almis personal blog

Punch-Drunk Love

Vor einigen Tagen habe Punch-Drunk Love von Regiesseur Paul Thomas Anderson angesehen, den ich zufällig auf Netflix entdeckt habe. Weil mich dieser Film an wunderbare Gespräche mit diesem einen Menschen erinnert und er den Film mochte. Ich habe viele Filme von Anderson gesehen, den aber bisher nicht.

In Punch-Drunk Love geht es um Barry (Adam Sandler), einen Jungunternehmer mit sieben Schwestern, und einer nicht näher definierten oder gar diagnostizierten psychischen Beeinträchtung, die sich unter anderem in einem Wechsel an betont höflichen Umgangsformen und unkontrollieren Wutausbrüchen äußern. Eines Tages lernt er Lena (Emiliy Watson) kennen, eine Arbeitskollegin einer seiner Schwestern und er verliebt sich in sie…

SPOILER, ABER DER FILM IST SCHON ETWAS ÄLTER

Wer glaubt, dass es sich hierbei um eine herkömmliche romantische Komödie handelt oder, dass PTA eine solche überhaupt drehen würde, der irrt natürlich ganz massiv. Punch-Drunk Love ist von der ersten bis zur letzten Szene extrem seltsam, wie es sich für eine PTA Film gehört und zeigt uns, was man sonst halt eher nicht sieht, in Liebesfilmen. Vor allem das, was quasi zwischen den Treffen von Barry und Lena passiert, in Barrys Leben. Und da passieren eine Menge Dinge, die im Grunde gar nichts miteinander zu tun haben.

Wir beobachten Barry vor seinem funktional-hässlichen Firmengebäude im San Fernando Valley, wo die Sonne so hell scheint, wie sie das nur ganz früh am Morgen tut, und plötzlich steht ein Harmonium vor ihm, das er ohne weitere Erklärung mit sich nimmt. Wir nehmen verblüfft zur Kenntnis, dass Barry alle paar Minuten von einer Schwester angerufen wird, eine Mischung aus Fürsorge und Kontrolle. Wir sehen Barry, wie er widerwillig eine Familienfeier besucht und als er die Tür öffnet und hört, was gesprochen wird, die Tür gleich wieder (von außen) zumacht.Wer kann es ihm verdenken? Er geht aber dann doch hinein und vertraut sich einem seiner Schwager, einem Arzt, an, er sagt: “I don’t like myself sometimes. Can you help me?” Und der Schwager: “Barry, I am a dentist.” Wie sehen Barry im Supermarkt, wo er dutzendweise billigen Pudding kauft, mit dem er Vielfliegermeilen sammeln will. Mit diesen Vielfliegermeilen beschäftigt er sich ausführlicher als mit seinen Gefühlen zu Lena.

Interessant ist, dass Barry die ganze Zeit einen auffälligen, blitzblauen Anzug trägt, jeden Tag, den er aber davor, so sagen seine Schwestern, noch nie getragen hat. Das finde ich insofern bemerkenswert, als dass wir als Zuschauer Barry somit visuell ganz anders erleben, als ihn die Menschen in seinem Leben bisher wahrgenommen haben. Lena sieht etwas in ihm, das sie fasziniert und bezaubert, auch wenn er mit blutenden Händen, weil er gerade das Gäste WC eines Restaurants kurz und klein geschlagen hat, an den Tisch zurückkommt. Und wir als Zuseher bemühen uns, genau das auch zu sehen, was sie sieht. Mit ihren Augen. Oder fragen wir uns vielleicht auch manchmal ein bisschen, was ist eigentlich mit ihr los, dass sie sich von ihm angezogen fühlt?

Um es kurz zu machen: So richtige Antworten bekommt man nicht. Man kann sich nur mitreißen lassen, entführen in die durch und durch merkwürdige PTA Welt, und kann genießen, dass Adam Sandler, den man nicht unbedingt aus den alleranspruchsvollsten Filmen kennt, hier wirklich gut, nuanciert und höchst glaubwürdig einen (nennen wir es mal) Soziophobiker spielt. Der Kritiker Roger Ebert hat sich damals, vor über 20 Jahren, einen neuen Karriereweg für Sandler gewünscht, so ein bisschen Bill Murray mäßig, wenn man so will. Ganz ist das nicht aufgegangen. Aber so alle zehn Jahre, heißt es, macht Sandler einen wirklich guten Film harhar. Mit Uncut Gems war er vor fünf Jahren sogar in der Nähe einer Oscar-Nominierung. Die kommt auch noch. So in fünf Jahren.

