Gestern hab ich mir im Stadtkino Aftersun angeschaut. Empfehlung! Wirklich gut und der Film mit dem offensten Ende, den ich seit langer Zeit gesehen habe. Näheres folgt noch.
Heute aber erstmal soviel – es geht ja in Aftersun um den Urlaub eines jungen Vaters Anfang 30 mit seiner 11 jährigen Tochter, Sophie. In einer Szene singt Sophie Karaoke zu Losing my religion und es ist so gut. Außer die deutsche Übersetzung – ich hab OmU geschaut. Losing my religion heißt nämlich nicht den Glauben verlieren. Sondern: Die Nerven verlieren. Von mir aus: Auszucken. Das sollte man als Ersteller von Untertiteln schon wissen, zumal es auch in jedem Artikel zu dem Song steht. Es ist ein Ausdruck aus den Südstaaten. Na wenigstens haben sie es nicht mit: “Die Religion verlieren” übersetzt harhar.
Aber wie auch immer, diese Szene war sehr berührend und ich musste gleich an eine ähnliche (Karaoke)szene aus Lost in Translation denken, in der Bill Murray More than this singt. Murray hat gesagt, das Lied sei so schwer zu singen, selbst Bryan Ferry wisse nicht so genau, wann er welchen Ton singen würde.
Gleich nach dem Österreichstart hab ich mir She said angesehen, der Film, der sich dem tiefen Fall von einem der größten Hollywood-Produzenten der Gegenwart, Harvey Weinstein, widmet. Er beleuchtet ein Stück gelungenen Investigativjournalismus, der schließlich in der globalen me-too Bewegung mündete.
Vielleicht nicht ganz zufällig hat man sich für die Aufarbeitung von einem sehr dunklen Hollywood Kapitel die deutsche Regisseurin Maria Schrader gesucht, die quasi als Europäerin, möglichst weit weg vom Schuss, die Dinge aus der Distanz beobachtet hat und nicht in der Hollywood-Gesellschaft in welchem Maß auch immer involviert ist. Das gilt allerdings nicht für den Produzenten des Filmes, Brad Pitt. Pitt war früher mit Gwyneth Paltrow zusammen und Paltrow ist das wohl berühmteste Opfer von Weinsteins Missbrauchsversuchen gewesen, genau in der Zeit der Partnerschaft mit Pitt. ´
Der Look und die kühle Herangehensweise von She said erinnert sehr an Spotlight, dem Oscar-gekrönten Film von 2016, in dem ein Journalistenteam sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Boston aufdeckt. Der Fall, den Spotlight behandelt, ist lange nicht so bekannt gewesen wie die Weinstein-Affäre und das war durchaus ein Vorteil für Spotlight. Denn gerade weil Weinstein so präsent in all unseren Köpfen ist, weil wir alle die Berichterstattung darüber verfolgt haben und das auch noch nicht so lange her ist, bietet der Film nicht besonders viel an komplett neuer Information und damit Spannungselementen.
Schrader stellt die zwei New York Times Journalistinnen Meghan Twohey (Carey Muligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) in das Zentrum ihrer Geschichte. Beide sind junge Mütter, die in ihrem Beruf aufgehen und daher Privatleben und Job unter einen Hut bringen müssen. Man sieht also nicht nur, wie sie ehemaligen Weinstein Opfern hinterher recherchieren (und fliegen), wie sie telefonieren, schreiben, unbequeme Gespräche führen, sondern auch wie sie den Schlaf ihrer Kinder beobachten, bei den Hausübungen helfen, kochen und sich die Sorgen ihrer Ehemänner anhören. Aber die Ehemänner sind Randfiguren, so wie auch die Männer in der Redaktion Randfiguren bleiben; selbst der Chef von Twohey und Kantor verweist immer wieder auf seine Redakteurinnen, wenn er Anrufe zum Fall Weinstein erhält.
Maria Schrader gelingt es, den Fall eindringlich darzustellen ohne reißerisch zu werden. Wenn Frauen von ihren Begegnungen mit Weinstein erzählen, sieht man nur Zimmer mit auf dem Boden liegenden Kleidungsstücken, halb gefüllte Weingläser und leere Hotelgänge, niemals tatsächliche Handlungen – die Stimmen kommen aus dem off. Außerdem schafft sie es darzustellen, warum die Frauen so lange geschwiegen haben. Es geht dabei nicht “nur” um sexuelle Übergriffe – bis hin zu Missbrauch – und die Scham, davon zu sprechen, sondern auch darum, dass alle diese Frauen, die leidenschaftlich gern in der Filmbranche gearbeitet haben, um ihre Karrieren, ja um ihre ganze Zukunft fürchteten und das nicht zu Unrecht; wer sich zur Wehr setzte und von Weinstein entlassen wurde oder selbst kündigte, hatte seine Chance in der Branche verwirkt, auch wenn sie noch so talentiert war.
