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Brunetti – weiter gehts

Nachdem ich mittlerweile bei Fall 21 angekommen bin, ist es an der Zeit, Resümee über Fall 11 bis 20 zu ziehen.

Ich habe ja nach dem 10. Fall, der ungewohnt actionreich war gedacht, dass dieser Trend möglicherweise in den folgenden Büchern beibehalten wird. Dem war nicht so. Absolut nicht. Im Gegenteil, die Actionkurve zeigt in den folgenden Romanen steil nach unten. Und teilweise habe ich mir, so jetzt im Rückblick, nicht mal mehr genau gemerkt, wer im jeweiligen Fall letztendlich der Täter war. Was nicht unbedingt so schlimm ist, liest man die Leon-Romane in erster Linie für Gesellschaftskritik, die Beschreibung der Abendessen im Hause Brunetti und wegen des venezianischen Flairs, was immer gelingt. Außerdem lese ich die Krimis immer zum Einschlafen…

Mein Lieblings-Brunetti diesmal ist Nr. 19 ist Auf Treu und Glauben, im Zuge dessen Handlung sich Brunetti eigentlich auf dem Weg nach Südtirol befindet, um dem heißen August in Venedig zu entfliehen. Leider schafft er es noch nicht mal bis Bozen, wegen eines Mordfalles wird er zurückbeordert, genau wie Vianello, der mit seiner Familie in Kroatien urlaubt. Den Fall fand ich dann sogar erstaunlich spannend und komplex

Auch die Fälle 18 (Schöner Schein) und 20 (Reiches Erbe) fand ich sehr gelungen, ebenso wie den Fall 21, den ich jetzt gerade lese, man könnte also sagen, dass sich Frau Leon nach ein paar kleineren Durchhängern für mich wieder zu neuen Höhen emporschwingt.

Leider bleiben mir nach dem aktuellen Band nur noch drei Brunettis zu lesen. Panik!!!

Oh Paola

Ich bin immer noch bei den Brunetti Krimis, hab gerade Fall 14 abgeschlossen. Im Moment brauche ich für ein Buch ziemlich lange, weil ich abends nur ein paar Seiten lese, bis mir im Bett die Augen zufallen.

Jedenfalls frage ich mich: gibt es irgendwo einen “Ich finde Signora Brunetti ur nervig” Club oder eine Facebookgruppe dazu? Mir geht die Ehefrau von Guido jedenfalls mehr und mehr auf den Zeiger. Warum das?

Paola ist ungefähr so alt wie Guido, also so Mitte vierzig, die beiden haben zwei Kinder im frühen und späten Teenageralter. Paola stammt – im Gegensatz zu Guido – aus sehr wohlhaben Verhältnissen, sie ist die Tochter von Conte Falier. Paola arbeitet auf der Uni und lehrt englische Literatur. Einerseits gibt sie sich liberal, etwa, wenn sie sich für Frauenrechte einsetzt oder gegen die Kirche wettert, andererseits ist sie nicht sehr tolerant, was andere Meinungen betrifft. Sie ist schon der Ansicht, dass sie selbst die Weisheit mit Löffeln gefressen hat und das sollte ihr Gegenüber eigentlich stets zu schätzen wissen.

Manchmal verhält sie sich auch recht naiv, bzw. wie ein “typisches” verwöhntes Kind aus gutem Haus. Zum Beispiel im Buch In Sachen Signora Brunetti, als sie Selbstjustiz an einem Reisebürobesitzer übt, der Sextourismus mit Minderjährigen anbietet. Ihr Zorn ist ja zu verstehen, aber muss sie deshalb mehrmals Pflastersteine in die Auslage des Reisebüros werfen? Macht sie sich mehr als fünf Sekunden darüber Gedanken, dass sie damit die Anstellung ihres Mannes gefährdet? Wäre sie nicht Erbin eines beträchtlichen Vermögens, würde sie vielleicht etwas mehr Angst vor Konsequenzen haben, und ihre berechtige Kritik etwas anders artikulieren?