Bond?

Hier kommt er, der Blogeintrag quasi ohne Expertise, harhar.

Einige Menschen haben mich auf den neuen Bond Regisseur Denis Villeneuve angesprochen und was ich dazu sage. Die Nerds feiern das ja ziemlich.

Also ich fühle mich jetzt ehrlich gesagt nicht als James Bond Kenner. Ich habe schon recht viele Bonds gesehen, einige aber auch komplett auf Autopilot, weil ich der Handlung nicht folgen konnte und/oder sie mir wurscht war. Von Denis Villeneuve kenne ich nicht allzuviel, das was ich kenne, ist aber ziemlich gut. Ich würde sagen, er ist ein Suspense Regisseur mit Arthouse Schlagseite. Das heißt, er inszeniert schon gewaltvolle Filme, aber mit echt schönen, fast romantischen Bildern und oft auch nachdenklich, differenziert gezeichneten Protagonisten, also er bricht ein bisschen das Genre, wenn man so will.

Im FM4 Filmpodcast meinte Pia Reiser, das werden keine lustigen Bonds werden. Ich hoffe aber, es wird auch nicht so dröge (ein Wort, das ich eigentlich nicht in meinem aktiven Wortschatz habe) wie Skyfall, den ja viele für besten Bond aller Zeiten halten. Ich fand aber wirklich jeden anderen Daniel Craig Bond besser, sogar den schon im Titel sperrigen Quantum of Solace, weil Skyfall war (für mich) soo bemüht ernsthaft und auch so hoffnungslos-depressiv, absolut ohne (Selbst)ironie; das ist Bond als Charakter für mich jetzt auch nicht.

Anyway, noch gibt es ja weder ein Buch, noch einen Hauptdarsteller, harhar. Und da haben Pia Reiser und Christian Fuchs überlegt, wer es denn werden könnte und Pia Reiser so: “Ich wäre für Josh O’Connor, weil der halt auch irgendwie so eine, ich nenne es mal deppert, Softness hat und so ein anderer Männertyp irgendwie ist.” Ja, ja, ja, sage ich dazu nur. Einerseits. Anderseits würde ich lieber noch mehr Josh O’Connor Indiefilme, unter anderem von Alice Rohrwacher sehen, als ihn jahrelang von der Bond Franchise verschluckt wissen. Ich glaube aber eh, dass er nicht mehr im Rennen ist, vielleicht auch, weil er nicht will.

Wir werden sehen.

Le Meraviglie

Wie angekündigt, habe ich beim italienischen Filmfestival im Votivkino auch noch den dritten Film aus der Land-Trilogie von Alice Rohrwacher gesehen, chronologisch ist das der erste Teil, Le Meraviglie (Die Wunder), aus dem Jahr 2014.

In diesem Film geht es um eine Familie von Bienenzüchtern in der Toskana. Vater Wolfgang (Sam Louwyck), ursprünglich aus Deutschland, schafft es mit seinem Gewerbe eher schlecht als recht, seine Familie, bestehend aus seiner Frau Angelica (Alba Rohrwacher) und seinen vier Töchtern über Wasser zu halten. Sie sind immer von der Delongierung bedroht. Am Strand sehen sie einmal zufällig Dreharbeiten zu einer Realityshow, die nach Familien sucht, die regionale Produkte erzeugen. Die älteste Tochter Gelsomina (Maria Alexander Lungu) ist von der Moderatorin Milly (Monica Belluci) angetan und möchte ins Fernsehen. Wolfgang ist strikt dagegen, obwohl sie das Geld, das auf einen Gewinn der Show steht, sehr dringend brauchen würden…

Le Meraviglie ist sicher der am wenigsten ausgereifte und unzugänglichste Film dieser Trilogie, obwohl er schon alle Ingredenzien hat, die auch die späteren Werke von Rohrwacher auszeichnen.

Zum einen die naturalistische Schilderung des Landlebens und hier besonders der Armut, die sich vor allem in sehr einfacher Kleidung, dem desolaten Wohnhaus, einer gewissen Verwahlosung zeigt. Zum anderen gewisse surreale Elemente: Die Betten stehen immer wieder mal mitten auf dem Hof und die Familie wacht dann dort auf. In der Umgebung wird geschossen, es wird aber nie klar, warum. Einmal kauft der Vater ein Kamel, das dann am (auch kaputten) Karussell der Kinder angebunden wird. Und auch wieder das Märchenhafte: Belluci als “bezaubernde” Moderatorin, verkleidet als eine Art Nixe, seltsam faszinierend.