Insgesamt eine recht sachliche und differenzierte Aufarbeitung mit Liebe zum Detail.
Am Wochenende hab ich mir Corsage angeschaut – ein österreichischer Film von Regisseurin Marie Kreutzer über Kaiserin Elisabeth, der für den Auslandsoscar 2023 eingereicht wurde.
Einen Film über Elisabeth zu drehen ist – gerade in Österreich – nicht ungefährlich. Wir kennen alle die zuckersüßen Sissi-Filme, mit denen wir aufgewachsen sind, die natürlich Märchen waren, die wir aber trotzdem irgendwie lieben. Und wir kennen den Backlash mit u.a. dem Musical Elisabeth, im Zuge dessen man hat versucht hat, eine andere Seite zu zeigen, Stichwort: Ich gehör nur mir. Aktuell gibt es auch eine Netflix Serie, dazu natürlich unzählige Dokus und Reflexionen. Man könnte also meinen, das Feld ist schon ziemlich beackert worden. Kann Kreutzer da noch einen neuen Take finden?
Die Antwort lautet: Ja, sie kann! Auch wenn man in den ersten Szenen wirklich übermenschliche Kraftanstrengung anwenden muss, um nicht an Sofia Coppolas Marie Antoinette zu denken. Corsage hat zwar einen ähnlichen Ansatz, in dem sie die Kaiserin nicht als Kind ihrer Zeit im 19. Jahrhundert zeigt, sondern als aktuelle, moderne Figur, untermalt mit aktueller, moderner Musik (großartig zb. Soap & Skins Italy beim Abspann) und dazu artsy Bilder liefert. Aber Corsage ist nicht so flapsig und so sehr Popkultur wie Marie Antoinette es war. Es ist ein über weite Strecken recht düsterer Film – auch wenn hier und da durchaus (auch böser) Humor aufblitzt – der auch wesentlich tiefer geht und mehr hinterfragt.
Corsage reflektiert, wie sehr Elisabeth (eine umwerfende Vicky Krieps) zwar ihre Freiheit gewollt und erkämpft hat, beispielsweise das Recht zu reisen und selbstbestimmt zu sein; gleichzeitig aber niemals wirklich ihre inneren Zwänge ablegen konnte, hübsch und dünn zu erscheinen. Obwohl sie die Meinung der Gesellschaft ablehnte und als übergriffig qualifizierte, war sie dennoch bestrebt, das Bild von sich diesbezüglich zu erfüllen. Kreuzer zeigt uns die ruhelose Elisabeth, die andauernd auf Reisen ist, die raucht und flirtet und auch masturbiert. Die am liebsten mit den Pferden zusammen ist oder mit ihrer jüngsten Tochter Valerie, die sich aber ähnlich distanziert verhält wie FJ (Florian Teichtmeister) – wie er von Elisabeth genannt wird. Die praktisch nicht isst, auch nicht schläft. Die etwas sucht, das sie ausfüllt, die sich mehr sozial engagieren will, der ihre Repräsentationspflichen alleine zuwenig sind. Die Suizid versucht, die den Tod so leidenschaftlich sucht, wie sie auch das Leben empfinden möchte.
Inwieweit Corsage historische Authentizität wiedergibt (oder auch nur anstrebt) können wohl nur Elisabeth-Experten beantworten. An manchen Stellen scheint klar, dass es so nicht gewesen sein wird oder kann, aber ich finde das nicht sonderlich wichtig. Corsage ist nicht The Crown, es ist immer klar, dass es sich hierbei um ein Kunstprodukt handelt. Lobend erwähnen möchte ich noch Manuel Rubay, der mir meistens wirklich auf den Nerven geht (sorry harhar), hier aber den leicht durchgeknallten und dekadenten Ludwig den Zweiten glaubwürdig und sehr amüsant verkörpert.