Kochen kann sie allerdings fabelhaft; wenn sie mittags* zuhause ist, gibts schon da ein dreigängiges Menü für die Familie, sonst erst abends. Ach ja und was ich mich schon länger frage: Hat sie nicht eigentlich den falschen Nachnamen und müsste Signora Falier heißen? Denn in Italien nehmen Ehefrauen normalerweise nicht den Namen ihrer Männer an.

* Die Mittagspause von Guido Brunetti dauert manchmal gut und gerne drei Stunden, Mittagessen, ein kleines Schläfen, um 15 Uhr dann zurück in der Questura, wo er dann noch so drei Stündchen arbeitet.

Brunetti so far

Nach den ersten 10 Brunettis von Donna Leon ist kurz einmal Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen.

Vorneweg: ich habe alle gerne gelesen, und ich bin froh, dass noch 15 Fälle auf mich warten, denn ein bisschen bin ich süchtig nach Donna Leons Comissario, nach seinem Wirkungskreis Venedig und seinen Ermittlungen, wobei die Fälle gar nicht sonderlich spannend sein müssen (und in der Regel auch nicht sind), um mich zu überzeugen.

Dazu gibt es zwei Ausreißer: Fall 6 (Sanft entschlafen) ist wirklich etwas, äh langsam. Nach 78 Prozent Lesefortschritt am Kindle war noch nicht mal klar, ob es einen “Fall” gibt und am Ende war ich mit der Auflösung nicht wirklich sehr glücklich, bzw. blieb etwas ratlos zurück. Aber vielleicht wollte Leon auch zeigen, dass Kriminalfälle eben manchmal so sind. Beiläufig und unspektakulär. Falls sie das wollte, ist es hervorragend gelungen, harhar. Fall 10 (Das Gesetz der Lagune) dagegen ist am Ende extrem mitreißend, das ist pure Action. Sehr überraschend. Ich bin neugierig, ob das sich dieser Trend in Zukunft fortsetzt.

Meine Lieblingsfälle bis dato sind Fall 1 (Venezianisches Finale), Fall 3 (Venezianische Scharade) und eben Fall 10. Fall 8 (In Sachen Signora Brunetti) hat mich etwas wütend auf Brunettis sonst so beeindruckende Frau Paola gemacht, aber in den letzten zwei Büchern hat sich diese Emotion wieder verflüchtigt.

Meine Lieblingsfigur abgesehen von Brunetti ist allerdings die Sekretärin von Vice-Questore Patta, Elettra Zorzi. Knapp vor Sergente Vianello, den wohl jeder gern hat.

Ich freue mich auf die nächsten 15 Bände!

Being Guido Brunetti

Mittlerweile bin ich bei Commissario Brunettis fünftem Fall in Venedig angekommen, also hab ich ja noch knapp zwanzig vor mir.

Ich mag Guido Brunetti einfach, und wie unaufgeregt, gleichzeitig aber sehr korrekt und kultiviert er seine Fälle in Venedig löst. Wenn man ein Fan davon ist, dass der Verbrecher am Ende seine gerechte Strafe bekommt, dann sind die Donna Leon Krimis aber vielleicht nicht das richtige. Und das nicht, weil Brunetti ein schlechter Kommissar ist – im Gegenteil, er findet den oder die Täter bisher immer – dennoch ist es durch die mafiösen Strukturen in Italien nicht automatisch so, dass die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen werden können. Es gibt immer jemand Höheren, der die Fäden zieht und das oft zu verhindern weiß, wenn es irgendjemand noch Höherem nicht behagt…ich hoffe persönlich inständig, dass das pessimistische Bild der italienischen Exekutive und Legislative stark überzeichnet ist. Sehr stark.