Aber Rohrwachers Stil schafft es hier noch nicht so wirklich, auf den Punkt zu kommen, was in manchen Reviews etwas euphemistisch als “Befreiung von narrativen Zwängen” bezeichnet wird, harhar so kann man es auch sagen. In anderen heißt es, es wäre “too understated” und dem muss ich mich anschließen. Mir ist das auch etwas zu dahintreibend gewesen, die Elemente der Erzählung stehen recht ungewichtet nebeneinander. Mich hat es daher nicht so in den Bann gezogen werden, wie Lazzaro Felice, wo ich weinen musste. Obwohl auch hier vieles sehr tragisch ist. Vor allem habe ich eine extreme Abneigung gegenüber dem Vater empfunden, der so richtig unsympathisch und derb der ganzen Familie das Leben zur Qual macht. “Non rompere” quasi sein Kommentar zu allem, “Geh mir nicht am Arsch auf die Nerven.”

Eine richtige Zuneigung scheint er nur zu Gelsomina zu empfinden, aber auch diese Beziehung wirkt ungesund, weil er Gelsomina -den Namen kenne ich persönlich nur als den der enorm tragischen Hauptfigur in Fellinis La Strada– in die Rolle des eigentlichen Familienoberhauptes drängt, die überall mitanpacken, alles (mit)entscheiden soll, die auch alle ganz offensichtlich als die intelligenteste und patenteste Person der ganzen Familie empfinden. Manchmal nimmt sie die Bienen in den Mund und lässt sie von dort wieder hinauskrabbeln. Das hat mich ein bisschen an meinen Opa erinnert, der das mit einer brennenden Zigarette machen konnte, sie komplett im Mund verschwinden und dann wieder auftauchen zu lassen, ohne sich wehzutun oder sie damit auszulöschen (bevor er das Rauchen aufgegeben hat).

Maria Alexandra Lungu als Gelsomina ist wunderbar, auch die etwas kleinere Schwester Marinella (Agnese Graziani), die, wie man in Wien sagen würde, eine richtige “Düsn” ist. Sie braucht nur auf gewisse Art und Weise dreinschauen und das Publikum lacht. Ansonsten noch eher ein, wenn auch interessantes, Experimentierfeld.

Sommerpläne 1

Mit dem Schulschluss naht auch der Sommer und wie immer fahre ich nicht weg. Ich habe vor, das kulturelle Programm in Wien zu nutzen, vor allem das Sommerkino in seinen verschiedenen Ausprägungen (unbezahlte Werbung), ich weiß, das kommt jetzt sehr überraschend.

A. hat ich gefragt, ob wir uns vielleicht etwas bei Kino wie noch nie ansehen. Das ist das Sommerprogramm vom Metro – und im Nonstop Kinoabo inbegriffen. Die Filme fangen bei Einbruch der Dunkelheit im Augarten an und sind am Tag darauf nochmal im Metrokino zu sehen. Das Flair im Augarten ist sicher super, allerdings hab ich immer das Problem der späten Beginnzeit, da ist die Heimfahrt manchmal schwierig. Die Filmauswahl scheint keinem bestimmten Konzept zu folgen. Es gibt aktuelle Filme, schon älteres und auch österreichisches.

Das Votivkino bringt heuer wieder sein, zumindest bei mir, sehr beliebtes Was Wir Lieben. Da wählen die Kinomitarbeiter selber ihre Lieblingsfilme aus, die dann gezeigt werden. Jedes Jahr hoffe ich auf La La Land. Im Juli ist es heuer zumindest noch nicht dabei, obwohl ich es hier schon mehrfach vorgeschlagen habe, tsts. Und außerdem, wenn wir schon dabei sind, was lieben wir eigentlich an Everything Everywhere All At Once oder Tree Of Life? Also ich persönlich ja nichts harhar, aber gut, man kann natürlich nicht alles super finden. Ich interessiere mich dafür besonders für Rear Window von Hitchcock, den ich tatsächlich noch nie (!) gesehen habe und Portrait Of a Lady On Fire.

