almis personal blog

Sterben, zwei

KLEINE SPOILER ZUM FILM MÖGLICH

Während Tom sich also in die Kunst flieht, zieht seine Schwester Ellen, die den doch sehr seriösen Beruf der Zahnarzthelferin hat, den Alkohol vor, um die Realität auszublenden. Sie schafft es nicht, eine Beziehung nüchtern zu führen, obwohl der aktuelle Mann in ihrem Leben genau das vorschlägt. Sie meint sogar, sie wäre ohne Alkohol gar nicht sie selbst. Die Szenen, in denen sie singt (unter anderem Songs, die Regisseur Glasner selbst geschrieben hat) sind zwar stimmungsvoll, generell fand ich diesen Handlungsstrang aber zu “over the top” und auch nicht so gelungen, weil man der Figur nicht näherkommt. Mir ist schon klar, dass Glasner quasi eine andere Bewältigungsstragie zeigen wollte, nämlich die in den Rausch und da gibt es halt oft nicht viel Reflexion, deshalb betrinkt man sich ja, aber das hat mich nicht so richtig erreicht.

Ich hätte lieber noch mehr über Tom erfahren, auch weil Lars Eidinger, den ich bisher peinlicherweise gar nicht so richtig kannte, wirklich irrsinnig gut spielt. Ich verstehe jetzt den Hype um ihn. Tom hat ja tatsächlich enorm viele Themen. Neben dem eigenen Elternthema noch die Beziehung zu seiner Ex-Freundin, die gerade ein Kind von jemanden anderem bekommen hat, aber weil dieser Vater eher abwesend ist, übernimmt Tom sehr viel Vaterrolle für sein, wie er sagt, “Achtelkind”. Außerdem gibt es Toms Arbeit im Orchester – das ist jetzt der dritte Film in 15 Monaten, in dem ein Dirigent/Dirigentin die Hauptrolle spielt, nach TAR und Maestro – er probt gerade das Stück mit dem Titel: Sterben. (sic!) Regisseur Matthias Glasner sagt dazu in seinem sehr aufschlussreichen Interview in der ZEIT: “Ich glaube, dass die meisten Künstler groß geworden sind mit dem Gefühl, ungeliebt, unrichtig, falsch zu sein. Und dass sie beweisen wollen, dass sie etwas wert sind.” Etwas, das ich mir auch sehr gut vorstellen kann.

Bevor ich noch zu einem größeren Spoiler komme, möchte ich den Film, trotz der Themenlage und der drei Stunden Laufzeit (die man wirklich nicht merkt) ausdrücklich empfehlen. Er ist nämlich tatsächlich auch durchgehend grotesk-komisch, deshalb ist er für mich nie erdrückend; weil Humor eben auch ein Mittel ist, um mit dem Leben und Herausforderungen fertig zu werden. Und wenn Tom zum Begräbnis seines Vaters zu spät kommt, weil der Akku des E-Autos leer ist, weil das halt etwas ist, was im Jahr 2020 plus passieren kann, ist das schon sehr skurill. Zum nächsten Begräbnis fährt er dann doch wieder mit dem Benziner.

ACHTUNG MASSIVER SPOILER ZUM SCHLUSS

Am Weihnachtsabend, wo wir Zuseher eh schon gebeutelt worden sind, durch Geburt, Tod, Zahnarztepisoden usw. bittet jemand Tom, zu ihm zu kommen. Es stellt sich heraus, dass jemand seinen Suizid plant, und will, dass Tom quasi draußen wartet und am Ende alles mit der Polizei regelt.

