Gestern beim Lesen eines Artikels auf orf.on musste ich mich wieder einmal sehr wundern.
Vorab gesagt, ich bin wirklich keine Statistikerin und sicher nicht die Person, die man unbedingt zu Rate ziehen sollte, wenn es speziell um Fragen der Logik geht, aber was orf.on gestern zum Thema Österreichs Hitze-Landkarte veröffentlicht hat, ließ mich misstrauisch werden.
Anscheinend haben “Forschende” eine Karte erstellt, in der angegeben soll, wie belastend Hitze an bestimmten Orten in Österreich ist. Dabei wurden die Parameter vergangene Hitzetage und Anzahl der Menschen über 65 Jahre zusammengeworfen und demzufolge besonders gefährliche und weniger gefährliche Orte definiert. Echt? Die Hitzebelastung an sich wird größer, wenn viele ältere Menschen in der Umgebung wohnen und vice versa? Oder was will mir diese Karte sagen?
Nachdem ich mir bei solchen Themen nicht ganz vertraue, habe ich einen tatächlich mit diesen Dingen kundigen Menschen gefragt, der mir recht gab. Zitat: Das ist so wie wenn ich sage, die Gefahr eines Schwimmbeckens steigt mit der Anzahl der Nichtschwimmer im Bad. Harhar.
Ich weiß schon, dass der orf diese Karte nicht gemacht hat, aber ist es zuviel verlangt, dass Wissenschaftsredakteure sich damit kritisch auseinandersetzen, was hier überhaupt ausgesagt wird bzw. ausgesagt werden soll? Oder fällt das schon unter Wissenschaftsskepsis?
Die “Forschenden” haben übrigens auch festgestellt, dass Grünflächen in Städten die Hitzeauswirkungen verringern. No shit, Sherlock!
Im letzten fm4 Filmpodcast ging es unter anderem um The Village von M. Night Shyamalan, weil seine Tochter Ishana gerade ihren ersten Film herausgebrach hat, er heißt The Watchers und er dürfte stilistisch und ideentechnisch sehr in der Tradition der Werke ihres Vaters stehen.
Jedenfalls ist The Village 2004 sehr kontroversiell aufgenommen worden und es gibt eine irrsinnig geniale, recht böse Rezension dazu von meinem Lieblingsfilmkritiker Roger Ebert, die ich manchmal einfach so nochmal lese, weil sie mich immer aufheitert. Und so habe ich mir gedacht, ich sehe mir den Film auch nochmal an. Shyamlan gilt ja als ein Proponent des Plottwists (man könnte auch One Trick Pony sagen) und das kommt auch bei The Village zum Tragen.
Heute werde ich noch nichts substantielles zu dem Film spoilern, nur Roger Eberts Kritik dazu ein bisschen erläutern.
Bei The Village geht es um das Dorf Covington, irgendwo in den USA. Die Lebensweise, die Kleidung und das Mindset sowie ein Grabstein deuten auf Ende des 19. Jahrhunderts hin. Das Dorf wird von einem Wald umschlossen, den die Bewohner nicht betreten, weil er von den “Those We Do Not Speak Of”, wie sie die Kreaturen dort nennen, beherrscht wird. Die Dorfbewohner schrecken vor ihnen zurück, und besuchen auch nicht “the towns”, die außerhalb liegen und gewisse Annehmlichkeiten wie beispielsweise bessere medizinische Versorgung bieten würde. Die Farbe rot wird ebenso vermieden. Am Beginn des Films ist ein Kind gestorben, weil es nur unzureichend behandelt werden konnte, weshalb Bewohner Lucius Hunt (Joaquin Phoenix) vor den Ältestenrat unter Führung von Edward Walker (William Hurt) tritt und darum bittet, in “the towns” gehen zu dürfen, um dort Medikamente zu besorgen…
Roger Ebert macht die Schwierigkeiten von Filmkritiken generell klar und bei diesem Film im besonderen. Als Rezensent kann man oft über viele Aspekte des Films nicht schreiben, weil man sonst zuviel verraten würden. Es liest sich hier sehr witzig:
Something terrible happens to somebody. I dare not reveal what, and to which, and by whom. Edward Walker decides reluctantly to send someone to “the towns” to bring back medicine for whoever was injured.
