almis personal blog

Weiterer Lesestoff

Mittlerweile gehen wir fast wöchentlich in die Bücherei. Adrian hat großen Spaß daran, vorgelesen zu bekommen.

Nur bei manchen Büchern, die wir ausborgen, bin ich etwas herausgefordert. Beispielsweise wollte er unbedingt das Buch Warum wir keine Tiere essen ausleihen. Nun ja. Ich esse Tiere. Zwar esse ich eher selten Fleisch, liebe aber Huhn und mag auch Faschiertes sehr gerne, ganz auf Fleisch verzichten möchte ich nicht. Aber gut, es ist ja auch wichtig, den Kindern einen gewissen Meinungspluralismus nahezubringen. Das Buch war dann auch ganz gut aufgebaut und hat auch von den Missständen bei der Tierhaltung berichtet – die Schlußfolgerung: deshalb essen wir nie wieder Fleisch, kann ich zwar nicht teilen, aber ok.

Ein anderes Buch, das recht interessant war, ist dieses hier:

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Gut, der Titel könnte einem schon eine Warnung sein. Harhar. Es geht um kleinere und größere Tabuthemen, Dinge eben, die kleinen Kinder noch nicht bekannt sind, die geheimnisvoll oder lustig anmuten. Zum Beispiel warum manche Erwachsene ihre Zähne nachts in ein Glas legen, warum man einen Bauchnabel hat, warum manche Haare in der Nase, aber nicht am Kopf haben und was Mama und Papa manchmal im Schlafzimmer machen. Öhm ja. Natürlich sehr kindgerecht geschrieben und gezeichnet.

Das amüsiert Kinder offensichtlich sehr und wirft natürlich auch eine Menge Fragen auf. Allerdings Fragen, die eben altersgerecht sind. Das ist noch keine lückenlose Aufklärung gefordert. Oder wie meine Freundin L. meinte, die Kinder fragen erst dann näheres, wenn sie dazu bereit sind. Das stimmt offenbar! Ich hoffe, ich bin dann auch bereit. Harhar.

Rotkäppchen reloaded

Adrian hat vom Nikolo ein witziges Rotkäppchen Buch bekommen, die Zeichnungen sind sehr originell. Der Wolf ist schon böse, macht aber irgendwie einen auf cooler Gangsta. Wie er da am Baum steht und Rotkäppchen abpasst:

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Das Ende der Geschichte ist dann auch etwas abgemildert, für den Wolf. Wahrscheinlich erschien der Illustratorin mit Steinen im Bauch dann doch nicht mehr ganz so zeitgemäß – oder es ging ihr zu sehr in die Splatter-Richtung.

In der Bücherei

Als die erste längere Herbstkrankheit überstanden war, haben wir Ende letzter Woche die Nachbarfamilie recht spontan zur Bücherei Floridsdorf begleitet.

Gut, es war schon mal spannend, mit vier Kindern (zw. 1,5-6 Jahren) an der alten Donau entlang und dann am Bahnhof Floridsdorf vorbei, “anzureisen”. Am Bahnhof verweilten wir etwas, weil dort ein Klarinettist spielte, Adrian und E. tanzten und ihre kleinen Brüder setzten sich direkt vor ihn und schauten ihm fasziniert zu.

Na gut, irgendwann kamen wir in der Bücherei an und ich war erstaunt und erfreut, wieviel Auswahl an Kinderbüchern dort vorhanden war. Für alle Alterstufen, zu sehr vielen Themenbereichen (Natur bis Technik) geordnet, dazu gibts auch Hörbücher auf CDs, es gibt Kassetten und DVDs, und – für uns praktisch – ganz viele Vorlesebücher. Die Kinder stürzten sich gleich ins Getümmel und suchten sich einiges zum mitnehmen aus. Dann wurde mit den Mamas verhandelt, welches Buch jetzt noch unbedingt mitmuss und welches dann das nächste Mal (beim nächsten Mal werde ich auch sicher eine größere Tasche mitnehmen!)