Und das ist schon sehr außergewöhnlich finde ich, dass uns der Film am Ende noch eine so große Frage stellt, die man sich wahrscheinlich noch nie gestellt hat, zumindest hab ich darüber noch nie nachgedacht: Was tut man, wenn ein enger Freund will, dass man quasi seinen Suizid “überwacht”? Versucht man, diesen Freund zu retten, zu überreden, es doch nicht zu tun, heimlich die Rettung zu rufen, weil man sich denkt, morgen überlegt er es sich vielleicht doch anders? Oder respektiert man diesen Wunsch als den freien Willen und ist es ein Zeichen des größten Respekts, dass man diesem Wunsch dann nachkommt? Denn jemand sagt, er war noch nie glücklich, er habe sich das gut überlegt, er will einfach nicht mehr?

Diese Szene fand ich so erschütternd, weil es irgendwie kein richtig und falsch zu geben scheint. Ich werde nicht verraten, was Tom tut, ich weiß nicht, ob ich genauso gehandelt hätte. Aber so wie Tom damit umgeht, scheint alles Sinn zu ergeben.

Sterben, eins

Gestern hab ich mir den Film Sterben angeschaut.

Das hatte ich eigentlich nicht vor, aber er wurde im fm4 Filmpodcast so gut besprochen und klang enorm interessant, dass ich mich doch dazu entschlossen habe. Der Regisseur Matthias Glasner hat in einem Interview gesagt, dass er nicht gedacht hätte, dass er diesen Film – der sehr autobiografisch ist – würde finanzieren können und er dachte, er muss ihm mit dem Handy drehen; und diese Ahnung war ja auch nicht unberechtigt, denn leicht kann es dieser Film beim Publikum nicht haben, denn: 1.) es ist ein deutscher Film, 2.) er ist drei (!) Stunden lang, 3.) er heißt Sterben.

Einen Film so benennen, schwierig. Da geht man an die Kinokasse und sagt: “Einmal Sterben bitte”. Oder man erzählt jemanden, dass man ins Kino geht und der fragt, was man sich anschaut, “Sterben”. Ziemlich irritierend. Ich habe mir gedacht, ich werde mir den Film anschauen und dann einen besseren Titel finden, aber tatsächlich ist es nicht so. Der Film hat so viele Protagonisten, Handlungsstränge und riesige Themen, es gibt da kaum eine passende Überschrift. Außerdem werde ich wohl mehrere Blogeinträge brauchen, weil es so viel zu sagen gibt.

Worum geht es erstmal (grob)? Es geht um die Familie Lunis, eine deutsche “Mittelklassefamilie” Der Vater ist dement, die Mutter Lizzy (Corinna Harfouch) unheilbar krank, der Sohn Tom (Lars Eidinger) ist erfolgreicher Dirigent, privat geht es bei ihm allerdings drunter und drüber und die Tochter Ellen (Lilith Stangenberg) ist Zahnarztassistentin und im Dauer-Rausch. In fünf verschiedenen Kapiteln erzählt Sterben aus dem Leben dieser Familie (und noch etlicher Nebenfiguren). Es passiert sehr viel, das erste Kernthema ist sicherlich das der Familie. Beziehungsweise die dysfunktionale Familie. Und bevor jetzt die schwierigen Themen kommen möchte ich sagen, dieser Film ist trotzdem nicht verzweifelt und deprimierend, sondern erstaunlich humorvoll.

SPOILER MÖGLICH

Die Familie Lunis ist, oberflächlich betrachtet, eine “normale”, durchschnittliche Familie (gewesen), denn langsam löst sie sich durch den nahenden Tod der Eltern als diese Kernfamilie auf. Es gibt keine gröberen (Geld) Sorgen, keine großen Streitereien oder gar Gewalt, alle gehen “normal”, wenn auch distanziert miteinander um. Erst durch den körperlichen Verfall des Vaters kommen die Themen zum Vorschein, die über Jahrzehnte unterdrückt und klein gehalten wurden. Am deutlichsten werden diese zwischen der Mutter Lizzy und Tom, die einmal in der Küche sitzen und einen so verheerenden Dialog wie nebenbei führen, dass einem ganz anders wird.

