Heute wurde die Merci Chérie Podcast-Folge veröffentlicht, in der alle Hörerinnen und Hörer ihre Wertung von Platz 1 bis 10 bekanntgeben konnte. Es wurde darum gebeten, dass man seine 12 Punkte Wertung mittels Sprachnachricht abgibt, was ich gemacht habe.
Man kann mich ca. bei Minute 37.50 hören, wem das zu mühsam ist oder es zu cringe findet (wie ich selber harhar), hab ich meinen Kommentar transkribiert:
Meine 12 Punkte gehen heuer an Mustii aus Belgien mit “Before the Party is over” .
Und zwar deswegen, weil mich der Song so sehr an den Film “Walk the Line” mit Joaquin Phoenix als Johnny Cash erinnert, wo eben Johnny Cash gesagt wird, ein Song solle immer so klingen als ob man gerade blutend auf der Straße liegen würde und nur noch Zeit für ein einziges letztes Lied hat und wo man quasi alles reinpacken muss. Und genau das ist dieser Song für mich, voller Leidenschaft, Liebe, Schmerz, Dringlichkeit – natürlich auch sehr viel Pathos, was jetzt nicht immer meines ist, aber hier einfach genau passt.
Merci Cherie, Folge 6111
Ich verrate jetzt natürlich nicht, wer das Publikumsvoting insgesamt gewonnen hat, der Podcast mag ja auch noch Menschen haben, die sich das anhören, aber ich denke, es könnte sich diesmal um den tatsächlichen Sieger des heurigen Bewerbs handeln.
Ich war selbst mal, nämlich 2005, auf dem “Landsitz” von William R. Hearst in San Simeon, Kalifornien. Dem sogenannten Hearst Castle. Man kann (oder konnte zumindest) dort für ca. 25 Dollar Führungen mitmachen.
Alle Amerikaner dort so: Oh my god, it is beautiful.
Alle Europäer dort so: What the fuck!?
Ich mein, es ist faszinierend. So wie auch Las Vegas in seiner völlig absurden Skurillität faszinierend ist. Mister Hearst hat einfach alles genommen, was ihn an Architektur begeistert hat und hat es sich (ein)bauen lassen, bis er kein Geld mehr gehabt hat.
Als Marion, die Geliebte von Hearst, Mank im Film fragt, was er von Hearst Castle hält, zitiert George Bernhard Shaw: “What God would have built, if he had the money…”
Die Folge Milena ist die poetische und romantische Folge der Serie. Es ist quasi eine Folge in Echtzeit, wir sehen einen Spaziergang von Kafka und Milena im Wienerwald, es kommen in der ganzen Folge praktisch nur diese beiden Figuren vor, und ihre Gespräche, Zärtlichkeiten, aber auch tiefgehende Konflikte.
Milena nennt Kafka “Frank” und erzählt von sich, dass sie schon mal etwas stiehlt, wenn es sich ergibt, dass es ihre Lebensaufgabe wäre, ihren Vater zu enttäuschen, dass sie auch schon einmal versucht habe, sich zu töten. Als Kafka darauf entsetzt reagiert, entgegnet sie, dass das doch jeder einmal wolle. Milena sagt, man könne nur produktiv sein, so lange man jung ist.
Milena: “Sobald einem der Schmerz nicht mehr endlos vorkommt, bleibt man stehen und lebt vom Ersparten.”
Kafka: “So schlimm war Ihre Jugend?”
Milena: “So schön war sie!”
Kafka – Folge Milena
Sie essen im einem Gasthaus, wo es die beste Leberknödelsuppe überhaupt gibt und dann liegen sie in der Wiese, wo sie sich gegenseitig vorlesen. Danach geht es darum, wann Kafka zu Milena nach Wien kommt, um sie quasi abzuholen. Sie möchte sich von ihrem untreuen Mann trennen und mit ihm zusammen zu sein. Bei der Planung dieser Aktion verliert sich Kafka in Ausflüchte, an dem einen Tag kann er nicht kommen, da hat er eine Dienstreise und an dem anderen Tag muss er auch arbeiten, und am Wochenende gehen die Züge zu ungünstigen Zeiten; umständlich erklärt er Milena dabei den Zugfahrplan.
