Stell dir vor, du bist ein Filmproduzent und jemand pitcht dir folgende Film-Idee:
Ein mexikanischer Kartellboss, Familienvater, einflussreich und gefürchtet, von kräftiger Statur, der dutzende Menschen auf seinem Gewissen hat, sucht sich eine versierte Anwältin und beauftragt sie damit, eine Klinik im Ausland zu suchen, die eine Geschlechtsumwandlung bei ihm durchführen soll, denn er fühlt sich als Frau. Gleichzeitig soll sich diese Anwältin um seine Familie kümmern, die er zu diesem Zweck verlassen wird. Und dazwischen wird aus dem nichts heraus gesungen und zwar Sätze wie “Du riechst nach Cola Zero mit Zitrone”; außerdem wird geschossen und es ist phasenweise blutig. Ach ja und alle sprechen vorwiegend spanisch.
Die meisten Filmproduzenten würden sagen: Na genau, dafür stell ich 20 Millionen auf. Für einen Plot, der gefühlt keine Zielgruppe hat. Denn Menschen, die Musicals mögen, sind oft eher zartbesaitet und nicht so Bandenkrieg-affin und Menschen, die wegen Action und Thrill ins Kino gehen, wollen garantiert nicht, dass Schusswechsel durch gefühlsbetonte Musikeinlagen unterbrochen werden. Dazu die heikle Trans-Thematik.
Nun dennoch wurde genau dieser Film gemacht, er nennt sich Emilia Pérez und er ist – und das ist die eigentliche Sensation – brilliant.
Das könnte uns alle daran erinnern, dass wir die Sachen machen sollten, an die wir glauben, auch wenn es komplett bizarr und aussichtslos erscheint. Brennt man dafür und gibt alles für seine Vision, dann kann man damit, gegen alle Gesetze der Logik, Erfolg haben und ein kleines Kunstwerk schaffen.
Heute sah ich also die ersten beiden Filme auf der Viennale.
Zuerst Volveréis in der Urania, einen kleinen, total liebeswerten, spanischen Film über ein Paar, das sich nach 15 Jahren Beziehung trennt und zu diesem Zweck ein Fest feiern will, wie andere eine Hochzeit. Hier trifft sich meine Vorliebe für Beziehungsgeschichten mit meinem Faible für Absurdes. Von der ersten Szene an hat der Film den richtigen Ton, ist komisch und tragisch zugleich und gibt einem dieses warme und geborgene Gefühl, in einem Film ganz zuhause zu sein. Wir waren zu dritt aus dem Uncut-Team dort und wir fanden ihn alle gut und hoffen, dass er einen Österreichstart bekommt, obwohl er sehr low key ist. Ich werde bald ein Review dazu schreiben.
Danach sah ich im Gartenbaukino alleine A Real Pain, von und mit Jesse Eisenberg, den man ja eher als Schauspieler kennt – er hat beispielsweise Mark Zuckerberg in The Social Network verkörpert. Und bei diesem Film war es leider ein bisschen umgekehrt. Schon die erste Szene hat für mich nicht gestimmt und mit jeder weiteren Szene hat sich dieser Eindruck verfestigt. Es geht hier um zwei Cousins, die nach dem Tod ihrer Großmutter eine Tour durch deren Geburtsland Polen machen. Und der Cousin – verkörpert von Kieran Culkin – war mir so dermaßen unsympathisch, dass es einen Qual war, ihm 90 Minuten lang zuzusehen, harhar.
Danach hab ich im Gartenbaukino einer Dame eine verbilligte Karte für Emilia Perez morgen abgekauft, was ein Risikospiel ist, weil ich davor beim Zahnarzt bin. Ich hoffe, die Spritze hält bis zum Filmende.
Nach dem Heimkommen habe dem Kind eine Portion Backhendel herausgebacken – das glamuröse Leben einer Filmkritikerin, harhar.
Morgen geht für mich die Viennale los, ich darf für Uncut ein paar Filme besprechen und ich freue mich sehr. Kino ist mein happy place und meine therapeutische Einrichtung gleichermaßen, ich sage es wie es ist.
Am allermeisten fiebere ich schon seit Wochen auf The Brutalist von Brady Corbet hin, den ich als Regisseur bisher überhaupt nicht kannte und obwohl Pia Reiser in der fm4 Filmpodcast Vorfreude-Episode gesagt hat: “3 Stunden 35 und so ein komplizierter Plot ist natürlich nicht das, wo die Leute die Kinos einrennen werden, glaube ich.” Also ich auf alle Fälle schon, harhar.