Zuerst finden die beiden kaum ein Gesprächsthema, doch dann erwähnt die Mutter, die dauernd sagt, wie froh sie wäre, dass der Sohn gekommen ist, dass sie eigentlich nie Mutter sein wollte und ihren Sohn gar nicht mag. Und sie sagt das nicht irgendwie im Subtext, sondern genau mit diesen Worten. Wie die beiden diesen Dialog spielen und wie speziell Lars Eidinger quasi verfällt und ihm klar wird, wie sehr sein ganzes Leben bisher davon bestimmt war, dass es so ist wie es ist, das ist so arg und doch komplett unsentimental gespielt.

Tom sagt über sich selbst, er sei ein kalter Mensch wie sie, seine Mutter, doch wir sehen, dass er das nicht ist, dass er das nur sein möchte oder denkt, er müsse es. Er hängt mit großer Zärtlichkeit an seinem Vater, seiner Ex-Freundin, seinem Künstlerfreund, er ist so sensibel allen gegenüber, die quasi-Distanz, die er ausstrahlen will, ist nur ein Mechanismus, den er sich zugelegt hat, um irgendwie durchs Leben zu kommen und nicht wieder und weiter verletzt zu werden. Seine Kunst, die Musik, ist sein Ventil, um mit dieser Leere, die eine gescheiterte Mutter/Kind Beziehung hinterlässt, fertig zu werden. Die Liebe ist für ihn schwierig, auch wenn er sich sehr stark danach sehnt. Jeder, der selbst ein eigenes Elternthema hat, wird das gut nachvollziehen können.

Training Day

Wieder habe ich mir einen Film außerhalb meiner Komfortzone ausgesucht, aber nicht so weit außerhalb wie zum Beispiel die Genres Fantasy oder Science Fiction wären.

Training Day kann man als Kriminalthriller bezeichnen, und ich wollte ihn schon lange einmal sehen, weil Denzel Washington für diesen Film eher überraschend 2002 den Oscar als bester Hauptdarsteller bekommen hat – Favorit war Russell Crowe gewesen, der allerdings eh erst 2001 gewonnen hatte. Washington war der zweite schwarze Darsteller, der einen Hauptrollenoscar erhalten hatte; im selben Jahr hat auch Halle Berry als erste schwarze Frau gewonnen und es hat sicher nichts mit einem gewissen Narrativ zu tun, den die Oscars damals verfolgten. Harhar. Tatsächlich ist Washington aber schon sehr gut in einer Rolle, die eher etwas weiter außerhalb seiner Komfortzone angesiedelt ist.

Denn: Washington spielt zwar einen Cop, aber einen dieser, die selbst immer mit einem Fuß im Kriminal stehen. Weil er die Sprache der Straße spricht und bei den Spielen, die dort gespielt werden, mitspielt, weil er seine eigene Sicht zur Gesetzesauslegung hat. An diesem Tag – dem Training Day eben – wird ihm, Alonzo, der junge Jake (Ethan Hawke) zur Seite gestellt, der sich bei ihm im Dienst bewähren muss. Jake wird sofort in die Realität der Straßen von L.A. katapultiert und erlebt an diesem einen Tag soviel wie andere Polizisten wahrscheinlich in 25 Jahren Dienst nicht. Und wir sehen, wie Alonzo sich in Szene setzt, als cooler, mit allen Wassern gewaschener Ermittler, den weder Schusswaffen, noch Drogen, noch zwielichtige Typen aus der Ruhe bringen…