Dann gäbe es noch Kino am Dach, da gibt es auch (Liebesfilm)Klassiker, die man auf Instagram mitwählen konnte, vornehmlich aber recht aktuelle Filme, weshalb ich sehr viel schon kenne, anderes sowieso auch bisher nicht sehen wollte (harhar) es gilt hier aber auch kein Nonstop-Abo. Das Gartenbaukino haut vor seiner Sommerpause einfach noch schnell random Barry Lyndon von Stanley Kubrick raus, und das ist schon ziemlich super. Ich habe den Film vor langer Zeit einmal gesehen, und es geht mir wie dem Protagonisten aus Hanekes Amour: “I don’t remember the film. But I remember the feeling”. Und das war gut, das Gefühl.

Ein paar neue Filme laufen im Sommer auch an, unter anderem The Materialists von Celine Song, für deren Erstling Past Lives ich mich weniger erwärmen konnte, als ich das erwartet hatte und das hier ist auch wieder eine Dreiecksgeschichte. Außerdem der “Corona Western” Eddington von Ari Aster. Und Aster in Kombination mit diesem ähm Genre, das macht mir schon etwas Angst.

Jedenfalls gibt es reichlich Filmauswahl, auch im Sommer.

Kleines Interview

In meiner persönlichen Recherche zu Lazzaro Felice hab ich ein ur tolles Interview mit Regisseurin Alice Rohrwacher und Josh O’Connor gefunden. O’Connor, den ich erstmals in Challengers gesehen und sofort einen Faible für ihn entwickelt habe, hat im Nachfolgefilm La Chimera die Hauptrolle gespielt und dafür Italienisch gelernt. Und wie es dazu kam, erzählen sie in diesem Interview.

O’Connor ist ja Engländer und schon relativ bekannt, würde ich sagen. Er hat (den jungen) Charles in The Crown gespielt und wurde auch schon als möglicher James Bond gehandelt. In diesem Interview erzählt er, dass er Happy as Lazzaro gesehen hat und wusste, er muss mit Rohrwacher arbeiten. “She makes my favorite movies”. Er hat seinen Agenten gesagt, er müsse mit ihr in Kontakt treten und dieser darauf nur “Good luck” harhar. Es waren keine Kontaktinformationen zu finden. So hat O’Connor ihr immer wieder Briefe geschrieben, adressiert an: Alice Rohrwacher, Umbria, Italy, “I hoped, the postman would find it.”

Irgendwann kam es zu einem Zoom Call, Rohrwacher war gerade dabei, die Hauptrolle in La Chimera zu besetzen, aber ihr Portagonist war älter konzipert als O’Connor eben ist. Nach dem Gespräch war sie sich aber sicher, er ist es. Und seitdem lieben sich beide wechselseitig sehr, wie man beim Interview sehen kann, harhar. Bei den Filmen gehe es so familär zu, es werde quasi gemeinsam gelebt, es gäbe “the best food” und Rohrwacher will am liebsten alle Darsteller, mit denen sie gearbeitet hat, wieder besetzen, daher gäbe es bei La Chimera schon an die 50 Charaktere.

O’Connor sagt: “She encourages you to not look at what a straight forward character might think in any moment. Instead what are the secrets? What aren’t we showing? What is he feeling what maybe we don’t have to show?”

Genauso habe ich seinen Charakter in La Chimera empfunden. Von mir aus können sie noch viele Filme zusammen drehen.

Lazzaro Felice

Lazzaro Felice (Glücklich wie Lazzaro) ist, wie gesagt, der zweite Teil von Alice Rohrwachers Landleben Trilogie.

Es geht um ein Arbeiterkollektiv in einer italienischen Provinz, der genaue Ort und die Zeit wird nicht ganz klar, das für die unerbittliche Marchese de Luna (Nicolette Braschi, btw. die Ehefrau von Roberto Benigni) die Tabakernte erledigt und auch sonst das Land bewirtschaftet. Sie werden für ihre Dienste nicht bezahlt, nachdem dieser Teil durch eine lange zurückliegende Flut vom Rest des Landes getrennt wurde, weiß niemand, dass die Leibeigenschaft längst verboten worden ist. Lazzaro (Adriano Tardiolo) ist einer von ihnen, der so gutmütig, dumm, naiv oder einfach menschlich ist, dass er von denen, die versklavt sind, wiederum “versklavt” und herumgestoßen wird. Doch eines Tages freundet er sich mit dem Sohn der Marchesa, Tancredi, an und sein Leben nimmt eine Wendung…

ACHTUNG HIER FOLGEN WIRKLICH MASSIVE SPOILER, WEIL MAN SONST ÜBER DEN FILM NICHTS SCHREIBEN KANN. ICH HABE EUCH GEWARNT!