Roger Ebert in seinem Review zu “The Village”
Roger Ebert gibt The Village nur einen Stern und schreibt weiters, dass es sich in dem Film um die 1890er Jahre handeln würde, es aber auch sehr an die Amish erinnert: “Everyone speaks as if they had studied Friendly Persuasion. (…) Here is a village that desperately needs an East Village.” Er macht sich über die Bezeichnung für die “Bedroher” lustig: “They are known as The Those We Do Not Speak Of (except when we want to end a designation with a preposition).” Und später im Film, als eine Bewohnerin den Wald betritt, und dabei einen gelben Kapuzenumhang (wir erinnern uns, rot ist ungünstig) trägt: “She wears her yellow riding hood, and it takes us a superhuman effort to keep from thinking about Grandmother’s House.”
Ebert erläutert in weiterer Folge, der Plottwist wäre so enttäuschend, dass er am liebsten den ganzen Film nie gesehen hätte: “It is about one step up the ladder of narrative originality from It Was All a Dream.” In Kürze schreibe ich dann, was ich zu dem Film sage, ich würde ihm nicht nur einen Stern geben, ich fand den Plottwist tatsächlich ganz gut, aber er hat schon recht, dass The Village prinzipiell einige Probleme hat.
Ich habe ja einen eher niedrigen Blutdruck und bin deshalb froh, dass ich jede Woche im Falter mindestens einen Artikel finde, über den ich mich aufregen kann.
Diesmal war es das Interview mit Solmaz Khorsand, die ein essayistisches Werk namens “Untertan” geschrieben hat, dass sich mit gesellschaftlichem “Mitläufertum” beschäftigt. Jetzt ist es anscheinend wieder ok, Einspruch gegen Dinge zu erheben die behauptet werden, in den letzten Jahren war ja Diskurs an sich eher nicht so gefragt.
Aber keine Angst, Solmaz Khorsand erklärt uns ohnehin, wann es in Ordnung ist, in der Gruppe mitzulaufen und wann nicht; gutes (bzw. schlechtes) Mitläufertum ist hier sehr ideologisch geprägt. Ich bin immer wieder verblüfft, wie eindeutig schwarz/weiß manche Menschen das Leben zu sehen imstande sind.
Und dann Rebellion auf quasi Zuruf hm. Dieses Konstrukt erscheint mir nicht ganz zu Ende gedacht, um es vorsichtig zu sagen.
Die Journalistin Elfriede Hammerl hat in ihrer neuen Profil-Kolumne übers Erben geschrieben und festgestellt: “Während nichtsnutzige Erbinnen und Erben auf Wohlwollen stoßen, wird Marlene Engelhorn verhöhnt.” Auf Twitter haben zahlreiche User gegen diese Wortwahl protestiert, worauf Hammerl geantwortet hat, sie haben ja nicht alle ErbInnen gemeint, sondern nur “die nichtsnutzigen” (sic!). Dazu kann ich nur sagen: “When you find yourself in a hole, stop digging.”
Ich finde es ja schon lustig, dass uns einige Journalisten immer wieder auf “Hate Speech” aufmerksam machen, selbst aber dann mit Begriffen wie Schwurbler, Schädling, Nichtsnutz, Leugner usw. hantieren.
Es erinnert mich ans Gymnasium, als ich gerade die 7. Klasse wiederholte, und mir meine Tischnachbarin erzählte, dass ihre Mutter ein Mädchen aus der Parallelklasse als “gescheiterte Existenz” bezeichnen würde. Ich war total schockiert von der Ausdrucksweise. Ich finde nicht, dass man irgendjemand so klassifizieren sollte, aber schon gar keine 16-jährige, die vielleicht einmal mit einer Zigarette vor der Schule gestanden ist. Als Repetentin war ich da wohl erst recht eine gescheiterte Existenz, harhar.