Die allererste Szene des Filmes, die eigentlich nichts mit der Haupthandlung zu tun hat, ist irritierend. Jake wacht im Dunkeln auf und seine Frau liegt nicht neben ihm im Bett. Er fragt in den Raum, wo man sie schemenhaft sitzen sieht: “Was machst du denn schon auf?” Wir sehen, dass sie gerade ihr Baby stillt. Die Drehbuchautoren haben offenbar keinen Schimmer von der Lebenswirklichkeit von Eltern oder nehmen es damit nicht so genau. Die Frage ist also folgerichtig, ob sie uns die Welt der Kriminalität, von der wir Zuseher in der Mehrzahl wahrscheinlich deutlich weniger Ahnung haben als von den Stillgewohnheiten kleiner Babys, auch auf diese ungenaue Art und Weise schildern. Und daran schließt sich die Frage an, ob Kriminelle sich wirklich so verhalten wie in Hollywood Filmen, oder ob dieselben Klischee einfach von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Alles in allem ist Training Day phasenweise durchaus unterhaltsam und dank der Darsteller sehenswert. Washington genießt es sichtlich, einmal nicht der integere Vorzeigeschwarze sein zu müssen; Hawke ist die meiste Zeit verwirrt und überfordert, wie es sich für diese Rolle gehört. Dazu treten eine Menge Rapper wie Dr. Dre und Snoop Dogg als zwielichtige Ganoven auf, was uns wieder zum Thema Klischee versus Wirklichkeit bringt. Die Geschichte ist allerdings nicht extrem stringent und das Finale ist ein Chaos, aber wir bekommen zumindest einige wertvolle Insidertipps: Cops in Los Angeles sollten gut Spanisch sprechen, keine Funkgeräte oder Eheringe tragen und ihnen angebotene Drogen immer bereitwillig konsumieren.

Zwischen uns das Leben

So gleich noch ein Film, der von Schmerz erzählt, wenn auch ganz anders. Ich hab es jetzt doch gewagt und den Film Zwischen uns das Leben (im Original: Nachsaison) angeschaut. Ich will nicht sagen, dass es ein Fehler war, er hat schon seine Momente und die Schauspieler sind super, aber er hat mich irgendwie unzufrieden zurückgelassen und zwar genau auf die Art und Weise, wie ich es eh erwartet hatte.

Es geht in diesem Film um ein Zusammentreffen des ehemaligen Liebespaares Mathieu (Guillaume Canet) und Alice (Alba Rohrwacher) – er Franzose, sie Italienerin, sie sprechen französisch miteinander – 15 Jahre nachdem er sich von ihr getrennt hat. Beide haben mittlerweile Familien und neue Partner. Und wie das so ist, wenn vier Menschen in eine Liebesgeschichte involviert sind, wird man daraus kein happy end machen können, das ist jetzt kein Spoiler, denn irgendjemand (oder auch mehrere) bleiben am Ende zwangsläufig über…

Kleinere Spoiler möglich

Der Film beginnt vielversprechend. Mathieu, der mittlerweile ein sehr berühmter Schauspieler ist, checkt in einem Spa ein. Er befindet sich gerade in einer Krise – er hatte vor, ein Risiko einzugehen und erstmals Theater zu spielen; dann verlässt ihn der Mut und er kündigt der Produktion kurz vor der Premiere, was ihn viel Geld und eine Menge Sympathien kostet. Im Spa ist er dennoch der unschwärmte Star, der dauernd Selfies mit Fans machen muss, obwohl er sich gerade furchtbar fühlt. Das ganze Setting erinnert an Lost in Translation und Bill Murray. Während Murray in Tokio mit einem Ergometer kämpft, ist es hier die Kaffeemaschine, die sich nicht abschalten lässt.