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Wir erstanden übrigens drei neue Zilly-Bände und Das kleine Ichbinich, außerdem ein witziges Buch namens Das Froschl und u.a. auch ein Hörbuch von Geschichten von Michel, gelesen von Robert Stadlober (!). Außerdem habe ich ein Buch namens Adrian Adrenalin entdeckt. Hat mein Sohn seine Biografie geschrieben?

Jedenfalls kann man dann für ein Kind einen eigenen Ausweis lösen, der gratis ist. Man kann sich damit bis zu 25 Medien gleichzeitig ausborgen und das für vier Wochen. Kann dann aber auch noch verlängern. Außerdem kann man die Bücher in jeder anderen Bücherei Wiens auch zurückgeben. Die Kinder können unter drei verschiedenen Ausweiskarten wählen und bekommen noch ein Gratislesezeichen dazu. Sehr nett.

Anmerkung am Rande: die Bücherei in Floridsdorf ist besonders kinderfreundlich!

New hood, zwölf

In unserem neuen Wohnhaus hat tatsächlich ein Nachbar Der Mensch erscheint im Holozän gelesen! Wahnsinn. Nicht mal ich habe Der Mensch erscheint im Holozän gelesen und ich hatte bei meinem Rigorosum Max Frisch als Spezialgebiet.

Hüstel. Ich hoffe, meine Doktormutter liest nicht mit. Dafür hätte ich einmal dank meiner Vorliebe für Frisch die Millionenfrage bei Wer wird Millionär beantworten können, bevor die Antwortmöglichkeiten eingeblendet waren. Ist doch wichtiger, praktisch anwendbares Wissen quasi.

Laut dem Nachbarn ist Der Mensch… übrigens sehr schräg. Dachte ich schon. Wir haben uns dann noch über Montauk, Mein Name sei Gantenbein und Homo faber unterhalten. Ja die habe ich selbstverständlich alle gelesen. Klar.

Besser

Jetzt habe ich also Doris Knechts zweiten Roman gelesen, er nennt sich Besser. Sehr mutiger Titel, wenn man erahnen kann, was Rezensenten mit solchen Titel gerne kalauern (“Wäre er doch nur besser gelungen usw…”)

MINIMALE SPOILER MÖGLICH

Ich liebe Knechts Kolumnen, vor allem im Falter und natürlich ihre zu Büchern gepressten Kolumnensammlungen. Ihren hochgelobten Erstling Gruber geht kenne ich nicht, aus dem Grund, weil mich das Thema (Krebserkrankung) abschreckt und ich auch nach der Leseprobe am Kindle nicht so leicht hineingefunden haben, in den Stil. In Besser findet man dagegen relativ unmittel rein, weil die erste Szene eine ausführlich beschriebene Sexszene ist. Harhar.

Nein, es ist von der ersten Seite an eine vertraute Welt, in die Doris Knecht uns da führt, diese Welt kennen wir aus ihren Kolumnen. Es geht um ein gutsituiertes Paar im besten Alter aus Boboville (in Wien, oft 2. Bezirk), sie haben Kinder, sie haben intellektuelle Freunde, essen kroatische Ziegenwürste und Bregenzerwälder Bergkäse und trinken Rotwein (was Knechts Hauptfigur auch selbstironisch als “wie aus dem Bobo-Handbuch” bezeichnet). Einmal baut sie sogar eine Art Wissensquiz für ihr Publikum und die geneigte LeserIn errät vielleicht das Video, das Knechts Hauptfigur sich gerade ansieht (für mich wars einfach: Arcade Fire, Suburbs, oute ich mich damit als Bobo?). Übrigens ein toller Song, welche Relevanz er für den Plot hat, wird mir nicht ganz klar.

