almis personal blog

Buch Wien, eins

Heute war ich also auf der Buch Wien (unbezahlte Werbung)

Mit Falter Abo kostet das 17 Euro für einen Tag. Hat es sich gelohnt? Ich würde sagen naja. Harhar. Hear me out.

Das Gelände der Buch Wien von außen

Ich habe vier teilweise sehr spannende Lesungen bzw. Gespräche verfolgt. Zuerst hörte ich eine wirklich interessante Runde zum Thema Maschinenräume – Hinter den Kulissen der Ringstraße. Es ging, wie der Name schon sagt, darum, was sich hinter den prächtigen Fassaden der Bauten an der Ringstraße verbirgt, nämlich viele technische Innovationen. Und wie sehr ein Gebäude eben nicht nur durch das geprägt ist, was von außen zu sehen ist, Stichwort Entkernung (ich musste an jemand denken, ach ihr wisst es eh). Spannend fand ich auch, dass Andreas Nierhaus meinte, das Buchprojekt habe ihm deshalb besonders gefallen, weil es quasi vom fotografischen Standpunkt ausging und nicht von technischen oder architektonischen Überlegungen.

Danach habe ich ein paar Fetzen von Oliver Nachtweys Präsentation seines Buches Zerstörungslust mitbekommen, wirklich gegen meine Absicht, ich wollte nämlich Politik in diesem Szenario vermeiden. Ich musste dann schnell weitergehen, bevor ich dem Drang, etwas zur Bühne hinauf zu schreien, nachgeben hätte müssen. Noch funktioniert die Impulskontrolle, harhar. Ich finde halt, dass man als Soziologe mit einem wissenschaftlichen Anspruch nicht Sachverhalte so stark verkürzt bringen sollte, dass man den Eindruck gewinnen könnte, hier wird eher eine Agenda verfolgt. Vor zwei Tagen erst ist btw der BBC Chef zurückgetreten.

Anschließend habe ich mich bei der Ö1 Bühne erholt, wo Antonia Löffler ihr Buch Hydra vorstellte. Wobei “erholt” ist gut, das Buch beginnt gleich mal mit einem Flugzeugabsturz und wer mich kennt weiß, das liebe ich ganz besonders. Diesen Absturz versäumt die Protagonistin im wahrsten Sinn des Wortes allerdings und wenn man so “Final Destination”-like damit konfrontiert wird, eine zweite Chance bekommen zu haben, dann beginnt man mitunter nachzudenken, über das eigene Leben und wo man steht, sowie, in diesem Fall, über die Familiengeschichte. Das klang recht interessant, die Leseprobe hat mich nicht komplett abgeholt, aber es ist eben doch ein willkürlicher Ausschnitt.

Hier wird für das Germanistikstudium geworben – der Andrang ist riesig harhar

Und lesen Sie in Kürze: Über Florian Ilies und sein Buch über die Familie Mann, sowie Doris Knecht Ja, Nein, Vielleicht und mein generelles Fazit über die Buch Wien. Es lohnt sich! Harhar.

After the Hunt

So, nun das was sich Regisseur Luca Guadagnino über Wokeness denkt – mein Review für Uncut habe ich übrigens “Versuchsanordnung mit Plädoyer gegen die Deutungshoheit” genannt. Hübsch, gell? harhar. Genauso verkopft ist der Film, mit dem Höhepunkt einer kleinen Philosophieeinheit in Yale, die sehr viel Konzentration erfordert.

Es geht um Alma (Julia Roberts) eine Philosophie Professorin in (eben) Yale, verheiratet mit Frederik (der immer wunderbare Michael Stuhlbarg). Eines Abends findet in deren Wohnung eine Art Institutsfeier statt. Anwesend sind die Adoranten von Alma, der junge Professor und ihr bester Freund Hank (Andrew Garfield) und ihre Lieblingsstudentin Maggie (Ayo Edebiri). Hank und Maggie verlassen die Feier gemeinsam, am nächsten Tag wendet sich Maggie verzweifelt an Alma: Hank habe sie am Vorabend vergewaltigt und sie, Alma, solle sie nun unterstützen und sich klar an ihre Seite stellen…