Der Trailer ist wirklich wahnsinnig toll und sehr ungewöhnlich, mir kommen da fast die Tränen, warum auch immer (gut, im Moment bin ich generell ein bisschen durch den Wind). Ich hoffe, dass der Film, ähnlich wie der Trailer, in gewisser Weise auch das Kino neu erfinden wird, wie ich durchaus auch schon gelesen habe. Außerdem hoffe ich, dass meine Prognose über Adrien Brody aufgeht und er mit diesem Film im großen Stil zurückkommt. Äußerlich hat er sich erstaunlich wenig verändert, seit The Pianist.
Diese euphorische Kurzeinschätzung dazu habe ich mir gespeichert:
Mit Architektur verbinde ich persönlich halt auch sehr viele Dinge und Erinnerungen und das kommt irgendwie gerade alles zusammen. Und das ist aufwühlend und schön.
Die Regisseure Julia Niemann und Daniel Hösl beziehen sich in ihrem Film Veni Vidi Vici auf The Fountainhead und haben ihrem Film folgendes Zitat voran gestellt
“Question isn’t who is going to let me; it’s who is going to stop me”
Der Satz kommt übrigens im Roman schon auf Seite 11 vor, also ich hoffe, sie haben dann noch weitergelesen, denn ich finde nicht, dass das, was Veni Vidi Vici vermittelt, wirklich viel mit dem Roman zu tun hat.
Denn: Es geht zwar in Veni Vidi Vici auch um eine Familie aus der Baubranche, die glauben, sie können sich alles erlauben. Allerdings geht es ihnen primär um Geld und darum, anderen Menschen ungestraft Schaden zufügen zu können. Das ist nicht die Idee von Rand, wie ich sie verstehe. Zwar ist Geld für Ayn Rand wichtig als Form der Anerkennung und als Garant für weitere kreative Arbeit, nicht aber als Selbstzweck; und auch wenn Rand Altruismus als Handlungsmotiv ablehnt, bedeutet das im Gegenzug nicht, dass sie dafür ist, Menschen vorsätzlich zu verletzen. Und in Veni Vidi Vici erkenne ich weit und breit niemanden wie Horward Roarke, der als kompromissloser Architekt mit einer Vision ja trotzdem auch ein Sympathieträger ist. Ich finde es eher ärgerlich, wenn man sich auf einen Roman bezieht und den offenbar gar nicht so richtig gelesen hat.
Ich bin jetzt neugierig, wie viel The Fountainhead in The Brutalist steckt, den ich im Rahmen der Viennale (danke Uncut!) sehen werde. Horward Roarke war sicher ein brutalistischer Architekt, so wie seine Gebäude beschrieben sind. Auf diesen Film freue ich mich jedenfalls sehr, auch weil ich bei diesem Thema immer an jemand denken kann und das ist schön.
Im Rahmen der Metrokino ReiheMarcello Magnifico habe ich einen meiner Lieblingsfilm, 8 1/2 oder Otto e mezzo, endlich auch mal im Kino gesehen. Das ist keine Werbung, weil das Metro Kino hat meine Reservierung verschmissen, die ich am 17. August gemacht habe (harhar), aber ich bin letztendlich trotzdem reingekommen und habe auch gleich als Entschuldigung zwei Gutscheine bekommen.
8 1/2 handelt von der Schaffens- und Lebenskrise des Regisseurs Guido Anselmi (Marcello Mastroianni). Er plant einen Film, der schon kostenintensiv vorbereitet wird, die Schauspieler warten auf ihren Einsatz, doch nun weiß er nicht mehr, was er überhaupt erzählen will und vor allem wie. Er sagt, er wollte einen “ehrlichen Film machen, der jedem hilft, das was tot in ihm ist, zu Grabe zu tragen”, aber er scheitert an der Handlung und gerade auch an seinem Leben. Nach einem kleinen Nervenzusammenbruch befindet er sich auf Kur nahe Rom, wo ihm aber sowohl seine Frau (Annouk Aimee) als auch seine Geliebte (Sandra Milo) nachreisen, einige seiner Schauspieler und auch sein Assistent. Guido flüchtet daraufhin immer öfter in Tagträume…
Der Kritikerpapst Roger Ebert schrieb in seiner brilliant formulierten Kritik über den Film: “8 1/2 is the best film ever made about filmmaking”. 8 1/2 hat sehr viele surreale und nicht ganz fassbare Szenen, die man aber, so finde ich, nicht unbedingt komplett verstehen muss, um von ihnen fasziniert zu sein. Guidos Assistent erörert einmal mit ihm das Drehbuch und sagt ihm dabei quasi: Du machst keinen Avantgarde Film, aber dein Film hat alle Schwächen eines Avantgardefilmes, harhar. Das ist genial: damit hat Fellini nämlich schon die kritischen Repliken auf seinen eigenen Film quasi vorweggenommen, denn einige Kritiker stoßen sich bei 8 1/2 genau an dessen Konfusion und scheinbarer “Ziellosigkeit”.