Milena wird wütend und schreit Kafka an, dass er sich ständig als Opfer stilisiert, dass er sich klein und schwach und unbedeutend gibt und alle, sein Freunde, seine Schwestern, seine Frauen fragen sich ständig, wie man dem armen Franz helfen kann. Sogar in einen Käfer verwandle er sich, sagt Milena, damit man ihn in Ruhe lässt und zu nichts zwingt. Sie wirft ihm absolute Kompromisslosigkeit vor, er schreibe ja nicht einmal seine Texte fertig – Kompromisse seien für andere, nicht für den großen Franz Kafka. Nur eine Macht gäbe es, der sich Kafka beugt, sagt Milena: “Dem beschissenen Zugfahrplan!”
Kafka muss grinsen, aber es wird klar, dass es auch mit Milena keine Zukunft geben kann, Kafka ist nicht bereit dafür. Die Bontempi-Orgel setzt ein, die diese ganze Folge untermalt, sie soll die naive Vorstellung eines unbeschwerten Nachmittags voller Glück und Sorglosigkeit vermitteln, aber irgendwann wird es kühler und die Sonne verschwindet und der Nachmittag ist zuende und damit in gewisser Weise auch alles was war, und eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Die Musik der Bontempi-Orgel wirkt nun wie ein parodistischer Nachhall – die große Liebe gibt es für Kafka nur für kurze Momente.
Kafka lernt Felice Bauer über seinen Freund Max Brod kennen. Sie ist eine selbst- und bodenständige Frau, die ihn vor allem auf intellektueller Ebene herausfordert und fasziniert. Sie sagt von sich selbst, dass sie nicht gerne isst und Zionistin ist, worauf Kafka sagt, das sei er auch – “glaube ich”. Felice spricht Kafka auf Hebräisch an, daraufhin antwortet er ebenfalls auf Hebräisch: “Von allen Sprachen, die ich nicht beherrsche, ist Hebräisch die Schönste.” Nach dieser ersten Begegnung schreibt Kafka Felice viele Briefe, die Felice begeistert liest und einmal in die Kamera sagt: “Es sind schon sehr schöne Briefe”.
Felice verhält sich aber auch bestenfalls gedankenlos, eventuell aber auch absichtlich verletztend. Kafka schickt ihr sein neues Buch und als sie sich wiedertreffen, fragt er gespannt, wie ihr dieser Text gefallen habe. Felice sagt daraufhin, sie sei noch nicht dazugekommen, sie lese gerade Arthur Schnitzler: “Ich mag ihn sehr!” Das trifft Kafka merklich, er macht eine abfällige Bemerkung über Schnitzler (“Widerlich. Man kann ihn nicht tief genug hinterstoßen.”). Man kann also sogar ein Franz Kafka sein und literarisch quasi zurückgewiesen werden.
Kafka verlobt sich mit Felice, zögert aber eine mögliche Hochzeit hinaus. Einmal wird er von ihr und zwei Freundinnen im Hinterzimmer eines Hotels befragt, warum er sich vor dieser Verpflichtung drückt und hier schafft Schalko den Kunstgriff, dass er den Erzähler sagen lässt: “Sie rufen jetzt vielleicht, dass das nicht so abgelaufen sein kann. Das ist ja wie — aus einem Kafka Roman. Wenn Sie das sagen, kann ich nur antworten: Denken Sie bitte kurz nach warum.” Kafka und Felice treffen sich dann noch einmal in einem Hotel und Kafka nutzt die Zeit ausschließlich, um Felice aus einem neuen Text vorzulesen. Vielleicht die Rache für die Schnitzler-Aussage? Jedenfalls wird die Verlobung dann gelöst.
