den jahreswechsel 1995/96 haben wir in venedig verbracht.
venedig im winter ist ein echter geheimtipp. viele restaurants und hotels haben zwar geschlossen, dafür ist die stadt auch fast menschenleer. die kanäle riechen nicht penetrant wie das oft im sommer der fall ist (und von vielen venedig-reiseführern verschwiegen wird), es ist frisch, aber nicht so kalt wie in wien um diese zeit, oft fällt der nebel ein und die stadt wird still und mystisch und ist damit ganz in ihrem element. alles was man braucht um sich wohlzufühlen, sind feste schuhe und eine dicke jacke, sowie eine unterkunft mit einer guten heizung.
der jahreswechsel selbst ist laut, aber nur für einen moment. kurz vor und kurz nach mitternacht werden rund um den campanile raketen und böller abgeschossen. das echo hallt über den ganzen markusplatz. die italiener feiern temperamentvoll, trinken ihr glas sekt und werfen dieses dann zu boden. wir tun das auch. man wird von der stimmung mitgerissen, die aber unverbindlich bleibt. es ist beeindruckend, so nah am wasser den jahreswechsel zu erleben. kurz nach mitternacht geht jeder wieder seiner wege. wir streunen noch ein wenig durch die stadt und schon nach ein paar ecken ist man ganz alleine. junge italiener schleichen uns nach. fast ist es etwas spooky.
am nächsten morgen von der sonne geweckt werden. für einen moment kein zeitgefühl. der erste jänner ist ja immer irgendwie ein beschädigter tag. melancholisch. am besten wäre es wohl, gleich bis zur abenddämmerung zu schlafen. außer man ist in venedig. wir wollen an diesem tag auf die friedhofsinsel, san michele. mit müh und not finden wir am fondamento nuova ein vaporetto, das an diesem tag san michele ansteuert. etwas merkwürdig. in san michele steigen mit uns noch ein paar andere touristen aus. wir alle gehen die paar schritte zum eisentor, dem eingang zum friedhof (die insel besteht wie gesagt nur aus dem friedhof), das vaporetto legt ab. und was passiert dann? der friedhof ist geschlossen. im vaporetto wurde darüber kein ton gesagt. das ist italien.
eines abends fahren wir mit einem größeren schiff am mondänen, wenn auch morbid-dekadentem (der tod in venedig) lido vorbei. es beginnt zu schneien. alle auf dem schiff freuen sich über die flocken, man sieht es in ihren augen. es ist einer dieser momente der vollkommenen geborgenheit, wo alles stimmt. nichts außer dem augenblick von bedeutung ist. nur weiterfahren, anlegen, an der riva degli schiavoni, den hauch des schnees unter seinen schuhen spüren und das gefühl haben, genau zur richtigen zeit, am richtigen ort zu sein.