almis personal blog

Mein Bozen

Im ORF gab es diese Woche eine interessante Dokumentation mit dem Titel Mein Bozen, gestaltet von einer Südtiroler Redakteurin.

Das Thema hat mich naturgemäß sehr interessiert. Erstmals mit Bozen in Berührung kam ich bei einem Schüleraustausch in der 6. Klasse Gymnasium, der in Trento stattfand, mit dem Zug fuhren wir an Bozen vorbei. Mir war damals nicht ganz klar, was dieses Trentino-Südtirol Dings eigentlich bedeutete. Das wurde allerdings deutlicher als wir den dortigen Landtag besuchten und uns einiges dazu erklärt wurde. Außerdem erzählte mir mein Gastvater damals auf Deutsch, dass er aus Bozen käme, aber leider ja, wegen Austausch und so mit mir Italienisch sprechen müsse. Mi dispiace! Harhar. Wenn ich gewusst hätte, dass ich 16 Jahre später – fast auf den Spätsommer-Tag genau – mein Kind in Bozen zur Welt bringen würde, hätte ich mich noch viel mehr dafür interessiert.

Obwohl ich in den folgenden Jahren dann recht oft in Südtirol war und ab und zu in Bozen, fühlte ich mich dort lange eher fremd. Auch wenn Deutsch gesprochen wurde, verstand ich speziell bei den Jugendlichen oft den ganzen Abend lang fast gar nichts, weil der Dialekt so schwierig und mit Italianismen durchzogen war. Es war ziemlich anstrengend zum zuhören. Wie auch Reinhold Messner in der Doku zum Ausdruck brachte, Südtirol ist nicht Italien, nicht Deutschland, aber auch nicht Österreich. Es ist etwas ganz eigenes, alpin von der Landschaft her, doch mit sehr viel mediterranem Flair, was sich auch in der Küche, der Mode, dem Lebensgefühl ausdrückt. Die Zweisprachigkeit macht es spannend und interessant, aber natürlich gibt es auch Ressentiments. Die Italiener sind ja in Südtirol in der Minderheit, während die Südtiroler in Italien eine Minderheit bilden.

Zweisprachige Speisekarte

Wenn man Menschen begegnet – das kam auch schön in der Reportage heraus – weiß man nie, ob sie (ursprünglich) deutschsprachig sind oder italienischsprachig, das Aussehen täuscht da oft. Man muss sich auf die Intuition verlassen. Auf der Bozner Intensivstation, war ich mir sogar bei manchen Ärzten nicht sicher, die total italienische Namen hatten, deren Italienisch aber nicht “native” klang. Eine Rettungssanitäterin, die mich auf die Station begleitete, sprach eine ganze Weile Italienisch mit mir, bis wir draufkamen, dass wir beide keine Italienerinnen sind. Es ist also durchaus manchmal etwas kompliziert. In Bozen kann man aber grundsätzlich eher davon ausgehen, auf Italienisch zu treffen, weil 73 Prozent der Bevölkerung der italienischen Sprachgruppe angehört.

Auf twitter schrieb jemand, nach dieser Doku würde er total gerne Bozen besuchen. Das kann ich nur empfehlen, speziell im Herbst. Ich erlebte ja fast den gesamten Herbst 2007 dort und hab seitdem eine besondere Beziehung zu dieser Stadt, was auch logisch ist, weil es die Geburtsstadt des Kindes ist, auch wenn ich damals vor allem das Krankenhaus und den Bahnhof gesehen habe. Ich mag die schmalen Gässchen und die Lauben, die alten Häuser und die kleinen Cafes, und vor allem mag ich, dass alles eingebettet ist in Weingärten, das hat sowas geborgenes.

Grande Finale

Der Song Contest ist gelaufen und der Sieger heißt leider nicht Italien. Francesco Gabbani belegte den sechsten Platz, was das zuerst enttäuschte Kind mit “Na so wichtig ist der Song Contest auch nicht” relativ schnell abhakte. Genau, der Song ist trotzdem super (gestern vorm Bewerb ganze fünfmal im Auto gehört) und wird sicherlich seinen Weg machen, ebenso wie sein Interpret, der von Andi Knoll als “Adriano Celantano 2.0.” bezeichnet wurde.

Der Song aus Portugal hingegen – den ich diese Woche zu polarisierend empfand – hat einen klaren Start/Ziel Sieg hingelegt. Eigentlich war Salvador Sobral von Anfang an beim Voting vorne, so deutlich, dass ich lange dachte, er würde nicht gewinnen, denn aus Gründen der Spannung wird oft zunächst jemand anderer lanciert. Aber der Vorsprung war so klar, dass man da anscheinend nicht viel Spannung reinbringen konnte.