Das sind Begriffe, die ich wirklich äußerst problematisch finde.
Bei den Filmfestspielen in Cannes ist es auf Twitter immer lustig, wenn man diversen Filmjournalisten folgt, die dann schreiben was sie an diesem Tag alles anschauen werden, dann ihren ersten Eindruck und am Ende kann man die fertige Kritik lesen.
Megalopolis scheint ein extrem polarisierender Film zu sein, was aber für die Reviews super ist, da liest man dann sowas:
Aber auch:
Zusammenfassend also:
In den Reviews liest man außerdem, Megalopolis wäre: “Sucession crossed with Batman Forever and a Lava lamp.” Das muss einem erst mal einfallen. Ein anderer Journalist erzählt, er wäre während des Films auf die Toilette gegangen und hätte dort einen Kollegen kreidebleich aufgefunden, er dachte schon, er müsste die Rettung holen, da sagte der Mann zu ihm, den Film betreffend: “It’s a nightmare”. Ach ja und mehrere Journalisten haben davon berichtet, dass während des Filmes tatsächlich ein Mann vor die Leinwand tritt und Adam Driver (im Film) eine Frage stellt, die dieser dann (im Film) beantwortet. Ist das Brecht’sches Theater oder was ist das? Harhar. Das macht schon alles ziemlich neugierig auf diesen Film.
Coppola selbst scheint zufrieden zu sein, er hat bei der Pressekonferenz zu seinem Film gesagt: “So many people when they die, they say: I wish I had done this, I wish I had done that. When I will die, (…) I will say, I got to see my daughter win an Oscar, I made wine and I got to make every movie I want.”
Quentin Tarantino hat ja schon vor einiger Zeit kundgetan, dass er nur zehn Filme drehen wird und etwas beamtenmäßig quasi mit Mitte 60 in Pension gehen will.
Vor ungefähr einem Jahr wurde bekannt, dass sein letzter Film The Film Critic heißen würde und das war für mich sehr erfreulich, denn erstens klingt das nach einem Plot, der mich sehr interessiert und zweitens danach, als könne man nicht mehr als ein vielleicht zehnminütiges Gemetzel einbauen. Jetzt werden einige sagen, da passt ja eigentlich überhaupt kein Gemetzel, aber Tarantino findet ja immer einen Vorwand. Ich meine, dass es wenige Hollywood Auteurs gibt, die bessere Monologe oder Dialoge schreiben als Tarantino, aber auf die Gewalt in seinen Filmen könnte ich persönlich sehr gut verzichten (auch wenn ich weiß, dass sie oft integraler Bestandteil der Handlung sind).
Die Filmkritikerin, die Tarantino ursprünglich porträtieren wollte, wäre Pauline Kael (1919-2001) gewesen, die bekannteste Rezensentin in den USA wahrscheinlich überhaupt, deren Kritiken als Kunstwerke für sich gelten. Ich kenne sie schon durch die Referenzen von Roger Ebert, ein ebenfalls sehr prominenter Filmkritiker, von dem ich einige Bücher gelesen habe. Als Tochter von jüdischen polnischen Einwandern schlug sich Kael später als alleinerziehende Mutter mit allen möglichen Jobs durch, um ihrem Kind eine notwendige Herzoperation zu finanzieren. Ihr Kurzzeit-Ehemann, der nicht der Vater war, übernahm dann die Kosten für die OP und machte sie außerdem zur Managerin seines Kinos. Kael schrieb 30 Jahre für den New Yorker, arbeitete auch ein Jahr direkt im Filmbusiness als Produzentin in Hollywood – wechselte dann aber wieder zurück auf die andere Seite. Ihre Fans nannten sich “the Paulettes”, Clint Eastwood bezeichnete sie als seine Nemesis, George Lucas erfand eine Filmfigur, die nach ihr benannt wurde – “General Kael”. Kael veriss seinen Film und bezeichnete die Figur als “hommage à moi”. Kael hatte die Fähigkeit, Filme “hinauf”- manchmal auch “hinunter” zu schreiben. Später erkrankte sie an Parkinson und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Naja und jetzt macht Tarantino diesen Film doch nicht. Ich finde, jemand anderer sollte ihn doch noch drehen, es klingt so spannend. Nachdem ich das heute alles ein bisschen nachgelesen habe, habe ich mir gleich ein Buch mit Kaels gesammelten Rezensionen bestellt, namens 5000 Nights at the Movies. Ich werde dann sicher etwas darüber berichten können.