Ansonsten mag ich die detaillierten Venedigbeschreibungen, die echt spannend sind, wenn man die Stadt kennt und sich dort auch schon dutzende Male verlaufen hat, ja zwanzig Minuten im Kreis gerannt ist, nur am Ende wieder am selben Ausgangspunkt zu stehen; und ich mag den trockenen Humor der Bücher –

Einmal etwa legt Brunetti einem Zeugen diverse Fotos vor, dieser blättert sie durch und meint, die sehen alle aus wie Verbrecher; sein Kunde hätte den Eindruck seines rechtschaffenen und seriösen Bürgers gemacht, so wie ein Politiker. Darauf denkt Brunetti: Ist dieser Mann wirklich gebürtiger Italiener?

Einmal drapiert Frau Brunetti zuhause Tomaten im Kreis zwischen Mozerella auf einem Teller, Brunetti kommt nachhause und fragt: “Gibt es heute etwas Caprese zum Abendessen?” und seine Frau antwortet ihm: “Es wundert mich nicht mehr, dass du zur Polizei gegangen bist.”

Ach ja, eine Menge Italienisches steckt auch in den Bücher, also abgesehen von Venedig, dem Essen, dem Café, und den großen Gesten. Es sind zahlreiche italienische Ausdrücke und auch Sätze eingestreut. Wenn man nicht Italienisch kann, macht das aber auch nichts. Das meiste wird übersetzt oder umschrieben. Oder man erfühlt einfach, was gemeint ist.

Il Tedeco/ La Tedesca

Auf Twitter kann man sich mitunter auch gute Buchtipps holen. So bin ich auf die Autorin Chiara Ravenna gestoßen, die ihre Bücher zu einem sehr fairen Preis auf Amazon vertreibt (& auch gerne und pointiert twittert).

Chiara Ravenna ist Italienerin aus der Emilia Romagna und erzählt in ihrem ersten Werk Il Tedesco ihre Familiengeschichte, wie sie zu ihrem Beruf der Restaurateurin kam, was das alles mit Deutschland zu tun hat, und noch sehr vieles mehr. Da liegt auch gleich das kleine (!) Manko des 1. Teils begründet. Ravenna hat einen wunderbaren Schreibstil, sie vermittelt authentisches Italien-Feeling, und ihr Text ist so leicht wie eine Sommerbrise an der Adria, allerdings will sie in Il Tedesco etwas zuviel erzählen und nicht alles wird zuende geführt oder plausibel gemacht. Der titelgebende Deutsche (“Tedesco”) spielt nicht unbedingt die Hauptrolle. Wenn man darüber hinwegsieht, ist es allerdings die perfekte Strand- oder Abendlektüre.

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In Teil 2, La Tedesca, ist es Ravenna meiner Ansicht nach besser gelungen, einen Text wie aus einem Guß zu produzieren, weil sie mehr im hier und jetzt bleibt und sich stärker auf einen Handlungsstrang konzentriert. Obwohl der zweite Roman großteils in München spielt, ist er genauso italienisch wie sein Vorgänger. Zwar wird auch hier nicht restlos alles “auserzählt”, aber das tut der Lesefreude keinen Abbruch, zumindest für mich nicht. Ich kippe leicht in die von der Autorin vermittelte Welt hinein, und genieße es, für ein paar Stunden quasi Teil davon zu sein.

Allerdings, Achtung: Bei Ravennas Bücher bekommt man immer Hunger – sie schildert alle paar Seiten detailreich italienische Menüfolgen (Antipasti, Scampi, Pasta Vongole, Meeresfisch in allen Variationen, usw, seht Ihr, was ich meine?); und wenn man gerne Wein trinkt (was auf mich – hier gottseidank – nicht zutrifft), schenkt man sich zur Lektüre sicher hin und wieder einen guten Rotwein ein. Von reichlichem Caffe-Konsum ganz zu schweigen. Als Abschluß trinkt die Autorin meist Limoncello. Auch den könnte man wohl mal probieren…

Nachdem ich nun beide Romane beendet habe, wünsche ich mir eigentlich so schnell wie möglich ein Nachfolgebuch. Und angeblich arbeitet die Autorin daran auch schon mit Hochdruck. Fahre im Juli an die Adria. Bitte – danke. Harhar.

