almis personal blog

Romeo und Julia

Ach so, zur neuen Bachmannpreisträgerin habe ich noch gar nichts geschrieben. Das liegt daran, dass sie einen Text über einen Mann mit Putzmanie verfasst hat und ich habe selbst keine Putzmanie, mehr noch, ich putze äußerst ungern und dadurch hält sich meine Freude an einem Text, der eine Siphonreinigung minutiös schildert, ehrlich gesagt ein bisschen in Grenzen. Ja ich weiß, das ist alles metaphorisch und will auf ein größeres Ganzes hinaus, aber es ist einfach nicht mein Metier. Überhaupt waren die diesjährigen Beiträge zum Bachmannpreis ähnlich wie die beim ESC – in der Mehrzahl eh ziemlich ok, aber es gab wenig herausragendes.

Anyway, am letzten Samstag gab es eine andere kulturelle Veranstaltung nämlich Romeo und Julia in St. Pölten. Ich war mit L. dort, denn L. und ich haben 2016/17 einen Modern Dance Kurs besucht. Dabei haben wir damals übersehen, dass wird altersmäßig nicht ganz der Zielgruppe entsprachen oder anders gesagt, wir haben den Alterschnitt der Gruppe auf circa 25 Jahre angehoben. Jedenfalls war Flo unser Trainer, ein Franzose, den Kurs hielt er Gott sei Dank auf Englisch, er war immer lieb und lustig und sein Kurs war sauanstrengend (zumindest mit 40 plus, was ich damals war, ach wie jung), jedenfalls hat Flo am Samstag den Romeo getanzt und das mussten wir uns natürlich live ansehen.

Ich bin mit der Bahn vom Hauptbahnhof in die andere Hauptstadt gefahren und obwohl es nur eine Fahrt von 30 Minuten war, war es recht mühsam, weil Zug voll mit lärmenden jungen Leute und neben mir saß eine Betrunkene. Note to self: Betrunkene nicht ansprechen. Sie hat sich nämlich beschwert, dass sie vergessen hat, in Meidling auszusteigen und somit jetzt schwarzfahre, worauf ich sie beruhigen wollte und meinte, wir wären eh gleich in St. Pölten. Daraufhin erfuhr ich auf der restlichen Fahrt ihr gesamtes Leben, versehen mit der dramaturgischen Klammer, dass diese falsche Zufahrt quasi eine Metapher dafür sei, dass sie immer falsch irgendwohin unterwegs sein und gefangen im Zug (des Lebens). Okay.

In St. Pölten angekommen, holte mich L. mit dem Auto ab und wir fuhren in den Park, wo Sommer im Park dann stattfinden sollte. Es war ein sehr lauer Abend, aber nicht so heiß wie in der Stadt. Wir aßen Schinken-Käse Häppchen und tranken Aperol Spritz und es war sehr nett. Außerdem bemerkten wir, dass Balletttänzer Beine etwas mit Formel 1 Reifen gemeinsam haben: beide müssen mit Heizdecken bzw. Moonboats-artigen Patschen gewärmt werden, bevor es los geht. Das Stück war dann sehr abwechslunsgreich. Der Akt vor der Pause irgendwie so wie ein Wimmelbild, wo ganz viel passiert – die Capulets und Montagues auf den Straßen und am Markt etc. Im Akt nach der Pause ging es dann ans Eingemachte, mit Schwertkämpfen und Liebesduett und Todeskampf. Es war wirklich toll performt und getanzt (Flo hat auch die Choreografie gemacht) und bekam sehr viel Applaus.

Romeo und Julia, Theater im Park, St. Pölten am 8. Juli 2023

Später hab ich Flo dann auf insta geschrieben, dass es uns sehr gut gefallen hat und er hat geschrieben, er wäre “very happy” darüber. Wunderbar. Wer jetzt Lust bekommen hat, heute und morgen gibt es noch zwei Vorstellungen (unbezahlte Werbung).

Schulschluss und koksende Mütter

Und wieder ein Schulschluss – es ist immer ein ganz besonderer, bittersüßer Tag im Jahr, an dem ich immer irgendwie Rückschau halte. Letztes Jahr war ich so komplett traurig und niedergeschlagen, heute war ich schön melancholisch, diese Art der Melancholie, wo man nichts will als einfach seine Ruhe mit gutem Essen und Trinken und Literatur und Film und Notizbüchern.