Dann wird Mathieu von Alice kontaktiert und sie treffen sich in einem Cafe, für mich die beste Szene des Films. Mathieu erzählt launig, es habe für ihn nur zwei Möglichkeiten gegeben, an diesem Punkt in seinem Leben assistierter Suizid in der Schweiz oder Thalasso-Therapie in Westfrankreich, da habe er sich eben für Thalasso entschieden. Anschließend bittet er den Kellner, den Jazz im Hintergrund abzustellen und stattdessen irgendwas anderes zu spielen, wurscht was. Das fand ich toll, weil ich Jazz auch überhaupt nicht mag – gleichzeitig hat er damit natürlich diese Richard Gere in Pretty Woman-Attitüde, der immer irgendwas von seiner Umgebung verlangt und auch alles bekommt. Alice fragt ihn, ob es ihm gut gehe, es liefe ja doch alles perfekt für ihn, er sagt sowas wie: Im Großen und Ganzen schon. Alice selbst geht es auch gut, sie ist gerade in ein neues Haus gezogen, ist stolz auf ihre Tochter, aber wie sie später zugibt, es ist das beste Leben, das sie nach der Trennung haben konnte. Aber es ist nicht das beste Leben überhaupt.

Danach gibt es zwar weitere gute Drehbuchideen, eine sehr liebenswerte Hochzeitsfeier von zwei älteren Damen etwa, aber das Problem ist, dass die Autoren nicht so recht wissen, was sie mit ihren Protagonisten machen sollen. Was auch verständlich ist. Beide hadern mit ihrer Gegenwart, wollen diese aber nicht aufgeben, es steht zu viel auf dem Spiel. So bleibt der Rest des Filmes ziemlich ratlos. Alice ist passiv-aggressiv gegenüber sich selbst, macht sich auf merkwürdige Art sehr klein, Mathieu ist irgendwie im Autopilot und reflektiert sich so gut wie gar nicht. Alles bleibt gewissermaßen in der Schwebe und vielleicht muss es das in der Konstellation, aber als Zuschauer hat man das Gefühl, man hat zuviel gegessen und danach Sodbrennen. Und wer hat schon gerne Sodbrennen.

Noch anzumerken ist, dass Canet hier 1. Mc Dreamy aus Grey’s Anatomy extrem ähnlich sieht. 2. sich in einer ähnlichen Konstellation wiederfindet wie im Film Last Night (aus 2010) und 3. wirklich extrem gealtert ist seit diesem Film, wo er ja noch wie ein Student gewirkt hat. Vielleicht liegt es aber auch nur an seiner Rolle.

4. im de France Kino ist die Klimaanlage viel zu kalt eingestellt! Harhar.

Julieta

Als ich den Almodovar Film Julieta das erste Mal gesehen habe, habe ich ihn wunderbar gefunden, aber vielleicht nicht so sehr verstanden wie vor einigen Tagen, als ich ihn nochmal angeschaut habe.

Julieta ist ein tieftrauriger Film, in der Almodovar kein einziges Mal versucht, uns Zuseher von dem Schmerz und der Verzweiflung abzulenken, die die Hauptdarstellerin Julieta empfindet. Diese kurios-groteske Folie, die in vielen Werken von Almodovar quasi über dem Ernst des Lebens liegt, um ihn zu entschärfen, die gibt es in Julieta nicht.

Die Handlung setzt ein, als Julieta Mitte 50 Jahre alt ist. Wir merken schnell, dass sie ein Geheimnis hat, das sie nicht einmal ihrem Lebensgefährten Lorenzo erzählt hat. Doch wir erfahren ihre Vorgeschichte in Rückblenden. Ihre Tochter Antina hat zwölf Jahre zuvor ohne nähere Angabe von Gründen den Kontakt zu ihr abgebrochen, mittlerweile ist sie eine erwachsene Frau um die 30. Durch Antinas ehemals beste Freundin wird Julieta – die jahrelang darum gekämpft hat, mit dieser Vergangenheit abschließen zu können – wieder an alles erinnert und, so Julieta, wie eine Drogensüchtige sofort wieder in die Abhängigkeit befördert. Eine Abhängigkeit, die Julieta ihr eigenes Leben kostet und wie sie selbst sagt: “Deine Abwesenheit füllt mein Leben aus und zerstört es.”