SPOILER MÖGLICH

Guadagnino ist sich sehr bewusst, was er hier macht. Er zeigt uns zwei Protagonisten mit allen erwartbaren Klischees: Maggie als schwarze Frau in einer Beziehung mit einer nonbinären Person. Sie ist aus reicher Familie und trägt ein Septum Piercing. Ihr gegenüber Hank, ein (noch nicht sehr alter) weißer Mann, von einer enervierenden Jovialität, immer etwas zu laut, immer etwas zu sehr von sich eingenommen, manchmal Grenzen überschreitend. Wir haben alle Vorurteile gegen beide sofort im Kopf. Wie beide auftreten, erzeugt eine gewisse Skepsis.. Und nun sagt Guadagnino quasi zu uns, und nun: Wem glaubst du? Und ich denke, er hat dabei sehr viel Spaß Harhar.

Prinzipiell geht es hier um den gesamtgesellschaften Zwang unserer Tage, sich jederzeit zu allem positionieren zu müssen, egal ob man dazu überhaupt in der Lage ist oder nicht. Ein Zwang, sich auf die “richtige” Seite zu stellen, so als wäre immer alles glasklar und die Welt schwarz und weiß. Dieser Film denkt die Diskurse und Gegendiskurse immer schon mit, er positioniert sich aber nicht. Wahrscheinlich ist er deshalb “umstritten”. Alma versucht sich abzugrenzen, denn sie weiß ja tatsächlich nicht, was wirklich vorgefallen ist. Aber ihre eigene Vergangenheit kommt dazwischen und auch Frederik, der sie süffisant darauf hinweist, dass sie sich immer nur mit Menschen umgibt, die sie verehren und deswegen einen neutralen Blick, wie er für eine Professorin ihres Ranges beruflich notwendig sein würde, schon lange verloren hat.

Ich bin ein Guadagnino Fan! Ich liebe Call me by Your Name, er ist soo poetisch und wunderschön. Ich liebe auch Challengers, obwohl ganz anders, höchst temporeich und unterhaltsam. Ich schätze seinen artsy Zugang bei I am Love und Queer. Und ich mag hier in diesem Film seine Renitenz, harhar und auch die Schauspieler.

Zum Beispiel Michael Stuhlbarg, der viel berühmter sein sollte als er ist, und hier zeigen kann, dass er nicht nur die warmherzige Vaterfigur sein kann – ich mein, wie sehr haben wir seinen einfühlsamen Monolog in Call me by Your Name gefeiert? – sondern auch jemand, der seinen scharfen Verstand auch mal für leicht sadistische Spielchen einsetzt. Stuhlbarg erinnert mich auch (sogar ein bisschen äußerlich) so sehr an jemanden, dessen Gesellschaft ich einige Jahre genießen konnte, er war genauso lustig und warmherzig. Und ja, auch deswegen freue ich mich immer, wenn er in einem Film auftaucht.

The Mastermind

Eine neue Woche, ein neuer Josh O’Connor Film.

Wie ihn O’Connor selbst beschreibt: “I play J.B Mooney in The Mastermind. The Mastermind is an art heist film, about a man who thinks he has go a great idea, and gradually, as the film goes on, we discover – I don’t know if he knows – that it was not such a great idea.”

J.B. Mooney ist ein verhinderter Künstler, aktuell ein arbeitsloser Tischler, aber wohl eher aus Faulheit, Vater zweier halbwüchsiger Söhne, seine Frau Terri (Alana Haim) verdient das Geld für die Familie. Er entwickelt die Idee eines Kunstraubs im örtlichen (kleinen, süßen) Museum, mit zwei Komplizen, aber die Dinge laufen dann doch irgendwie anders, als Mooney das geplant hatte…

DIE ÜBLICHE SPOILERWARNUNG

Den Titel des Filmes kann man also getrost mit ironischem Unterton lesen, denn Mooney steckt zwar irrsinnig viel Zeit und Energie in den Versuch, nichts arbeiten zu müssen, sondern lieber etwas zu stehlen, obwohl seine Tischlereien sehr schön anzusehen sind. Ein Meisterdieb ist er trotzdem absolut nicht. Er hat keinen Plan B dafür, was er tun wird, wenn irgendwas im geplanten Ablauf nicht funktioniert, was, sind wir ehrlich, bei solchen Unternehmungen meistens der Fall ist. So selbstverständlich auch hier.