Ich hatte heute keine Arbeitsdeadlines, ich halte mir solche Tage gern frei, für alles was so kommt, was das Kind vor hat. In der Früh hab ich einen langen Spaziergang gemacht und eingekauft (u.a. ein neues Notizbuch), als ich heimkam war das Kind schon zuhause. Er hat wieder mal einen guten Erfolg, ich weiß nicht wie er das schafft. Nach dem gemeinsamen Mittagessen auf dem Balkon hab ich den Bachmannpreis laufen lassen, und die Texte, auf die man quasi so nebenbei aufmerksam wird, wo man sich dann hinsetzt und genau zuhört, die haben eine besondere Qualität. Zwar sagt das per se noch nichts über besondere Literarizität aus, es sagt aber, dass der Text etwas mit einem macht.

Ich spreche von dem Text “Zeitmaschine” von Jacinta Nandi. Die Protaogonstin, Mutter eines kleinen Sohnes und in einer schrecklichen Ehe, sagt so Dinge wie: “So lang kein Sperma im Spiel ist, ist sie nicht fremdgegangen, das weiß sie” oder “Es kann keine Gewaltbeziehung sein, denn ich respektiere ihn gar nicht.” Es geht um eine toxische Ehe und das Mutterbild der Deutschen und es hat sehr, sehr viel bösen Witz. Die Stelle, die mich am Sofa echt lachen ließ, war Folgende: da treffen sich mehrere Mütter zum Playdate und als die Kinder schlafen, bestellen sie sich Koks. Als die Protagonistin fragt, ob es nicht verwerflich sei, zu koksen, wenn die Kinder in der Nähe sind, sagen die anderen: “Das hier ist Me-Time. Das ist Self-Care” und “Ich bin so eine gute Mutter, wenn ich auf Koks bin. Ich bin wie Heidi Klum, aber Heidi Klum in Amerika.” Das muss einem erst mal einfallen. Dann geht es noch um anzügliche Chatnachrichten an Karl Lauterbach und Johnny Depp und Amber Heard, was den Text natürlich verdächtig nahe an die Kategorie Popliteratur schiebt, aber das muss ja nicht Schlechtes sein und ich habe mich – wie gesagt – sehr amüsiert dabei.

Am Abend saß ich dann bei strömendem Regen am Balkon, erschöpft von der recht anstrengenden Arbeitswoche, aber doch zufrieden. Auch wenn Mamas keinen 9-wöchigen Urlaub haben, ein bisschen fühlt es sich doch wie Ferien an. Und morgen schau ich wieder Bachmann-Preis.

Gestern

Meine Lieblingsaussage aus der heutigen SPÖ Pressekonferenz: “Die Zahlen waren richtig, nur die Zusammenhänge waren falsch.” So hätte ich meine Mathematik-Schularbeiten früher auch rechtfertigen sollen.

Einem Tag nach der dubiosen SPÖ Wahl hat Twitter alles durch an Memes, Spott, Verschwörungs(?)-Theorien, es gilt wieder mal die Devise: Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Jungjournalist Maximilan Werner meinte sogar: So einen Tag hier auf Twitter wirds nie mehr geben. Aber das dachte man schon öfter und ich würde nicht drauf wetten.

Ich wiederum habe mich mit einer österreichischen, na ja sagen wir prominenten Person auf Insta gezofft. Sie hat sich in ihrer Story nämlich darüber gefreut, dass “der heisere Herrscher wieder zurück in seiner pannonischen Steppe” ist. Ich habe angemerkt, dass ich das recht respektlos finde. Sie daraufhin, dass er ja auch mit Pam respektlos umgegangen wäre. Und außerdem sei er halt heiser, das könne man schon benennen. Ich habe dann gemeint ja, warum sachlich, wenns auch persönlich geht. Man kann H.P.Doskozil sicher für einiges kritisieren, seine Stimme hat damit aber nichts zu tun. Und in Zeiten, in denen man verklagt werden kann, wenn man ein Pronomen falsch verwendet, finde ich es schon interessant, dass man als SPÖ Wählerin dann nichts dabei finden, über körperliche Gebrechen zu spotten. Aber was weiß ich schon, sie meinte, ich solle mir meine Empörung für wichtige Dinge aufheben. Mach ich aber nicht, ich blogg lieber darüber. Harhar.