Mir ist immer noch nicht ganz nachvollziehbar, wie es dieser Song schaffen konnte, die Massen zu begeistern und das, obwohl ich ihn selbst ja durchaus ansprechend fand. Aber eben praktisch nur ich in meiner kleinen, natürlich nicht repräsentativen Umfrage in meinem Umfeld. Und damit setzt sich mit Amor pelos dois der voriges Jahr begonnene Trend fort, dass ein Siegerlied eigentlich fürs (Kommerz)Radio fast unspielbar ist. 2016 hat Jamala mit 1944 ein Lied gewonnen, dass Vorgänge im zweiten Weltkrieg mit der persönlichen Geschichte der Sängerin verknüpfte. Sehr schwere Kost also. Amor pelos dois handelt vom Versuch, eine verlorene Liebe zurückzugewinnen, also auch kein amüsantes Thema – wenn auch eher tragisch im kleineren – und das auf sehr unkonventionelle Art und Weise vorgetragen. Zum Finale sang Sobral übrigens mit seiner Schwester, die das Lied komponiert und ihn auch in seiner Abwesenheit bei den Proben vertreten hatte, und man fragt sich, warum sie nicht gleich selber gesungen ein Duett draus gemacht haben.

Österreich wurde übrigens 16. Nach dem Juryvoting waren “wir” noch in den Top 10, beim Publikumsvoting gabs allerdings null Punkte. Ich fand den Auftritt von Trent wesentlich überzeugender als im Semifinale. Leider hat er das Publikum draußen gar nicht erreicht, die Jury aber interessanterweise schon.

Na ja, so bleibt der Song Contest doch immer irgendwie überraschend, offen und spannend. Ich freu mich auf nächstes Jahr in Lissabon.

Zweites Semifinalle

Eigentlich heißt es nach Ludwig Wittgenstein: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Abgewandelt für die rumänischen “Kombo” Ilinca ft Alex Florea heißt es allerdings eher: “Yodel it!” In einer bizarren Performance, die alles vereint, was nicht zusammengehört, haben sie sich so – zu meiner Überraschung – das Ticket ins Grand Finale des ESC gesichert. Andreas Gabalier muss sich warm anziehen.

Auch Jaques Houdek aus Kroatien scheint Kommunikationsprobleme zu haben und löst diese in einer Art Doppel-Conferance mit sich selbst. Auch diese etwas schizophrene Vorstellung kommt ins Finale. Ebenso wie Ungarn, dessen Sänger Joci Papai, ein Roma-Ungar, wenn man so sagen kann, sicherlich auch polarisiert, mich aber musikalisch wesentlich mehr angesprochen hat.

Beim Voting hieß es für Nathan Trent lange zittern. Er wird erst als zehnter und letzter aufgerufen. Österreich ist daher zum dritten Mal in Folge in einem ESC-Finale, das ist schon überraschend, wenn man denkt, welche Durststrecken wir früher schon hatten. Ich kann mich noch immer nicht recht mit Running on Air anfreunden, aber super Leistung natürlich.

 

Neuer Favorit?

Das erste Halbfinale des Song Contests ist geschlagen und es gibt einen neuen Favoriten. Den Portugiesen Salvador Sobral. Sogar der Standard-Experte Marco Schreuder schreibt ihm jetzt Siegeschancen zu.

Ich bezweifel das ein bisschen. In meinem Umfeld hab ich noch keinen Sobral-Fan gefunden. Die Menschen sind eher mehr oder weniger verstört von ihm. Ich muss sagen, ich finde den Song durchaus interessant, weil er so anders ist als das meiste, was man sonst beim ESC hört. Sobrals Vortrag vermittelt eine große Wahrhaftigkeit und die Attitüde des nicht verbiegen lassens. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Song wirklich massentauglich im großen Stil ist. Eine Top 3 Platzierung halte ich aber für wahrscheinlich.

Ein bisschen erinnert mich das ja an 1991, als Amina einen ähnlich eigenwilligen Song vorgetragen hat, den viele damals auch furchtbar fanden (ich nicht). Ich verstehe hier wie da den Text nicht, weil ich weder portugiesisch noch französich spreche, aber es ist ein Verdienst der beiden Künstler, dass sie mich auch erreichen, wenn ich keinen Schimmer davon habe, was sie da singen.

Ach ja, Amina wurde 1991 Zweite. Sie hatte die gleiche Punktezahl wie die Schwedin Carola, die vor ihrem Auftritt sicherlich einen Latte Machiatto Einlauf hatte¹ und ein absolutes Kontrastprogramm zum sperrigen französischen Auftritt bildete. Allerdings hatte Carola öfters 12 Punkte bekommen und siegte daher für Schweden.


¹(c) Fight Club.

Running on Air

Vielleicht sollte ich auch was zum österreichischen Beitrag schreiben. Nathan Trent mit Running on Air.