Dieser Film ist langsam und auch teilweise enervierend detailliert erzählt, was offenbar ein Trademark der Regisseurin Kelly Reichardt ist. Wir beobachten Mooney beispielsweise minutenlang, wie er Bilder auf einer Leiter auf und ab trägt. Wem jetzt diese Vorstellung schon Unbehagen bereitet, für den ist dieser Film sicher nicht geeignet. Er würde auch, wage ich zu behaupten, ohne Josh O’Connor, seiner Aura und Nuanciertheit nicht funktionieren. So hat er für mich aber dennoch seine Momente, die abgesehen vom Protagonisten vor allem in der vermittelten Stimmung der Zeit dieses Amerikas des Jahres 1970 liegen. Die grobkörnigen Bilder, die Farben, die Art, wie alle miteinander umgehen, das ist schon sehr schön beobachtet und eingefangen.

Es gibt etwa eine Szene, in der Mooney sich mit seiner Mutter trifft, um von ihr Geld naja, zu schnorren. Und wie Reichhardt das in Szene setzt, die dominate, aber auch besorgte Mutter, J.B. mit seinem – so sieht es aus – Kinderteller und dazu Cola trinkend, der ihr Geld für einen Blödsinn (denn das ist es) aus der Tasche ziehen will, das ist schon eine schöne “Parallelführung”. Oder als Mooney von seinen Auftraggebern verprügelt wird und sein eigener kleiner Sohn daneben im Auto sitzt und zwar “Dad” schreit, aber trotzdem weiter sein Mc Donalds Sackerl in der Hand hält und darauf wartet, weiteressen zu können, herrlich. Generell scheint den Fakt, dass Mooney, sollte er gefasst werden, eine hohe Haftstrafe zu befürchten hat, niemand sonderlich zu beunruhigen.

Auf letterboxd wieder beste Kommentare: “Man on the run? More like a man on a super slow leisurely walk” “Finally a heist movie, you can fall asleep to” Und am besten: “Josh O’Connor stealing art is my favourite movie genre.” Ja natürlich, er war ja auch ein Kunsträuber im tollen italienschen Indie Film La Chimera, aber halt ein ganz anderer, ein gebrochener, sensibler Intellektueller. Trotzdem fand ich The Mastermind schon auch sehenswert, wenn man sich auf die Langsamkeit einstellen kann.

Über Charaktere

Man kann Charaktere in Erzählungen und Romanen sehr konventionell beschreiben, über äußere Merkmale wie Körpergröße oder Haarfarbe oder auch über Charaktereigenschaften wie Großzügigkeit oder Arroganz. Aber das ist halt auch wenig originell und lässt die Person, die man beschreiben will, jetzt nicht unbedingt sehr plastisch erscheinen, wenn man nur so Gemeinplätze widergibt. Besser ist es, hier möglichst detailliert zu werden, weil man da so viel mehr transportieren kann.

Letztens hat mir zum Beispiel jemand erzählt, dass bei einem Treffen die Stimmung sofort in den Keller ging, als eine gewisse Person auftauchte und da dachte ich mir, das wäre doch auch eine schöne Beschreibung. Jemand hat das Talent, und es ist eines, die ganze Luft aus einer Feier herauszulassen, die ganze Energie zu ziehen. Die Begabung, einen Satz zu sagen, mit dem sich jeder im Raum sofort unwohl fühlt.

Schön kann man es auch über Essgewohnheiten machen. Einen Menschen zu beschreiben, der, wenn er sein Schnitzel serviert bekommt, nicht gleich anfängt zu essen, wie wohl die meisten. Sondern, der das Schnitzel zuerst mal klein schneidet und ausgiebig salzt und dabei lustige Sachen erzählt. Ich kannte so jemanden. Oder mein Opa, der immer zuerst die ganze Suppe gegessen und sich die Suppeneinlage, Nudeln, Frittaten oder Backerbsen, aufgehoben hat. Sogar angeboten hat, mir diese Einlagen zu schenken. Das habe ich immer abgelehnt, weil ich dachte, da isst er nur die bloße Suppe und dann hat am Ende nichts davon. Es gibt auch Menschen, die in Lokalen den Tisch immer auf ihren Vornamen reservieren, als hätten sie gar keinen Nachnamen.