Viel kann man zu Julieta sagen, etwa die herausragenden schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen als junge und ältere Julieta loben, über Almodovars Bildsprache reflektieren, seine Fähigkeit Stimmungen zu erzeugen. Aber an diesem Film interessiert und beeindruckt mich vor allem einfach dieses Thema des Schmerzes, wie lebt man mit diesem Schmerz, der immer präsent ist, wie lebt man vor allem weiter. Wie lernt man wieder, die Schönheit des eigenen Lebens zu sehen, wenn da doch immer etwas fehlt, wenn man auf sich selbst zurückgeworfen ist. An manchen Tagen möchte man alle Fotos zerreißen und alle Kleider aus dem Schrank zerren, überhaupt alle Dinge, die man noch besitzt, aus dem Fenster werfen, weil alles so sinnlos erscheint.

Julieta tut das alles und wir als Zuseher verstehen das, wir können es nachempfinden und doch scheint es keinen Ratschlag zu geben, keine Hilfe, keinen Ausweg. Selbst wenn man einen weiten Weg der Heilung zurückgelegt hat und glaubt, “darüber hinweg zu sein”, so ist man doch nie gefeit davor, durch irgendeinen Trigger wieder neu anfangen zu müssen loszulassen. Aber Julieta ist letztlich doch auch ein barmherziger Film, der seine Protagonistin und uns Zuseher nicht ohne den Silberstreif am Horizont entlässt, denn im Laufe der Zeit verändern sich die Fragen, verändert sich die eigene Haltung oder wie Julieta einmal zu Lorenzo sagt: “Ich brauche keine Erklärungen mehr”. Und sie sagt es nicht aus einer Bitterkeit oder Resignation heraus, sondern weil diese Phase nun beendet ist und weil eine andere Phase beginnt und sich damit ein neuer Blickwinkel und eine neue Bewertung eröffnet. Und diese Hoffnung gibt es für uns alle, jeden Tag.

Spezialausgabe

Jedem tun andere Dinge gut, wenn er ein bisschen Aufmunterung benötigt. Bei mir ist es zum Beispiel Wer wird Millionär, harhar, ich bin einfach gestrickt.

Gestern war sogar eine Spezialsendung. Das Kind kommt ins Wohnzimmer und schraubt an seinem Roller herum. Ich erkläre ihm, dass das eine Ausgabe ist, in der die Kandidaten von Freunden, Kollegen oder Familienmitgliedern ohne deren Kenntnis zur Sendung angemeldet wurden, weil sie immer alles besser wissen und sich sehr gescheit fühlen. Also quasi eine Klugscheißer-Ausgabe.

Dann kommt folgende Frage, natürlich maßgeschneidert für mich:

Ich: Na geh bitte, da brauch ich nicht mal die Auswahlmöglichen, das weiß ich so auch.

Kind schraubt am Roller. Kandidat nimmt den 50/50 Joker, und ruft dann noch jemanden an.

Ich: Sein Telefonjoker weiß das auch nicht, gibts ja nicht.

Kandidat entscheidet sich dann nach Gefühl für die richtige Antwort.

Ich: Na endlich, bitte schau, deine Mama ist soo gut!

Kind: Ich glaub, ich meld dich auch für so eine Spezialsendung an.

Ich: Was?

Kind: Nix.

Harhar.

Megalopolis Reviews

Bei den Filmfestspielen in Cannes ist es auf Twitter immer lustig, wenn man diversen Filmjournalisten folgt, die dann schreiben was sie an diesem Tag alles anschauen werden, dann ihren ersten Eindruck und am Ende kann man die fertige Kritik lesen.

