almis personal blog

Hundert Jahre

Heute würde mein Opa seinen hundertsten Geburtstag feiern. Er ist vor 15 Jahren gestorben.

Mein Opa war sehr wichtig für mich und mein Leben. Ich bin als Kind teilweise bei meinen Großeltern aufgewachsen und hatte zu beiden ein sehr gutes, wenn auch sehr unterschiedliches Verhältnis. Meine Oma war fürsorglich und umsichtig und liebevoll, mein Opa dagegen war schelmisch und manchmal etwas kratzbürstig, immer witzig und geradeheraus. Er war immer eine Art Vorbild für mich. Meine Freundinnen und Freunde mochten ihn alle. Er hat gerne mit uns Kindern herumgeblödelt.

Mein Opa hat seinen eigenen Vater nie kennengelernt. Er ist im ersten Weltkrieg gefallen. Er selbst wurde im zweiten Weltkrieg Vater. Damals hatte er beobachtet, dass die anderen Soldaten die Vater wurden, die Erlaubnis bekamen, in ein Gasthaus zu gehen und sich “einen anzusaufen”. Deshalb hatte er meine Oma darum gebeten, wenn es soweit wäre, ein Telegramm zu schicken, in dem stehen sollte, dass sie eine schwere Geburt hatte und er dringend nachhause kommen müsste. Als er dann Ende 1941 dieses Telegramm bekam, da durfte er auch wirklich nachhause fahren. Aber er machte sich auf dem ganzen Heimweg Sorgen, dass das ganze doch der Wahrheit entsprechen könnte. Aber mein Vater war gottseidank kerngesund. Trotzdem konnte mein Opa in den ersten Jahren seines Lebens selten präsent sein. Er war lange in Gefangenschaft. Mein Vater fürchtete sich vor ihm, als er dann endlich wieder zuhause war.

Mein Opa sagte, der Krieg hätte ihnen die besten Jahre ihres Lebens gestohlen. Aber er sagte es nicht verbittert, sondern als Feststellung. Er hatte gewusst, dass mit Hitler Arbeit kommen würde, aber auch ein Krieg. Er stand dazu, Sozialist zu sein. Er war beinahe vors Kriegsgericht gekommen, weil er 1944 folgenden Witz weitererzählte: Ein Österreicher und ein Deutscher sprechen über die Zeit nach dem Krieg. Der Deutsche fragt den Österreicher, was er tun würde, wenn der Krieg vorbei wäre. Der Österreicher sagte, er würde zu seinem Wirten gehen, ein Bier trinken und ein Schnitzel essen. Und er fragte seinerseits den Deutschen, was er tun würde. Der Deutsche entgegnete, er würde sein Fahrrad nehmen und die Grenzen des neuen deutschen Reiches abfahren. Darauf der Österreicher: “Sehr schön. Und was machst du am Nachmittag?”

Mein Opa sagte über die in den neunziger Jahren heiß diskutierte Ausstellung “Verbrechen der Wehrmacht”, das sie völlig ok sei, weil es in der Wehrmacht eben auch Verbrechen gegeben hatte. Er hatte kein Problem damit und sah das nicht als Angriff auf sich selbst. Er konnte Gegebenheiten annehmen ohne Groll. Er hatte die Fähigkeit, differnziert und trotzdem wirklich zufrieden zu sein. Mit sich im Reinen. Er hatte gehofft, dass er nach seiner Pensionierung noch zehn Jahre leben würde. Dass es über 20 Jahre werden würden, erfüllte ihn immer wieder mit Dankbarkeit und Verwunderung. Er musste nichts arbeiten, bekam am Monatsanfang Geld und konnte sein Leben genießen. Dass er davor sehr viel und hart gearbeitet hat, erschien ihm nicht sonderlich erwähnenswert. Auch nicht seine beiden Krebserkrankungen, die Entnahme einer Niere und seine Herzkrankheit.

Nie vergessen werde ich unsere jährlichen sieben Wochen andauernden Urlaube im Rosental, seine gespielten Seufzer, wenn er auf dem Sofa schlafen musste, wenn ich bei ihnen war, seinen Tee mit Kognac, die Art wie er Patiencen legte, seinen knallroten Pullover, den meine Oma nicht passend für sein Alter fand, den er aber liebte. Und nie vergesse ich seine Worte: Du sollst einmal sagen können, dass es dir bei deinen Großeltern immer gut gegangen ist. Das ist es Opa. Danke.