almis personal blog

Über Charaktere

Man kann Charaktere in Erzählungen und Romanen sehr konventionell beschreiben, über äußere Merkmale wie Körpergröße oder Haarfarbe oder auch über Charaktereigenschaften wie Großzügigkeit oder Arroganz. Aber das ist halt auch wenig originell und lässt die Person, die man beschreiben will, jetzt nicht unbedingt sehr plastisch erscheinen, wenn man nur so Gemeinplätze widergibt. Besser ist es, hier möglichst detailliert zu werden, weil man da so viel mehr transportieren kann.

Letztens hat mir zum Beispiel jemand erzählt, dass bei einem Treffen die Stimmung sofort in den Keller ging, als eine gewisse Person auftauchte und da dachte ich mir, das wäre doch auch eine schöne Beschreibung. Jemand hat das Talent, und es ist eines, die ganze Luft aus einer Feier herauszulassen, die ganze Energie zu ziehen. Die Begabung, einen Satz zu sagen, mit dem sich jeder im Raum sofort unwohl fühlt.

Schön kann man es auch über Essgewohnheiten machen. Einen Menschen zu beschreiben, der, wenn er sein Schnitzel serviert bekommt, nicht gleich anfängt zu essen, wie wohl die meisten. Sondern, der das Schnitzel zuerst mal klein schneidet und ausgiebig salzt und dabei lustige Sachen erzählt. Ich kannte so jemanden. Oder mein Opa, der immer zuerst die ganze Suppe gegessen und sich die Suppeneinlage, Nudeln, Frittaten oder Backerbsen, aufgehoben hat. Sogar angeboten hat, mir diese Einlagen zu schenken. Das habe ich immer abgelehnt, weil ich dachte, da isst er nur die bloße Suppe und dann hat am Ende nichts davon. Es gibt auch Menschen, die in Lokalen den Tisch immer auf ihren Vornamen reservieren, als hätten sie gar keinen Nachnamen.

Jeder Mensch hat so viele kleine Eigenheiten, die ihn irgendwie liebenswert oder besonders machen. Ein Mensch, der auf seiner Musik Playliste, jeden Song etwa 15 Sekunden spielt und dann zum nächsten skippt. Ein Mensch, der unliebsame Leute in seiner Umgebung mit verschiedenen Schimpfwörtern (“Der Trottel”, “Der Arsch”) bezeichnet. So viel zum Thema liebeswert harhar. Ein Mensch, der dauernd einen Spruch zur jeweiligen Situation hat wie “Dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt” oder “Durch Arbeit ist noch niemand reich geworden.” Und schließlich ein Mensch, der gerne zur U-Bahn gelaufen ist, die Stiegen oder die Rolltreppe hinunter, egal ob die Ubahn schon da war oder nicht. Schön.

Das war nur ein kleines Brainstorming meinerseits. Folgt mir für weitere Profi-Schreib-Tipps harhar.

ESC Rückkehrer und Vorentscheide

Die neue ESC Saison steht jetzt nicht direkt vor der Tür, trotzdem werden gerade ein paar Entscheidungen getroffen und drei betreffen Länder, die 2026 zurückkehren. Eh gut, weil so viele andere gehen wollen, harhar (bitteres Lachen).

Rumänien, Bulgarien und Moldawien sind zurück, das freut mich. Besonders Bulgarien hat in den letzten Jahren erstaunlich interessante Beiträge beigesteuert, wenn man jetzt von der allerletzten Teilnahme absehen, wo eine Band namens “Intelligent Music Project” angetreten ist und so sollte man sich eher nie nennen, wenn man nicht wirklich sehr intelligente Musik macht – das Publikum konnte sich dieser Eigendefinition jedenfalls nicht anschließen.

Doch davor gab es mit Poli Genowa einen echten Fan Favorit, eine kleine ESC Ikone, die auch beim breiten Publikum ankam (4. Platz) und Kristian Kostov wurde im ziemlich starken Jahrgang 2017 sogar Zweiter mit Beautiful Mess (gewissermaßen ein Oxymoron) Bei beiden Songs hatte übrigens Cesar Sampon die Finger mit im Spiel, als Teil des Produzentteams Symphonix, die eine zeitlang für viele ESC Songs verantwortlich waren. Ich bin neugierig, ob Bulgarien mit ihnen zurückkehren wird.