Auch wenn das Buch natürlich schwere Kost ist und Perry sehr schonungslos mit sich selbst umgeht – Mitleid will er in keiner Weise – ist es andererseits auch sehr amüsant und selbstironisch geschrieben. Er berichtet beispielsweise darüber, dass er als Letzter bei Friends gecastet wurde, als die übrige Besetzung schon feststand. Er war eigentlich für eine andere (sehr schlechte) Serie verpflichtet, las das Friends-Skript und stellte fest: Ich bin Chandler Bing! Nur konnte er nicht vorsprechen, weil ihm das andere Engagement das untersagte. So versuchte er seinem Freund Craig Birko bei dessen Vorsprechen für die Rolle zu helfen, dem die Rolle dann auch angeboten wirde, der sich dann aber letztendlich überraschend doch für eine andere Serie entschied. Perrys Serie wurde nicht realisiert und bämm: Chandler wurde doch noch Chandler.
Der Zusammenhalt bei Friends war offenbar nicht geheuchelt. Die sechs Schauspieler wurden tatsächlich Freunde und sind es noch heute. Anfangs war David Schwimmer (Ross) der Shootingstar und machte Perry nach der ersten Staffel den Vorschlag, wenn sie ihr Honorar neu aushandeln, dass sie das als Team machen sollten, obwohl Schwimmer die beste Verhandlungsposition gehabt hätte. Diese Entscheidung rechnet Perry ihm bis heute hoch an:
“Ich würde gern glaube, dass ich es genauso gemacht hätte, bin mir aber nicht sicher, ob ich es gieriger 25-jähriger dazu bereit gewesen wäre.”
Matthew Perry, S. 147
Diese Entscheidung gab ihnen als Team enorme Macht und sorgte auch dafür, dass sie sich immer gegenseitig umeinander kümmerten, wie Pinguine, beschreibt es Perry an einer Stelle im Buch, die sich auch umeinander scharen, wenn es einem aus der Pinguin Gruppe schlecht geht.
Perry erzählt weiters von seinen vielen Affären (auf die er nicht stolz ist), von der Frau, die er sehr liebte, die Beziehung aber nicht von Dauer war – er nennt ihren Namen nicht, aber man kann sich die Zusammenhänge ergoogeln. Er erzählt von Kollegen, von denen er viele sehr geschätzt hat, wie River Phoenix oder Bruce Willis – mit dem er seinen wahrscheinlich erfolgreichsten Film Keine halben Sachen drehte. Willis war, laut Perry, jemand, mit dem man ordentlich feiern konnte, der aber sofort damit aufhören konnte, beispielsweise Alkohol zu trinken und ins Bett zu gehen. Das sei der Unterschied zwischen ihnen beiden gewesen, er hätte niemals aufhören können, und noch etwas lernte er an den Abenden, die er mit Willis allein verbrachte:
“Dann sah ich den echten Bruce Willis, ein gutherziger Mann, ein fürsorglicher Mann, selbstlos. Ein wunderbarer Vater und Schauspieler und vor allem: ein guter Kerl
Matthew Perry, S. 186
Am Ende dieses Kapitels ergänzt Perry noch, dass er Bruce Willis alles erdenklich Gute wünsche.
Im Oktober bricht in Wien wieder die Zeit an, in der sich die unaussprechlichen und mysteriös anmutenden Filmtitel in den Kinobeilagen mehren. Der Falter bringt zu diesem Anlass immer ein Sonderheft heraus, in dem eben diese Werke so beschrieben werden, dass man als Normalsterblicher keine Ahnung hat, worum es in diesen Filmen tatsächlich geht. Ich weiß, das soll artsy sein, aber ein bisschen weniger Kunst und etwas mehr Informationsgehalt wäre auch leiwand. Jedenfalls hab ich mich trotzdem durchgequält, weil ich dieses Jahr drei Filme für Uncut schauen werde, und ich durfte Wunschfilme nennen.
Im Künstlerhaus hab ich mich gestern mit dem Uncut-Chef auf einen Kaffee getroffen, was sehr nett war, weil wir uns schon lange nicht gesehen hatten. Danach ging es in Film Nr. 1:
Er hat mir sehr gut gefallen. Das Review gibts dann bald auf Uncut zu lesen. Bis dahin kann man sich schon mal die bereits online gegangenen Kritiken durchlesen.
Auf den Film Der schlimmste Mensch der Welt bin ich schon irgenwann im Frühling aufmerksam geworden und wollte ihn mir eigentlich gleich Anfang Juni anschauen, als er in die Kinos kam. Das hab ich dann nicht gemacht #ausgründen, und so war es tatsächlich dann bereits Ende August, als ich ihn im Burg Kino gesehen habe. Burg Kino ok dachte ich, also mit Untertitel, kein Problem. Tatsächlich wurde mir dann erst im Kino bewusst, dass es Norwegisch mit englischen Untertiteln sein würde, ähm. Machte aber irgendwie gar keinen großen Unterschied.