Megalopolis scheint ein extrem polarisierender Film zu sein, was aber für die Reviews super ist, da liest man dann sowas:

Aber auch:

Zusammenfassend also:

In den Reviews liest man außerdem, Megalopolis wäre: “Sucession crossed with Batman Forever and a Lava lamp.” Das muss einem erst mal einfallen. Ein anderer Journalist erzählt, er wäre während des Films auf die Toilette gegangen und hätte dort einen Kollegen kreidebleich aufgefunden, er dachte schon, er müsste die Rettung holen, da sagte der Mann zu ihm, den Film betreffend: “It’s a nightmare”. Ach ja und mehrere Journalisten haben davon berichtet, dass während des Filmes tatsächlich ein Mann vor die Leinwand tritt und Adam Driver (im Film) eine Frage stellt, die dieser dann (im Film) beantwortet. Ist das Brecht’sches Theater oder was ist das? Harhar. Das macht schon alles ziemlich neugierig auf diesen Film.

Coppola selbst scheint zufrieden zu sein, er hat bei der Pressekonferenz zu seinem Film gesagt: “So many people when they die, they say: I wish I had done this, I wish I had done that. When I will die, (…) I will say, I got to see my daughter win an Oscar, I made wine and I got to make every movie I want.”

The Conversation

Nachdem Francis Ford Coppola also seinen neuen Film in Cannes vorstellen wird, habe ich ein 50 Jahre altes Werk von ihm nachgeholt und zwar aus dem Jahr 1974, The Conversation.

Ich mag ja Filme, die von der Prämisse her in eine sehr spektakuläre Richtung gehen könnten, wo der Regisseur dann aber etwas komplett anderes daraus macht. The Conversation ist so ein Film. Harry Caul (Gene Hackman) ist ein Abhörspezialist, einer der besten auf seinem Gebiet, und arbeitet aktuell an einem neuen Auftrag: er soll ein junges Paar bespitzeln. Je mehr er in die Materie eintaucht, desto größer wird seine Sorge, dass seine Tätigkeit und deren Ergebnisse zu einer Gewalttat führen könnten…

Francis Ford Coppola hätte aus The Conversation einen packenden, ja nervenaufreibenden Thriller machen können, wo die Zuschauer nervös in ihren Sesseln hin und her rutschen und kaum abwarten können, was als nächstes passiert. Doch er denkt gar nicht daran. Er orientert sich mehr am avandgardistischen Filmemacher Michelangelo Antonioni, der sich in Blow-Up einem ähnlichen Stoff widmet – auch wenn Coppolas Werk natürlich um einiges zugänglicher ist. Die möglicherweise spektakuläre Handlung ist trotzdem bestenfalls ein Subplot. Stattdessen zeichnet er das Porträt eines einsamen, tieftraurigen Mannes. Will ihm jemand näher kommen, reagiert Harry äußerst schroff; sein Beruf scheint ihn darüberhinaus auch paranoid gemacht zu haben. Oder war er das schon vorher?

Wir sehen Harry lange und wiederholt dabei zu, wie er sein aktuelles Band abhört, um jedes einzelne Wort zu verstehen. Was ja sein Beruf ist, tatsächlich ist es in einem Film, der keine Doku ist, aber auch ziemlich redundant. Aber das will Coppola in seiner Charakterstudie auch zeigen: die Eintönigkeit, die Wiederholung, die Unentrinnbarkeit. Coppola lässt die Zuschauer rätseln, was es mit Harry auf sich hat, der aus allem ein Geheimnis macht. Es gibt unbewältigte Themen in seinem Leben, das spürt man, aber welche? Man muss schon sehr genau hinschauen, etwa wenn Harry Saxophon spielt oder zur Beichte (!) geht, um halbwegs zu begreifen, was mit ihm los ist.

Das Thema Überwachung war auch damals hochaktuell, Stichwort Watergate. In einer Szene wird aus dem Fernseher über Nixon gesprochen. Die technischen Möglichkeiten sind heute zwar völlig andere, die philosophischen Überlegungen dazu sind aber ähnlich geblieben. Und Gene Hackman ist einer der Schauspieler, von dem ich mir eigentlich alles ansehen würde, auch wenn er oft unangenehme Protagonisten in unbequemen Filmen spielt. Spannend ist auch, dass Francis Ford Coppola mit diesem Film bei den Oscars in der Kategorie “Bester Film” verloren hat – und zwar gegen Der Pate 2, Regie: Francis Ford Coppola.