Interessant ist auch, wer bei der estnischen Vorentscheidung, dem Eesti Laul mitmacht. Ich kenne jetzt die estnische Musikszene nicht so gut bzw überhaupt nicht harhar, aber zwei bzw drei ESC-Acts kehren zurück. Zum einen einmal Geeter Jaanni, die 2011 beim ESC war, sogar zum erweiteren Favoritenkreis zählte und deren Song Rockefeller Street sehr außergewöhnlich war, ist auch immer noch auf meiner Playliste. Trotzdem wurde sie im Endeffekt Vorletzte, weil der Song auf der Bühne irgendwie nicht so cool wirkte, wie in der Studioversion.

Und dann treten nächstes Jahr auch noch Victor Crone und Stieg Rästa gemeinsam an. Wer waren die schnell? Also Stieg Rästa hat mit Elina Born 2015 Goodbye to Yesterday gesungen, eines meiner all time ESC Lieblingslieder und er hat für Victor Crone 2019 Storm geschrieben, der, sag ich mal, nicht ganz so gut ankam. Im Songcheck hieß es damals unter anderem “IDM mit Country Anleihen, da kriege ich immer so eine Kreuzallergie” und “Der Sturm ist relativ lau”, sowie, “Er bringt halt irgendwelche Floskeln zur stürmischen See” harhar.

Leider ist auch 2026 etwas Country-mäßiges zu befürchten, denn Rästa, der eher nicht wie ein Cowboy aussieht und Crone (der schon eher) nennen sich “Stockholm Cowboys” (warum jetzt Stockholm?) und ihr Song heißt Last Man Standing, ja und jetzt weiß ich auch nicht. Kann sich wer erinnern, dass ein Country Song beim ESC mal gut ankam…? Ja ok, die Common Linnets wurden 2014 Zweite harhar, übrigens hinter Österreich. Aber vielleicht ist doch alles ganz anders, lassen wir uns überraschen.

History of Sound

Ich arbeite jetzt meine Viennale Filme ab, heute The History of Sound von Oliver Hermanus.

Es geht in diesem Film um Lionel (Paul Mescal) aus Kentucky, Lionel, der Musik sehen kann und später, wir schreiben ungefähr 1917, das Konservatorium in Boston besucht. Dort lernt er David (Josh O Connor) kennen, der an der Uni lehrt und ebenso gerne singt. Die beiden beginnen eine Beziehung, als David in den Krieg ziehen muss, was Lionel, der untauglich ist, folgendermaßen kommentiert: “Don’t die.”. Nach seiner Rückkehr fragt David Lionel, ob er mit ihm im Rahmen eines Forschungsprojektes durch Maine reisen und Songs sammeln will…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

Zuerst mal ein paar Kommentare von Usern auf letterboxd, die waren diesmal sehr witzig, obwohl der Film alles andere als das ist:

Josh O’Connor in a sad gay movie is my religion.

As a gay person, who never gets over anything, I can relate to this 100000 %

For a movie about sound, the silence sure was loud

It’s always “wanna get drinks” and never “let’s traipse through the American northeast collecting folk songs and sleeping in a tent together”

Und mein Liebling: Not perfect, but just depressing enough to ruin my week. Harhahar

The History of Sound ist langsam und ruhig, dabei auch relativ konventionell erzählt, man hört sehr viele alte amerikanische Lieder, die alle schwerst melancholisch sind, aber David ist ein Pragmatiker. Er erzählt Lionel einmal von einem Song, in dem ein Witwer jeden Tag am Grab seiner Frau steht und jammert, dass sie gestorben ist, sie ist dann schon so genervt davon, dass sie ihm sagt, lass mich in Ruhe und leb dein Leben. David: “It’s a good lesson”. Außerdem findet David eine sehr gute Umschreibung dafür, dass er als Kind zum Waisen wurde, er sagt so auf die Art, ach Waise, das klingt so dramatisch, “I was temporary unparented”.