Gestern habe ich mir Jonathan Glazers The Zone of Interest angesehen, laut Steven Spielberg der beste Holocaust Film seit Schindlers Liste. Spielberg ist offenbar von sich überzeugt. Harhar. Tatsächlich ist The Zone of Interest ein ganz anderer Film als es Schindlers Liste war, denn er porträtiert das Leben der Täter.
The Zone of Interest basiert lose auf dem Roman von Martin Amis und auf der tatsächlichen Lebensgeschichte von SS-Obersturmbandführer Rudolf Höss (Christian Friedel), der das Lager Ausschwitz aufbaute und mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und den fünf Kinder auch direkt angrenzend an dieses Lager wohnt. Die Familie hat ein großes Haus und einen noch größeren Garten und wir sehen in diesem Film, wie diese Familie lebt. Viel mehr passiert nicht, es ist eher ein Konstrukt als eine Geschichte. Wir als Zuschauer sehen keinen einzigen KZ-Insassen, keine Gewalt, kein Verbrechen. Und doch ist der Film so arg-intensiv, weil wir die ganze Zeit, während wir dieser Familie bei ihrem Alltag zusehen, Ausschwitz hören. Tag und Nacht hören wir Schreie, Befehle, Klagen, hören wir Verzweiflung und Schüsse. Das ist die Soundkulisse, mit der Familie Höss lebt als wäre nichts.
Hedwig ist so stolz auf ihren Garten. Als ihre Mutter zu Besuch kommt, zeigt sie ihr das Glaushaus, die roten Rüben, den Fenchel, was sie alles anbaut und die Pergola – mit Blick auf das Lager; da bemerkt sie nur: “Wir lassen darüber noch Efeu wachsen”. Die Mutter ist eine wichtige Figur in diesem Film, weil sie “von außen” kommt. Der Film lebt von Szenen wie dieser, von ganz vielen, wie nebenbei eingestreuten Details. Wie der Hausdiener die Stiefel von Höss wäscht, und sich dabei das Wasser rot färbt. Wie Hedwig einen Nerzmantel anprobiert, den Höss einmal mitbringt (von wem dieser ist, kann man nur mutmaßen). Wie die Familie einmal im Fluss badet und dann ist ihre Haut voller Asche. Thematisiert wird das nicht. Auch laute Worte fallen in dieser Familie nie und Rudolf Höss ist ein eher sanfter Mann, der sich sehr um seine Kinder kümmert, sie ins Bett bringt, ihnen vorliest. Das macht alles noch skuriller, weil er dann gleichzeitig “dauernd arbeitet” – wie Hedwig sagt – was bedeutet, sich zu überlegen, wie er Ausschwitz noch “effizienter” machen kann.