Als ich damals den Trailer sah, erwartete ich: Einen junge, unabhängige, orientierungslose Frau – hier Julie, dargestellt von Renate Reinsve – stolpert durchs Leben, sowas was in den USA Greta Gerwig spielen würde, schon nachdenklich und differenziert, aber doch auch relativ easy going und flapsig. Dabei hatte ich natürlich vergessen, dass skandinavische Filme in der Regel eben nicht so locker flockig sind, sondern oft eine gewisse Schwere in sich tragen. Also ging ich etwas zu blauäugig und diesbezüglich unvorbereitet in den Film.
Der schlimmste Mensch der Welt – ein Titel, der neugierig macht. Denn darunter stellt man sich natürlich Adolf Hitler und sowas vor, oder – wenn wir schon in Norwegen sind und in der Gegenwart bleiben wollen – jemand wie Anders Breivik. Natürlich ist Julie nicht der schlimmste Mensch der Welt. Sie weiß nur nicht so genau, was sie mit ihrem Leben machen will und sie verletzt dadurch Menschen, die sie lieben. Ist das “schlimm”, zu sich zu stehen, seine Pläne zu ändern und dabei wenig Rücksicht zu nehmen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen? Der Film versucht gar nicht, diese Frage abschließend zu klären und das ist auch gut so. Viele solcher und ähnlicher Fragen können nicht einfach so beantwortet werden, weil die Welt, das Leben und die Menschen nicht so schwarz/weiß funktionieren, weil alles seinen Grund hat, so unlogisch und unbarmherzig es für Außenstehende auch immer erscheinen mag.
Renate Reinsve ist großartig als Julie und das muss sie auch sein, sonst wäre der Film nicht so gut, denn er ist ganz und gar auf sie zugeschnitten. Eingeteilt in verschiedene Kapitel (sowas mag ich), die interessante Namen haben (sowas mag ich noch mehr) und in sich die Möglichkeit eröffnen, mit verschiedenen Stilen zu spielen. Es gibt etwa ein Kapitel, wo für Julie und ihren Freund die Welt (oder zumindest Oslo) buchstäblich stehenbleibt, nur die beiden agieren noch, alles andere ist “eingefroren”, das ist wunderbar surreal und romantisch. Denn frisch verliebt fühlt es sich tatsächlich manchmal an, als würde die Welt rundherum bedeutungslos werden, und man sich als Paar in einer eigenen Blase befinden und nur diese zählt, zumindest für einige Stunden.
In diesem Film gibt es viele solcher origineller Ideen, intelligenter Dialoge und letztendlich auch ziemlich viel food for thought. Als ich das Kino verlassen habe, konnte ich schwer sagen, wie ich mich fühle. Sowas ist immer spannend.
Sehr lustig war der Schlagabtausch zwischen Paulus Manker – zu Gast in Willkommen Österreich – und Grissemann. Grissemann fragt Manker, ob der Spiegel auch schon bei ihm aufmerksam wurde, auf die Zustände am Set.
Daraufhin Manker: Dein Bruder, der behauptet, dass er Kulturchef vom Profil ist, traut sich nicht, über Ulrich Seidl kritisch zu schreiben, weil er mit ihm seit Jahren verbandelt ist.
Gelächter und Applaus.
Grissemann: Ich gebe dir hier das Forum, etwas Kritisches über Ulrich Seidl zu sagen. Was hat er sich zuschulden kommen lassen?
Manker: (…) Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich mag ihn schon, ich habe mit ihm schon mal eine Theaterproduktion – abgebrochen
Grissemann: Die Frage war anders. Was kann man ihm vorwerfen?
Manker: Das weiß ich nicht, ich war ja nicht dabei.
Grissemann: “Ich weiß es nicht” – Interessante Antwort, vielen Dank für das Gespräch Herr Manker.
Manker: Ich kann weder was Schlechtes noch was Gutes sagen. Die Filme von ihm haben eine besondere Qualität.
Grissemann: Danach hab ich nicht gefragt.
(….)
Manker: (…) Man muss ihn nicht mögen, aber der internationale Success und die Bedeutung, die er für unser Land bringt, ist beachtlich.
Girssemann: Das waren also die Vorwürfe gegen Ulrich Seidl während des Sparta Drehs?
Manker. Ich habe dem Ulrich Seidl nichts vorzuwerfen. Er ist ein kontroversieller – der Künstler hat kontroversiell zu sein, sonst kann er ja gleich Journalist werden!