Der Film wirft auch die Frage auf, wieso man einen Iren und einen Briten engagiert, um US-Amerikaner aus dem Bible Belt zu spielen und wieso man Mescal ausgesucht hat, der deutlich zu alt für diese Rolle ist. Andererseits aber warum auf ihn verzichten, wenn man ihn besetzen kann? Die beiden sind ganz außergewöhnliche Schauspieler, Mescal habe ich in Aftersun geliebt, auch kein extrem fröhlicher Film und Josh O’Connor ist sowieso, sowohl aufgrund seines Könnens, als auch seiner Rollenwahl derzeit irgendwie unangefochten für mich.

Ist der Film tatsächlich so traurig? Ich habe ihn ja direkt nach Sentimental Value gesehen, der auch schwere Themen hat, aber dennoch auch sehr positive Vibes. The History of Sound ist schon deutlich dunkler, das stimmt, allerdings gibt auch dieser Film letztendlich eine Perspektive, wie man mit all dem Schmerz, den man – in diesem Fall Lionel – mit sich trägt, dennoch ein Leben führen kann, dass quasi um diesen Schmerz herum gebaut ist, und dass einen Sinn ergibt; dass Erinnerungen auch etwas neues schaffen können, was das eigene Sein erfüllt. Das war auch der Punkt, wo ich mich sehr abgeholt gefühlt habe, weil ich mir oft denke, wie ist das, wenn man stirbt und es nie mehr ein Wiedersehen oder eine “Auflösung” gegeben hat. Da tröstet die Botschaft von diesem Film sehr, dass der, den man liebt und der fort ist, dennoch immer da sein kann.

Sentimental Value

Endlich habe ich also den gespannt erwarteten und vorab recht gehypten (Oscar Buzz!) neuen Film vom norwegischen Regisseur Joachim Trier gesehen, der zuletzt vor drei Jahren mit The Worst Person in the World auf sich aufmerksam machte, er heißt Sentimental Value.

Es geht darin um Nora (Renate Reinsve), eine erfolgreiche Schauspielerin, die allerdings mit ihrem Leben kämpft, was in ihrer Kindheit begründet liegt. Beim Begräbnis der Mutter begegnet sie dem lange abwesenden Vater Gustav (Stellan Skarsgård) wieder, einem berühmten Filmregisseur, der ihr ein überraschendes Angebot macht: Nora soll in seinem neuen Film die Hauptrolle spielen, der von seiner Mutter handelt, was Nora aber sofort strikt ablehnt. Ihre Schwester Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas) die immer um Ausgleich bemüht ist, versucht sie vergeblich zu überreden, das Drehbuch zumindest zu lesen. Inzwischen lernt Gustav die junge amerikanische Schauspielerin Rachel Kemp (Elle Fanning) kennen und bietet ihr die Rolle an…

WIE IMMER SPOILER MÖGLICH

Dieser Film hatte mich quasi bei Hallo. Weil schon die Anfangssequenz so poetisch ist wie sein doch irgendwie unübersetzbarer Titel, den man mehr fühlt als erklären kann. Da geht es nämlich darum, dass Nora als Jugendliche einen Essay über das Haus schreiben soll, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Es ist ein gemütliches Haus im Drachenstil gebaut (ok, da hab ich gegoogel harhar) Und wie sich das Haus fühlt, wenn es voller Menschen ist, ob es das Haus mag, bewohnt zu sein und auch die Türknallerei auszuhalten, oder ob das Haus nicht ab und zu ganz froh ist, wenn alle ausgehen und es leer ist. Die beeindruckendste Schlussfolgerung Noras lautet, “When our father left, the house turns brighter and brighter.”

Und da wissen wir natürlich alle schon, wohin der Hase läuft, das Thema sind Daddy Issues und dahinter gleich Transgenerational Trauma. Denn auch wenn Gustav als Vater einen beschissenen Job gemacht hat – nach der Scheidung verlässt er nicht nur die Mutter, sondern auch seine beiden Töchter auf eher Nimmerwiedersehen – so gibt es natürlich dafür einen Grund, und der ist wieder eine Generation davor zu finden; denn auch Gustav wurde als kleines Kind durch etwas, was seine Mutter getan hat, schwer traumatisiert. Und die wiederum, usw you get the picture. Er ist also, wenn man so will, ein Pain in the ass, aber nicht nur die immer geduldige Agnes hat dafür Verständnis, auch der Regisseur und Drehbuchautor Joachim Trier.

