almis personal blog

Blutbuch

Der Autorin oder ähm, die Autorenperson Kim d’Horizont hat für sein Blutbuch den deutschen Buchpreis bekommen.

Nun prasselte eine Menge Meinung auf d’Horizont ein. Ich bin da sehr zwiegespalten. Einerseits bin ich nicht der größte Fan von “zeitgeistiger” Preisvergabe und v.a. von der umsichgreifenden “Wokeness” Bewegung, wobei mir schon klar ist, dass es natürlich Themen gibt, die den Diskurs bestimmen und es auch durchaus wichtig ist, sich damit zu beschäftigen. Aber nur weil jetzt Thema xy en vogue ist, bedeutet das ja nicht, dass Buch xy, das sich mit diesem Thema beschäftigt, auch gut sein muss. Da kommen wir dann direkt zum zweiten Punkt: Es heißt aber auch nicht automatisch, dass das Buch deshalb schlecht sein muss oder zu Unrecht ausgezeichnet wurde.

Ich muss da immer an Thomas Bernhard und Heldenplatz denken. Das Theaterstück war schon ein Skandal, bevor es überhaupt aufgeführt wurde, der Skandal hat komplett ohne Gesam(kon)text funktioniert, weil viele Menschen manche Textpassagen wie “Österreich besteht aus acht Millionen Debilen” usw. als Nestbeschmutzung auffassten, so als hätten sie noch niemals etwas von Rollenprosa gehört; also den Text als Meinung des Autors auffassen, anstatt als Aussage einer literarischen Figur IM Text. Wohl kaum jemand würde einem Krimiautor vorwerfen, in Wahrheit ein Mörder zu sein, nur weil seine Figur in einem Werk Menschen umbringt, warum also diese Vermengung in anderen Genres.

Und so ähnlich ist es jetzt bei d’Horizont. Anscheinend steckt sich sein Protagonist*In gewisse Dinge in gewisse Körperöffnungen und das finden alle ganz schlimm und literarisch wertlos. Aber die Tatsache alleine sagt noch nichts über die Qualität des Textes aus. Das Buch Hautfreundin. Eine sexuelle Biografie war eines der besten Bücher, die in den letzten Jahren gelesen habe und das Hauptthema ist da auch Sex. Das bedeutet nicht, dass das Buch plump oder derb oder geschmacklos whatever ist – im Gegenteil. Es ist sehr poetisch.

Ich als Germanistin fühle mich dazu berufen (harhar) zu sagen: In Wahrheit sollte jeder Blutbuch lesen, bevor er eine Meinung zum Buch abgibt. Man sollte seine Kritik am Text festmachen, und nicht an der “Begleitmusik”. Wobei ich zugeben muss, dass ich den Auftritt von d’Horizont auf der Preisverleihung jetzt auch nicht als besonders gelungen empfunden habe, insbesondere das Rasieren seines Kopfes fand ich auf mehreren Ebenen problematisch. Aber auch hier muss man sagen: Das muss ja nicht gegen Blutbuch sprechen, wenn sich sein Autor*in etwas sonderbar benimmt.

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