Die erste Folge von Kafka, die den Titel Max trägt, ist die heiterste. Es ist die Folge, in der Kafka (Joel Basman) tatsächlich noch recht viel lacht.
Es geht in dieser Folge vor allem um Kafkas Freundschaft zu Max Brod und dem Prager Kreis, noch zwei weiteren Schriftstellern, Felix Weltsch und Oskar Baum, der blind ist. Alle sind Juden. Max Brod wird Kafkas engster Freund und sowas wie sein Literaturagent. Heute würde man es Manager nennen. Immer wenn Brod (gespielt von David Kross) die Szenerie betrifft, freue ich mich, er wird schnell meine Lieblingsfigur; er hat viel Charisma und ist mir einfach total sympathisch – auch wenn er genau genommen ein Strizzi ist. Brod nimmt das Leben leicht, er ist ein Boheme, hat zahlreiche Freundinnen (“Ich bin eben in jede verliebt”), trinkt und isst mit Begeisterung, er schreibt gern und viel, er veröffentlicht auch das meiste davon. Während Kafka nach dem Motto arbeitet, dass nichts gut genug ist, sagt Brod, seine eigenen Werke sind eben “gut genug”. Das mag auch ein Grund für diese Freundschaft sein, Brod ist quasi alles, was der schwermütige Kafka nicht ist, er vermittelt ihm immer auch etwas von seiner Lebenslust und reißt ihn mit.
Es gibt so viele tolle Szenen in dieser Folge. Der Prager Kreis trifft sich zum Beispiel in einem Lokal und sie lesen sich gegenseitig ihre Texte vor. Kafka liest: “Wir kamen mit guter Schnelligkeit immer weiter in das Innere einer großen, aber noch unfertigen Gegend, in der es Abend war.” Felix Weltsch fragt daraufhin: “Unfertige Gegend? Bist du dir sicher? Oskar Baum sagt: “Ich verstehe es nicht, aber es ist gut. Was sagst du Max?” Und Brod: “Ich glaube ich habe noch nie was besseres gehört.” Alle lachen. Aber Brod meint es ernst. Er ist komplett überzeugt vom Talent Kafkas. Ein anderes Mal trifft sich Brod mit Verlagsmenschen von Rowohlt und schwärmt von Kafka, er sei “der größte Schriftsteller der Welt”. Der eine Verlagsmensch fragt ihn darauf nach Werken von Kafka, worauf Brod zugeben muss, dass Kafka noch nichts veröffentlicht hat.
Eine Szene spielt quasi in der Zukunft und der schon ältere Max Brod wird von einem Interviewer bezüglich Kafkas Nachlass, den Brod verwaltet und herausgegeben hat, gefragt, warum er, Brod, manche Passagen gestrichen hat. Danach sehen wir eine Szene, in der Brod und Kafka das Prager Original Toni Pachinger (Robert Palfrader) besuchen, der von seinen Eroberungen schwärmt, Nacktbilder herumreicht und generell geht es relativ derb zu. Palfrader in einer typischen Rampensau-Rolle. Danach beugt sich Brod zur Kamera, bricht die vierte Wand und sagt den Zusehern: “Das muss ich doch streichen, das versteht sich doch von selbst, dass von so einem Abend niemand erfahren darf”. Was ja doppelt lustig ist, weil wir die Szene ja eben trotzdem gesehen haben und wissen, was gestrichen worden ist.
Am Ende der Folge fragt der Interviewer Brod, was ihm – dem eher mittelmäßigen Schriftsteller ohne jede literaturwissenschaftliche Ausbildung – das Recht gäbe, der Herausgeber von Kafkas Gesamtwerk zu sein. Da sagt Brod: “Er war mein bester Freund.” Und das zeigt die Serie auch. So leichtlebig Brod sein kann, so sehr ist er bis zum Schluss an Kafkas Seite und nimmt auf der Flucht einen extra Koffer mit, nur um Kafkas Nachlass transportieren zu können. Ohne ihn hätten wir viele von Kafkas Texten nie kennengelernt.