Und das ist das Schöne an diesem Film, das ist das, was ich an Filmen generell sehr gerne habe: Wenn es um große, schwere Themen geht, und das auch ungeschönt gezeigt wird. Wenn geweint werden kann, wenn jemand in seiner ganzen Verzweilfung gezeigt wird, wenn Noras Angst vor zu viel Nähe darin spürbar wird, dass sie ihren Geliebten nach dem Sex quasi hinauswirft, damit es nicht zu kuschelig wird, obwohl sie sich gerade danach auch seht; und wenn sie Agnes einmal die arge Frage stellt: “Why didn’t our childhood ruin you?” Die Antwort kommt ganz schnell, überzeugend und hallt echt lange nach. Weil, nein, ich verrate es nicht, harhar.

Aber gleichzeitig, und das ist auch wichtig bei solchen Filmen, gewinnt das Schwere nicht, ich mag diese naturalistischen Sozialdramen aus diesem Grund auch gar nicht, ich suche immer auch eine Illusion und eine Hoffnung. Und die ist immer da, bei Trier, da ist auch Humor, der uns doch allen über schlimme Zeiten in unserem Leben hinweghelfen kann und da ist die Kunst, in diesem Fall das Schauspiel und Filme-machen, die uns immer Trost und Zuflucht bietet und uns so erfüllen kann, dass wir unseren Schmerz vergessen, zumindest ab und zu. Und letztendlich glaubt Trier auch daran, dass sich Menschen verändern können, nicht um 180 Grad drehen, aber doch, kleine Schritte aufeinander zugehen. Dass das nicht alles ungeschehen macht, aber trotzdem hilft, uns ein kleines bisschen zu heilen.

Renate Reinsve ist so super in diesem Film, aber auch Stellan Skarsgård in seiner Ambivalenz; Skarsgård der – glaub ich – noch nie einen Sympathieträger gespielt hat, auch hier nicht – aber dennoch mag man ihm am Ende mehr als am Anfang. Und tatsächlich ist dieser Film bis in die kleinste Nebenrolle einfach überzeugend besetzt.

Jetzt bin ich wieder voll im Zwiespalt, ob One Battle After Another der große Oscar Abräumer wird oder ob nicht Sentimental Value da und dort noch ein bisschen was mitzureden hat. Es ist ein guter Zwiespalt, harhar.

Viennale 3

Weiter geht es mit der Viennale und zwar im Gartenbaukino. Am Dienstag saß ich bei angenehmen Temperaturen davor noch ein bisschen im Stadtpark und habe die Eichhörnchen beobachtet, die sehr aufgeweckt waren, es war auch ungewöhnlich mild.

Danach habe ich den französischen Film Vie privée mit Jodie Foster als amerikanische Psychiaterin in Paris gesehen. Erstaunlich fand ich, dass Foster tatsächlich super französisch spricht; wie ich recherchiert habe, hat sie in Los Angeles als Kind eine französische Schule besucht. Der Film war leider nur so mittel. Er hat zwar vielversprechend mit der Prämisse begonnen, dass eine Patientin von Fosters Figur Suizid begeht und ich habe mich auf etwas eher düsteres, psychologisch interessantes eingestellt. Es wird aber dann schnell (zu) witzig und behaglich, es hat mich insgesamt sehr an die Serie Only Murders in the Building erinnert, die ich gerne schaue, wenn ich mich wohlfühlen will, aber von diesem Film habe ich mir etwas anderes erwartet.

Gartenbaukino am 23. Oktober 2025, zu Mittag

Heute habe ich dann zuerst Sentimental Value gesehen. Ein norwegischer Film von Regisseur Joachim Trier, der auch Worst Person in the World gemacht hat. Diesen Film mochte ich und Renate Reinsve, die auch in Sentimental Value wieder die Hauptrolle spielt, war wunderbar, aber irgendwie hat mir in Worst Person etwas gefehlt und ich habe gehofft, dass ich es hier, in Sentimental Value, finden würde. Ich habe es nicht gefunden, dafür etwas anderes und es war großartig. Es war auch der erste Film überhaupt, wo sofort mit dem Abspann Jubel im Saal ausgebrochen ist, das habe ich ja überhaupt noch nie auf der Viennale erlebt, sonst gibt es immer eher höflichen bis wohlwollenden Applaus. Gleichzeitig flossen viele Tränen um mich herum. Das ist ein ganz besonderer Film.