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, es gibt so viel zu diesem wunder-wunderschönen Film zu sagen. Zunächst Lazzaro. Er ist eine Figur irgendwo zwischen Forrest Gump und Till Eulenspiegel. Er versteht keine Zweideutigkeiten und keinen Zynismus, er nimmt alles, was ihm gesagt wird, wortwörtlich. Und das würde ihn in laufend ins Unglück stürzen, wenn er nicht so ein grundehrlicher, aufrechter Mensch wäre, der sich einfach an allem erfreuen kann. Auch daran, von den anderen permanent gebraucht zu werden, er sieht es nicht als Ausnützen an. Nur die junge Antonia scheint sich ehrlich für ihn zu interessieren. Manchmal steht er einfach so eine halbe Stunde im Regen und schaut in die Welt. Er ist innerhalb von sonderbaren Menschen ein “Sonderling”.

Lazzaro weiß nicht, wer seine Eltern sind, es spielt in dieser Gemeinschaft auch keine Rolle. Der, sagen wir mal, limitierte Genpool könnte eine Erklärung für Lazzaros Verhalten sein, aber das greift viel zu kurz. Mit Tancredi verbindet ihn (von seiner Seite aus) eine tiefe Freundschaft. Für uns Zuseher wirkt es natürlich so, als würde auch Tancredi ihn nur als Mittel zum Zweck sehen. Und das ist einer der Zauber dieses Filmes, dass unser Wahrnehmung, unsere Haltung “Jetzt wehr dich doch endlich! Jetzt lass doch nicht alles mit dir machen!” durch die Gleichmut von Lazzaro herausgefordert wird. Wieso ist dieser Mensch nur immer so glücklich?

Irgendwann wird die Dorfgemeinschaft durch die Polizei befreit und in eine nahe Stadt umgesiedelt. Lazzaro stürzt genau zu diesem Zeitpunkt in eine Schlucht. Ist er tot? Ab diesem Moment wird der Film zu einem Märchen, denn Lazzaro (siehe sein heiliger Namensvetter) steht nach langer Zeit wieder auf, gelangt auf Umwegen in die Stadt (hier muss man ein bisschen an The Village denken) und trifft sein “Rudel”, Antonia (Alba Rohrbacher, die ihren Augen nicht traut und Lazzaro voll Freude umarmt, so wie auch Trancredi wieder. Alle anderen sind, im Gegensatz zu Lazzaro, gealtert, aber auch unterschiedlich schnell. Die Reichen sind arm geworden, die Armen sind arm geblieben. Alle betteln, stehlen und betrügen für den Lebensunterhalt. Die “Befreiung” hat nichts verbessert. Eine beißende Kritik an der Gesellschaft. Und im Übrigen auch an der Kirche, denn dort werden arme Menschen, die ihrem harten Alltag kurz entfliehen und der Orgelmusik lauschen wollen, sofort als “nicht zugehörig” aus dem Gotteshaus verwiesen.

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man nun meinen, der Film erzählt darüber, wie schlecht die Welt und ihre Bewohner sind und, dass man als guter Mensch hier einfach nur verlieren, ausgebeutet und wahnsinnig verletzt werden kann. Tatsächlich merkt man aber, wenn man genau hinsieht, dass alle durch die Umstände geprägt sind, dass niemand per se ein “schlechter” Mensch ist. Dass alle Figuren auch ihre guten, warmherzigen Seiten haben, die aber durch gewisse Umstände verschüttet wurden, dennoch immer wieder einmal sichtbar werden. Rohrwacher hat ganz viel Empathie für ihre Figuren und sie schafft es, dass alles romantisch verklärt wirkt, auch das Leben neben dreckigen Bahngleisen.

Das Ende werde ich nicht spoilern, es ist noch rätselhafter und traurig-schöner als der Rest des Filmes. Ich musste nachher noch sehr lange mit den Tränen kämpfen.

Trilogie des Landlebens

Gestern habe ich den ersten Film im Rahmen des Nuovo Cinema Italia Festivals im Votivkino gesehen

Und zwar Lazzaro Felice (Glücklich wie Lazzaro) aus dem Jahr 2018 von Alice Rohrwacher. Es ist der zweite Teil ihrer Trilogie über das rurale Italien. Der erste Teil, Le Meraviglie, aus 2014 sehe ich nächste Woche, den dritten Teil La Chimera (2023), habe ich vor einigen Monaten angeschaut und ihn wirklich hervorragend gefunden.