Auf ORF hatte jetzt die neue Miniserie Kafka von David Schalko Premiere.
Ich habe davor ein Interview mit Schalko gelesen, in dem er sagte, er wolle mit dieser Arbeit gegen das Klischeebild von Kafka ankämpfen. Meine erste Reaktion darauf war: Na genau! Ich glaubte ihm kein Wort. Warum? Ich war vor Jahren gefühlt die Einzige, die die Serie Braunschlag furchtbar fand, während sonst jeder begeistert war. Und zwar deshalb, weil es für mich in dieser Serie keine Protagonisten, sondern nur Klischeefiguren gab. Und nun sollte derselbe Schalko also eine Kafka-Serie ohne Klischees inszenieren? Ich war sehr skeptisch. Und: Ich habe jetzt alle sechs Folgen gesehen und bin hin und weg von Kafka! Leider verhält es sich damit ein bisschen umgekehrt zu Braunschlag, ich bin naja, nicht die Einzige, aber sehr viel Publikumszuspruch gab es wohl nicht. Deshalb werde ich jetzt hier ausführlicher bloggen, damit David Schalkos nächste Serie nicht wieder sowas wir Braunschlag wird. Harhar.
Also Kafka ist, wie erwähnt, in sechs Folgen aufgeteilt. Die Folgen sind zwar halbwegs chronologisch angeordnet, ab dem 23. Oktober 1902, dem Tag, an dem Kafka Max Brod kennenlernt, sie sind aber auch thematisch gegliedert. Das bedeutet, es gibt eine Folge über seine Freunde, den Prager Kreis um Max Brod, die Max heißt, es gibt eine Folge Familie – die wohl deprimierendste Folge der ganzen Serie mit Nicolas Ofczarek, der den wirklich sehr schrecklichen Vater von Kafka spielt . Es gibt eine Folge Bureau, die sich vor allem Kafkas Tätigkeit in einer Versicherungsanstalt widmet. Und es gibt drei Folgen über Frauen, mit denen Kafka eine Beziehung hatte (man kennt sie wohl aus den Briefen, die Kafka an sie geschrieben hat) Felice, Milena und Dora. Dora ist die letzte Folge, in der Kafka auch stirbt.
Erzählt wird von einer allwissenden Erzählfigur, die sich aber ständig hinterfragt, was sie da eigentlich erzählt – “Nein, man muss anders anfangen”, heißt es in jeder Folge. Und das finde ich genial , denn es weist die Zuseher daraufhin, dass man jede Geschichte auch komplett anders beginnen und erzählen kann; dass man an einem anderen Ausgangspunkt starten, dass man verschiedene Aspekte unterschiedlich gewichten kann, jede Geschichte auch Dinge nicht erzählt (bewusste oder unbewusste Leerstellen) und, dass ein Erzähler, auch wenn er vorgibt alles zu wissen, selbst mit einem Hintergrund ausgestattet ist, mit einer Perspektive und Ansichten.
Die Serie ist auch filmtechnisch extrem reizvoll gemacht. Jede Folge hat einen anderen Charakter: In Bureau spricht Kafka zum Beispiel ganz anders, viel “amtlicher” und “bürokratischer”, die Szenerie ist sachlicher. In Familie experimentiert Schalko, er hüllt die Wohnung der Kafkas in dunkles Blau und lässt das Licht rot strahlen als Kafka mit seinem Vater zusammentrifft; außerdem erscheint Kafka oder ein Kafka Alter Ego auch einmal als das Ungeziefer, wie er es in der Erzählung “Die Verwandlung” beschrieben hat und was dann damit passiert ist ziemlich gruselig. In der Folge Milena sieht man ausschließlich Kafka und eben Milena im Wienerwald spazierengehen und reden, streiten, flirten, so ein richtiges Beziehungsdrama durchleben. In der letzte Folge, Dora, wird das Sanatorium, das Kafka besucht, mit dem Schloss aus der gleichnamigen Erzählung quasi zu einem einzigen Ort – wie in einem mystischen Fiebertraum. Es gibt Zwischentitel mit Zitaten aus Kafkas Werken, die vierte Wand wird ab und zu sehr pointiert durchbrochen, es gibt spannende Kameraperspektiven, der Einsatz der Musik ist fabelhaft…
Also man merkt, ich bin begeistert. Zu den einzelnen Folgen dann bald.