Und weil ich schon mal da war, hab ich gleich noch History of Sound geschaut – eine Liebesgeschichte mit Musik, für die es noch Karten gab. Besetzt mit meinem vielleicht Lieblingsschauspieler derzeit, Josh O’ Connor und mit Paul Mescal, den ich auch total mag. Leider (oder Gottseidank) wusste ich nicht, dass da, wo Sentimental Value in der “Familienwunde” bohrt, und dieses Thema einen aufwühlt, History of Sound in der Wunde daneben, der “Beziehungswunde” wenn man so will, weitermacht. Ich habe mich so sehr in der Figur von Paul Mescal wiedererkannt, was erstaunlich ist, weil er einen homosexuellen Musiker ab 1917 spielt, harhar. Aber Filme können das. Ein bisschen hat mich dieser Film auch an Brokeback Mountain erinnert, den ich nicht so besonders mochte – dieser hier ist auch sehr ruhig und langsam erzählt, hat mich aber viel mehr mitgenommen.

Langsam erreicht das Filmjahr 2025 Betriebstemperatur harhar.

Peter Hujar’s Day

Peter Hujar’s Day ist der neue Film von Regisseur Ira Sachs, der dieses Jahr beim Sundance Filmfestival Premiere hatte.

Peter Hujar (1934-1987) war ein Fotograf ukrainischer Abstammung, der in New York lebte. Er war mit der Schrifstellerin Linda Rosenkrantz befreundet, die eine Art Sozialstudie geplant hatte. Menschen aus ihrem Umfeld sollten an einem beliebigen Tag alles notieren, was sie gemacht haben und danach in einem Gespräch mit Rosenkrantz darüber sprechen. Rosenkrantz war interessiert daran herauszufinden “how people fill up their days”. Das Projekt verlief leider im Sand, erst 2021 wurde das Gespräch mit Peter Hujar als Einzelwerk veröffentlicht. Aus diesem Gespräch hat Sachs nun vorliegenden Film gemacht.

SPOILER IN DEM SINN GIBT ES HIER NICHT

Mich hat dieser Film von Anfang an fasziniert. Vielleicht auch, weil ich mich selbst beruflich sehr viel mit Transkripten von Interviews beschäftige und das oft erstaunlich interessant ist und viel über Menschen erzählt. Es geht ja nicht nur darum, was erzählt wird, sondern auch wie es erzählt wird, mit welchem Tonfall, mit den Pausen, Zwischentönen, wie die Geschehnisse gewichtet werden, welchen Erlebnissen Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Natürlich passiert in diesem Film per se gar nichts aufregendes. Peter Hujar (wunderbar: Ben Whishaw) besucht Rosenkrantz (der wichtige Sidekick: Rebecca Hall) in ihrer Wohnung, sie reden über den besagten Tag, Hujar raucht Kette, sie essen zusammen, trinken Kaffee und Whiskey, stehen auf ihrer Dachterasse, liegen im Bett, hören Musik, tanzen, zünden Kerzen an. Ein klassisches Kammerspiel also, wenn auch nicht in Echtzeit, während sie sprechen, vergehen einige Stunden. Die beiden sitzen oder liegen oft eng beieinader, was ihre vertrauensvolle Beziehung zeigt, sie berühren sich, sie lachen, als Zuseher merkt man, dass sie sich gut kennen. Es gibt etwas surreale Einschübe vom Sonnenuntergang, Passagen, wo die Kamera die beiden Personen in einer Art Porträt zeigt, immer wieder wird auch das Aufnahmegerät fokussiert.