Aberland

Am Freitag Abend hatte ich überraschend kindfrei, Mann war auch unterwegs, da war ich zuerst leicht überfordert, hab mir dann aber meinen Kindle geschnappt und beschlossen, endlich Aberland von Gertraud Klemm zu lesen, den Roman, den ich mir schon vor einiger Zeit heruntergeladen hatte.

Aberland, bzw. das erste Kapitel davon, war beim Bachmannpreis 2014 gelesen und heiß diskutiert worden. Der Autorin war es gelungen, dafür den Publikumspreis zu gewinnen. Warum war Aberland so extrem umstritten? In Kapitel 1 (und das Thema zieht sich auch durch den Roman), geht es um die 35 jährige Franzisika, verheiratet, ein kleines Kind, und ihr persönlich Unglück. Denn Franzisika befindet sich in einem Leben, in das sie eigentlich so gar nicht führen will. Sie arbeitet mehr schlecht als recht an ihrer Dissertation und würde sich dann gerne beruflich verwirklichen, aber ihr Mann Tom will unbedingt noch ein zweites Kind, was sie sich gar nicht vorstellen kann, da sie – und da war Klemm der aktuellen #regrettingmotherhood Debatte um die Nasenlänge voraus – die Mutterschaft und alles, was damit zusammenhängt hasst. Sie hasst nicht ihren kleinen Sohn Manuel, aber alles, was mit Kleinkinderziehung/Betreuung und Pflichten (auch von außen vorgegeben) zu tun hat.

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Der Text ist – zugegebenermaßen – bitter und stellenweise sehr hart formuliert. Bei #Regrettingmotherhood wurde vor kurzem gemeint, dass Mütter manchmal noch nicht mal vor sich selbst zugeben können, dass sie ihre Mutterrolle verabscheuen. Das gilt nicht für Franzisika, sie nimmt sich kein Blatt vor dem Mund und betreibt alles andere als Selbstzensur. Was Juror Burkhard Spinnen im Sommer auch sehr missfiel. Er verstand nicht, welches Problem Franzisika denn eigentlich hätte? Ihr Kind wäre gesund und munter, ja vielleicht etwas lebhaft und laut, aber mein Gott, das wäre doch alles normal! Warum darüber klagen und einen langen Text schreiben?

Das fand wiederum ich befremdlich, denn wenn wir so denken, können wir Literatur gleich abschaffen. Denn mit vielen Dingen, die Autoren schreiben, müsste man sich nicht auseinandersetzen, man könnte sie einfach vom Tisch wischen, wie Spinnen dieses ungeliebte und ihm unangenehme Thema. Wenn ein Depressiver etwa über seine Gefühle schreibt, kann man genauso sagen: “Hey reiß dich mal zusammen, du hast doch gar keinen Grund, traurig zu sein.” Daniela Strigl hat sehr passend auf Spinnen geantwortet: “Könnte es nicht sein, dass wir es nicht aushalten, wenn ein derartig düsteres Welt- und Lebensbild von einer souveränen Position aus, die weiblich ist, zur Sprache gebracht wird?” Ja, so ist es, denke ich und das ist auch das, was wir bei #regrettingmotherhood erleben. Jeder Ansatz davon, Mutterschaft nicht mehr zu verklären, wird von vielen panisch abgewehrt.