Das Jahr 1994 war ein herausragendes Filmjahr mit Filmen wie Pulp Fiction, Forrest Gump, Die Verurteilten, Vier Hochzeiten und ein Todesfall etc.
Es war das Jahr, in dem ich 18 Jahre alt geworden bin und ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir im Kino standen und überlegten, uns Natural Born Killers anzusehen, was wir ja mit 18 durften. Der Film kam nämlich ebenfalls damals heraus und war von einer großen Kontroverse bezüglich der Darstellung von Gewalt und der angeblichen Verherrlichung dieser begleitet. Aber irgendwie traute ich mich nicht und wollte diesen Film nicht sehen. Dann vergingen kurz mal 30 Jahre und dann hörte ich eine Folge des FM4 Filmcast zum Thema Filmjahr 1994, in der der Film besprochen wurde. Und die Folge war so interessant, dass ich am Wochenende also erstmals Natural Born Killers gesehen habe. Er war komplett anders als ich ihn mir vorgestellt habe und ich bin irgendwie fasziniert von diesem Film.
Es können Spoiler folgen, weil ich mein, der Film ist 30 Jahre alt. Wer ihn sehen wollte hat ihn vermutlich gesehen. Harhar. Es geht jedenfalls um Mickey (Woody Harrelson) und Mallory (Juliette Lewis) Knox, einem Ehepaar beide aus sehr schlimmen Verhältnissen, mit “terrible childhoods”, die mit Drogen vollgepumpt einen Roadtrip durch die USA machen und nach drei Wochen bereits 50 Menschen getötet haben, begleitet quasi von einer Liveberichterstattung in den Medien, die sie zu zweifelhaften Stars macht. Nach dem einzigen Mord, der ein Unfall war – und dessen Opfer ein Navaro Indianer eigentlich die einzig integere Person in dem ganzen Film ist – und den sie eigentlich bereuen, werden sie festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, wo aus dem Roadmovie quasi ein Gefägnismeutereifilm bzw. eine Mediensatire wird…
So, wo fange ich an. Vielleicht bei den Personen und hier mit Woody Harrelson. Harrelson ist durchaus ein Teil der Hollywood-Industrie, allerdings ist er auch einer ihrer großen Außenseiter. Zwar dreimal Oscar nominiert und auch respektiert, vertritt er wohl eher keine Mainstreammeinung zu egal welchem Thema und ist auch sehr Amerika-kritisch. Bei der Präsentation seines Films Triangle of Sadness in Cannes 2022, in dem er einen zynischen amerikanischen Schiffskapitän mit Hang zum Kommunismus darstellt, hat er gemeint, er findet es miserabel, wenn ein Land ohne provoziert zu werden, mit der ganzen militärischen Macht ein Land attaktiert wie “Irak äh sorry, Afganisthan, äh sorry, Viet- sorry, Korea. Ach so, wir reden ja über die Ukraine.” Mich wundert es, dass Harrelson in den USA noch Rollen bekommt, harhar, aber gewisse Freigeister gibt es ja dann doch. Jedenfalls kann man kaum glauben, dass Harrelson 1993 Ein unmoralisches Angebot gedreht hat, wo er den sanften, etwas unbeholfenden, zutiefst verzweifelten und verletzten Mann von Demi Moore gespielt hat und dann ein Jahr darauf diese Figur des Serienmörders in Natural Born Killers und in beiden Rollen war er extrem glaubwürdig.
