Der spanische Beitrag zur Oscar-Kategorie “Best Foreign Film” ist heuer Die Schneegesellschaft. Klingt ja irgendwie lieb und gemütlich, tatsächlich ist das aber ein Misery-Porn wie er im Buche steht. Das ist jetzt nicht unbedingt mein Lieblingsgenre, aber ich habe mir den Film trotzdem angeschaut, weil die wahre Begebenheit, die er porträtiert einfach so unfassbar ist, auch bekannt als das Wunder der Anden. Beim Schauen habe ich mich aber mehrmals gefragt, wieso ich mir das wirklich antue.
Was jetzt folgt ist jetzt kein Spoiler im eigentlichen Sinn, sondern die Tatsachen dieser Katastrophe. Wer darüber nichts erfahren will, liest bitte trotzdem nicht weiter.
Und zwar hat sich am 12. Oktober 1972 die Rugbymanschaft von Uruguay auf den Weg nach Santiago di Chile gemacht, um dort ein Freunschaftsspiel zu absolvieren. Mit dem Kleinflugzeug, mit dem sie unterwegs waren, kann man die Anden aber nicht so einfach überfliegen, weil sie zu hoch sind; das geht nur an einer bestimmten Stelle. Als das Flugzeug – besetzt mit Spielern, Familienmitgliedern, Freunden, insgesamt 45 Insassen – sich auf den Weg macht, herrschen sehr ungünstige Wetterbedingungen: Schlechte Sicht, Eisregen, Sturmböen. Wer genau in der Navigation versagte ist nicht ganz klar, jedenfalls biegt das Flugzeug zu früh ab, und wird von einer Bergspitze regelrecht aufgeschlitzt. Beide Flügel brechen ab, danach reißt es die Rückseite weg. Der vordere Teil des Flugzeugs schlittert einen Gletscher hinunter und kommt irgendwann zu stehen. Zwölf Menschen sind sofort tot, fünf weitere sterben in der ersten Nacht.
Nun wäre das ja alles schon schrecklich genug, aber für diejenigen, die das alles überstanden haben, stellt sich die Frage: Wie können wir hier am Leben bleiben? Alles ist alles voller Schnee und Eis (niemand hat Winterkleidung mit), es gibt weder Tiere noch Vegetation auf dieser Höhe. In der Nacht sinken die Temperatur auf bis zu 40 Grad minus ab. Um eine gewisse Chance zu haben, wird bald darüber diskutiert, ob man die verstorbenen Freunde nun ja, essen wird oder nicht. Kannibalismus ist ja generell schon ein extremes Tabu, vor allem bei diesen sehr katholischen jungen Leuten; zum anderen handelt es sich ja nicht um fremde Personen, die man da potentiell essen wird.
Regisseur J.A. Bayona ist sehr gut darin, verzweifelte Stimmungen zu vermitteln. Beim “Making of” sieht man ihn viel weinen und auch seine Vorgängerfilme The Orphanage und The Impossible haben sich mit menschlichen Katastrophen beschäftigt, das scheint also irgendwie sein Ding zu sein. Handwerklich ist der Film außerordentlich beeindruckend. Die Stimmung, die er liefert, als ein paar der Männer einen Berg hinaufsteigen und von dort das weiße Flugzeug im Schnee sehen (bzw. nicht sehen) und ihnen dabei klar wird, dass die Rettungshubschrauber, die sie manchmal wahrnehmen, sie so nicht finden werden können, da bekommt man Gänsehaut. Die Fischauge-Kameratechnik, die er einsetzt, als die jungen Männer durch ein Transistorradio dann tatsächlich erfahren, dass die Suche nach ihnen aufgegeben wurde, und dabei fast den Verstand verlieren vor Verzweiflung; das Fischauge eben lässt alles so unwirklich erscheinen, dass man sich selbst als Zuschauer fühlt als hätte man gerade eine Panikattacke. Auch die Erzählfigur Numa ist hervorragend gewählt, weil sie eine besondere Perspektive auf die Geschehnisse hat.
Trotzdem ist es aber auch ein anstrengender und zäher Film, was ja auch intendiert ist, “form follows function”, man soll ja auch irgendwie (wenn auch natürlich in extrem abgeschwächter Weise) erahnen können, wie unfassbar anstrengend und eigentlich hoffnungslos das Unterfangen ist, dieses Ereignis zu überstehen und wieviel mentale und auch körperliche Stärke es erfordert, hier seine Hoffnung zu erhalten. Wahrscheinlich war es kein Nachteil, dass der Großteil der Insassen Spitzensportler waren.
Am 23. Dezember 1972 werden – nach einem Erkundungsmarsch zweier Männer, bei dem sie endlich auf einen anderen Menschen stoßen, der ihnen helfen kann – immerhin noch 16 verbliebene Menschen aus dem Tal der Tränen, wie es danach benannt wurde gerettet. Die meisten leben heute noch in enger Nachbar- und Freundschaft zusammen in Montevideo.
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