8 1/2 ist sehr italienisch, mit vielen schönen italienischen Menschen und hat wieder praktisch alle Fellini Markenzeichen vereint: Zirkusversatzstücke (Zauberer, Wahrsagerin), das Meer, die eigenwillige Dorfprostituierte, die katholische Kirche, hier in Gestalt eines Kardinals, die dekadente Gesellschaft, Tanz und generell die Musik, als Leitmotiv. Ich finde, dass Nino Rotas Soundtrack hier fast noch prägnanter ist als in Der Pate. Er akzentuiert Guidos Verwirrung und changiert zwischen Lebensfreude und Verzweiflung. Er wirkt auch oft als ironischer Unterton. 8 1/2 ist zumindest semi-autobiografisch – Fellini verarbeitet hier seine eigene Krise.
Der Film ist ein Fundus für viele nachfolgende Filme und andere popkulturelle Werke geworden. Die Szene in Pulp Fiction habe ich ja schon beschrieben. Aber auch die Anfangssequenz, als Guido sich aus seinem Auto befreit und über dem Stau schwebt, wurde später im REM Everybody hurts aufgegriffen, Michael Stipe ist da sogar ganz ähnlich gekleidet wie Mastroianni, inklusive Hut. Woody Allens Stardust Memories referenzieren ebenso auf 8 1/2 wie Charlie Kaufmanns Synechdoche New York – der mich persönlich aber eher genervt hat. Das (ur arge) Video von Aphex Twins Windowlicker erinnert mich von der Dymanik und von der Stimmung komischerweise total an manche Szenen in 8 1/2. Aber nachdem ich dazu nichts ergoogelt habe, bin ich da wohl die einzige, der das so geht.
Fazit: Ich glaube, der Film kann einem auch gar nicht gefallen, ich würde es verstehen. Aber ich liebe ihn auch nach wiederholter Sichtung immer noch sehr, auch weil er – trotz aller Krise – sehr positiv und lebensbejahend ist, und das gefällt mir immer viel besser als wenn Regisseure mit sich selbst und der Welt eh schon abgeschlossen haben.
Worum geht es also in The Substance? Das ist relativ schnell erzählt. Die Schauspielerin und Fitness Vorturnerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore) erfährt zu ihrem 50. Geburstag von ihrem Boss Harvey (sic!!!) (Dennis Quaid), dass sie leider gefeuert ist. Es wird eine jüngere Nachfolgerin – bewerben können sich Frauen bis 30 – gesucht. Das stürzt Elisabeth, die weder irgendwelche Familie noch Freunde zu haben scheint, in eine veritable Depression. Zufällig kommt es zu einer Begegnung mit jemandem, der ihr sagt: Das muss doch nicht sein, es gäbe da so eine Substanz, die einen wieder jünger und begehrenswerter mache. Elisabeth bestellt daraufhin diese Substanz und beginnt mit der Duchführung des “Prozederes”…
Kleinere Spoiler können folgen
Ich mag Horrorfilme nicht besonders, aber The Substance ist m.E. kein Horrorfilm, zumindest über weite Strecken nicht. Es ist der Kampf um das Zurückholen der Jugend mit erstaunlichen Methoden und Konsequenzen. The Substance ist vor allem ein atmosphärisch, auditiv und visuell für mich extrem beeindruckener Film, der mich zwei Stunden total gefesselt hat – die letzten 20 Minuten habe ich nicht mehr hingeschaut harhar. Nicht alles ist ganz schlüssig, die Charaktere bleiben schon in gewisser Weise an der Oberfläche, aber dennoch gibt es zwei, drei extrem eindringliche Szenen, die komplett unter die Haut gehen. Der Film gesamt ist irgendwie die Langversion des Ratschlags “So jung wirst du nie wieder sein wie heute, also genieß es einfach.”
Zu den Diskursen, ob The Substance nun feministisch oder antifeministisch ist, würde ich sagen, ich denke nicht, dass die Regisseurin Coralie Fargeat unbedingt in diesen Kategorien denkt. Die Darstellerinnen Moore und Qualley sind sehr oft nackt zu sehen, die Kameraführung ist ein “Male Gaze”, oder wie Margaret Qualley sagte, ihr wurde die ganze Zeit nur auf den Hintern, den Busen und zwischen die Beine gefilmt, und das hat sie komplett fertig gemacht. Das verstehe ich auch total, dennoch geht es in diesem Film natürlich genau darum, um das Schauen und Beurteilen, um Begehrlichkeiten, um Aufmerksamkeit, um den Wunsch gesehen und gefeiert zu werden. Man kann und soll über das alles diskutieren, aber für mich ist es ein Film, den ich einfach abseits jedes Diskurses als Erlebnis genossen habe.