Aberland jedenfalls ist das Buch einer Autorin, die wahnsinnig präzise beobachtet und formuliert und es schafft, die Gefühlslage der Protagnostin richtiggehend fühlbar zu machen:

“Und gerade als Manuel ein bisschen robuster war, als er endlich mit dem Schreien aufhörte, als er ordentlich trinken konnte und ihr dabei in die Augen sah, als die Liebe über das schiere Gewährleisten des Überlebens hinauszugehen schien, spuckte er die Brust aus, drehte den Kopf weg und begann sich rückwärts schiebend die Welt untertan zu machen, immer weg von Mama.”

Aberland ist aber nicht nur die Geschichte dieser Tochter, sondern auch ihrer Mutter, die ihr Leben lang das getan hat, was Franziska nicht will: nur für ihre Familie da zu sein, keinen Beruf, keine Hobbys, keine Affäre – wie sie selbst sagt: trotz Gelegenheit. Irgendwann waren die Kinder weg, die Enkel kommen spärlich und selten zu Besuch, und jetzt hat sie einen Mann zuhause, der in Pension ist, und sie hat keine Ahnung, was sie mit dem Rest ihres Lebens (sie ist erst 58) noch anfangen soll. Ihre eigene Mutter ist Franzisika, wenn man so will, eine lebendige Warnung davor, wie ihr Leben verlaufen kann. Zuerst soll die Mutter immer da und verfügbar sein, sich selbst nicht so wichtig nehmen, doch dann, wenn die Kinder erwachsen sind, dann soll sie bitteschön schnell loslassen und sich unsichtbar machen.

Aberland ist keine Erbauungsliteratur. Der Roman ist schon starker Tobak, aber eben auch gnadenlos ehrlich, aus der Sicht seiner Protagonisten. Und er beleuchtet die andere Seite der Mutterschaft, die Herausforderung, trotz Kindern auch ein eigenständiger Mensch zu bleiben. Und erzählt von der schwierigen Balance, die es für jede Mutter zu finden gilt. Täglich.

Vorlesen zwei

Mittlerweile hat sich unser abendliches Vorleseritual verfestigt und wir haben schon zahlreiche Bücher ausgelesen. Zwei sehr unterschiedliche Bücher aus der Kindheit in den Achtziger Jahren möchte ich heute etwas näher vorstellen.

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Die Kindergeschichten von Peter Bichsel stammen von Mr. Almi. Und die sind sehr schräg! Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von Mann, der nichts mehr wissen wollte. Der setzte sich in ein Zimmer und wandte sich von der Welt ab. Dann fiel ihm aber ein, dass er viele Dinge ja noch gar nicht weiß, die er wissen muss, damit er dann von ihnen sagen kann, dass er nichts mehr von ihnen wissen will. Wie zb. die chinesische Sprache. Also lernt der Protagonist Chinesisch.

Oder in der Geschichte vom Erfinder, der irgendwo alleine ein Wald lebt und Dinge erfindet. Einmal erfindet er den Fernseher. Als er nun in die Stadt geht und seine Erfindung präsentieren will, kommt er drauf, dass es den Fernseher schon gibt. Also geht er nachhause und erfindet alle Dinge, die er in der Stadt gesehen hat, wie das Auto oder die Rolltreppe neu. Und in der Geschichte vom Jodok spricht der Großvater nur vom Onkel Jodok und irgendwann werden auch die Verben zu “Jodok” und dann die Substantive und bald bestehen die Sätze nur noch aus der Aneinanderreihung von “Jodok”. Ich sage ja: schräg. Oder: avantgardistisch.

Das andere Buch, Mädchen dürfen pfeifen, Buben dürfen weinen, meines, ist eines, dass man als sozialkritisch und auf Gender-Mainstreaming ausgerichtet bezeichnen kann, zu einer Zeit, als es das Wort noch gar nicht gab. Es geht um schwierige familäre Situationen wie Scheidung und Patchwork, es geht um Gleichberechtigung und vor allem geht es um den Tod. Also nicht richtig um den Tod selbst, aber in praktisch jeder Geschichte ist jemand (oder auch viele) tot. Mr. Almi fragte beim Betreten des Zimmer schon immer, wer denn jetzt wieder gestorben sei. Harhar.  Ein Buch, das als Zeitdokument sehr interessant ist, als Vorlesebuch vielleicht etwas düster.