Und da haben wir auch m.E. schon den Pferdefuß des Textes. Das alles ist eine nette, oft witzige, meist auch sehr hellsichtige Beschreibung einer Gesellschaftsschicht, eines Menschenschlages, eines städtischen Biotops. Das liest sich amüsant und flüssig. Doch darüber vergisst Knecht ihre Hauptfigur Antonia Pollak, und wie man weiß, ist das Ziel eines Buches halt eben doch, die Hauptfigur in die schlimmstmögliche Situation ihres Lebens zu bringen und sie dann ordentlich strampeln zu lassen. Habe man das nicht vor, so las ich einmal, dann wäre es keine Romanform wert.

Antonia Pollak strampelt nicht, sie tänzelt vielleicht da und dort etwas nah an den Abgrund, aber einen wirklichen (innerlichen) Kampf erlebe ich als Leser hier nicht. Was sind die Schatten ihrer Vergangenheit, welche Dämonen bekämpft sie wirklich? Und wieso manifestiert sich ihr Vorleben so wenig in der Gegenwart? Ich fürchte, ein Buch, dass das Thema Drogensucht beinhaltet, kann man nur glaubhaft schreiben, wenn man selbst Erfahrungen in dieser Richtung oder sehr viel drüber recherchiert hat. Frau Pollak hat angeblich Bedrohliches erlebt, aber irgendwie floatet sie dafür zu relaxt mit, in dieser sie stetig umspülenden liberalen Strömung.

Doris Knecht kann schreiben. Sehr gut sogar. Einzelne (kurze) Kapitel von Besser sind sogar regelrecht poetisch geraten, dass man den Atem anhält. Zahlreiche Metaphern wunderschön. Ob die Form eines Romanes hier die passende ist und ob Antonia Pollak die faszinierende Hauptfigur ist, wie es uns hier weisgemacht werden soll? Das bezweifle ich eher.

Das N-Wort

Nachdem sich Österreich im Zuge einer Volksbefragung am Sonntag für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht ausgesprochen hat (lediglich in Wien waren die Berufsheer-Befürworter in der Mehrzahlt) und Vizekanzler Spindelegger in der ZIB2 gefragt wurde, ob man jetzt daran denke, das Zivildienst auf 6 Monate zu verkürzen (und dem Wehrdienst anzugleichen), da lehnte dieser ab und auf die Frage warum, antwortete er mit dem schönen und nicht nur später auf Twitter viel diskutierten Satz: “Weil es immer so war”.

Unter dem Hashtag #weilsimmersowar machten sich dann zahlreiche Twitterati darüber lustig, welche Dinge man noch mit #weilsimmersowar “argumentieren” könnte, da kamen dann so Sätze wie “Die Erde ist eine Scheibe #weilsimmersowar”, oder “Hände falten, Goschn halten #weilsimmersowar”.

Heute ist mir aufgefallen, dass man die Diskussion über Wortänderungen in Büchern, die ja auch schon seit einiger Zeit durch die Medien geistert und man manches, was da geäußert wird, auch unter diesem Hashtag subsummieren könnte. Warum zb. das N-Wort ausgetauscht werden soll, weil es eben nun mittlerweile als “offensive” gilt. Ich möchte mich jetzt gar nicht bezüglich politcal correctness überschlagen; es wird sicher manches Mal über das Ziel hinausgeschossen und ja auch ich finde, man kann es zuweilen übertreiben, aber ein Kommentar der von mir an sich sehr geschätzen Autorin Christine Nöstlinge zum Thema “Der Neger bleibt ein Neger” lässt mich dann doch etwas kopfschüttelnd zurück.

Nöstlinger empfindet es nämlich als Zensur an ihrem Werk, wenn der “Neger” nun zum Schwarzen würde, denn Kinder würde das nicht stören und eigentlich wäre das nur eine verkopfte Erwachsenenidee. Als Beispiel bringt sie, dass “erotische Abschnitte” ihrer Bücher in Italien zb. wegstrichen werden. Was das betrifft, stimme ich zu, das ist Zensur und abzulehnen. Ein Wort allerdings, über das man sich gesellschaftlich geeinigt hat, es nicht mehr zu verwenden (aus gutem Grund), gegen ein anderes (mit gleicher Bedeutung) auszutauschen, das ist für mich nicht Zensur sondern der Wandel der Zeit und der Fortschritt. Sprache ändert sich, Begriffe werden durch andere ersetzt, fragwürdige und diskriminierende Ausdrücke verschwinden. Und wieso sollte das nicht so sein? Nur weils #immersowar? Wir sprechen heute auch nicht mehr mittelhochdeutsch, weil es immer so war.