Jeder Mensch hat so viele kleine Eigenheiten, die ihn irgendwie liebenswert oder besonders machen. Ein Mensch, der auf seiner Musik Playliste, jeden Song etwa 15 Sekunden spielt und dann zum nächsten skippt. Ein Mensch, der unliebsame Leute in seiner Umgebung mit verschiedenen Schimpfwörtern (“Der Trottel”, “Der Arsch”) bezeichnet. So viel zum Thema liebeswert harhar. Ein Mensch, der dauernd einen Spruch zur jeweiligen Situation hat wie “Dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt” oder “Durch Arbeit ist noch niemand reich geworden.” Und schließlich ein Mensch, der gerne zur U-Bahn gelaufen ist, die Stiegen oder die Rolltreppe hinunter, egal ob die Ubahn schon da war oder nicht. Schön.

Das war nur ein kleines Brainstorming meinerseits. Folgt mir für weitere Profi-Schreib-Tipps harhar.

ESC Rückkehrer und Vorentscheide

Die neue ESC Saison steht jetzt nicht direkt vor der Tür, trotzdem werden gerade ein paar Entscheidungen getroffen und drei betreffen Länder, die 2026 zurückkehren. Eh gut, weil so viele andere gehen wollen, harhar (bitteres Lachen).

Rumänien, Bulgarien und Moldawien sind zurück, das freut mich. Besonders Bulgarien hat in den letzten Jahren erstaunlich interessante Beiträge beigesteuert, wenn man jetzt von der allerletzten Teilnahme absehen, wo eine Band namens “Intelligent Music Project” angetreten ist und so sollte man sich eher nie nennen, wenn man nicht wirklich sehr intelligente Musik macht – das Publikum konnte sich dieser Eigendefinition jedenfalls nicht anschließen.

Doch davor gab es mit Poli Genowa einen echten Fan Favorit, eine kleine ESC Ikone, die auch beim breiten Publikum ankam (4. Platz) und Kristian Kostov wurde im ziemlich starken Jahrgang 2017 sogar Zweiter mit Beautiful Mess (gewissermaßen ein Oxymoron) Bei beiden Songs hatte übrigens Cesar Sampon die Finger mit im Spiel, als Teil des Produzentteams Symphonix, die eine zeitlang für viele ESC Songs verantwortlich waren. Ich bin neugierig, ob Bulgarien mit ihnen zurückkehren wird.

Interessant ist auch, wer bei der estnischen Vorentscheidung, dem Eesti Laul mitmacht. Ich kenne jetzt die estnische Musikszene nicht so gut bzw überhaupt nicht harhar, aber zwei bzw drei ESC-Acts kehren zurück. Zum einen einmal Geeter Jaanni, die 2011 beim ESC war, sogar zum erweiteren Favoritenkreis zählte und deren Song Rockefeller Street sehr außergewöhnlich war, ist auch immer noch auf meiner Playliste. Trotzdem wurde sie im Endeffekt Vorletzte, weil der Song auf der Bühne irgendwie nicht so cool wirkte, wie in der Studioversion.

Und dann treten nächstes Jahr auch noch Victor Crone und Stieg Rästa gemeinsam an. Wer waren die schnell? Also Stieg Rästa hat mit Elina Born 2015 Goodbye to Yesterday gesungen, eines meiner all time ESC Lieblingslieder und er hat für Victor Crone 2019 Storm geschrieben, der, sag ich mal, nicht ganz so gut ankam. Im Songcheck hieß es damals unter anderem “IDM mit Country Anleihen, da kriege ich immer so eine Kreuzallergie” und “Der Sturm ist relativ lau”, sowie, “Er bringt halt irgendwelche Floskeln zur stürmischen See” harhar.