The Substance ist wahrscheinlich Demi Moores Pulp Fiction. Wie John Travolta damals war sie ewig weg von der Leinwand und kommt nun mit einer wirklich erstaunlichen “Signature-Rolle” zurück, die sie komplett ausfüllt. Margaret Qualley ist eigentlich ein “Nepo-Baby”, wobei ich sie in drei Filmen gesehen habe und sie super fand und erst dann erfahren haben, dass sie die Tochter von Andie MacDowell ist. Und Dennis Quaid wird hier sicher sehr gerne gehasst, für sein Portrait eines Mannes, der sich für unwiderstehlich hält und sich anmaßt, Frauen zu sagen, wann sie leider nicht mehr unwiderstehlich sind.
Hinzuweisen wäre vielleicht noch die Botschaft, die Elisabeth am Anfang über The Substance bekommt. Ihr Informant schreibt “It changed my life.” Und ganz ehrlich, wer denkt da nicht diesem Satz zunächst daran, dass das ein verheißungsvolles Versprechen ist? Besonders, wenn man sich gerade schrecklich fühlt. Wer denkt daran, dass Veränderung auch ganz etwas anderes bedeuten kann? Es kann durchaus auch eine Warnung sein.
Während andere Menschen hitzig darüber diskutieren, ob der Film The Substance, der gerade in unseren Kinos läuft und Demi Moore auf die Leinwand zurückbringt, feministisch oder das Gegenteil, wenn nicht gar misogyn ist, trotz der weiblichen Regisseurin Coralie Fargeat, frage ich mich ganz etwas anderes.
Kein Spoiler, die folgende Information ist praktisch schon im Filmtitel ablesbar.
Also mal abgesehen davon, dass ich mir niemals eine Substanz von anonymer Quelle, die ich mir aus einem Postschließfach abhole, und die mich verjüngen soll, einfach so selbst injizieren würde: Woher weiß die Figur von Demi Moore komplett ohne Anleitung, wie sie sich “The Substance” zuführen soll? Ich mein, da gibt es Röhrchen und Spritzen und Flüssigkeiten und Pumpen, ich weiß nicht mal, wie das alles heißt, was sie in dem Päckchen vorfindet. Es sieht ja alles sehr stylisch aus, aber nirgendwo ist eine Gebrauchsanweisung dabei. Und ein You Tube Tutorial gibt es dazu natürlich auch nicht, das ist ja alles quasi unter der Hand.
Das wäre für mich der Moment als Demi Moore Figur, wo ich schon auf ganzer Linie scheitern würde. Harhar.
Bald werde ich mehr zu dem Film schreiben, der mich erstaunlich begeistert hat.
Nun könnte man ja sagen ok, muss man in einem Film alles verstehen? Sind Leerstellen nicht auch manchmal spannend und inspirierend? Ich habe 2007 den Film Inland Empire von David Lynch gesehen – das ist der, in dem Menschen mit Hasenköpfen bügeln – und ich würde meinen, dass ich diesen Film über weite Strecken überhaupt nicht verstanden habe. Trotzdem hat er mich fasziniert. Das Problem bei Coppola ist hier ja auch nicht, dass sein Werk so avandgartistisch-subtil ist, dass man die Szenen deshalb nicht nachvollziehen kann, im Gegenteil: Großteils ist alles sogar sehr, wie man so schön sagt “on the nose”.
Beispiel Requisiten. Wir sind in New Rome. Also graben wir alles aus, was irgendwie “römisch” ist. Sandalen mit Riemen, die sich um den Unterschenkel schlängeln. Weintrauben, die man natürlich im Liegen isst. Überhaupt überall Obst. Die Frisur von Adam Driver. Die Namen, die man quasi im Liber Latinus nachgeschlagen hat. Togen, eine Kolloseum-artige Arena, Gladiatorenkämpfe. Shia Labeouf in Drag und so weiter. Beispiel Symbolismus. Man sieht vor dem Gerichtsgebäude eine Statue der Justizia, die eine Waage in der Hand hält, klar, sie ist dafür da, gerechte Urteile zu sprechen. Aber als Cesar mit seinem Wagen vorbeifährt, da bricht sie völlig verzweifelt in sich zusammen (CGI sei Dank). Was soll uns das natürlich sagen: in New Rome gibt es offenbar keine funktionierende Jusitz mehr.