An seinem Tag hat Hujar den Poet und “Vater” der Hippie Bewegung Allen Ginsberg getroffen. Er hat mit vielen Menschen, unter anderem Susan Sontag, telefoniert. Er hat in seiner Dunkelkammer gearbeitet und ein Nickerchen gemacht. Ein Freund kam zum Duschen vorbei und Hujar hat für beide chinesisches Essen geholt. Auch Fran Lebowitz, die mir quasi auf Schritt und tritt begegnet, ist Thema, Hujar war auch mit ihr befreundet (und hat tolle Fotos von ihr gemacht). Das Gespräch ist lustig, klug, denkt um die Ecke, reflektiert auch die eigenen Erinnerungen, das, was wirklich geschah, das worüber man dachte, es würde geschehen. Kurz kommt an seinem Tag auch eine französische Redakteurin der Elle bei Hujar vorbei und er erzählt Rosenkrantz, er hätte sich vorgestellt, wie sie ihn – den homosexuellen Bohemian – verführt. Aber dann wäre sie “short” und eher unvorbereitet gewesen.

Das alles ist ein Porträt von Hujar, der meint “nothing much happens, and I wasted another day”, was bei genauerer Betrachtung aber keineswegs stimmt. Es ist auch ein (grobkörnig gefilmtes) Porträt von seiner Zeit, seinem New York der 1970-er Jahren, von seinen Weggefährten. Für mich ist es sehr interessant und inspirierend gewesen. Ein Beweis auch, dass an einem “gewöhnlichen” Tag so viele kleine, feine, schöne Dinge passieren, denen man oft viel zu wenig Beachtung schenkt.

Viennale 2

Am Samstag Abend sah ich dann den zweiten Viennale Film in der Urania.

Was für mich gewöhnungsbedürftig ist, dass ich immer irgendwo mittendrin sitze. Normalerweise buche ich immer Randplätze wegen der Fluchtmöglichkeit harhar. In der Urania blieb der Sitz zu meiner rechten sehr lange frei und ich dachte schon cool, etwas Luft, doch im letzten Moment kam noch jemand und setzte sich neben mich und zwar Alexander Horwath. Ja, der Alexander Horwath, ehemals Viennale Leiter und Chef des Filmmuseums, seit kurzem auch Regisseur. Ich habe ihn in den 2000er Jahren einmal eine peinliche Fanmail geschrieben, nachdem er im ORF die Oscar Verleihung mitkommentiert hat und ich das super fand. Weil ich seinen Zugang so mochte. Nämlich ein absolut unsnobistischer und unprätentiöser, jemand, der nicht zwischen Arthouse und Hollywood Blockbuster unterscheidet, sondern nach der Qualität des gezeigten. Das empfinde ich als sehr sympathisch.

Jedenfalls hatte ich instant eine kleine Panikattacke harhar, aber das legte sich schnell, denn der Film startete quasi sofort. Und wenn man sich fragt, was hat Herr Horwath (und ich) angesehen, nun ja, es war Peter Hujar’s Day. Einen Film, auf den ich schon sehr lange warte, keinen Ahnung, ob er überhaupt einen Kinostart bekommt, denn – nun ja, zuerst eine kleine Erzählung:

1998 arbeitete ich im Schloss Schönbrunn als Schauraumaufsicht. Mein Job war es, stundenlang durchs Schloss zu gehen, Fragen zu beantworten, fallweise Garderobendienst zu machen, Menschen mit Rollstühlen im Aufzug hin und her zu bringen usw. Im Schloss arbeiteten sehr viele interessante Menschen aus vielen verschiedenen Ländern, mit spannenden, nicht sehr linearen Lebensläufen. Ich lernte dort Melinda kennen, eine Studentin der Theaterwissenschaft, die sich gerade auf ihre Diplomprüfung vorbereitete. Wir sprachen jeden Tag über Richard III und Shakespeare und Filme, wir aßen unser Mittagessen gemeinsam im Park. Wie auch immer, einmal fing eine neue Kollegin an, eine WU Studentin übrigens, und wir plauderten mit ihr und sie meinte irgendwann: “Ich hasse französische Filme, da wird immer nur geredet.” Melinda und ich sahen uns an und sagten nichts, harhar.

Wenn jetzt jemand beim Lesen dieser kleinen Geschichte gedacht boah, ich verstehe das, ich hasse auch französische Filme, in denen nichts passiert, dann kann ich nur dringend abraten Peter Hujar’s Day zu sehen. Denn ich habe schon viele französische “Laberfilme” gesehen, in denen wesentlich mehr passiert ist.

Hier der Trailer:

Manchmal hab ich das Gefühl, ein Film wurde quasi nur für mich gemacht. Das ist hier der Fall. Bald mehr.