Jetzt gerade lesen wir ein Buch, das das Gegenteil davon ist, nämlich herzerfrischend witzig. Und es ist von einer meiner LieblingskinderbuchautorInnen, Christine Nöstlinger:

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Vorlesen

Jetzt sind wir – eher spät wie ich finde – bei der abendlichen Vorlesestunde angekommen. Lange Zeit hat Adrian das Vorlesen nicht so begeistert, also abseits von Büchern mit sehr vielen Bildern, “nur” Text hat ihn nicht so angesprochen. Aber jetzt dafür ist er höchst interessiert und mag dieses Ritual vor dem Schlafengehen sehr.

Ich habe dafür meine eigenen Lieblingskinderbücher ausgegraben und gleich mal mit dem Buch Neues aus dem Haus Marillengasse 4 gestartet. Dass es ein Lieblingsbuch von mir war, sieht man an den Schokoflecken auf manchen Seiten. Ähem. Jedenfalls handelt das Buch von den Bewohnern des Hauses Marillengasse 4, vornehmlich von den (zahlreichen) Kindern. Manche Geschichten wurden früher auch für Schul-Lesebücher verwendet.

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Das Buch ist sehr witzig und auch sehr Wienerisch. Es gibt viele Ausdrücke, die auf den Ort des Geschehens hinweisen, beispielsweise hat die Frau Bierer ein Taschapperl. Entgegen der ersten Annahme handelt es sich dabei aber nicht um ein Kind, sondern um ihr permanent kaputtes kleines Auto. Der Papa vom Wolfi ist klaß, der Rudi Rabenberger sagt Kruzitürken (was eventuell nicht mehr ganz PC ist) und die Frau Lehrerin hat einen Janker, usw.

Interessant sind manche Dinge, die sich in dreißig Jahren geändert haben. Natürlich erstmal gab es damals statt Schilling noch Euro. Und es gab Telefonzellen, wo man öffentlich telefonieren konnte. Es gibt ein Kind einer geschiedenen Frau, deren Eltern wieder (andere) heiraten und das scheint hier noch etwas außergewöhnlich zu sein. Was aber am erstaunlichsten ist: Kinder durften erst ab 14 Jahren als Gäste ein Krankenhaus betreten, es ist aber kein Problem für die 9, 10 jährigen Kinder in der Trafik Zigarren zu kaufen. Da sagt die Trafikantin nur “Ihr werdet Bauchweh kriegen”. Die Kinder haben die Zigarren zwar eh nur als Geschenk gekauft, aber das wusste die Verkäuferin ja nicht.

Früher war also doch nicht alles besser!

Semesterferien, vier

Zum Abschluss der Ferien waren wir dann vergangenen Sonntag noch in der Mira Lobe/Susi Weigel Ausstellung Das kleine Ich bin Ich im Wien-Museum.

Das kleine Ich bin Ich ist ja so etwas wie nationaler Lesestoff für alle Kindergartenkinder. Es handelt sich dabei bekanntermaßen um ein Tier, das nicht weiß, was es eigentlich ist. Es trifft viele verschiedene Tiere, mit denen es jeweils ein paar Eigenschaften teilt, letztendlich ist es aber weder ein Frosch, noch ein Pferd, Fisch oder ein Hund. Es ist ganz verzweifelt, weil es nirgends dazugehört, bis es letztendlich draufkommt, natürlich gibt es mich, denn Ich bin ich. Hach. Eine schöne Botschaft.