In Cannes

Jetzt habe ich fast vergessen, dass diese Woche die Filmfestspiele von Cannes starten, wo heuer wirklich extrem viele spannende Werke auf dem Programm stehen.

Allen voran natürlich Megalopolis von Francis Ford Coppola, den er selbst quasi als sein Opus Magnum betrachtet, was interessant ist, wenn man bedenkt, dass zwei der wichtigsten Filme der Filmgeschichte überhaupt ohnehin schon von ihm sind, nämlich der Pate 1 und 2. Und, dass man sowas wahrscheinlich nicht auf Ansage produzieren kann. Für Megalopolis hat er aber tatsächlich Teile seines Weingutes verkauft, um ihn zu realisieren. Es soll ein Science Fiction Drama sein, bei dem es darum geht, eine New York-ähnliche Stadt architektonisch wieder aufzubauen bzw. neu zu errichten, wobei sich zwei Antagonisten darüber streiten, wie das geschehen soll. Adam Driver spielt die Hauptrolle und es gibt noch einen Liebesplot. Den Trailer finde ich ein bisschen messy, muss aber natürlich nichts heißen.

Wenig weiß man noch über den Film Bird – hier gibt es noch keinen Trailer und die Inhaltsangabe ist auch ziemlich kryptisch, ich weiß zumindest nach dem Durchlesen überhaupt nicht, worum es eigentlich gehen soll. Die Besetzung ist allerdings ziemlich interessant, mit Barry Keoghan und Franz Rogowski hat Regisseurin Andrea Arnold zwei Schauspieler gefunden, die beide in der jüngeren Vergangenheit extreme Charaktere gespielt haben. Keoghan war ein geistig zurückgebliebener junger Mann in The Banshees of Inisherin und ein äußert naja, sagen wir verhaltensauffälliger Protagonist in Saltburn. Und Rogowski kenne ich aus Passages, wo er mir dermaßen unsympathisch war, dass ich hoffe, das lag nur an seiner Rolle dort, harhar.

Sehr fasziniert war ich hingegen von Jacob Elordi, der mit Keoghan in Saltburn gespielt hat – auch ihn kann man in Cannes sehen und zwar in Paul Schraders Film Oh Canada, wo er einen amerikanischen Dissidenten spielt, der nicht nach Vietnam gehen will und daher nach Kanada flüchtet. Als älterer Mann wird dieser dann von Richard Gere gespielt, der mit Schrader schon gemeinsam American Gigolo gedreht hat. Und wer sich jetzt fragt, woher man diesen Schrader kennt: er ist eng mit Martin Scorsese befreundet und hat für ihn Taxi Driver geschrieben.

Außerdem in Cannes: Der neue Film von Giorgos Lanthimos, der Kinds of Kindness heißt und wie Poor Things wieder mit (u.a.) Emma Stone und William Dafoe besetzt ist. Aber wenn ich mir den Trailer ansehe, schaut er eher wieder nach naturalistischem-depri Vibe aus, wie ihn die Filme vor Poor Things ausstrahlten und er soll 168 Minuten dauern. Ich sehe da eine große Chance, dass ich aus dem Film kippen werde, ich werde ihm aber trotzdem eine Chance geben. Spannend vielleicht auch The Apprentice, ein Biopic über Donald Trump; was doppelt schwierig ist, erstens wegen der larger than life Person Trump, zweitens weil das Genre Biopic oft dermaßen ausgelutscht daherkommt, dass man schon spezielle Ansätze oder Perspektiven braucht, um das interessant zu gestalten. Wenn das aber gelingt, kann es großartig sein.

Soviel mal für heute.