durchlesen, die Presse hat sie abgedruckt, und sich selbst eine Meinung bilden. Sie werden als “trans-ausschließend, radikalfeministisch” bezeichnet. Natürlich ist es nicht notwendig, die Ansichten von Klemm zu teilen. Aber seit wann schaffen wir es nicht mehr, Perspektiven, die nicht den unseren entsprechen, zuzulassen? Seit wann wird nicht mal mehr diskutiert? Es kann und soll doch nicht nur eine Einheitsmeinung geben und alles, was vom aktuellen Meinungs-Mainstream abweicht, gebrandmarkt werden als in letzter Konsequenz dann immer rechts(radikal), faschistisch. Das kennen wir ja schon von Corona, es ist das Totschlagargument schlechthin.

Ich erachte das als ganz gefährliche Entwicklung und, was die derzeitigen Protagonisten und in dem Fall vor allem -Innen, die im Moment auf der “richtigen” Seite stehen, vergessen: Auch sie können jederzeit, sollten sie etwas “Unvernünftiges” sagen oder schreiben, oder irgenwann vor zig Jahren geschrieben oder geäußert haben, was dem dann aktuellen Narrativ zuwiderläuft, genau dasselbe Schicksal wie Klemm erleiden. Ich persönlich möchte nicht in einer Welt leben, in der der Meinungskorridor immer enger und enger wird und damit die Welt selbst.