Alle ihre Filme besetzt Rohrwacher teils mit Laiendarstellern, teils auch mit immer wieder denselben Schauspielern und Schauspielerinnen – bestes Beispiel Rohrwachers Schwester Alba, die auch überregional bekannt ist.

Die sehr schönen Stiegen ins Votivkino hinunter

Man denkt sich ja ok, das ländliche Italien der 1980er Jahre, Landarbeiter in verfallenen Häusern, Schmutz, Armut, auch Ungerechtigkeit und Brutaliät, klingt jetzt nicht extrem sexy. Italien sieht hier auch fast nie wie das Italien aus, das wir alle kennen und lieben, keine Spur von Strand, Dolce Vita und Urlaub, ganz im Gegenteil. Die Menschen sprechen eine grobe Sprache, die überhaupt nicht so lieblich ist, wie wir es gewöhnt sind. Will ich mir sowas wirklich im Kino ansehen, ist das nicht eher ein Stoff für eine kritische Dokumentation?

Aber Rohrwacher macht etwas anderes aus der jeweils tristen Ausgangssituation. Sie setzt der harten Realität einen merkwürdigen Zauber entgegen, sie verwendet mehr oder weniger märchenhafte Elemente und erfüllt alles mit zarter Poesie. Sie spielt mit verschiedenen Zeitebenen, lässt sich von Mythen inspirieren und erschafft beeindruckende, zugleich tröstliche Bilder. Und sie regt unsere Phantasie an. Es ist alles traurig und wunderschön gleichzeitig. Das ist eine besondere Gabe, sie ist eine herausragende Regisseurin. Ich habe einmal gelesen, sie sei “the future of cinema”. Und ja, das kann ich mir gut vorstellen.

Soviel einmal vorab, bevor ich mehr über Lazzaro Felice erzähle.

Armand

Nach dem Ausflug ins Topkino, zurück im vertrauten Votiv, wo die WCs nicht so angeschmiert mit Parolen sind und generell alles ein bisschen gemütlicher, wo ich meinen Holundersaft trinke, ach herrlich. Wie so eine Rentnerin, wie die Jugendlichen sagen harhar. Ich habe mir Armand angesehen, schon wieder einen norwegischen Film mit Renate Reinsve, der “Worst Person in the World” – aus dem gleichnamigen Film. Worum geht es hier?

Die Schauspielerin Elisabeth (Reinsve) wird von der Klassenlehrerin ihres sechsjährigen Sohns Armand überraschend in die Schule beordert. Anwesend sind auch Sarah und Anders, die Eltern von Jon. Jon hat gegenüber seiner Lehrerin schwerwiegende Anschuldigungen gegen Armand geäußert, die in diesem Gespräch aufgearbeitet werden sollen. Zu einem späteren Zeitpunkt stoßen auch noch der Direktor und die Administratorin der Schule dazu…

HIER GIBTS NICHT MAL ORDENTLICHE SPOILER HARHAR

Wer sich nun im ersten Moment denkt, das wäre so etwas wie Das Lehrerzimmer (steht absurderweise auch auf dem Plakat) oder gar wie Carnage, wo das Ehepaar Kate Winslet und Christoph Waltz ein streckenweise sehr amüsantes eineinhalbstündiges Eskalations-Streitgespräch mit Jodie Foster und John C. Reilly führen – nein, Armand hat damit, außer der Tatsache, dass es um Kinder geht und deren Eltern, gar nichts zu tun.

Alles an diesem Film ist höchst eigenartig. Dauernd geht der Feueralarm der Schule los, die Administratorin hat laufend Nasenbluten, was die Lehrerin ganz nonchalant zur Bemerkung veranlasst, das wäre oft ein Zeichen für Leukämie, ähhh? Alle beklagen sich, wie heiß es ist, niemand ist aber dementsprechend angezogen. Irgendwann hat Elisabeth einen fünfminütigen Lachanfall und ich spreche hier von Echtzeit. Ich meine, ich bewundere die schauspielerische Leistung, aber: What the f***? Denn: Alle diese Skurrilitäten (und ich mag Skurilles), all den Surrealismus (auch das mag ich), den der Film hier auffährt führt letztendlich nirgendwohin. Während Armand formal, wenn man so will, alle Stückerl zu spielen versucht, und auch ein bisschen elevated Horror Elemente hat, ohne ein Horrorfilm zu sein, ist inhaltlich so gut wie gar nichts dahinter.