Viennale 1

Gestern ging es also los. Viel zu früh, da das Kind Stellung hatte und wir um halb sechs aufstehen mussten. Natürlich hätte ich an diesem Tag einmal noch gut weitergeschlafen, harhar.

Danach gabs Frühstück in einem Cafe am Hauptbahnhof mit einigen Menschen aus der Uncut Redaktion. Vielen Dank an Harald, der das Unmögliche schaffte, und wirklich (fast) alle Wunschkarten für das diesjährige Arthauskinofest aufgetrieben hat. Hier meine Auswahl:

Vielleicht werde ich noch die eine oder andere Karte extra kaufen, wenn es sich ergibt, so wie letztes Jahr, aber ich muss halt auch noch nebenbei was arbeiten und einkaufen gehen, kochen und halt so Reallife Dinge machen harhar. Und die Rezensionen schreiben sich dann auch nicht von alleine.

Jedenfalls stand schon kurz darauf der für mich erste Film im Gartenbaukino auf dem Programm, nämlich Nouvelle Vague. Wir waren zu viert von Uncut dort und was soll ich sagen, vier glückliche Menschen verließen anschließend das Kino harhar. Die offizielle Rezension wird ein Kollege schreiben, wir beide haben vorher vereinbart, wer von uns diesen rezensiert und wer dafür nächste Woche Sentimental Value bzw. Affeksjonsverdi (nämlich dann ich).

Nouvelle Vague ist jedenfalls kurz gesagt ein Film von Filmnerds für Filmnerds. Es geht um die Dreharbeiten zu Außer Atem von Jean Luc Godard, der Film ist in schwarzweiß und französisch (mit englischen Untertiteln), was mir erst circa zehn Minuten vor dem Start klar wurde und die Frage aufwirft, spricht der Texaner Linklater diese Sprache? Jedenfalls ist der Film gleichermaßen verkopft, sperrig, artsy, amüsant, klug und irrsinnig akkurat. Ich bin froh, dass ich das Original erst vor einer Woche gesehen habe, das macht die Szenen noch interessanter.

Wer verfolgen will, wie der Debütfilm eines Visionärs entsteht, der wenig von Vorbereitung oder Drehbüchern hält, der den Dreh für den Tag auch einmal abbricht, weil er Hunger oder Zahnschmerzen hat, der sich gerne Tipps geben lässt, um sie in den Wind zu schlagen, der immer Sonnenbrille trägt und eine Zigarette nach der anderen raucht, der ist hier richtig. Wer sich für die Stimmung auf einem Filmset der 1960er Jahre erwärmen kann, sich auf launische, mutige und neugierige (zukünftige) Filmstars einlassen möchte, die zuweilen auch selbst viel Meinung mitbringen, wer das Kino liebt und sehen will, wie sehr das auch Richard Linklater tut, dem sei Nouvelle Vague ans Herz gelegt.

Lesung Baden

Gestern war eine Lesung in Baden und zwar von Halbe Leben der Autorin Susanne Gregor. S. hat mich gefragt, ob ich mit ihr hingehen will und ich wollte sehr gerne.

Vorher ein kleiner Spaziergang durch Baden, hier die Schwechat. Sieht ur hübsch aus, riecht wie in Venedig harhar.

Abendstimmung in Baden

Die Lesung wurde von der Bücherei in Baden anlässlich der Woche Österreich liest veranstaltet und fand im Theater am Steg statt, einem Badner Veranstaltungszentrum, das recht gut besucht war. Dort kann man auch eine Kleinigkeit essen oder trinken.

Der Roman Halbe Leben handelt von der 24 Stunden-Pflegerin, Paulina, aus der Slowakei, einer alleinerziehenden Mutter zweier Kinder, die zwei Wochen im Monat in Oberösterreich arbeitet und sich um eine demente ältere Frau kümmert. Er beleuchtet vor allem das Verhältnis von Paulina zu der (ähnlich alten) Tochter der Patientin, Klara, und die Herausforderungen, die zwischen Arbeitsverhältnis und “Familienanschluss” entstehen.