Auf Twitter hat heute jemand auch ein gutes Argument dafür gebracht, warum der Ausdruck Neger ersetzt werden sollte: Als Nöstlinger über Neger schrieb, war das ein ganz normaler, unverdächtiger Begriff, den jeder ohne böse Absicht benutzt hat. Wenn eine Figur in ihren Büchern das zu einer anderen sagte, so meinte diese Figur das nicht beleidigend. Wenn Kinder heute das Wort in einem Buch lesen, dann ist der Kontext ein völlig anderer, dann wirkt es so, als würde eine Figur die andere verletzen wollen oder absichtlich diskreditieren. So komisch das klingt, gerade die Beibehaltung dieses Wortes würde den Kontext verändern.

Man kann und soll darüber diskutieren, ob PC immer und überall ihren Zweck erfüllt oder nicht und auch intensiv darüber, welche Begriffe man in Büchern ändert, aber gerade was das N-Wort betrifft, kann ich mich Nöstlingers Ansicht hier nicht anschließen.

Noch etwas zu Tante Jolesch

Übrigens geht die Torberg-Anekdote von neulich noch etwas weiter.

Auch Sigmund Freud hat man später erzählt, dass Julius Wagner-Jauregg der angesprochene Patient vorgestellt wurde, es Wagner-Jauregg aber nicht schaffte, an ihn heranzukommen. Daraufhin meinte Freud nur: “Ich bitte Sie, was versteht ein Goi (=Nichtjude) von meschugge?”

Wagner-Jauregg erhielt 1927 übrigens den Nobelpreis für Medizin und überraschte mit seiner Rede auf einem Bankett damit, der nächsten Generation (eben Freud und Co.) zu wünschen, auch einmal den Nobelpreis in Händen halten zu dürfen. Nach einer kurzen Pause – und Staunen im Publikum – fügte er hinzu: “Natürlich den für Literatur”. Was gar nicht so abwegig war, wenn man an Freuds teilweise sehr literarische Schreibweise und seine “Verwandtschaft” zu Arthur Schnitzler denkt.

Diese und ähnliche Geschichten finden sich übrigens in Torbergs Tante Jolesch Büchern, eine Sammlung von Geschichten des jüdischen Lebens in der Zwischenkriegszeit. Sehr kluge und pointierte Bücher.

Meet Miss Jones

Heute hab ich gelesen, dass Bridget Jones-Autorin Helen Fielding ein drittes Buch über ihre (natürlich leicht antifeministische) Kultfigur Bridget Jones plant. Auch ein weiterer Kinofilm ist angedacht.

Und ich freue mich, fand ich Bridget Jones doch eine sehr sympathische und witzige Protagnoistin, mit der ich mich vor zehn Jahren gut identifizieren konnte. Zwar hatte ich nicht das Problem, auf der Suche nach Mr. Right zu sein, doch  ihr leichtes Übergewicht, ihre tolpatschige Art und ihre Versuch, das Leben etwas selbstironisch zu betrachten, teilte sie mit mir. Sehr witzig ist die Trivia zum Film Schokolade zum Frühstück: Dass Renee Zellweger gecastet wurde, war fast ein Skandal, denn weder war sie Engländerin (sie wuchs in Texas auf), noch hatte sie Gewichtsprobleme. Wie man im Film aber sehen und hören konnte, war es ihr möglich, beide Mankos auszugleichen.