Ohne Titel

Am Gründonnerstag ist das Kind für einige Tage auf Urlaub gefahren. Ich wiederum auf die Nationalblibliothek. Ich hatte vor, ein paar Tage zu schreiben. Auf dem Heimweg habe ich den Stephansdom in sehr schönem Licht gesehen und ein Foto gemacht. Ich wusste nicht, dass es der letzte Abend im Leben meines Papas sein würde. In der Nacht kam die SMS.

Das Ganze war nicht überraschend. Mein Papa war seit über 20 Jahren manchmal mehr manchmal weniger krebskrank. In den letzten Jahren war es ein ständiges Auf und Ab. Er hat mit Mitte 70 noch eine neue Therapie bekommen, die man normalerweise nur bis 65 Jahre bekommt, aufgrund seines guten körperlichen Zustands. Das hat ihm imponiert und motiviert. Sein Kampfgeist und Lebenswille ist etwas, wofür ich ihn wirklich bewundere. Kurz bevor er gestorben ist, gehörte er zu ca. fünf Prozent, die in diesem Stadium der Therapie noch am Leben waren. Er wurde 81 Jahre alt.

Stephansdom, 6. April 2023

Ich weiß, dass sich viele Menschen erwarten, dass man als Tochter sehr betroffen über den Tod des eigenen Vaters ist. Ich habe auch dementsprechende Nachrichten bekommen und das war schwierig für mich. Natürlich bin ich traurig. Aber weniger über den Tod an sich, mit dem man rechnen muss, wenn die eigenen Eltern ein gewisses Alter haben und schwerkrank sind. Trauriger bin ich über die Beziehung, die ich zu meinem Vater hatte, gerade in den letzten Jahren. Denn: Es war eben keine Beziehung mehr.

Er hat sich Schritt für Schritt aus meinem Leben zurückgezogen. Warum, das weiß ich nicht. Als das Kind noch klein war, habe ich ihn oft zum Kaffee eingeladen oder vorgeschlagen, dass wir spazieren gehen können. Er hat immer abgelehnt. Wenn wir uns sahen, dann immer kurz und im Türrahmen. Später nur noch zu Weihnachten. Seit Corona gar nicht mehr. Zu meinem Kind, seinem Enkel, gab es keine nennenswerte Verbindung. Das hat mich betroffen gemacht. Ich hätte es mir anders gewünscht. Aber ich konnte es nicht ändern. Es gab keinen Streit, er konnte mir nie den Grund für sein Verhalten nennen – obwohl ich mehrfach gefragt habe.

Das ist etwas, was mir in meinem Leben öfter begegnet ist. Dinge sind passiert, die ich mir nicht erklären konnte und die auch mir niemand erklärt hat. Sehr schmerzhafte Dinge. Im letzten Jahr habe ich viel nachgedacht. Ich kann immer noch nicht behaupten, dass ich alles verstehe, was in meinem Leben so vor sich gegangen ist, aber ich verstehe immerhin, dass ich manche Dingen einfach akzeptieren muss. Immerhin bin ich soweit, dass ich mir nicht mehr selbst für alles die Schuld gebe. Man kann niemanden zwingen, Teil des eigenen Lebens zu sein, wenn dieser das nicht möchte.

Als das Kind wieder zuhause war, haben wir uns eine Pizza bestellt. Ich esse ziemlich selten Pizza, ich bin eher Team Pasta. Jedenfalls essen wir so zusammen und ich sage zum Kind: “Wer Pizza isst, der isst auch kleine Kinder.” Das hat mein Papa immer gesagt. Er hatte sehr viele skurille Sprüche für jede Lebenslage. Und so werde ich mich erinnern, an einen Menschen mit interessanten Aussagen, der mir ansonsten aber rätselhaft geblieben ist.

Rage

Gestern hab ich ein Standard Interview mit Klimaforscherin Kromp-Kolb gelesen, die am liebsten die Formel 1 verbieten würde, wegen Klima.

