almis personal blog

silence in awe

meine freundin a. hat diese gewisse furcht vor dem ersten persönlichen treffen – wenn man jemand virtuell schon sehr lange und sehr gut kennt – dieses gefühl der übermacht der neuen situation gegenüber also, einmal sehr passend als silence in awe-phänomen bezeichnet.

ich glaube ja, dass es mir generell leichter fällt, mich schreibend auszudrücken. beim reden finde ich oft nicht die passenden worte. ich drücke mich manchmal zu plump aus, zu ungenau. wie ein elefant im porzellanladen, so scheint es mir jedenfalls. beim sprechen muss man oft vereinfachen. und damit banalisieren. man kann nicht lange über die wörter nachdenken, die man wählt, nicht jeden satz abklopfen.

ich schätze mich selbst als redner nicht besonders, insofern war ich durchaus anfällig für das im ersten absatz beschriebene phänomen. aber das risiko war es mir wert. und auf wundersame weise kam es gar nicht dazu. die gemeinsame wellenlänge und die freude darüber, sich einmal face to face to sehen, behielt die oberhand.

womit habe ich das verdient

so, weiter mit der almodovar filmbox, diesmal haben wir womit habe ich das verdient? gesehen. 

in österreich ist es so, dass thomas bernhard spätestens seit heldenplatz als nestbeschmutzer nummer eins gilt. heldenplatz war schon vor der uraufführung ein skandal, der begriff rollenprosa tauchte in der ganzen hysterie interessanterweise nie auf, obwohl er durchaus hilfreich gewesen wäre. stattdessen wurde nur darauf herumgeritten, dass es in dem stück heißt, österreich, das seien "sechseinhalb millionen debile und tobsüchtige" und über wien: "in dieser stadt müsste ein sehender ja tagtäglich rund um die uhr amok laufen." eigentlich ist bernhard auch ein witziger autor, wird in österreich aber selten als solcher rezipiert. 

nach genuss von womit habe ich das verdient, frage ich mich, ob pedro almodovar in spanien auch so umstritten ist. das bild, dass er von seinen landsleuten zeichnet, ist nicht besonders sympathisch: seine figuren sind gerade in diesem film sehr harte, brutale, gnadenlose persönlichkeiten, die sich im bestenfall gegenseitig ignorieren, meistens aber sich ihre abscheu ganz offen zeigen. männer schlagen ihre frauen, frauen züchtigen ihre kinder, kinder verwahrlosen, polizisten dilettieren durch die szenerie… der ganze film ist grau und deprimierend, aber auch auf groteske art witzig.

es geht um das leben der hausfrau gloria (carmen maura), deren mann eine deutsche sängerin liebt und sie, gloria, nur zum hemdenbügeln und zur schnellen sexuellen befriedigung braucht. ihre söhne sind drogensüchtig und prostituieren sich. die verschrobene großmutter, die bei ihnen wohnt, hält sich einen leguan und bringt zusätzliches chaos in den alltag. kulisse: madrider wohnsilos. furchtbar anzusehen. aber der film ist auch voller kuriositäten. etwa als die großmutter mit ihrem enkel literatur-hausaufgaben macht. es geht darum, realistische und romantische autoren zu unterscheiden. selbstsicher diktiert sie: ibsen – romantisch. byron – realistisch. goethe – realistisch. balzac – romantisch. um dann zu bemerken: "das ist doch gar nicht schwer!".

inmitten der tristesse gibt es aber immer wieder kleine augenblicke von menschlichkeit und emotionalität. auch wenn diese gut versteckt sind.

donnerwetter, blitz

in der nacht von gestern auf heute hat – während eines schneesturms (sic!) – der blitz mit einem ohrenbetäubenden knall in dach und kamin eines der nachbarhäuser eingeschlagen.

 dabei kam ganz schön was runter:

danke an handyfotoreporter m., ich überweise in kürze 100 euro für die bereitstellung des bildmaterials (click to enlarge).

die mama

meine liebe freundin e., selbst mutter eines fast erwachsenen sohnes, hat mich vorgewarnt als adrian damals aus dem spital zu uns nachhause gekommen ist. ab jetzt werde jeder fremde sich berufen fühlende, mich als mutter hinterfragen, meine erziehungsmethoden anzweifeln und generell seinen senf dazugeben. wie recht sie doch hatte. 