Harrelson passt aber sehr gut zu Regisseur Oliver Stone, der ja auch eine gewisse Außenseiter-Position in Hollywood hat, auch immer große amerikanische Geschichten und ihre Brüche genauer unter die Lupe genommen hat (JFK, Platoon, Geboren am 4. Juli, Wall Street, Nixon, Snowden). Im Filmpodcast wurde erzählt, dass Stone zu Natural Born Killers Interviews gegeben hat, in denen er wie ein französischer Intellektueller aufgetreten ist, der nur in Referenzen und Anspielungen spricht. Stone ist ja kein Splatter Regisseur oder jemand, der auf den billiger Schock aus ist, er war damals bereits 47 Jahre alt und wollte vor allem davon erzählen, wie kaputt das System in Amerika ist und vor allem die Medien (es war gerade die Zeit des O.J.Simpsons Falles).
Robert Downey Junior spielt einen komplett durchgeknallten TV-Journalisten, der Mickey und Mallory im Gefägnis interviewt und seine Bewunderung für die beiden kaum verhehlen kann. Tom Sizemoore einen charakterlich komplett verdorbenen Polizeibeamten und Tommy Lee Jones den Gefängnisdirektor, den er – nach eigener Aussage – nach einer Figur Molieres, in der Tradition der französischen Komödie angelegt hat, auch alles andere als mit leisen Tönen.
Wenn man das jetzt alles im Hinterkopf behält, in seiner ganzen Skurillität, und sich dazu noch vorstellt, dass praktisch das gesamte Team phasenweise auf Drogen war, dann kann man sich vielleicht vorstellen, was für ein wahnsinniger Film dabei herauskommt, und wie sehr dieser permanent auf Anschlag ist- mehr dazu dann morgen.
Vorigen Sonntag habe ich beim Frühstücken gelesen, dass Tag der offenen Tür in den Wiener Bezirksmuseen ist. Das war zwar super, allerdings wäre ich froh gewesen, wenn man das schon einen Tag früher publik gemacht hätte. Nachdem das Kind aber auswärts essen gegangen ist, habe ich mir schnell einen Überblick verschafft, was wo zu sehen ist und wo ich nicht ewig hin brauche, und habe mich so für das Bezirksmuseum Leopoldstadt entschieden.
Das Thema war dort “Als homosexuell verfolgt. Leopoldstädter Schicksale während der NS-Zeit“, und obwohl diese aktuelle Ausstellung alleine schon sehr interessant gewesen wäre (es wird über verschiedene Schicksale berichtet, was ziemlich erschütternd zum Nachlesen ist), ist das ganze Museum noch so viel mehr, nämlich total vielfältig an Exponaten und randvoll mit Informationen.
Man hat irgendwie das Gefühl, in Wien hat sich früher alles im 2. Bezirk abgespielt. Einerseits gibt es natürlich den Prater (mit Riesenrad) und auch den Augarten als große Grüngebiete, den Donaukanal als Flanierort, aber auch bekannte Kaffeehäuser, Bäder, Märkte und Theater. Die Straussdynastie hat im 2. Bezirk gewirkt, die Sängerknaben und auch sehr viele Literaten wie Arthur Schnitzler, Felix Salten, Joseph Roth, Peter Altenberg, Elias Canetti, sowie dessen Frau Veza Canetti, die Juden waren.
Der zweite Schwerpunkt des Museums liegt dann natürlich auch auf dem jüdischen Charakter der Leopoldstadt, die auch “Mazzesinsel” genannt wird. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung lebt(e) in diesem Bezirk, weshalb sich das Museum besonders den jüdischem Glauben, den Gebräuchen und Symbolen, aber natürlich auch der tragischen Geschichte während der NS-Zeit widmet. Damals wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung vertrieben, was einen großen Bevölkerungsverlust in diesem Bezirk zur Folge hatte. Nach dem Krieg kamen allerdings viele emigrierte Juden wieder zurück in die Josefstadt, sodass der zweite Bezirk seinen früheren Flair zurückerhielt, wenn auch in geringerem Ausmaß als früher.