Ja, irgendwie geht es darum, was Kinder so erzählen und wie viel davon man glauben kann. Es geht auch darum, was dahintersteckt, wenn Kinder auffällig werden, welchen Einfluss das familäre Umfeld auf die Verhaltensweisen von Kindern haben kann. Alles gut und schön, prinzipiell auch total interessant, aber kein Thema wird wirklich bearbeitet. Stattdessen haben wir Ausdruckstanz, flackerndes Licht, dunkle Schulgänge, Pseudo-Symbolismus, alles ist irrsinnig zäh und ermüdend, gibt aber vor quirky zu sein. Der Grat zwischen dem, was noch avantgardistisch ist und was schon prätentiös, ist immer recht schmal, hier kippt aber für mich alles in Richtung zweiterem. Das Ende ist dafür wie ein deutscher TV-Movie geraten.

Der Regisseur und Autor des Films, Halfdan Ullmann Tøndel ist übrigens der Enkel von Liv Ullmann und Ingmar Bergmann, auf deren Erbe er sich hier irgendwie beruft. Aber naja. Auf Letterboxd habe ich folgende Aussage gefunden: “One thing is not knowing where the story is going as an audience member, another ist not know as a writer.” Harhar ja das stimmt leider, es kommt einem zumindest so vor.

Jetzt ist erstmal Schluss mit den norwegischen Filmen, denn im Votivkino gibt es Nuovo Cinema Italia!

Oslo Stories: Liebe

Gestern habe ich nun den dritten Film der Oslo Stories gesehen, er heißt Liebe.

Im Mittelpunkt steht die pragmatische Ärztin Marianne (Andrea Bræin Hovig), in ihren 40ern, Single und kinderlos, die von ihrem Arbeitskollegen, dem sensiblen homosexuellen Krankenpfleger Tor (Tayo Cittadella Jacobsen), in die Welt des Datings – oder eher des “Cruisings” – was er am liebsten auf einer Fähre von Nessoden, einer vorgelagerten Insel, nach Oslo praktiziert, eingeweiht wird. Marianne ist hochinteressiert, denn auch sie hat ein Thema mit “konventionellen” Beziehungen…

ACHTUNG SPOILER MÖGLICH

Bei der Recherche zu diesem Post, habe ich gerade festgestellt, dass Liebe zwar als erster Film angelaufen ist, tatsächlich aber der dritte Teil der Trilogie – nach Sehnsucht und Träume – ist. Und ich würde die Filme auch in dieser, ihrer ursprünglichen, Reihenfolge empfehlen wollen. Für mich ist Liebe der Teil, den ich tatsächlich am wenigsten stimmig finde. Das ist natürlich Jammern auf höherem Niveau, denn auch Liebe ist sehenswert, allerdings mangelt es ihm, meines Erachtens an Humor, der in den beiden anderen Teilen sehr präsent war und den ich gerade auch in Beziehungsfilmen sehr entlastend finde, und er ist mir auch thematisch zu unfokussiert.

Denn der eigentliche Sachverhalt, welche Beziehungsformen gibt es zwischen unverbindlichen sexuellen Begegnungen mit einer mehr oder weniger fremden Person und einer konventionellen, dauerhaften Paarverbindung, die Menschen “gewöhnlich” eingehen, wird mit dem irrsinnig schweren und komplexen Thema der Prostatakrebserkrankung (und ihren Folgen) verbunden; was ich in diesem Zusammenhang fast schon ein wenig moralisierend finde. Denn der unkonventionelle Tor verliebt sich in einen Patienten, und erstmals (?) tritt der körperliche Aspekt des Zusammenseins in den Hintergrund, weil er das zwangsläufig muss. Marianne wiederum trifft einen geschiedenen Mann, der Kinder hat und steht vor der Frage, wie viel Verantwortung sie, die prinzipiell gar lieber keine tragen möchte, zu übernehmen bereit wäre. Dazu kommt noch, anlässlich einer Feier der Stadt Oslo, etwas willkürlich das Thema Stadtverwaltung ins Spiel – Mariannes Freundin ist dort beschäftigt. Also…naja. Da hätte ich persönlich plottechnisch gerne etwas entrümpelt.