Leider ist auch 2026 etwas Country-mäßiges zu befürchten, denn Rästa, der eher nicht wie ein Cowboy aussieht und Crone (der schon eher) nennen sich “Stockholm Cowboys” (warum jetzt Stockholm?) und ihr Song heißt Last Man Standing, ja und jetzt weiß ich auch nicht. Kann sich wer erinnern, dass ein Country Song beim ESC mal gut ankam…? Ja ok, die Common Linnets wurden 2014 Zweite harhar, übrigens hinter Österreich. Aber vielleicht ist doch alles ganz anders, lassen wir uns überraschen.

History of Sound

Ich arbeite jetzt meine Viennale Filme ab, heute The History of Sound von Oliver Hermanus.

Es geht in diesem Film um Lionel (Paul Mescal) aus Kentucky, Lionel, der Musik sehen kann und später, wir schreiben ungefähr 1917, das Konservatorium in Boston besucht. Dort lernt er David (Josh O Connor) kennen, der an der Uni lehrt und ebenso gerne singt. Die beiden beginnen eine Beziehung, als David in den Krieg ziehen muss, was Lionel, der untauglich ist, folgendermaßen kommentiert: “Don’t die.”. Nach seiner Rückkehr fragt David Lionel, ob er mit ihm im Rahmen eines Forschungsprojektes durch Maine reisen und Songs sammeln will…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

Zuerst mal ein paar Kommentare von Usern auf letterboxd, die waren diesmal sehr witzig, obwohl der Film alles andere als das ist:

Josh O’Connor in a sad gay movie is my religion.

As a gay person, who never gets over anything, I can relate to this 100000 %

For a movie about sound, the silence sure was loud

It’s always “wanna get drinks” and never “let’s traipse through the American northeast collecting folk songs and sleeping in a tent together”

Und mein Liebling: Not perfect, but just depressing enough to ruin my week. Harhahar

The History of Sound ist langsam und ruhig, dabei auch relativ konventionell erzählt, man hört sehr viele alte amerikanische Lieder, die alle schwerst melancholisch sind, aber David ist ein Pragmatiker. Er erzählt Lionel einmal von einem Song, in dem ein Witwer jeden Tag am Grab seiner Frau steht und jammert, dass sie gestorben ist, sie ist dann schon so genervt davon, dass sie ihm sagt, lass mich in Ruhe und leb dein Leben. David: “It’s a good lesson”. Außerdem findet David eine sehr gute Umschreibung dafür, dass er als Kind zum Waisen wurde, er sagt so auf die Art, ach Waise, das klingt so dramatisch, “I was temporary unparented”.

Der Film wirft auch die Frage auf, wieso man einen Iren und einen Briten engagiert, um US-Amerikaner aus dem Bible Belt zu spielen und wieso man Mescal ausgesucht hat, der deutlich zu alt für diese Rolle ist. Andererseits aber warum auf ihn verzichten, wenn man ihn besetzen kann? Die beiden sind ganz außergewöhnliche Schauspieler, Mescal habe ich in Aftersun geliebt, auch kein extrem fröhlicher Film und Josh O’Connor ist sowieso, sowohl aufgrund seines Könnens, als auch seiner Rollenwahl derzeit irgendwie unangefochten für mich.

Ist der Film tatsächlich so traurig? Ich habe ihn ja direkt nach Sentimental Value gesehen, der auch schwere Themen hat, aber dennoch auch sehr positive Vibes. The History of Sound ist schon deutlich dunkler, das stimmt, allerdings gibt auch dieser Film letztendlich eine Perspektive, wie man mit all dem Schmerz, den man – in diesem Fall Lionel – mit sich trägt, dennoch ein Leben führen kann, dass quasi um diesen Schmerz herum gebaut ist, und dass einen Sinn ergibt; dass Erinnerungen auch etwas neues schaffen können, was das eigene Sein erfüllt. Das war auch der Punkt, wo ich mich sehr abgeholt gefühlt habe, weil ich mir oft denke, wie ist das, wenn man stirbt und es nie mehr ein Wiedersehen oder eine “Auflösung” gegeben hat. Da tröstet die Botschaft von diesem Film sehr, dass der, den man liebt und der fort ist, dennoch immer da sein kann.