Das Auftreten von Colin Firth  wiederum ist doppelbödig. Helen Fielding war ein großer Fan der BBC-Verfilmung von Pride and Prejudice, in der Firth den Mr. Darcy verkörperte (und der in einen See fiel und mit nassem Hemd wieder rauskam, eine ganz wichtige Sache in Schokolade zum Frühstück, denn Fielding fand Firth offenbar ziemlich sexy). Aufgrunddessen nannte Fielding ein Love-interest von Bridget Mark Darcy. Und Colin Firth verkörperte diesen dann auch im Jones-Film. Soweit noch verständlich? Im Buch gibt es eine Szene, in der Bridget den echten Colin Firth zu seiner Rolle als Mr. Darcy interviewt (was Helen Fielding tatsächlich gemacht hat) und ihn auch auf das nasse Hemd anspricht. Diese Szene, obwohl sehr witzig, gibt es im Film natürlich nicht, wer hätte Colin Firth spielen sollen? Hugh Grant wiederum, Bridgets zweiter Schwarm, spielt in Schokolade zum Frühstück einmal nicht den verhuschten Schüchti, sondern ein na ja… Arschloch (wenn auch mit ein paar menschlichen Zügen). Und das ganz schön überzeugend.

Leider wurde Bridget Jones 2 – am Rande des Wahnsinns von einem anderen Regisseur gedreht und hat nicht den Indie-Charme seines Vorgängers. Hier regiert der grobe Klamauk und Slapstick. Bridget wird als Figur eher der Lächerlichkeit preisgegeben und nicht liebevoll mit ihren Eigenheiten begleitet.Der zum Anbeißen zurückhaltende Colin Firth spielt nur eine untergeordnete Rolle. Es findet ein wilder Locationwechsel statt, der aber den oberflächlichen Eindruck noch verstärkt.

Ich bin jedenfalls gespannt auf Buch Nummer drei, vor allem als ich gelesen habe, dass es diesmal weniger Einträge zu verlorene Kilos und grauchte Zigaretten geben soll, sondern eher sowas wie: Follower on twitter – 0.

Für den Rest des Lebens

Eine meiner Lieblingsautorinnen, Zeruya Shalev, hat einen neuen Roman geschrieben, er heißt Für den Rest des Lebens.

Shalev ist eine Autorin, die dorthin greift, wo es wehtut. Sie schreckt nicht davor zurück, unangenehme Wahrheiten anzusprechen. Sie liebt ihre Figuren, aber sie fordert sie heraus, keiner ist es vergönnt, ein ruhiges und ausgeglichenes Leben zu führen, es geht vielmehr über Stock und Stein. Auch der Leser wird nicht geschont. Katharsis ist ein großes Thema in Shalevs Werken.

Für den Rest des Lebens ist da keine Ausnahme, wenngleich Shalev das Tempo rausnimmt. Sie erzählt nicht mehr so gehetzt und atemlos wie das bei den Vorgängerbüchern Liebesleben, Mann und Frau und Späte Familie der Fall war. Dem Grundthema menschliche Beziehungen und Familienkonstellationen bleibt sie allerdings treu. Es geht um alte Frau, die sich dem Tod nähert und auf ihr Leben zurückblickt und um ihre beiden Kinder – eine Frau und ein Mann – die den Tod ihrer Mutter für eine Zäsur im eigenen Leben nutzen.

Es werden also drei Geschichten parallel erzählt, und wahrscheinlich wird jeder Leser einen anderen Lieblingsprotagonisten, eine andere Lieblingsgeschichte habe. Meine war die der Tochter, die sich mit Mitte 40 und einer fast erwachsenen Tochter entschließt, noch ein Kind zu adoptieren. Sie geht durch alle Phasen der Überlegungen, dem Abwiegen des Für und Widers und muss sich mit dem Widerstand vor allem ihres Ehemanns, der noch um einiges älter ist als sie, auseinanderzusetzen. Irgendwann findet sie heraus, dass es nur einen Weg gibt, wirklich ja zu einem Adoptivkind zu sagen. Oder eine ganz neue Zukunft zu entwerfen. Wie sie sich entscheidet, wird hier natürlich nicht verraten.