Was ich bei Liebe wieder sehr schön fand ist das Vermitteln von Stimmungen. Die Atmosphäre auf der Fähre bei der Überfahrt. Das abendliche Schwimmen vor der Insel Nessoden, obwohl es immer kalt wirkt in Oslo, es ist Sommer und es werden aber durchaus auch Pullover getragen. Eine Szene ist besonders interessant: Ein Datum wird eingeblendet, eine Augustsonntag-Nacht, es ist dunkel, wir sehen das Rathaus Oslo für ungefähr eine halbe Minute. Wir denken, ah es passiert sicher gleich irgendwas, aber: es passiert gar nichts. Schnitt. Neues Datum, neuer Tag. Einen Reim darauf kann man sich selbst machen.

Was alle Oslo Stories abseits der großen Themen, die sie besprechen, eint, ist die Figur des Bjorn, der in jedem Teil vorkommt – was mir ehrlich gesagt nicht aufgefallen wäre. In Sehnsucht ist er aber auch nur sehr kurz von hinten zu sehen. Alles in allem tolles norwegisches Kino, schön, diese Hauptstadt nach The Worst Person in the World wiederzusehen und noch näher kennenzulernen.

Pfingstwochenende

Das Pfingstwochenende begann gefühlt Donnerstagabend, als bei Germany’s Next Topmodell das Driving Bed Shooting (oder so ähnlich) am Programm stand. Hierfür müssten sich die je fünf verbleibenden Frauen und Männer zu einem Paar zusammentun, das sich dort am Bett etwas näher kommt und dabei durch L.A. fährt. Davor sahen sie ein Musikvideo, wo Heidi K. etwas ähnliches mit Pedro Pascal tut. Alle waren so schockiert, es war schon wieder sehr lustig. Und wenn man dann Fotos mit jemand machen muss, den man nicht leiden kann – klappt das nicht wirklich. Manche konnten sich aber leiden, harhar.

Am Freitag war ich mit L. bei Joseph auf der Landstraße frühstücken. Sie haben dort eine neue Karte, wir haben uns aber wie meistens für einen Ei-Muffin entschieden, uns dann aber noch ein Müsli mit Emmer, Einkorn, Joghurt und frischen Früchten geteilt, mhmm, sehr gut.

Freitagsfrühstück bei Josephbrot – halb drinnen, halb draußen sitzend

Danach sind wir noch in die Innenstadt zu NewOne gefahren (unbezahlte Werbung), L. wollte Armbänder kaufen und so kam es, dass ich am Ende – out of the blue – auch ein Freundschaftsarmband bekommen habe, danke <3 Habe eine große Freude damit und werde es wohl nie wieder abnehmen, schon alleine deshalb, weil es mir die Verkäuferin ganz genau angepasst und dann verschlossen hat und ich keine Ahnung habe, wie es wieder aufgeht harhar.

Am Wochenende war das Wetter “quasi quasi”, wie meine italienische Schüleraustauschpartnerin es immer treffend bezeichnet hat. Ich war trotzdem im Garten und habe bei strömendem Regen und nassem Eichhörnchen am Baum daneben geschrieben, Malina gelesen und Podcasts gehört. Am Sonntag lief außerdem eine Doku von Ostfilm, an der ich wieder mitgearbeitet habe und zwar ist das Thema diesmal, recht aktuell auch, Hachschara – Israels Pioniere aus Österreich. Hierfür habe ich viele englische Interviews von Jüdinnen und Juden gehört und transkribiert.

Besonders berührt hat mich ein älterer Mann, der erzählt hat, dass sein Vater damals im zweiten Weltkrieg mit der Jugendbewegung nach Israel gekommen ist, dessen Vater wiederum, also sein Großvater, es aber nicht geschafft hat, er wurde mutmaßlich auf der Reise in einem Lager ermordet. Und dieser Mann hat bis zu seinem Tod darauf gewartet, trotzdem er selbst schon Kinder und Enkelkinder hatte, dass sein eigener Vater doch auch noch irgendwann in Israel ankommt und er ihn wiedersehen kann. Ich finde, das erzählt auch etwas darüber, wie sehr ehrliche Hoffnung jeder Logik und Vernunft trotzen kann. Manchmal braucht man diese Art der Hoffnung auch einfach, um weiterleben zu können.

Blick von der Rahlstiege in Richtung Top Kino und Bar

Zum Abschluss des Wochenendes ging es ins Top Kino, wo ich ewig nicht war und wo ich mich, wie im Schikander, recht deplatziert gefühlt habe. Jedenfalls habe ich endlich Oslo Stories: Liebe gesehen. Und das war tatsächlich für mich der sperrigste Teil der Trilogie. In Kürze dann mehr dazu.