Sentimental Value

Endlich habe ich also den gespannt erwarteten und vorab recht gehypten (Oscar Buzz!) neuen Film vom norwegischen Regisseur Joachim Trier gesehen, der zuletzt vor drei Jahren mit The Worst Person in the World auf sich aufmerksam machte, er heißt Sentimental Value.

Es geht darin um Nora (Renate Reinsve), eine erfolgreiche Schauspielerin, die allerdings mit ihrem Leben kämpft, was in ihrer Kindheit begründet liegt. Beim Begräbnis der Mutter begegnet sie dem lange abwesenden Vater Gustav (Stellan Skarsgård) wieder, einem berühmten Filmregisseur, der ihr ein überraschendes Angebot macht: Nora soll in seinem neuen Film die Hauptrolle spielen, der von seiner Mutter handelt, was Nora aber sofort strikt ablehnt. Ihre Schwester Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas) die immer um Ausgleich bemüht ist, versucht sie vergeblich zu überreden, das Drehbuch zumindest zu lesen. Inzwischen lernt Gustav die junge amerikanische Schauspielerin Rachel Kemp (Elle Fanning) kennen und bietet ihr die Rolle an…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

Dieser Film hatte mich quasi bei Hallo. Weil schon die Anfangssequenz so poetisch ist wie sein doch irgendwie unübersetzbarer Titel, den man mehr fühlt als erklären kann. Da geht es nämlich darum, dass Nora als Jugendliche einen Essay über das Haus schreiben soll, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Es ist ein gemütliches Haus im Drachenstil gebaut (ok, da hab ich gegoogel harhar) Und wie sich das Haus fühlt, wenn es voller Menschen ist, ob es das Haus mag, bewohnt zu sein und auch die Türknallerei auszuhalten, oder ob das Haus nicht ab und zu ganz froh ist, wenn alle ausgehen und es leer ist. Die beeindruckendste Schlussfolgerung Noras lautet, “When our father left, the house turns brighter and brighter.”

Und da wissen wir natürlich alle schon, wohin der Hase läuft, das Thema sind Daddy Issues und dahinter gleich Transgenerational Trauma. Denn auch wenn Gustav als Vater einen beschissenen Job gemacht hat – nach der Scheidung verlässt er nicht nur die Mutter, sondern auch seine beiden Töchter auf eher Nimmerwiedersehen – so gibt es natürlich dafür einen Grund, und der ist wieder eine Generation davor zu finden; denn auch Gustav wurde als kleines Kind durch etwas, was seine Mutter getan hat, schwer traumatisiert. Und die wiederum, usw you get the picture. Er ist also, wenn man so will, ein Pain in the ass, aber nicht nur die immer geduldige Agnes hat dafür Verständnis, auch der Regisseur und Drehbuchautor Joachim Trier.

Und das ist das Schöne an diesem Film, das ist das, was ich an Filmen generell sehr gerne habe: Wenn es um große, schwere Themen geht, und das auch ungeschönt gezeigt wird. Wenn geweint werden kann, wenn jemand in seiner ganzen Verzweilfung gezeigt wird, wenn Noras Angst vor zu viel Nähe darin spürbar wird, dass sie ihren Geliebten nach dem Sex quasi hinauswirft, damit es nicht zu kuschelig wird, obwohl sie sich gerade danach auch seht; und wenn sie Agnes einmal die arge Frage stellt: “Why didn’t our childhood ruin you?” Die Antwort kommt ganz schnell, überzeugend und hallt echt lange nach. Weil, nein, ich verrate es nicht, harhar.

Aber gleichzeitig, und das ist auch wichtig bei solchen Filmen, gewinnt das Schwere nicht, ich mag diese naturalistischen Sozialdramen aus diesem Grund auch gar nicht, ich suche immer auch eine Illusion und eine Hoffnung. Und die ist immer da, bei Trier, da ist auch Humor, der uns doch allen über schlimme Zeiten in unserem Leben hinweghelfen kann und da ist die Kunst, in diesem Fall das Schauspiel und Filme-machen, die uns immer Trost und Zuflucht bietet und uns so erfüllen kann, dass wir unseren Schmerz vergessen, zumindest ab und zu. Und letztendlich glaubt Trier auch daran, dass sich Menschen verändern können, nicht um 180 Grad drehen, aber doch, kleine Schritte aufeinander zugehen. Dass das nicht alles ungeschehen macht, aber trotzdem hilft, uns ein kleines bisschen zu heilen.