Auch die Figurenzeichnung ist fragwürdig. Julia wird als oberflächliche Partygeherin eingeführt. Ist ja nichts dagegen zu sagen, aber später im Film, bei einem Essen mit ihren Eltern und Cesar, zitiert Julia dann längere Sentenzen von Mark Aurel flüssig und fehlerfrei (das war übrigens der Punkt, wo das Publikum zum ersten Mal gelacht hat). Vielleicht geht das zusammen: Vorliebe für das leichte Leben und gleichzeitig aber auch Schriften von alten Kaisern lesen und deklamieren. Aber wirklich stimmig wirkt es halt so übergangslos auch nicht.
Und letztendlich: Ich glaube, ich weiß, was Coppola sagen will, aber ich bin nicht sicher, ob er das wirklich auch sagt. Weil was bleibt zurück, vom genialen Cesar und seiner Utopie für die Zukunft? Eine Art 15 Minuten Stadt, die man per Laufband erschließt. Und dafür das ganze Drama?
Ich freue mich, dass Coppola diesen Film drehen konnte, obwohl der Narrativ: er hatte nur seinen Traum auch verkürzt ist. Seinen Traum und halt 120 Millionen Dollar, harhar. Ich bereue keineswegs, diesen Film gesehen zu haben. Aber mich hat Megalopolis leider überhaupt nicht erreicht.
Worum geht es in Megalopolis? Die Stadt New Rome ist in der Krise. Der Architekt und Visionär Cesar Catilina (Adam Driver) will mit seinem neuem Werkstoff Megalon und viel Enthusiasmus die Stadt verändern, während der Bürgermeister Cicero (Giancarlo Esposito) an der alten Ordnung, die von Korruption und Gier geprägt ist, festhalten will. Als Catilina Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) kennenlernt und sich in sie verliebt, werden die Dinge noch komplizierter…
Mögliche Spoiler
Nun könnte man sich ja denken, ok, das Motiv jung gegen alt, modern gegen verstaubt, gut gegen böse, wenn man so will, ist ja nicht unbedingt neu. Trotzdem klingt die Konstellation in Verbindung mit einer Zukunftsvision für eine Stadt und deren Bürger ja nicht uninteressant. Das Problem ist nur: Diese Plotprämisse wird von so viel Nebenhandlung und anstrengendem Surrealismus überlagert, dass sie über weite Strecken komplett in den Hintergrund tritt.
Coppola hat sehr viele Ideen. Eine Idee ist zum Beispiel, seinen Protagonisten mit der Fähigkeit auszustatten, die Zeit anzuhalten. Dieses Motiv habe ich zuletzt in Worst Person in the World gesehen, als die Protagonistin zu einem Date aufbricht und alles Leben rund um sie herum stoppt, sie läuft quasi durch eine komplett unbewegte Welt. Das war eine wirklich tolle Szene, weil es dieses Gefühl, das man vielleicht selbst kennt, absolut auf den Punkt bringt. Man ist verliebt und es zählt gerade sonst nichts anderes auf der Welt als gleich die andere Person zu sehen. Was auch immer rund um einen geschieht, es ist egal. Was macht aber Coppola daraus? Nun, also Cesar hält ab und zu die Zeit an und das wars. Wie als würde er einen Zaubertrick üben. Diese Fähigkeit hat absolut keine Konsequenz für ihn persönlich oder seine Ziele.
Und so ist es mit vielen Einfällen von Coppola. Der revolutionäre Werkstoff Megalon ist einmal enorm wichtig und im Zentrum der Geschichte, dann hören wir wieder eine Stunde lang nichts mehr davon. Was kann man damit erreichen, welche Innovationen sind möglich, was macht ihn so bahnbrechend? Coppola erzählt es uns nicht. Ähnliches gilt für die private Historie von Cesar. Er war schon einmal verheiratet, seine Frau ist unter mysteriösen Umständen gestorben, irgendwie hat das vielleicht auch mit Cicero zu tun, aber was steckt wirklich dahinter? Was bedeutet dieser Tod für Cesar? Wie hängt alles mit Julia zusammen? Wir erfahren es nicht.
Es kann natürlich sein, dass Coppola, der den Film ja schon seit 40 Jahren machen will, mit der Zeit immer mehr neue Ideen gesammelt hat, die er alle irgendwie unterbringen wollte, und wo er aber keine davon wirklich ausgearbeitet hat. Dieser Befund hilft einem als Zuseher aber auch nicht wirklich weiter.