Ja, Trent hat eine gute Stimme und das Lied tut keinem weh, aber das ist gleichzeitig auch schon das Problem. Die Erklärung findet man im Johnny Cash-Biopic Walk the Line. Keine Ahnung, ob sich das bei Johnny Cash tatsächlich so zugetragen hat, wenn nicht ist es gut erfunden:

Cash hatte eine Vorstellung bei einer Plattenfirma und trägt ein nettes Lied fehlerfrei vor. Darauf sagt ihm der Verantwortliche dort, so geht das nicht. Er muss ein Lied singen, bei dem er alles gibt. So als würde er gerade vom einem Truck angefahren worden sein und tödlich verwundet auf der Straße liegen und er hat noch einen Song, den er der Welt hinterlassen kann. In den er alles reinlegt, was sein Leben hier ausgemacht hat, was es ihm bedeutet hat. So einen Song erreicht die Leute, so einen Song wollen sie hören.

Ich fürchte, Running on Air ist kein solcher Song. Miss Xoxolat meint auf ihrem Blog aber, das Lied wächst mit jedem Mal. Ich stehe derzeit erst bei einem dreiviertel Mal hören ähm.

P.S. Marco Schreuder schreibt auch wieder sein ESC Tagebuch für den Standard. Sehr lesenwert! Sein erster Beitrag.

Italia all’ Song Contest

So, Song Contest Woche again.

Will man den Buchmachern glauben, so ist Italien heuer der große Favorit. Ich hab ja eine gewisse Affinität zu Italien und Italien hat meistens gute, spannende Song Contest Beiträge. Allerdings hat das Land den Wettbewerb – ebenso wie Österreich – erst zweimal gewonnen. Was aber auch daran liegt, dass es seltener am Bewerb teilgenommen hat als “wir.” Den Sieg haben sie 1964 mit Giglioa Cinquetii und Non ho l’eta und 1990 mit Toto Cutogno mit Insieme: 1992 geschafft.

Im Jahr 1990 hat praktisch jeder Interpret nach dem Mauerfall über ein grenzenloses Europa gesungen, aber Cutogno hatte diese gewisse Wurschtigkeit, erst in Zagreb seinen Background-Chor zusammenzustellen und dort relativ free style aufzutreten. Die Bühnenshow setze sich im wesentlichen aus Schnipsen mit den Fingern und der klassischen achtziger Jahre Faust zusammen. Aber der Song war sehr eingängig, man will sich gleich eine Pizza bestellen, wenn man ihn hört und er ist auch recht vorteilhaft gealtert. Im Jahr 1991 wurde der Bewerb dann in Rom ausgetragen, noch mehr Free Style und Improvisation durch den Gewinner/Moderator Cutogno gemeinsam mit Cinquetti. Und sie haben extra einen nicht mehr blutjungen Pianisten beauftragt, diesmal für Italien anzutreten um ja nicht nochmal zu gewinnen, der im neapolitischen Dialekt abseits jeder modischen Strömungen sein Lied gesungen hat (und überraschend immerhin 7. wurde).

1997 verabschiedetete Italien sich bis 2011 aus dem Bewerb mit der Gruppe Jalisse und dem roxette-esken Song Fiumi di Parole (von Grissemann und Stermann damals übrigens mit “Buchstabensuppe” übersetzt, eher hieß es wohl “Wortflüsse” oder sinngemäß reden wie ein Wasserfall). Immerhin gab das den 4. Platz. Das war dann Italien anscheinend zu heikel und sie konzentrierten sich auf das San Remo Festival. Als sie dann 2011 wieder teilnahmen, wurden sie prompt Zweiter, mit Madness of love von Raphael Gualazzi, eine sehr jazzig angehauchte Nummer. Auch in den folgenden Jahren hatte Italien immer gute, eigenwillige Beiträge, in Wien belegte Il Volo – auch favorisiert – den dritten Platz mit Grande Amore, einem ungewöhnlich massentauglichen Song (den ich “nichtsdesttrotz” sehr mag).

Heuer tritt ein gewisser Franceso Gabbani mit dem Song Occidentali’s Karma an. Und weil das Kind heute Sonntag um sieben Uhr in der Früh aufstehen musste, um das Zahlenzorro Rechenprogramm weiterzumachen, hatte ich Zeit, um den italienschen Text genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn ein Song Contest Song mit den Worten: “Sein oder sein müssen, der Hamlet’sche Zweifel” beginnt, dann weiß man, das ist keine herkömmliche 08/15 Nummer, da hat sich jemand wirklich etwas überlegt.

Weiter geht es mit den Ehrenmitgliedern der anonymen Selfie-Süchtler und den Internetologen, die unnütze Schlachten schlagen (meint er etwa twitter?). Es geht um Buddha, “Alles fließt” als Herklit’sches Mantra wird mit dem fünfziger Jahre Kulthit “Singing in the rain” verknüpft, so kann man “fließen” halt auch interpretieren. Und dann dazu tanzen. Das Internet wird als Opium fürs Volk bezeichnet, ohne dabei eine bittere kulturpessimistische Abrechnung sein zu wollen (Gott sei Dank!) Das Ganze wird mit einigem Augenzwinkern vorgetragen.

Ich finde das schon recht großartig.