Renate Reinsve ist so super in diesem Film, aber auch Stellan Skarsgård in seiner Ambivalenz; Skarsgård der – glaub ich – noch nie einen Sympathieträger gespielt hat, auch hier nicht – aber dennoch mag man ihm am Ende mehr als am Anfang. Und tatsächlich ist dieser Film bis in die kleinste Nebenrolle einfach überzeugend besetzt.

Jetzt bin ich wieder voll im Zwiespalt, ob One Battle After Another der große Oscar Abräumer wird oder ob nicht Sentimental Value da und dort noch ein bisschen was mitzureden hat. Es ist ein guter Zwiespalt, harhar.

Viennale 3

Weiter geht es mit der Viennale und zwar im Gartenbaukino. Am Dienstag saß ich bei angenehmen Temperaturen davor noch ein bisschen im Stadtpark und habe die Eichhörnchen beobachtet, die sehr aufgeweckt waren, es war auch ungewöhnlich mild.

Danach habe ich den französischen Film Vie privée mit Jodie Foster als amerikanische Psychiaterin in Paris gesehen. Erstaunlich fand ich, dass Foster tatsächlich super französisch spricht; wie ich recherchiert habe, hat sie in Los Angeles als Kind eine französische Schule besucht. Der Film war leider nur so mittel. Er hat zwar vielversprechend mit der Prämisse begonnen, dass eine Patientin von Fosters Figur Suizid begeht und ich habe mich auf etwas eher düsteres, psychologisch interessantes eingestellt. Es wird aber dann schnell (zu) witzig und behaglich, es hat mich insgesamt sehr an die Serie Only Murders in the Building erinnert, die ich gerne schaue, wenn ich mich wohlfühlen will, aber von diesem Film habe ich mir etwas anderes erwartet.

Gartenbaukino am 23. Oktober 2025, zu Mittag

Heute habe ich dann zuerst Sentimental Value gesehen. Ein norwegischer Film von Regisseur Joachim Trier, der auch Worst Person in the World gemacht hat. Diesen Film mochte ich und Renate Reinsve, die auch in Sentimental Value wieder die Hauptrolle spielt, war wunderbar, aber irgendwie hat mir in Worst Person etwas gefehlt und ich habe gehofft, dass ich es hier, in Sentimental Value, finden würde. Ich habe es nicht gefunden, dafür etwas anderes und es war großartig. Es war auch der erste Film überhaupt, wo sofort mit dem Abspann Jubel im Saal ausgebrochen ist, das habe ich ja überhaupt noch nie auf der Viennale erlebt, sonst gibt es immer eher höflichen bis wohlwollenden Applaus. Gleichzeitig flossen viele Tränen um mich herum. Das ist ein ganz besonderer Film.

Und weil ich schon mal da war, hab ich gleich noch History of Sound geschaut – eine Liebesgeschichte mit Musik, für die es noch Karten gab. Besetzt mit meinem vielleicht Lieblingsschauspieler derzeit, Josh O’ Connor und mit Paul Mescal, den ich auch total mag. Leider (oder Gottseidank) wusste ich nicht, dass da, wo Sentimental Value in der “Familienwunde” bohrt, und dieses Thema einen aufwühlt, History of Sound in der Wunde daneben, der “Beziehungswunde” wenn man so will, weitermacht. Ich habe mich so sehr in der Figur von Paul Mescal wiedererkannt, was erstaunlich ist, weil er einen homosexuellen Musiker ab 1917 spielt, harhar. Aber Filme können das. Ein bisschen hat mich dieser Film auch an Brokeback Mountain erinnert, den ich nicht so besonders mochte – dieser hier ist auch sehr ruhig und langsam erzählt, hat mich aber viel mehr mitgenommen.