Gregor hat über ihr Buch (das ich noch nicht gelesen habe) erzählt und zwei Textstellen vorgelesen. Vor allem die Zweite war echt arg, weil sie gezeigt hat, wie schwierig es ist, in diesem Beruf noch ein eigenes Leben zu haben. Die Pflegerinnen fahren ins Ausland, um sich um andere Familien zu kümmern, und können genau das für die eigenen Kinder nicht in diesem Ausmaß tun. Gregor meinte aber, es ginge ihr nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, Realitäten abzubilden und für gewisse Problemstellungen zu sensiblisieren.

Besonders interessant fand ich zwei Dinge, die sie gesagt hat. Zum einen, dass der Titel “Halbe Leben” vom Verlag ausgesucht worden war – ich finde diesen Titel sehr gut. Gregor hätte einen anderen gehabt, meinte aber, der Verlag wisse oft, was “zieht”. Zum anderen sagte sie, sie schreibe dann ein Buch, wenn sie das Gefühl hat, sie muss etwas erklären, was so vielschichtig ist, das man nicht so leicht in einem Gespräch tun kann.

Da habe ich mich sehr wiedergefunden, denn auch wenn mir das so nicht bewusst war, ist das für mich auch zumindest eines der Motive, zu schreiben. Das war bei Geboren in Bozen so, weil ich da oft das Gefühl hatte, eine so frühe Frühgeburt ist ein nicht so einfach fassbares Thema und viel mehr als “das Kind muss halt noch ein bisschen wachsen und zunehmen”. Und das ist bei dem Text, den ich derzeit schreibe (gestern 80.000 Wörter yeah!) auch so.

Nachher hat mich S. noch zum Bahnhof begleitet und wir haben uns über Literatur unterhalten. Sie meinte (zurecht) es gäbe sehr wenige unterhaltsame Bücher mit Anspruch, also Humor wäre eine Marktlücke. Dann sagte sie, ich solle wieder etwas schreiben. Ich sagte dann, das tue ich bereits und sie so: Ist es witzig? Und ich: Nicht wirklich. Harhar. Schade!

Weiter

Es eskaliert gerade ein bisschen, harhar:

Knausgård hat mit diesen Büchern, seinem autobiografischen Projekt, eine riesige Kontroverse ausgelöst. Nicht nur, weil er sie im Original Mein Kampf genannt hat – im Buch Kämpfen reflektiert er tatsächlich auch über Hitlers Schrift, aber soweit bin ich noch nicht – sondern auch, weil alle Menschen, die in seinen Romanen vorkommen, bei ihrem wirklichen Namen genannt werden. Es ist schon klar, dass Autorinnen und Autoren immer auch über ihr eigenes Umfeld schreiben, dass Personen in den Werken vorkommen, die es irgendwie auch real “da draußen” gibt, zumindest Puzzleteile von Menschen. Aber Personen bei ihrem tatsächlichen Namen zu nennen, ist natürlich wieder eine andere Nummer. Ich kenne einen ganz lieben Menschen, der auch mal namentlich in einem Buch erwähnt wurde, nur ist der Autor halt nicht so bekannt wie Knausgård und deshalb wissen wenige davon harhar.

Nun kann man aber auch sagen, es ist trotzdem Knausgårds Ansicht zu beispielsweise seinen Frauen. Er schildert sie, wie er sie sieht und empfindet, aber es ist eben auch nicht mehr als das, eine bzw. seine Perspektive, es ist keine objektive Beschreibung eines Menschen, eine “Wirklichkeit” über einen Menschen. Kann man andere Personen oder auch sich selbst überhaupt objektiv sehen? Gibt es eine einzige Wahrheit über eine Person? Die Frauen empfinden es selbst (klarerweise) anders, obwohl sie ihre Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben haben.

Knausgårds zweite Frau, Linda Boström Knausgård, ist auch Schriftstellerin. Sie sagte nach der Veröffentlichung: “His view of me was so limited, he saw only what he wanted to see.” Geht es uns nicht allen manchmal so? Dass wir nur Dinge sehen, die wir sehen wollen? Auch eine sehr interessante Fragestellung. Boström Knausgård hat dann eben auch ein Buch geschrieben, aus ihrer Perspektive, was die Ehe mit Knausgård betrifft. Es heißt Oktoberkind und dieses liegt bei mir schon neben den Büchern ihres Ex-Mannes.