Vorneweg gesagt: Ich habe kein Auto mehr. Ich habe nicht vor, in diesem Leben nochmal eines zu besitzen oder auch nur zu lenken. Ich erledige 70 Prozent meiner Alltagsaktivitäten zu Fuß, den Rest mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Heute ist der 3. März und ich bin in diesem Jahr erst zweimal in einem Auto mitgefahren. Auf Urlaub mit Auto ist auch schon fünf Jahre her. Also ich bin überhaupt kein “Auto-Mensch”

Dennoch triggert es mich unheimlich, wenn ich diese Selbstgerechtheit lese, die dieses gesamte Interview atmet. Die Formel 1 Rennen werden quasi mit Tierhatz im alten Rom verglichen, der Sport ist menschenverachtend. Gehts vielleicht auch mal eine Nummer kleiner? Ich finde es sagenhaft, wie Leute sich immer wieder hinsetzen und anderen erzählen wollen, was sinnvoll ist oder nicht, woran sie sich in ihrer Freizeit erfreuen dürfen und woran nicht. Hint: Meistens ist das entbehrlich, dem die interviewte Person persönlich nichts abgewinnen kann. Und diese Ideen von: Jedem Menschen wird ein CO2 Punktekonto zugeteilt, dass er dann verwenden kann oder eher muss. Überhaupt nicht totalitär, gar nicht datenschutz-rechtlich bedenklich, aber wo! Muss man jetzt schon wieder ExpertInnen zu Wort kommen lassen, die eh schon ihre festgefahrene Meinung haben und für Diskurs in keiner Weise offen sind und ihre Äußerungen gern als sakrosankt betrachten?

Am besten in dem Interview ist allerdings folgender Satz, als es darum geht, ob sich Sportler politisch äußern dürfen oder nicht. Kromp-Kolb sagt: “Wenn Sportlerinnen und Sportler als Menschen gesehen werden, muss man ihnen Anschauungen zugestehen, die sie auch zum Ausdruck bringen dürfen.” Also ich bilde mir ein, dass Sportler in den letzten Jahren durchaus ab und zu ihre Meinung gesagt haben und die durften dann im Zweifel nicht mal mehr an Wettkämpfen teilnehmen, weil es leider die falsche Meinung war. Also was soll dieses Geheuchel? Nochmal: Ich bin durchaus dafür, über Klimaschutz zu sprechen, aber bitte mit einer anderen Attitüde. Sonst tut man der Sache nämlich gar nichts Gutes.

Mama ragt wieder, würde das Kind sagen.

Growing up

Der Moment, in dem nicht du deinem Kind schreibst, ob es sich nicht für den Mathe-Förderkurs anmelden möchte (obwohl es nicht “notwendig” wäre)

Der Moment, in dem dein Kind dir schreibt, dass er sich für den Mathe-Förderkurs angemeldet hat (obwohl es nicht “notwendig” wäre), aber kann ja nicht schaden.

Das ist vermutlich dieses Erwachsen-werden.

Hi 2023

Jetzt wären die Weihnachtsferien auch wieder vorbei, das Kind ist “begeistert”. Ich bin aber schon irgendwie froh darüber, dass es wieder eine Pause von diesen Nächten gibt, in denen er um 2.30 in mein Zimmer kommt und mich nach meinem Paypal-Code fragt, so als wäre hellichter Tag und ich putzmunter.

Ich habe schon Angst gehabt vor Weihnachten diesen Jahr und vor allem vor dem Jahreswechsel. Das Jahr 2022 war ja nicht unbedingt mein allerbestes Jahr. Aber ich habe dann doch sehr viele schöne Dinge in den Ferien erlebt, ich war in der Ingeborg Bachmann Ausstellung im Literaturmuseum, wir waren in der Remise/Verkehrsmuseum, Steak essen und beim Asiaten, ich habe The Banshees of Inisherin gesehen und war in einer Klaviermatinee im Leopoldmuseum mit L. und anschließend noch im Cafe dort lunchen. Ach ja und ich wurde auf den Cobenzl eingeladen, im Zuge eines Arbeitsprojekts, in das neue Rondell Lokal, und auch am Cobenzl hab ich Erinnerungen, ach diese Erinnerungen.

Später waren wir dann noch am Kahlenberg und haben über Wien geschaut und das sollte man vermutlich an jedem Jahresanfang machen, um neu zu beginnen, auch wenn Wien im Jänner zerprackt vor einem liegt, ganz farblos und erschöpft, aber so fühlt man sich ja selbst auch manchmal.

Kahlenberg, 3. Jänner 2023

Hi 2023! Und: Die ungeraden Jahre sind immer die besseren.

Neues Leben, 27

Ein halbes Jahr hab ich jetzt dieses neue Leben. Eigentlich ist schon ganz schön viel Zeit vergangen.