Langsam erreicht das Filmjahr 2025 Betriebstemperatur harhar.

Peter Hujar’s Day

Peter Hujar’s Day ist der neue Film von Regisseur Ira Sachs, der dieses Jahr beim Sundance Filmfestival Premiere hatte.

Peter Hujar (1934-1987) war ein Fotograf ukrainischer Abstammung, der in New York lebte. Er war mit der Schrifstellerin Linda Rosenkrantz befreundet, die eine Art Sozialstudie geplant hatte. Menschen aus ihrem Umfeld sollten an einem beliebigen Tag alles notieren, was sie gemacht haben und danach in einem Gespräch mit Rosenkrantz darüber sprechen. Rosenkrantz war interessiert daran herauszufinden “how people fill up their days”. Das Projekt verlief leider im Sand, erst 2021 wurde das Gespräch mit Peter Hujar als Einzelwerk veröffentlicht. Aus diesem Gespräch hat Sachs nun vorliegenden Film gemacht.

SPOILER IN DEM SINN GIBT ES HIER NICHT

Mich hat dieser Film von Anfang an fasziniert. Vielleicht auch, weil ich mich selbst beruflich sehr viel mit Transkripten von Interviews beschäftige und das oft erstaunlich interessant ist und viel über Menschen erzählt. Es geht ja nicht nur darum, was erzählt wird, sondern auch wie es erzählt wird, mit welchem Tonfall, mit den Pausen, Zwischentönen, wie die Geschehnisse gewichtet werden, welchen Erlebnissen Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Natürlich passiert in diesem Film per se gar nichts aufregendes. Peter Hujar (wunderbar: Ben Whishaw) besucht Rosenkrantz (der wichtige Sidekick: Rebecca Hall) in ihrer Wohnung, sie reden über den besagten Tag, Hujar raucht Kette, sie essen zusammen, trinken Kaffee und Whiskey, stehen auf ihrer Dachterasse, liegen im Bett, hören Musik, tanzen, zünden Kerzen an. Ein klassisches Kammerspiel also, wenn auch nicht in Echtzeit, während sie sprechen, vergehen einige Stunden. Die beiden sitzen oder liegen oft eng beieinader, was ihre vertrauensvolle Beziehung zeigt, sie berühren sich, sie lachen, als Zuseher merkt man, dass sie sich gut kennen. Es gibt etwas surreale Einschübe vom Sonnenuntergang, Passagen, wo die Kamera die beiden Personen in einer Art Porträt zeigt, immer wieder wird auch das Aufnahmegerät fokussiert.

An seinem Tag hat Hujar den Poet und “Vater” der Hippie Bewegung Allen Ginsberg getroffen. Er hat mit vielen Menschen, unter anderem Susan Sontag, telefoniert. Er hat in seiner Dunkelkammer gearbeitet und ein Nickerchen gemacht. Ein Freund kam zum Duschen vorbei und Hujar hat für beide chinesisches Essen geholt. Auch Fran Lebowitz, die mir quasi auf Schritt und tritt begegnet, ist Thema, Hujar war auch mit ihr befreundet (und hat tolle Fotos von ihr gemacht). Das Gespräch ist lustig, klug, denkt um die Ecke, reflektiert auch die eigenen Erinnerungen, das, was wirklich geschah, das worüber man dachte, es würde geschehen. Kurz kommt an seinem Tag auch eine französische Redakteurin der Elle bei Hujar vorbei und er erzählt Rosenkrantz, er hätte sich vorgestellt, wie sie ihn – den homosexuellen Bohemian – verführt. Aber dann wäre sie “short” und eher unvorbereitet gewesen.

Das alles ist ein Porträt von Hujar, der meint “nothing much happens, and I wasted another day”, was bei genauerer Betrachtung aber keineswegs stimmt. Es ist auch ein (grobkörnig gefilmtes) Porträt von seiner Zeit, seinem New York der 1970-er Jahren, von seinen Weggefährten. Für mich ist es sehr interessant und inspirierend gewesen. Ein Beweis auch, dass an einem “gewöhnlichen” Tag so viele kleine, feine, schöne Dinge passieren, denen man oft viel zu wenig Beachtung schenkt.