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Die Ausstellung beschäftigt sich aber nicht nur mit dem, wenn man so will, Hauptwerk der Autorin Lobe und ihrer bevorzugten Zeichnerin Susi Weigel, sondern gibt auch einen Einblick darüber, wieviele andere Bücher die beiden zusammen verfasst haben. Ich selbst besitze sehr viele Bücher der beiden (Der Dackelmann hat recht, Der kleine Drache Fridolin, Das Städchen Drumherum, Die Omama im Apfelbaum, Lollo, Morgen komme ich in die Schule…) und sie haben alle diesen unverwechselbaren Charme und Witz, und geben einem nie das Gefühl, die kindliche Leserschaft irgendwie von oben herab zu betrachten.

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Die Ausstellung beinhaltet “hängende Bücher” mit darunterstehenden kleinen Sesseln, wo man Bücher lesen und auch vorlesen kann, Interviews und Beiträge zum hören mit Kopfhörern, viele Skizzen, biografische Informationen und – am wichtigsten für Adrian und einige andere anwesende Knider in seinem Alter: eine echte Schreibmaschine, an der man selber tippen kann. Was an dieser Ausstellung tatsächlich noch zu verbessern wäre: eine zweite Schreibmaschine bereitstellen!!

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To sum it up: Das waren wohl die schönsten Semesterferien meines Lebens. Eigne mich wohl eher zum Elter, denn zum Kind…

Ein bisschen Bachmann

Vorbei sind die Zeiten, in denen ich tagelang nonstop vor dem TV gesessen bin, 3 sat aufgedreht und den Bachmannpreis quasi in voller Länge verfolgte. Damals noch mit Gerd Scobel, den fand ich auch cool. Heute ist es so, dass ich gegen zehn, wenn das Kind endlich schläft, die Videos im Internet ansehe und zwar meistens zuerst die Jurydiskussionen. Vergesst die Jurys in den diversen Castingshows, beim Bachmannpreis gehts wirklich ab! Oder wie Daniela Strigl bissig bemerkte: “Hubert Winkels ist wie immer klüger als der Autor.”

Da werden die Texte der Aspiranten ordentlich zerpflückt: der neue Juror Arno Dusini (übrigens Germanistikprofessor an der Uni Wien, meine Freundin belegte ein thematisches Proseminar über Kafka bei ihm und hatte zu leiden) machte gleich am ersten Tag mit der Äußerung über Olga Flors Text von sich hören. Und zwar geht es bei Flors Text um zwei ehemalige Liebende, die sich nach Jahren wieder treffen und das Knistern beginnt von neuem. Dusini dazu: “(…) ob es ausreicht, dass ein österreichisch-franz. Arschfick Literatur macht, das ist mir nicht klar.”

Natürlich weiß Herr Professor Dusini, das man das auch anders ausdrücken könnte, etwas blumiger, dezenter, er weiß aber auch, dass ein beim Namen nennen ihm eine deutliche Erwähnung in der Berichterstattung garantiert und “quod erat demonstrandum”. Genau das wurde natürlich tags darauf überall zitiert. Gratulation.

Wie immer, und auch vom FM4 bei seinem Bullshit-Bingo erwähnt, dauert es nicht lange, bis Thomas Bernhard ins Spiel kommt. Zwar ging es im präsentierten Text um Schreibabies, aber es handle sich dabei auch um eine “Suada”, und stehe damit quasi in der Bernhard’schen Tradition, und (wieder Dusini): “Man kann auch mit Bernhard Probleme haben.” Denn Bernhard sei eben auch nicht “sakrosankt” – ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber genau wegen solcher Sätze lieben wir doch den Bachmannpreis.

Da unterhalten sich tatsächlich viele erwachsene Menschen tagelang über Literatur und mögliche Interpretationen und machen etwas zum Mittelpunkt, was in unserer Gesellschaft selten Mittelpunkt ist; und auch wenn der Preis und das Prozedere natürlich durchaus kritikwürdig ist (ich habe mich im Rahmen meiner Diplomarbeit ausführlich mit Literaturkritik beschäftigt) – es ist und bleibt für mich sehens- und hörenswert.