almis personal blog

Rätselhaft

Ich war auf einem Begräbnis. Die Cousine meines Papas ist gestorben.

In der Trauerrede wurde ihre Katze erwähnt. Die Katze hab ich selbst gekannt, weil ich sie ab und zu, wenn die Cousine auf Urlaub war, gemeinsam mit meinem Papa füttern gegangen bin. Das war ein besonderer Nervenkitzel, weil die Katze aussah wie ein Raubtier, spitze Ohren und Zähne, gelbe Augen, groß und drahtig. Sie hatte es sich zum Ziel gemacht, sich nie blicken zu lassen, wenn wir die Türe aufgesperrt habe, um uns irgendwo, versteckt auf hohen Kasteln sitzend, zu beobachten und uns, sobald wir gar nicht mehr damit rechneten, fauchend mit ausgefahrenen Krallen ins Genick zu springen. Es war irgendwie lustig, aber auch ein bisschen beängstigend. Die Katze hieß übrigens Angelo, noch nie war ein Name unpassender.

Jedenfalls war es eine schöne Trauerrede, die die ganze Person umfasste, ihren Charakter, ihre Vorlieben, die Familie, einfach ihr Leben. Ich dachte daran, wie sie öfters mit ihrem Mann ins Rosental gekommen ist, um meine Großeltern und mich im Urlaub zu besuchen und wie lustig es war. Ich dachte daran, wie sie versucht haben, mir das “r” beizubringen als ich noch klein war, das ich lange nicht sprechen konnte, dass man von ihrer Wohnung am Matzleinsdorfer Platz die Züge beobachten konnte und dass immer eine Dose Cola für mich in ihrem Kühlschank stand, wenn ich sie besuchte. Ich dachte daran, welche Floskeln sie verwendet haben, wenn sie miteinander und mir mir sprachen.

All das hat diese Rede ausgelöst und ich würde sagen, so etwas zeichnet eine gute Trauerrede aus. Vielleicht wundert sich jetzt jemand, dass ich davon fasziniert bin, aber beim Begräbnis meines Papas vor über zwei Jahren wurde kein Wort gesagt. Und wenn ich sage kein Wort, so meine ich es auch kein Wort. Es gab Musik und wir saßen ein bisschen in der Aufbahrungshalle und das Kind legte den Arm um meine Schulter; die Cousine saß übrigens schräg hinter mir. Aber sonst geschah da nichts. Dann gingen wir zum Grab, das alles dauerte vielleicht zehn Minuten.

Die meisten der Gäste haben sich damals mehr oder weniger darüber gewundert, dass die Frau meines Papas das so beschlossen hat, aber ich fand es im Grunde ganz stimmig. Ich dachte mir, wahrscheinlich ist das zwangsläufig genau das, dass es Leben gibt, die man irgendwie zusammenfassen kann und andere nicht. Dass man manche Menschen mehr verstehen kann als andere, dass manche vielleicht auch gar nicht wollen, dass man irgendwelche Schlüsse über sie zieht oder ihr Leben in bestimmten Sätzen resümiert.

Und es gehört zu den manchmal schwierigen Aufgaben im Leben, zu akzeptieren, dass Dinge verborgen und rätselhaft bleiben, so sehr man es sich auch anders wünschen würde.

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