Nach den ersten Wochen, in denen ich im Schock war, und dem Sommer, den ich so semi-depressiv verbracht habe, obwohl ich generell wenig zur Depression neige (Hallo unmotiviertes Weinen in der S-Bahn) bin ich jetzt in so einer Art taubem Zustand. Ich kann auf die Frage, wie es mir geht, nichts vernünftiges antworten: nicht wirklich gut, nicht wirklich schlecht. Ich arbeite viel, ich schreibe, ich lese, gehe oft frühstücken und spazieren. Manchmal lache ich auch wieder wie früher. Aber trotzdem ist es nicht wie früher. Vielleicht wird es das auch nicht mehr. Das soll nicht larmoyant klingen, das Leben ist eben Veränderung und man bleibt nicht exakt der, der man mal war, wenn Dinge passieren und das ist auch in Ordnung so. Nur so entwickelt man sich weiter.

Während ich das schreibe, sitze ich gerade auf meinem Bett in Atzgersdorf mit nassen Haaren, das Frühstückstablett neben mir (neuerdings frühstücke ich hier so), habe eine dicke Kuschelweste an, rund um mich die Sonntagszeitungen und der Notizblock, in den ich gerade etwas zum Jelinek Film notiert habe, den ich gestern auf der Viennale gesehen habe. Ich trinke Orangensaft und dann werd ich auf den Friedhof gehen. Ich hab gestern aus dem Bus heraus einen Imbissstand gesehen, der so bizarr ausgesehen hat, vor einem Friedhofstor, den muss ich einfach fotografieren. Danach werd ich mein Review weiterschreiben usw.

Mir war noch nie langweilig, mein Leben ist ausgefüllt. Dennoch fehlt dieser kleine (nicht-physische) Raum, in dem wir alles sagen konnten, uns alles erzählen, der einfach nur uns gehört hat, der geborgen, dennoch aufregend und manchmal auch ein bisschen gefährlich war, in dem ich mich verstanden gefühlt habe, in dem ich von meinem Leben und mir sprechen konnte wie nirgends sonst und mich dabei an jemandem festhalten, ja den Raum gibt es nicht mehr. Und das ist – trotz allem – eben einfach traurig. Und das darf auch so sein.

Die Hofrichter

Ich bin ja weitgehend bei meinen Großeltern väterlicherseits aufgewachsen, sie haben irgendwie die Elternrolle übernommen. Die anderen Großeltern hab ich nie kennengelernt, weil beide bereits gestorben waren als ich auf die Welt gekommen bin. Und viel erfahren habe ich über sie auch nie, vielleicht weil die Familienkonstellation eh schon speziell war.

Als ich mit 41 oder 42 eine Gesundenuntersuchung gemacht habe und meine Blutwerte so gut waren, hab ich meinem Vater davon erzählt (dessen Blutwerte waren in dem Alter total mies) und meinte, das hätte ich dann wohl nicht von ihm geerbt. Worauf er sagte, dann müsse ich wohl die Geisteskrankheiten aus der “anderen Familie” geerbt haben. Harhar. Ich glaube schon, dass er ein bisschen recht hat, weil ich mich bisher sehr viel mehr mit meinen psychischen – na ja – Baustellen auseinandersetzen mussten, als mit körperlichen Störungen.

Was er mit Geisteskrankheiten gemeint hat, war u.a., dass ein Cousin von meinem Uropa, dieser Mann hier war. Er hat dann seinen Namen geändert, während meine Mama noch mit dem “alten” Nachnamen aufgewachsen ist. Na ja. Und heute erfahre ich, dass meine Großmutter (mütterlicherseits) von ihrem ersten Mann angeschossen wurde und sich in den 1930er Jahren von ihm scheiden ließ, um dann meinen Großvater zu heiraten. Bitte was für arge Geschichten gibt es in dieser Familie. Meine Mutter so: “Es war eh nur ein Streifschuss”. Ok, na dann!!

Gleichzeitig habe ich aber auch erfahren, dass meine Großmutter so schön war, dass sie einen Brief, der keine Adressangabe enthielt, nur “an die schönste Frau von Rudolfsheim-Fünfhaus” auch tatsächlich erhalten hat. Ich dann so zu meiner Mama: “Kann ich mal ein Foto sehen?” Harhar.