Es sind distanzierte und gleichzeitig eindringliche Bilder, die wir von dieser Familie sehen. Das Zusammenspiel von Bild und Ton erinnert manches mal an Stanley Kubrik. Die meiste Zeit ist es einfach nur beklemmend, auch wenn wir nichts direkt beklemmendes sehen. Als Zuschauer fragt man sich, wie kann man diese Familienidylle glauben und leben, wenn man weiß, was nebenan passiert?Oder hat man eine Rechtfertigung dafür gefunden, dass es das Lager geben muss, dass es in Ordnung ist, Menschen so zu behandeln, so sehr zu quälen? Aber dafür gibt es keine Rechtfertigung. Gegen Ende bringt Glazer eine Menge an sehr subtiler, aber brillianter Symbolik in seinen Film; Höss arbeitet an der Endlösung mit und eine Operation wird nach ihm benannt. Heute weiß man, wenn eine Operation des Naziregimes mit dem eigenen Namen bezeichnet wird, wird das für denjeinigen wohl kein gutes Ende nehmen. Aber auch dazu erklärt der Film nichts weiter. Und das ist gut so. Gerade diese Leerstellen machen den Film aus, weil vieles auch einfach unsagbar ist.
The Zone of Interest ist für fünf Oscars nominiert, u.a. als bester Film und als bester fremdsprachiger Film, weil zwar ein Brite Regie führt, die Darsteller aber alle Deutsch sprechen. Hier würde mich interessieren, wie die Zusammenarbeit lief, da ich nicht sicher bin, ob Glazer Deutsch kann. Aber dazu habe ich noch keine Information gefunden.
Weil gerade der neue Sofia Coppola Film Priscilla herausgekommen ist, machen manche Kinos ein kleines Coppola-Special. Und das Nonstop Kino Team hat eine Mail rausgeschickt, dass Lost in Translation leider nicht im Abo inkludiert ist und dass wir keine Hate-Mails schicken sollen. Naja, ich war schon ein bisschen in Versuchung ehrlich gesagt harhar. War aber dann im Stadtkino, wo es als Mittagsfilm nur sieben Euro gekostet hat.
Ich habe LIT damals so sehr geliebt, dass ich sogar immer noch das Filmplakat in der Wohnung hängen habe. Ein bisschen hatte ich auch Angst, dass ich den Film 20 Jahre später vielleicht nicht mehr so gut finde, denn ich bin viel älter (nona), in einer komplett anderen Lebensphase etc. Aber ich kann Entwarnung geben, der Film hat mir vielleicht sogar noch eine Spur besser gefallen als damals.
Es geht ja um den alternden Schauspieler Bob Harris (Bill Murray) und ich tu mir wirklich schwer, das zu schreiben, weil er war halt so um die fünfzig harhar, und um die junge Charlotte (Scarlett Johansson damals “in echt” erst 17 Jahre!), die gerade ihr Philosophiestudium beendet hat. Sie ist mit ihrem Mann, einem (sehr oberflächlichen) Werbefotografen in Tokio, wo auch Bob ist, der dort einen Whiskeywerbespot drehen soll. Beide leiden aktuell unter extremen Jetlag und generell am Verlorensein in der Welt. Charlotte weiß nicht, was sie mit ihrem Leben tun möchte, Bob hinterfragt das eigene, in dem er zwar kommerziell erfolgreich, aber künstlerisch unzufrieden ist; seine Ehe ist auch ein Krisenherd. Und so freunden sie sich an und führen sehr ehrliche Gespräche miteinander.
Vieles ist wunderbar in diesem Film. Die Schauspieler und die Chemie der Protagonisten miteinander. Das Thema platonische Liebe, das man im Kino jetzt nicht unbedingt sooft präsentiert bekommt. Die Darstellung der für beide fremden Kultur, ihre Versuche des Verständnisses. Der feinsinnige Humor, die Musik, ja natürlich die Karaokeszene, in der Murray More than this von Roxy Music singt, einer der allerbesten Songs der 1980er Jahre, der die Melancholie von Lost in Translation perfekt widerspiegelt. Die Bilder, die Stimmungen, auch wenn eigentlich gar nichts passiert, was ein Trademark von Sofia Coppola ist, quasi plotlos zu erzählen.