Insgesamt ist das Museum also so voller sehr vielfältiger Informationen, dass eine Stunde nicht wirklich reicht, um es zu “bewältigen”; allerdings ist man da schon relativ erschlagen von den vielen Texten und Ausstellungsstücken und nicht mehr so aufnahmefähig.
Ich werde also sicher nochmal wiederkommen und mir vielleicht auch noch andere Bezirksmuseen anschauen, ich kenne noch sehr wenige.
Der Film Das Lehrerzimmer wurde heuer in der Sparte “Best International Feature” für den Oscar nominiert und ist jetzt auf Amazon Prime zu sehen (unbezahlte Werbung).
Die junge Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) ist neu im Kollegium eines Gymnasiums in Hamburg, dass sich eine “Null Toleranz” Politik auf die Fahnen schreibt, nachdem immer öfter Geld gestohlen wird. Eines Tages wird einer ihrer 12-jährigen Schüler, der türkische Junge Ali, des Diebstahls verdächtigt und mit fragwürdigen Methoden bloßgestellt. Der Verdacht kann nicht verifiziert, aber auch nicht eindeutig widerlegt werden. Carla ist entsetzt über die Art und Weise wie Ali behandelt wird, der vermeintliche Rassismus hinter der Anschuldigung stößt ihr sauer auf; sie macht sich nun auf eigene Faust daran, den Täter zu überführen…
Dieser Film, der ausschließlich in diesem Schulgebäude spielt und wo man selbst die Protagonistin niemals privat erlebt und auch nichts über ihr Leben abseits ihres Berufs erfährt, zeigt auch genau das: Den Mikrokosmos oder hier auch das Kriegsgebiet Schule. Eine Zwangsgemeinschaft, in der die Direktorin den Fokus nicht auf Zusammenhalt, sondern auf Misstrauen und Argwohn legt, um Probleme zu lösen und dadurch selbst ein noch viel größeres Problem generiert. Langsam entsteht nämlich eine äußerst toxische Energie, eine Gruppenbildung in Lehrer und Schüler, Jäger und Gejagte, bald gibt es aber auch Friktionen innerhalb dieser Gruppen. Diese Dynamik kann ab einem bestimmten Punkt kaum mehr eingefangen werden. Die positiven Kräfte, die es gibt, wirken schwach.
Nowak wird als übermotivierte Ideologin gezeichnet, die natürlich durchgehend gendert, die “woke” Rituale in ihrer Klasse etabliert, die konsequent ist, dabei auch bewusst transparent und fair auftreten will, die aber für mich vor allem eines ist: wahnsinnig unauthentisch. Sie scheint ein Bild in sich zu haben, wie sich eine Lehrerin zu verhalten hat und dieses Bild lässt sie sich nicht von der tatsächlichen Schulrealität nehmen. Was ihr oft fehlt sind Intuition und Gespür für Menschen und Situationen. Die Behandlung von Ali erscheint ihr zwar zurecht fragwürdig und übergriffig, aber weil ihrer Weltanschauung zufolge ein migrantischer Junge auf keinen Fall der Täter sein kann, was genauso ein Bias ist, sucht sie den wahren Schuldigen auf eigene Faust. Sie meint es gut, verzichtet dabei aber auf alles, das ihr gerade noch so wichtig war: Weitblick, Verhältnismäßigkeit und Rationalität.
Das ist meine Interpretation. Man könnte alle Ereignisse aber auch ganz anders bewerten. Ich glaube, damit hat der Regisseur auch gespielt, mit dieser Ambivalenz. Jedenfalls wünscht man sich bei Das Lehrerzimmer Robin Williams aus Club der toten Dichter herbei, der der ganzen Schulgemeinschaft eine Rede über Liebe, Freiheit und Poesie hält. Diese Schule hätte es bitter nötig.