Generell beginnt Für den Rest des Lebens sehr bitter und resignativ, entwickelt sich aber im Laufe der Erzählung zu dem vielleicht bis dato optimistischsten Werk der Autorin. Kein leichtes Lesevergnügen, aber die Anschaffung (wie immer) absolut wert.

Go to sleep

Go to sleep (zu deutsch: “Ich will schlafen”) ist ein Roman der britischen Autorin Helen Walsh. Vorsicht: kleinere Spoiler.

Walsh erzählt von der schwangeren Rachel, die sich auf ihr Baby freut, wenn dieses auch das Produkt eines One Night Stands ist. Doch die Sozialarbeiterin, ist sich sicher, dass sie der neuen Aufgabe gewachsen sein wird, auch ohne Mann an ihrer Seite. Doch dann ist Joe da – und nichts ist so, wie sie sich das vorgestellt hat…

Der Roman wurde vor einiger Zeit sehr kontroversiell in den Medien diskutiert, denn er bricht ein Tabu: er erzählt über eine junge Frau, die an den Herausforderungen scheitert, der sich jede frische Mutter stellen muss. Joe weint viel und Rachel ist überfordert und durch den Schlafmangel beinahe unzurechnungsfähig, am Boden zerstört, doch will niemanden zur Last fallen, ihre eigene Mutter ist früh verstorben und damit fehlt auch ein “Role Modell”, wie sie öfters durchklingen lässt.

Das Buch hat einige gute Aspekte, etwa den, einen Gegenpol zu entwerfen, zu dem weichgespülten Bild, das Medien und Gesellschaft über junge Mütter und Säuglinge immer noch vermitteln. Da nuckelt das Baby nämlich immer zufrieden an der Brust und alles ist gut. Dass – im Gegenteil – viele Frauen in den ersten Monaten zuhause fast verzweifeln, wird kaum thematisiert. Weil es nicht sein darf und nun stellt euch nicht an. Leider schießt Helen Walsh in ihrem Buch dann aber doch einige Male so deutlich über das Ziel hinaus, dass das Bild in die andere Richtung kippt.

Beispiel Wehen: ok, ich mag eine hohe Schmerztoleranz haben, aber für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass Rachel schon bei den ersten, völlig unregelmäßigen Eröffnungswehen, die halbstündlich kommen, fast zusammenbricht und davon derart zu Boden gerissen wird, als würde sie kein Kind bekommen, sondern von einem Zombie besessen sein. Dass man irgendwann im weiteren Verlauf der Geburt zu Boden geht, gut, das mag sein. Aber ganz am Beginn? Wenn es so wäre, wäre man relativ rasch ohnmächtig.

Beispiel postnatale Depression: ich kenne real Frauen, die damit stark zu kämpfen hatten. Aber keine davon hätte – wie Walsh’ Heldin – wenige Tage nach der Geburt einfach so außer Haus gehen und das Kind bei ihrem Vater “vergessen” können. Fast im Gegenteil: gerade depressive Frauen fürchten sehr um ihr Kind. Und apropos wenige Tage – Rachel ist schon nach 4, 5 Tagen Mutterschaft so abgekämpft und ausgelaugt als wären bereits mehrere nervenzerfetzende Wochen vergangen. Und man möchte Rachel zurufen, dass sie sich abends lieber hinlegen und schlafen sollte, als bis tief in die späte Nacht in ihrer Wohnung herumzuwuseln und sich dann zu wundern, dass ihr Kind nach ein paar Stunden schon wieder wach ist.

Der Roman als ganzes ist schwer zu beurteilen – in manchen Teilen kann man ihn als gut gelungen bezeichnen, als Gesamtwerk weist er jedoch einige Mängel auf. Nicht nur im Bezug auf die oben beschriebenen Schwächen: Walsh erzählt m.E. auch viel zuviel Nebensächliches aus Rachels Vergangenheit, das kaum Relevanz für ihre Geschichte hat. Dennoch hat mich der Text aber irgendwie gefesselt – ich würde ihn aber keinesfalls Schwangeren oder solche, die es bald werden wollen, empfehlen.