Und natürlich auch die letzte Szene, wo Millionen von Menschen seit 2003 versucht haben herauszufinden, was flüstert Bob Charlotte ins Ohr? Ich hab es natürlich auch wieder nicht verstanden, was eh beabsichtigt ist, aber die Endszene hat mich wieder trotzdem voll erwischt, auch wenn ich ja schon weiß, was kommt. Wenn Just like honey von The Jesus and Mary Chain einsetzt, so als Song an sich vielleicht eher unscheinbar, aber in Verbindung mit diesem Moment im Film unschlagbar. Da sind mir wieder die Tränen gekommen, weil es so schön ist. Magisches Kino einfach.
Als ich das erste mal von dem Film May December gehört habe, musste ich an die Gilmore Girls denken. Mai/Dezember ist ja ein Synonym für Menschen in Beziehungen mit einem großen Altersunterschied. In GG hat Rorys Freundin Paris den wesentlich älteren Uniprofessor Fleming gedatet, was Rory verständnislos zur Kenntnis nahm. Worauf Paris entgegnete, das sei halt eine May/December Liebe und Rory daraufhin: “This is not May-December, this is May-Ming Dynasty”. Ich finde das noch immer sehr lustig.
Damit hat er Film von Todd Haynes aber gar nichts zu tun. Es geht um die Beziehung Gracies (Julianne Moore in einer der typischen Juliane Moore Rolle) mit ihrem Mann Joe (Charles Melton). Gracie war 36 und verheiratet sowie bereits Mutter, als sie mit dem damals 13 (sic!) jährigen Joe eine Affäre begann und dafür ins Gefängnis ging. Dort bekam sie ihr ersten Kind, danach noch Zwillinge. Mittlerweile ist Joe 36 und die Kinder bereiten sich auf ihre Graduation vor. Genau zu diesem Zeitpunkt erscheint Elizabeth (Natalie Portman) auf der Bildfläche – eine Schauspielerin, die in der Verfilmung dieser Skandal-Geschichte Gracie spielen soll und nun quasi auf Recherche die Familie eine zeitlang begleiten wird.
Todd Haynes ist der Meister der unspektakulären Alltagstragödie, wenn man so will. Von der ersten Szene an kreiert er eine unbequeme, latent bedrohliche Atmosphäre. Wenn Gracie am Anfang sekundenlang regungslos in ihren Kühlschrank blickt, vermutet man schon einen Menschenschädel oder ähnliches drinnen, bis sie schlussendlich sagt: “Ich glaube, wir haben zu wenig Hot Dogs.” Das Gefühl, dass jeden Moment etwas Schlimmes passiert, verlässt einen dennoch nie wirklich. Ich habe hier und da gelesen, May December wäre eine Komödie, aber wie voriges Jahr bei The Banshees of Inisherin habe ich das Gefühl, dass man schon sehr kaputt sein muss, um an diesem Film etwas wirklich lustig zu finden.
Gracie ist ein Kontrollfreak und behandelt Joe wie eines ihrer Kinder, dem sie nichts zutraut. Sie gibt ihm laufend Anweisungen und überwacht ihn. Auch ihren eigenen Kindern gibt sie keine Luft zum Atmen, und garniert das Ganze noch mit einer Menge subtilem Shaming. Etwa, als ihre Tochter Mary ein ärmelloses Kleid für die Graduation aussucht und Gracie so etwas sagt wie, toll, dass man heutzutage zu seinen körperlichen Schwächen steht und nichts darauf gibt, was die Umwelt dazu sagt, wie man denn in so einem Aufzug aussieht. Ich mein, wie toxisch kann man sein? Natürlich nimmt Mary dieses Kleid dann nicht. Wenn Elizabeth Gracie imitiert und zu ihrem Leben befragt, dreht sich manchmal die Situation und plötzlich wird Elizabeth zu derjenigen, die interviewt wird und natürlich hat auch sie ihre Leichen im Keller. Mehr kann ich an dieser Stelle aber nicht sagen.
May December ist jedenfalls sehenswert, wenn auch (ganz bewusst) ziemlich unterkühlt. Derzeit aber nur auf Netflix zu sehen.