vorausgeschickt sei: adrian sagt sehr gerne "nein" in verschiedenen variationen. wir versuchen natürlich, ihm auch andere wörter schmackhaft zu machen, aber bisher mit wenig erfolg. nun stehe ich also heute an der supermarktkasse und er brabbelt fröhlich (nicht gequält und unterjocht!) seine "neins" vor sich hin. sagt die frau neben mir mit hochgezogenerer augenbraue zu ihrem mann: "der wird von der mama den ganzen tag nur nein hören." wie wahrscheinlich jeder liebe ich es enorm, wenn andere menschen von mir in der dritten person sprechen, wenn ich direkt danebenstehe und das umso mehr, wenn die botschaften so freundlich und wohlmeinend sind.

nun stehen mehrere repliken zur verfügung. 

variante rechtfertigend

"ich sage nicht immer nein, ich sage nur dann nein, wenn er sich vom sofa stürzen, nach dem messer greifen oder gebrauchsgegenstände im wc versenken will."

variante ironisch

"ich weiß auch nicht was er gerade hat. zuhause sprechen wir stundenlang über griechische philosophie"

variante gesellschaftskritisch

"es wundert mich ehrlich, dass immer weniger frauen kinder bekommen, obwohl sie doch so vom reichhaltigen erfahrungsschatz ihrer umwelt profitieren würden."

variante beflissen

"ich werde es seiner mutter ausrichten."

variante over the top

"ich bin nicht nur schuld daran, sondern auch an der derzeitigen weltweiten finanzkrise und an den schlechten leistungen der österreichischen fußballnationalmannschaft."

variante feig

weggehen.

wofür habe ich mich wohl entschieden? bessere kommentare werden übrigens gerne entgegen genommen.

alle sieben wellen

hier ist er also, der fortsetzungsroman zu gut gegen nordwind von daniel glattauer: alle sieben wellen. eventuelle kleinere spoiler können folgen.

alle sieben wellen erinnert mich an so manche deutschschularbeit auf dem gymnasium. man liest das vorgegebene thema und man hat unzählige ideen. man beginnt zu schreiben, freut sich, dass einem sovieles einfällt, man schreibt sich in einen rausch, man vergisst alles rund um sich…und irgendwann sieht man auf die uhr. nur noch fünf minuten bis zur abgabe. und man ist mitten in seiner geschichte, nicht an ihrem ende. nun hat man ein problem; die geschichte muss jetzt an ihrem klimax abgewürgt werden. koste es, was es wolle. so ähnlich ist es daniel glattauer wohl gegangen, auch ohne drohende schulglocke.

zunächst ist alles vielversprechend: leo und emmi, die sich nur per mailkorrespodenz kennen lernen und zwischen denen es seit geraumer zeit knistert, aber nichts weiter passiert (offenes ende bei gut gegen nordwind) treffen sich nun persönlich. das face to face-kennenlernen beendet aber nicht ihre kommunikation per email, denn beide sind sich immer noch nicht darüber im klaren, welche art von beziehung sie führen möchten. der diskurs geht also weiter. und glattauer hat wieder ein paar originelle einfälle, um die spannung zu halten und die funken fliegen zu lassen. nachdem sie sich das erste mal getroffen haben, meint leo: "du schreibst manchmal hart an der grenze zu dir selbst" und emmi ist überzeugt davon, dass er so ist wie er schreibt: "ich habe dich erkannt. ich habe dich wiedererkannt."

aber wehe, wehe wenn ich an das ende sehe. das ende kommt – nach jahrelangem virtuellem umeinander herumschleichen – viel zu plötzlich, zu pragmatisch und auch zu selbstverständlich. so als hätte glattauer mit einem schlag vergessen, welche persönlichkeiten seine protagonisten sind. so einfach sind sie nämlich eigentlich nicht gestrickt.

trotzdem: alle sieben wellen ist wieder ein roman, den man kaum aus der hand legen kann. und der sich über weite strecken spannend und witzig liest. ok und ein bisschen kitschig. aber das ist in ordnung. denn er unterscheidet sich von anderer leichterer kost darin, dass es nicht ums aussehen geht, nicht um diäten, lifting, mode oder kosmetik. es geht hier nur um das innenleben, um worte und gedanken. und das finde ich angenehm.

zitiert

im aktuellen falter sagt alfred dorfer über österreich: 

"österreich hat eine kritische größe. es ist zu groß und zu klein zugleich. bemerkungen über internationale politik kommen in deutschland viel besser an, weil der informationsgrad dort höher ist. das trifft aber auch auf liechtenstein zu. aufgrund der eigenen marginalität ist man dort gezwungen, sich international umzuschauen. in österreich hat sich etwas völlig paradoxes halten können: eine mischung aus desinteresse und nonchalance gegenüber internationalen ereignissen."

finde ich ganz interessant beobachtet.